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Sortieren und Reißen

Im Dokument 2 Technik der Papierherstellung (Seite 53-76)

2.3 Arbeitsschritte der Papierherstellung

2.3.2.1 Sortieren und Reißen

Das Sortieren der Lumpen ist für ein qualitativ hochwertiges Papier ebenso wichtig wie die Qualität des Rohstoffs selbst. Finden sich feine weiße Lumpen gemischt mit gefärbtem oder wollenem Tuch, so wird das daraus hergestellte Papier nicht dem Wunsch nach feinem, reinweißem Schreibpapier entsprechen können. Auf das Lumpensortieren wurde daher, nach den Texten über die Papierherstellung zu urteilen, große Sorgfalt verwendet. Der älteste Text, der die Vorbereitung der Lumpen nicht nur detailliert erwähnt, sondern auch regelt, ist die Regensburger Mühlenordnung aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Bereits beim Ankauf der Lumpen, der nach Gewicht erfolgte, war der sogenannte Gegenschreiber, der im Dienst der Stadt stand, dazu angehalten zu notieren, wie viele Lumpen von welcher Sorte er erworben hatte.365 Der Meisterknecht musste die Beschaffenheit der Lumpen prüfen, nämlich ob sie weiß oder schwarz, trocken oder feucht waren.366 Dann wurden sie in einem abschließbaren Raum gelagert. Gab der Gegenschreiber Hadern zum Reißen oder die bereits gerissenen Hadern zum Einfüllen in die Stampftröge heraus, so musste er auch hier die Lumpen wiegen und das Gewicht schriftlich festhalten.367 Schwarze und wollene Lumpen mussten von den weißen, leinenen Lumpen geschieden und jede Lumpensorte auf einen separaten Haufen gelegt werden, damit weißes, reines Papier produziert werden konnte.368 Der Lumpensortierer sollte die Hadern in die Sorten Schreib-, Karten- und Schrenzpapier einteilen, wie es auch im bekannten italienischen Papiermühlenstandort Fabriano getan werde.369

Auch andere Texte erwähnen die Einteilung der Lumpen in bestimmte Quali-täten oder für die Herstellung bestimmter Papiersorten, wobei die Kategorisierung

364 …telle est la pâte, tel est le papier. Desmarest 1778, 10.

365 Vgl. Regensburger Mühlenordnung, in: Blanchet 1900, 86.

366 Vgl. Regensburger Mühlenordnung, in: Blanchet 1900, 78.

367 Vgl. Regensburger Mühlenordnung, in: Blanchet 1900, 86.

368 Vgl. Regensburger Mühlenordnung, in: Blanchet 1900, 96.

369 Vgl. Regensburger Mühlenordnung, in: Blanchet 1900, 90.

unterschiedlich stark ausdifferenziert ist.370 Der französische Jesuit Jean Imberdis kennt 1693 nur zwei Sorten Lumpen – grobe dunkle für gewöhnliches Papier und feine weiße für qualitativ hochwertiges Schreibpapier371 –, während der genuesische Kaufmann Giovanni Domenico Peri in seiner Abhandlung über die Papierherstel-lung drei Sorten angibt, nämlich fioretto, fiorettone und gruzzoto.372 Drei Kategorien stellt auch Joseph Jérôme de Lalande 1761 für die französische Papiermacherei vor: So würden die meisten Lumpensortiererinnen die Lumpen in fins, moyens und grossiers oder bulles unterscheiden. Papiermühlen, die gesteigerten Wert auf das Sortieren der Hadern legen, scheiden hingegen sechs Sorten voneinander: superfin, fin, coutures de fin, moyen, coutures de moyen und bulle.373 Des Weiteren berichtet Lalande von regio-nalen Besonderheiten. So würde man in der Normandie nur die drei Sorten fin, triage und gros kennen.374 Im deutschsprachigen Bereich werden häufig fünf Lumpenquali-täten voneinander unterschieden. So berichtet Keferstein von einer Unterteilung der Hadern in fein, mittel, schlecht, braun und blau oder auch in Post, Canzley, Schreibe, Concept und blaue/grobe Lumpen.375 Letztere Einteilung ist an den Papiersorten ori-entiert, die sich mit den entsprechenden Hadern herstellen lassen. Auch die Österrei-chische Papiermacherordnung verwendet die Unterteilung in fünf Kategorien, die an den Papiersorten angelehnt ist: Post-, Canzley-, Concept-, Fließ- und blaue Hadern.376 Die feinen Lumpen sollen in Postpapier, die etwas schlechteren in Kanzlei- und Kon-zeptpapier, die minderwertigsten aber in Fließpapier verwandelt werden.377

