• Keine Ergebnisse gefunden

Ordnungen und Erlasse

Im Dokument 2 Technik der Papierherstellung (Seite 27-33)

Der Wille, die Papierherstellung zu regulieren und das daraus entstehende Produkt zu normieren, existiert nicht erst seit der Einführung der deutschen Industrienorm, sondern bereits seit den Anfängen der europäischen Papiermacherei im Mittelal-ter.207 Er drückt sich in Reglementierungen und Ordnungen aus, die entweder von Herrschaftsträgern – wie dem König oder der Stadt – oder von der Gemeinschaft der Papierer selbst ausgingen. Hierbei stehen die wenigen Zeugnisse des 14./15. und auch noch des 16.  Jahrhunderts einer wachsenden Anzahl von Reglementierun-gen im 17. und 18. Jahrhundert geReglementierun-genüber. Das frühste bislang bekannte Dokument einer solchen Regulierungsbestrebung für die italienische Papiermacherei ist das sogenannte Statut von Bologna aus dem Jahr 1389.208 Die älteste bekannte Papier-macherordnung des deutschsprachigen Raums ist die Reutlinger Papiermacherord-nung aus dem Jahr 1527.209 Genauso wie die knapp 20 Jahre später vom polnischen König Sigismund  I. erlassene Krakauer Papiermacherordnung von 1546210 gibt sie jedoch kaum Hinweise auf das Produktionsverfahren. Beide Ordnungen verhandeln vorrangig die gesellschaftlich-rechtliche Verfasstheit des Gewerbes: Sie regeln Lehr-zeiten, Kündigungsfragen sowie das Vorgehen bei Streitigkeiten. Auch spätere Papier-macherordnungen – wie beispielsweise die von Kaiser Ferdinand III. aus dem Jahr

den Illustrationen von Joseph Jérôme de Lalande (siehe unten) zu den bekanntesten Darstellungen der Papiermacherei und werden häufig für Publikationen aufgegriffen; vgl. z. B. Bayerl/Pichol 1986, 55, 75, 77, 93; Doizy/Fulacher 1989, 66–71; Biasi/Douplitzky 1999, 107, 111–113, 118; Cevini 1995, 197–202;

Barrett 2013, 117–119.

207 Vgl. hierzu P. Tschudin 1994, der in einem Überblick die verschiedenen Regulierungsbestrebun-gen über die Jahrhunderte auflistet.

208 Bereits 1338 ordnete König Peter IV. von Aragon und Valencia bei Strafe an, dass Papier wieder in der gleichen Qualität wie früher hergestellt werde solle (papirus Valentie et Xative reducatur ad formam antiquam), vgl. Gayoso Carreira 1994, 238 f. Vgl. auch Valls i Subira 1970, 8, 34, 116. Für den französischsprachigen Raum kann das Edikt des Bailli von Troyes aus dem Jahr 1398 als eine frühe Normierungsbestrebung hinsichtlich der Papierformate gelten, vgl. S. 112 f. mit Anm. 608.

209 Vgl. Halstrick 1990, 29. Für den Text der Papiermacherordnung, vgl. Sporhan-Krempel 1972b, 1571–1574. Vgl. auch Kapitel 3.3.1.2, S. 343–346.

210 Für den lateinischen Originaltext und eine französische Übersetzung der Ordnung siehe P.

Tschudin 1994, 66–69; eine Übersetzung ins Deutsche findet sich in T. Schulte 1952, 38–41; eine eng-lische Übersetzung bieten Dąbrowski/Simmons 1994; die Krakauer Papiermacherordnung ist auch in Halstrick 1990, 149–153, in der Übersetzung von Toni Schulte abgedruckt.