Neben der Qualität der Lumpen wurde in manchen Papiermühlen auch auf die Abnutzung des Stoffs geachtet. Je mehr ein Kleidungsstück getragen und gewaschen wurde, desto weicher und fragiler ist es. Stark abgetragene Textilien lassen sich leich-ter fibrillieren und müssen folglich nicht so lange im Stampfwerk verbleiben wie kaum abgenutzte und daher noch sehr feste Lumpen. Dasselbe gilt für sehr feine Stoffe. Es sei daher, so Lalande, darauf zu achten, dass weder sehr verbrauchte Lumpen mit weniger stark verschlissenen Stoffen noch sehr feine Textilien mit groben Hadern in einem Stampftrog zusammenkommen und gemeinsam bearbeitet werden. Stampfe

370 Vgl. hierzu auch Bayerl 1987, 135 f.

371 Imberdis 1693/1899, 7 f., 34 f.

372 Vgl. Peri 1651, 66, engl. Übers. in Fahy 2003/2004, 250. Die Bezeichnungen fioretto und fioretto-ne sind auch in anderen italienischen Papiermacherregiofioretto-nen anzutreffen, vgl. Ornato et al. 1999b, 180–184.

373 Lalande 1820, 15 f. Auch Louis-Jacques Goussier nennt diese sechs Qualitäten: superfin, fin, cou-tures fines, moyen, coucou-tures moyennes und bulle. Zudem erwähnt er eine letzte Sorte, traces genannt, die aus bunten Lumpen besteht und daher nur zu papier gris verarbeitet werden kann, vgl. Goussier 1765/1966, 836.

374 Lalande 1820, 16.

375 Vgl. Keferstein 1766/1936, 21 f.

376 Vgl. Österreichische Papiermacherordnung, in: Bogdàn 1964, 10.

377 Vgl. Österreichische Papiermacherordnung, in: Bogdàn 1964, 10.

man diese gemischten Hadern zu kurz, so seien die feinen, fragilen Fasern zwar gut aufbereitet, der grobe, feste Stoff sei jedoch noch nicht ausreichend zerkleinert. Dies manifestiere sich im Papier durch Knoten und Unregelmäßigkeiten. Zerstoße man die Fasermischung jedoch so lange, dass endlich auch die festeren Lumpen gut fibrilliert seien, so würden die feinen Hadern derart klein, dass sie von dem durch die Stampf-tröge fließenden Wasser fortgespült würden. Dieser Verlust stelle nicht nur einen finanziellen Schaden für den Papierfabrikanten dar, sondern beeinträchtige auch die Schönheit des Papiers.378

Da das Lumpensortieren Genauigkeit und ein Gefühl für die Beschaffenheit der Stoffe voraussetzte, das man nur durch Routine gewinnen kann, möchte Lalande es von erfahrenen Personen und keinesfalls von Kindern ausgeführt wissen.379 Im 18.  Jahrhundert verrichteten oft Frauen diese Tätigkeit.380 Ebenso war das Reißen der Lumpen oftmals Frauenarbeit.381 Um dem Stampfwerk die Arbeit zu erleichtern, wurden die sortierten Hadern, wie in der Regensburger Mühlenordnung beschrieben, von ihren Nähten und Haken befreit und in kleine Stücke gerissen oder geschnitten.382 Dieser Arbeitsschritt konnte vor oder nach der Lumpenfäule ausgeführt werden.383 2.3.2.2 Faulen

Das Faulen der Lumpen dient dazu, ähnlich wie das Rösten des frisch geernteten Flach-ses bei der Leinenherstellung, den Stoff enzymatisch aufzuschließen.384 Die Papier-macher versprachen sich von diesem Vorgang zum einen, dass die Lumpen durch eine Aufspaltung der Fasern leichter und schneller zu Faserbrei gestampft werden konnten.385 Zum anderen sollte die Faulung die Hadern von Verunreinigungen und Fetten befreien.386 Für die Papiermacher war das Verfahren ein althergebrachter Weg zu einer möglichst guten Aufbereitung des Papierrohstoffs. Bereits Paulus Paulerinus beschreibt in den 1460er-Jahren in seinem kurzen lexikalischen Eintrag zum Papier-macher, dass der verwendete Rohstoff verrottbar, nämlich pannus lineus aut laneus

378 Vgl. Lalande 1820, 16 f.

379 Vgl. Lalande 1820, 16. Vgl. auch Bayerl 1987, 140.

380 Vgl. Lalande 1820, 16. Zu Frauen in der Papiermacherei des 15. und 16. Jahrhunderts vgl. Bock-witz 1947.

381 Vgl. die Tafel 1bis in Diderot/d’Alembert 1767/1967, Papeterie. Vgl. auch Kapitel 3.3.1.1, S. 336.

382 Vgl. Regensburger Mühlenordnung, in: Blanchet 1900, 90.

383 Vgl. Bayerl 1987, 137. Im 18. Jahrhundert wurde zum Zerkleinern der Lumpen ein Hadernschnei-der eingesetzt, vgl. ebd., 145–151.

384 Vgl. Kluge 2007, 1.

385 Vgl. Lalande 1820, 20. Die schnelle Aufbereitung erwähnt unter Bezugnahme auf Lalande auch Georg Christoph Keferstein, der ansonsten jedoch nicht zu den Befürwortern der Lumpenfäule zählte, vgl. Keferstein 1766/1936, 45.

386 Vgl. Österreichische Papiermacherordnung, in: Bogdàn 1964, 12; Lalande 1820, 20.

putrefactibilis, sein muss.387 Auch Francesco M. Grapaldo führt Ende des 15. Jahrhun-derts die Lumpenfäule als Arbeitsschritt auf,388 ebenso wird sie in der Regensburger Mühlenordnung aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erwähnt.389 Das Grund-prinzip der Faulung besteht darin, die sortierten und gewaschenen Lumpen auf einen Haufen – beispielsweise in einen dafür vorgesehen Behälter oder in die Ecke einer zu diesem Zweck eingerichteten Kammer – zu legen und sie mit Wasser zu begie-ßen.390 Nach einiger Zeit beginnt die Fermentierung, die sich in der Erwärmung der Hadern manifestiert.391 Um eine gleichmäßige Zersetzung zu gewährleisten, werden die Lumpen mindestens einmal gewendet.

Zur Dauer des Faulprozesses gibt es keine einheitlichen Angaben. Während Gra-paldo von elf Tagen spricht, bestimmt die Österreichische Papiermacherordnung von 1754, dass die Lumpen mindestens sechzehn Tage gefault werden müssen.392 Lalande setzt den Durchschnittswert für eine vollständige Fermentierung bei fünf bis sechs Wochen an. Er wird von Goussier übertroffen, der davon ausgeht, dass die Hadern zwischen zwei und drei Monaten rotten müssen.393 Weniger widersprüchlich erschei-nen diese stark voneinander abweichenden Angaben, wenn man davon ausgeht, dass die Qualität der Lumpen, ihre Aufschichtung in der Faulbütte, die Umgebungstem-peratur und die Zusammensetzung des Wassers394 einen großen Einfluss auf die Fer-mentierungsdauer hatten. Ändert sich einer dieser Faktoren, so kann sich auch die Fauldauer verlängern oder verkürzen. Eindrucksvoll unter Beweis stellte dies Martin Kluge, Leiter der Abteilung Wissenschaft und Vermittlung des Museums Basler Papier-mühle, der in einem Experiment versuchte, Lumpen faulen zu lassen: Auch nach drei Monaten waren die gewässerten, in einem Holzfass eingelegten Lumpen noch nicht ansatzweise verrottet, sondern rochen immer noch nach Waschmittel. Sowohl die durch modernes Waschpulver zu sehr gereinigten Textilien als auch das weitgehend keimfreie Leitungswasser scheinen die Fermentierung zu hemmen. Um den Faulungs-prozess zu beschleunigen, verwendete Kluge in einem weiteren Versuch Fluss- statt Leitungswasser und setzte den Lumpen außerdem Zucker und Stärke zu.395