1656 – betreffen in nur geringem Maße die Art und Weise der Papierproduktion.211 Diese Ordnungen werden im Folgenden nur dann zu Rate gezogen, wenn sie expli-zit Informationen über den Herstellungsprozess enthalten. Seltene, aber dafür umso wertvollere Einblicke in die Arbeitstechnik der Papiermacher bieten zum einen die Regensburger Mühlenordnung aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und zum anderen die Österreichische Papiermacherordnung von 1754.212 Die Bestimmungen einer Papiermacherordnung müssen als Idealvorstellungen gelten und können nicht mit letzter Sicherheit als tatsächliche Arbeitspraxis identifiziert werden, auch wenn eine große Übereinstimmung zwischen diesem Ideal und der Produktionsweise in als vorbildlich angesehenen Papiermühlen anzunehmen ist. Für die vorliegende Arbeit wurden im Hinblick auf die Beschreibung der Papierherstellung drei dieser Erlasse ausgewählt: das genannte Statut der Kommune von Bologna aus dem Jahr 1389, die sogenannte Regensburger Mühlenordnung und die Österreichische Papiermacher-ordnung von 1754.

Bereits seit den Forschungen des Schweizer Papierforschers Charles-Moïse Briquet ist der sogenannte Stein von Bologna bekannt, der heute im Museo Civico di Bologna steht.213 Es handelt sich hierbei um eine Marmorplatte, in der die Maße der für Bologna verbindlichen Papierformate eingraviert sind.214 Hielt Briquet den Stein noch für ein Zeugnis ohne weitere Referenz, so konnte Andrea Gasparinetti in den 1950er-Jahren nachweisen, dass er eher als Ergänzung zu einem im Staatsarchiv Bologna liegenden Statut aus dem Jahr 1389 anzusehen ist.215 Dieses Statut befindet

211 Vgl. die Auswahl von Papiermacherordnungen in Halstrick 1990, 142–178; die Papiermacherord-nung von Ferdinand III. ist auch abgedruckt bei Schaden 1740/1962, 13–17, und bei P. Tschudin 1994, 69 f.

212 Regensburger Mühlenordnung, in: Blanchet 1900,  78–101; Österreichische Papiermacherord-nung, in: Bogdàn 1964, 9–16.

213 Briquet 1968, Bd. 1, 2 f. Im Gegensatz zu Gasparinetti hatte Briquet noch keine Kenntnis vom da-zugehörigen Statut aus dem Jahr 1389. Seine Datierung des Steins auf das Ende des 14. Jahrhunderts basiert auf einem epigraphisch-paläographischen Vergleich der eingemeißelten Schrift (S. 3). Briquet vermutet, dass die Tafel, bevor sie an dem Haus in der via Accuse (vormals Zunft der Apotheker) platziert wurde, im Vorort Borgo Polese, wo die Papiermühlen konzentriert waren, angebracht war.

Piccard wiederum datiert den Stein deutlich früher als das dazu passende Statut. Anhand der Be-zeichnung carta de bambaxe für Papier argumentiert er, dass der Stein bereits zu Beginn des 14. Jahr-hunderts entstanden sein müsse. Zu dieser Zeit sei carta de bambaxe noch der gebräuchliche Name für Papier gewesen, während Ende des 14. Jahrhunderts in den Bologneser Archivalien nur noch carta de papiro zu finden sei. Piccard schließt daraus, dass der Stein entweder älter als das Statut ist oder dass er eine im Rahmen der Verordnung von 1389 neu angefertigte Kopie einer älteren Tafel darstellt, vgl. Piccard 1965, 56 f. Vgl. auch Anm. 598.

214 Über den vier Formaten, dargestellt durch ineinanderliegende Rechtecke verschiedener Größe, gibt ein Text Auskunft über das Dargestellte: Questo sieno le forme del chumune de Bollogna de che grandeça deve essere le charte de ba(m)baxe che se farano in Bollogna esso destreto chome qui de sotto edivixado. Vgl. Gasparinetti 1956, 13 f.