387 Paulus Paulerinus 1997, 48.

388 Vgl. Grapaldo 1508, 103r: Secti in frustula aqua inspersa per dies. XI. macerantur. Vgl. auch Peri 1651, 66, engl. Übers. in Fahy 2003/2004, 251; Becker 1740/1962, 6.

389 Vgl. Regensburger Mühlenordnung, in: Blanchet 1900, 80, 90.

390 Zu den unterschiedlichen Faulungsmethoden – „Impf-Verfahren“, aerobe oder anaerobe Fau-lung – vgl. Kluge 2007, 3–6.

391 Vgl. Lalande 1820, 18; Goussier 1765/1966, 834.

392 Vgl. Grapaldo 1508, 103r; Österreichische Papiermacherordnung, in: Bogdàn 1964, 11.

393 Vgl. Lalande 1820, 18; Goussier 1765/1966, 834.

394 Vgl. Österreichische Papiermacherordnung, in: Bogdàn 1964, 11 f.: Gleichwie übrigens die Eigen-schaft des Wassers diese Faulung sowol befördern, als verzögern und zuruck schlagen kan, also muß ein jeder Meister wohl in Acht nehmen, ob er bey der oben bestimmten Zeit mehr oder weniger Abgang habe, damit er erst ermeldte Zeit mehr oder weniger zu verkürzen wisse.

395 Vgl. Kluge 2007, 6 f.

Doch woran erkannte man, dass die Zersetzung der Lumpen ausreichend fortge-schritten war? Eine einfache Faustregel nennt Lalande im Jahr 1761: Wenn die Hitze so groß ist, dass man die Hand nur noch für ein paar Sekunden im Inneren des Haufens belassen kann, dann muss das Faulen unterbrochen werden.396 Im 19. Jahrhundert wird auch die Bildung von Schimmel auf der Oberfläche der Lumpen als Zeichen für eine vorangeschrittene Fermentierung erwähnt.397 Zudem sollten gut gefaulte Lumpen mürbe und leicht mit der Hand zu zerreißen sein.398 Die Schwierigkeit des Faulenlassens liegt darin, den richtigen Zeitpunkt abzupassen. Der Papiermacher und -forscher Timothy Barrett vermutet, dass aufgrund der notwendigen Expertise im Umgang mit dem Rohstoff häufig ein Spezialist für den Faulprozess zuständig war.399 Diese Hypothese wird durch Lalandes Ausführungen aus dem 18. Jahrhundert unterstrichen. Halte man nämlich den Zersetzungsprozess zu früh an, dann werde das Papier rau, hart, leicht und fest, die Lumpen würden mehr Zeit benötigen, um zu Pulpe verarbeitet zu werden, und die Fasern würden sich nicht so leicht auf dem Sieb absetzen.400 Aber auch ein zu langes Faulenlassen wirke sich ungünstig auf die Lumpen aus, wie es nicht nur von Lalande, sondern auch in der Regensburger Müh-lenordung des 16. Jahrhunderts und der Österreichischen Papiermacherordnung von 1754 beschrieben wird. Überschreite man den Moment, in dem die Hadern optimal zersetzt seien, könne es zu einem nicht unerheblichen Rohstoffverlust kommen, da die nunmehr sehr stark denaturierten Fasern mit dem durch die Stampftröge fließen-den Wasser ausgespült würfließen-den.401 In der Österreichischen Papiermacherordnung wird eigens darauf hingewiesen, dass die Lumpen höchsten 2,5 Schuh hoch aufein-andergehäuft und gut gewendet werden sollen, da ansonsten die gleichmäßige Fer-mentierung nicht gewährleistet sei. Bei einem Haufen von 6 oder 7 Schuh seien die im Inneren liegenden Hadern bereits verrottet, während sich die oberen noch in einem festen Zustand befänden.402

Ungeachtet ihrer teilweise schwierigen Handhabung stellt die Lumpenfäule bis ins 18.  Jahr hundert einen wichtigen Arbeitsschritt in der Papiermacherei dar.

Die Österreichische Papiermacherordnung aus dem Jahr 1754 nennt als Vorteil der gefaulten gegenüber den ungefaulten Lumpen zum einen die Befreiung von Schmutz

396 Lalande 1820, 18: Le terme n’en est point fixe; mais lorsque la chaleur est devenue assez grande pour que la main ne puisse être que quelques secondes dans l’intérieur, on juge qu’il est tems (sic!) de l’arrêter.

397 Vgl. C. Hartmann 1842, 106; Kluge 2007, 6.

398 Vgl. C. Hartmann 1842, 106.

399 Timothy Barrett vergleicht die Arbeit des Lumpenfaulens sogar mit der Fermentierung der Trau-ben bei der Weinherstellung, vgl. Barrett 1989, 10.

400 Lalande 1820, 20: Si elle est arrêtée trop tôt le papier en devient crud, dur, léger, fort.

401 Zu den negativen Effekten einer langen Fauldauer vgl. Lalande 1820, 20; Regensburger Mühlen-ordnung, in: Blanchet 1900, 80; Österreichische PapiermacherMühlen-ordnung, in: Bogdàn 1964, 11.

402 Vgl. Österreichische Papiermacherordnung, in: Bogdàn 1964, 11.

und zum anderen die bestechende Qualität der Papiere: daß nemlich das Papier weit vester, geschlossener, dichter und linder ausfalle, als es von ungefaulten Hadern gesche-hen kan.403 Nach Lalande ist Papier aus gut gefaulten Lumpen kompakter, schwerer und weicher als Papier aus ungefaulten Lumpen.404 Ab der Mitte des 18. Jahrhun-derts finden sich jedoch auch zunehmend Papiermacher, die die Faulung der Hadern ablehnen. Interessanterweise argumentiert Georg Christoph Keferstein ebenfalls mit der besseren Qualität des Endprodukts. Ihm ist zwar bewusst, dass mit dem Faulen-lassen schneller Papier gewonnen werden könne, allerdings sei dieses Papier nicht so gut wie das, welches aus frischen Lumpen hergestellt werde: denn es wird nicht so feste, nicht so weiß, und hält auch selten im Leimen so gut, wie jenes.405

Einen umfassenden Vergleich zwischen gefaulten und ungefaulten Lumpen sowie den jeweils daraus hergestellten Papieren unternahm Nicolas Desmarest in seiner 1778 veröffentlichten Abhandlung Second mémoire sur la papeterie (vgl.

Tab.  3).406 Da Desmarests experimentelle Herangehensweise und seine Resultate sehr instruktiv sind, soll diese Gegenüberstellung hier ausführlich dargelegt werden, auch wenn in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Papierherstellung aller Wahrscheinlichkeit nach bis ins 18.  Jahrhunderte keine ungefaulten Hadern ver-wendet wurden.407 Wie Desmarest selbst feststellte, war der Verzicht auf die Lum-penfäule vermutlich erst durch die Einführung des Holländers408 möglich, der auch frische Lumpen in relativ kurzer Zeit in Faserbrei verwandelt konnte.409 Am Anfang der Abhandlung steht die Beobachtung, dass die holländischen Papiermacher – im Gegensatz zu ihren französischen Berufsgenossen – ungefaulte Hadern als Rohstoff für ihr Papier gebrauchen. Aus dieser scheinbar nebensächlichen Änderung im Pro-duktionsprozess resultiere jedoch eine Reihe an Unterschieden, die sich schließlich in der Beschaffenheit der Papiere niederschlagen würden. Bereits in der Farbgebung unterscheiden sich die gefaulten Fasern von den ungefaulten: Während letztere wie gewünscht weiß seien, bekommen die gefaulten Hadern einen gelblich-rötlichen Stich.410 Zudem seien die fermentierten Hadern häufig in ihrer Faserstruktur so

zer-403 Österreichische Papiermacherordnung, in: Bogdàn 1964, 12.