215 Vgl. Gasparinetti 1956, 45.

sich unter den Statuti del Popolo dieses Jahres und trägt den Titel: De facientibus cartas de papiro et earum forma, pretio, pena et diversis capitulis – Über die Herstellung von Papier, dessen Format, den Preis, Strafen und verschiedene Bestimmungen.216 Zur Fest-setzung der gültigen Papiermaße wird in diesem Text direkt auf eine Marmorplatte mit den betreffenden Formaten verwiesen, die an einer Mauer in der Nähe des heutigen Palazzo d’Accursio oder Palazzo Commune angebracht war. An dieser Mauer befan-den sich weitere Tafeln, die die anderen Maße der Gemeinde Bologna bestimmten.217 Da im Text selbst zwar die Formate genannt sind, jedoch nicht, welchen konkreten Maßen sie entsprechen, ist es für den Papierforscher ein großes Überlieferungsglück, dass sowohl der Text als auch der Stein auf uns gekommen sind. So gilt das Statut von Bologna bislang als die älteste Bestimmung über die europäische Papierproduktion:

In elf Artikeln, verteilt auf zwei Pergamentseiten, werden nicht nur Bestimmungen zu den Formaten, sondern auch zu Gewicht und Preis dieser Papiergrößen sowie zum Führen von Wasserzeichen erlassen. Zudem werden Fragen zur Papierqualität und zur Zunftzugehörigkeit der Papiermacher geregelt. Detaillierte Informationen zum Produktionsprozess findet man nicht. In der Forschung wurden bisher vor allem die Benennung und Maße der Formate rezipiert und mit anderen diesbezüglichen Regle-mentierungsmaßnahmen verglichen.218

Ein vergleichsweise ausführliches Dokument für die Papierproduktion im 16. Jahrhundert stellt die sogenannte Regensburger Mühlenordnung dar.219 Seit 1539 betrieb die Stadt Regensburg eine Papiermühle. Daher lag es im Interesse des Rats, das Papiergewerbe sowie die einzelnen Arbeitsschritte zu regeln. Unklar ist die Datie-rung dieser Ordnung: Blanchet gibt in seinem Abdruck der Quelle das Jahr 1580 an,220 in einem anonym verfassten Artikel aus dem Wochenblatt für Papierfabrikation wird das Jahr 1552 als Entstehungsjahr vermutet.221 Józef Dąbrowski hingegen gibt nur grob die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts als Entstehungszeitraum an.222 Im Vergleich zu den schon genannten Papiermacherordnungen verhandelt diese Mühlenordnung hauptsächlich die Herstellungsweise von Papier. Sozialrechtlichen Fragen, die den

216 Archivio di Stato di Bologna, Statuti de Popolo, vol. del 1389. Der lateinische Text findet sich zitiert und ins Italienische übersetzt in Gasparinetti 1963, 18–25; ebd. findet sich auch ein Faksimile des Originaltexts, siehe S. 34 f. Eine deutsche Übersetzung bietet Steinmann 2013, 580–582, Nr. 640;

früher auch schon in Steinmann 2006, 6–8.

217 Vgl. Gasparinetti 1963, 19.

218 Vgl. u. a. Piccard 1965, 57 f.; K. Th. Weiss 1962, 49; Zaar-Görgens 2004, 95.

219 Einen Abdruck des Texts samt Übersetzung ins Französische bietet Augustin Blanchet, der laut eigener Aussage von Charles-Moïse Briquet auf dieses Dokument hingewiesen wurde, vgl. Blanchet 1900, 78–101. Nach Blanchet lag die Mühlenordnung um 1900 im Regensburger Stadtarchiv unter der Signatur Politica, II. Fascikel 2, Nr. II. Briquet selbst erwähnt die Regensburger Papiermühlenordnung in seinem Werk Les filigranes, vgl. Briquet 1968, Bd. 1, 94 f.

220 Vgl. Blanchet 1900, 101.

221 Vgl. Die alte Regensburger Papiermühle 1954.

222 Vgl. Dąbrowski 1998, 257.

Berufsstand betreffen, wird zwar auch Raum gegeben,223 vorrangig bleibt jedoch die genaue Bestimmung der Aufgaben, die dem Meister und den Gesellen im Produk-tionsprozess zukommen. Diese Ordnung ist eines der frühsten Zeugnisse, das das Schweigen über die Herstellung von Papier bricht und relativ detailliert Einblick in die Handwerkstechniken gibt.