404 Lalande 1820, 20: La fermentation ou le pourrissage rend le papier uni, caillé, doux, et lui donne du poids.

405 Keferstein 1766/1936, 45.

406 Vgl. Desmarest 1778.

407 Zu den von Desmarest unternommenen Experimenten vgl. Desmarest 1778, 6–13, 16.

408 Als Holländer wird ein Trog bezeichnet, in dem durch rotierende Messerwalzen die für die Pa-pierproduktion benötigten Lumpen zerkleinert wurden. Dieses Mahlwerk wurde, wie der Name an-deutet, im 17. Jahrhundert in den Niederlanden erfunden und verbreitete sich im 18. Jahrhundert in ganz Europa, vgl. P. Tschudin 2012a, 148 f.

409 Vgl. Loeber 1984, 96.

410 Vgl. Desmarest 1778, 7.

setzt, dass sie leichter brechen und weniger widerstandsfähig seien.411 Die hervor-stechendste Charakteristik von Pulpe aus gefaulten Lumpen sei jedoch die hohe Auf-nahmefähigkeit von Flüssigkeiten, die sich in allen Produktionsschritten bemerkbar mache.412 Diese Eigenschaft führe dazu, dass man mit einer relativ hohen Faserkon-zentration in der Bütte arbeiten müsse. Da die Fasern jedoch das Wasser nicht nur schnell aufnehmen, sondern auch schnell wieder abgeben, gelinge es dem Papierer häufig trotz aller Geschwindigkeit nicht, einen gleichmäßigen Bogen zu schöpfen:

Das Papier erscheine wolkig, die Faserverteilung sei unregelmäßig.413 Auch bei der anschließenden Leimung habe Papier aus gefaulten Lumpen seine Tücken. Durch die schnelle Aufnahme von Flüssigkeit sauge es sich sofort mit dem Leim voll, seine weiche Konsistenz sorge dafür, dass es leicht reiße, wenn man es zu lange im Leim belasse.414 Im Ergebnis sei die Leimung weder gleichmäßig noch beständig.415 Das schnelle Aufnehmen und Abgeben von Flüssigkeiten haben des Weiteren zur Folge, dass die Papiere zu schnell trocknen und dadurch sowohl an Größe als auch an Eben-mäßigkeit einbüßen.

Im Gegensatz dazu stehen nach Desmarest die Charakteristika von Papier aus ungefaulten Lumpen. So nehmen die nicht fermentierten Fasern Wasser nur langsam auf und geben es auch wieder langsam ab.416 Aufgrund dieser Eigenschaft sei es möglich, in der Bütte mit viel Wasser zu arbeiten, zudem habe der Papiermacher mehr Zeit, die Fasern auf dem Sieb zu verteilen, bevor sie sich absetzen.417 Den Leim nehme dieses Papier zwar gemächlich, dafür aber gleichmäßig und dauerhaft auf.

Und auch das langsame Trocknen der Bogen verhindere, dass eine Schrumpfung und Wellung der Blätter eintrete.418 Nach diesem Vergleich liegt die Vermutung nahe, dass Desmarest die Lumpenfäule aufgrund der genannten Nachteile ablehnt. Inter-essanterweise spricht er sich jedoch nicht generell für den Einsatz von ungefaulten Lumpen aus, sondern differenziert nach Verwendungszweck des Papiers: Während sich nämlich die gleichmäßigen, gut geleimten, festen Papiere aus frischen Lumpen perfekt als Schreibpapier eignen, bestechen die weichen, schwach geleimten Papiere aus gefaulten Lumpen dadurch, dass sie Druckerschwärze sehr gut aufnehmen.419

411 Vgl. Desmarest 1778, 7.

412 Vgl. Desmarest 1778, 8–12.

413 Vgl. Desmarest 1778, 10, 19–25.

414 Vgl. Desmarest 1778, 11.

415 Vgl. Desmarest 1778, 49.

416  Vgl. Desmarest 1778, 9.

417 Vgl. Desmarest 1778, 19, 24f.

418 Vgl. Desmarest 1778, 38.

419  Vgl. Desmarest 1778, 59.

Tab. 3: Der Unterschied zwischen gefaulten und ungefaulten Lumpen nach Desmarest 1778.

Papier aus gefaulten Lumpen Papier aus ungefaulten Lumpen Faserzustand denaturierte Fasern unzerstörte Fasern

Farbgebung gelblich weiß

Zerkleinerung relativ einfache Zerfaserung hoher Energieaufwand

Schöpfen hohe Faserkonzentration in der Bütte geringe Faserkonzentration in der Bütte Gautschen erschwertes Lösen vom Sieb leichtes Lösen vom Sieb

Trocknen schnelles Entwässern langsames Entwässern

Legen erschwertes Lösen vom Filz,

Gefahr des Reißens leichtes Lösen vom Filz Leimen schnelle, aber unregelmäßige und

unbe-ständige Leimabsorption langsame, regelmäßige und dauerhafte Leimabsorption

Endprodukt wolkige, unruhige Durchsicht, weiche Konsistenz, gute Aufnahme von Drucker-schwärze

durchsichtige, gleichmäßige Faservertei-lung, Eignung als Schreibpapier

Der einzige Zusatz, der den Lumpen neben dem Wasser und den darin enthaltenen Keimen beim Faulen hinzugefügt wurde, war Kalk.420 Dessen chemische Wirkung auf die Lumpen beschrieb Timothy Barrett 1989 wie folgt: Der Kalk schwemme die Cel-lulose auf, öffne sie und biete den Enzymen auf diese Weise eine Angriffsfläche.421 Allerdings findet sich nur bei Lalande der Hinweis, dass manche Papiermacher den gewässerten Lumpen Kalk zusetzten, um den Faulungsprozess zu beschleunigen.422 Aufgrund der sehr schnellen und nur schwer zu kontrollierenden Zersetzung sei in manchen Gegenden der Einsatz von Kalk bei der Lumpenfäule verboten, so ergänzt er.423 Nach dem Großteil der Texte zu schlussfolgern, wurde den Lumpen erst beim Stampfvorgang Calciumcarbonat beigemengt. Dies führt uns nun auch zum nächsten Arbeitsschritt: dem Aufbereiten der Lumpen zu einem Faserbrei.

2.3.2.3 Stampfen

Das Fibrillieren der Lumpen, das heißt die mechanische Wandlung von einem fest-gefügten Gewebeverbund zu einzelnen, in Wasser aufgelösten Fasern, benötigt eine

420 Vgl. Barrett 1989, 10.

421 Vgl. Barrett 1989, 10.

422 Vgl. Lalande 1820, 19: Il y a des fabricans (sic!) qui, pour accélerer l’opération du pourissoir, met-tent de la chaux avec les chiffons. Vgl. auch Hunter 1978, 155. Giovanni Domenico Peri berichtet hin-gegen 1651, dass Kalk bei der Lagerung des Halbzeugs eingesetzt werde, um den Faulungsprozess zu stoppen, vgl. Peri 1651, 67: la calcina…fa che non marciscono. Vgl. auch Barrett 1989, 10 f.

422 Vgl. Lalande 1820, 19: Il y a des fabricans (sic!) qui, pour accélerer l’opération du pourissoir, met-tent de la chaux avec les chiffons. Vgl. auch Hunter 1978, 155. Giovanni Domenico Peri berichtet hin-gegen 1651, dass Kalk bei der Lagerung des Halbzeugs eingesetzt werde, um den Faulungsprozess zu stoppen, vgl. Peri 1651, 67: la calcina…fa che non marciscono. Vgl. auch Barrett 1989, 10 f.

Im Dokument 2 Technik der Papierherstellung (Seite 53-76)