Deutlich jünger, aber inhaltlich nicht weniger interessant ist die Österreichische Papiermacherordnung, die am 6. Juli 1754 von Kaiserin Maria Theresia (1717–1780) erlassen wurde.224 Mit ihr wurde die Reglementierung und Förderung der Papierher-stellung beabsichtigt. Fragen zum Berufstand werden in einer gesonderten Profes-sionsordnung behandelt, der Fokus der Erzeugungsordnung liegt auf den Produk-tionsmethoden.225 So ist dann auch jeder der vier Paragraphen einem Arbeitsschritt gewidmet: (1) Rohstoffe, (2) Rohstoffaufbereitung, (3) Blattbildung und (4) Leimen.

Bemerkenswert ist, dass die Ordnung dezidiert auf die Nutzung neuer Arbeitsgeräte und -methoden rekurriert, wie zum Beispiel auf den Einsatz des Holländers oder das Bleichen der Lumpen in einer scharfen Lauge.226 Zudem wird gerade in der Abgren-zung der alten von den neuen Herstellungstechniken deutlich, dass unterschiedli-che Verfahrensweisen nebeneinander bestanden, und es ist davon auszugehen, dass auch dieser Erlass daran nichts grundlegend änderte.227

2.2.3 Fachbücher

Seit dem 18. Jahrhundert existieren auch Abhandlungen, die sich ausschließlich mit dem Papier und der Papierherstellung befassen. Viele dieser Arbeiten entsprangen auf der einen Seite einem gesteigerten Interesse für die Handwerke und die mechani-schen Künste und waren auf der anderen Seite Ausdruck eines wachsenden Selbst-bewusstseins der Papierer. So wurde die Abhandlung Entwurff und Beschreibung von der Papiermacherey des Juristen Franz Henning Schaden 1740 von Johann Andreas Becker verlegt, einem Papiermacher auf der Unteren Papiermühle zu Ilversgehofen bei Erfurt. Als Anhang verfasste dessen Bruder Johann Michael Becker, ebenfalls gelernter Papierer, das Glossar Alphabetischer Anzeiger der gebräuchlichsten Begriffe in der Papiermacherei.228 Während der Text von Schaden gerade in den technischen

223 Vgl. Regensburger Mühlenordnung, in: Blanchet 1900, 80–85.

224 Nach einem undatierten Prager Druck wiedergegeben bei Bogdàn 1964, 9–16.

225 Vgl. Bayerl 1987, 338.

226 Vgl. Österreichische Papiermacherordnung, in: Bogdàn 1964, 8.

227 Vgl. hierzu den Streit zwischen den Glättern und den Stampfern, der sich seit der Erfindung des Glätthammers im 16. Jahrhundert durch die Jahrhunderte zieht und laut Alfred Schulte erst mit Ein-führung der mechanischen Papierproduktion ein Ende fand, vgl. Alfred Schulte 1955, 69. Vgl. Kapitel 2.3.8, S. 165 f.

228 Schaden 1740/1962; Becker 1740/1962.

Aspekten zum Teil wörtlich aus älteren Werken übernommen wurde,229 zeichnet sich das Glossar von Johann Michael Becker durch eine große Sachkenntnis aus: Hier spricht der Papierer selbst.230

Ebenfalls aus der Feder eines Papiermachers stammt das Werk Unterricht eines Papiermachers an seine Söhne von Georg Christoph Keferstein (1723–1802) aus dem Jahr 1766.231 Keferstein betrieb eine Papiermühle im sächsischen Kröllwitz, die ins-gesamt 160 Jahre im Familienbetrieb verblieb.232 Seine Abhandlung über die Papier-macherei ist an seine Söhne gerichtet, die auch das Papiererhandwerk erlernten und damit vom Fach waren. Dies spiegelt sich in dem Text wider: Keferstein geht zwar auf jeden Arbeitsschritt ein, setzt dabei jedoch einiges an Fachwissen voraus.

So verwendet er selbstverständlich Fachworte wie gautschen und scheelen ohne sie zu erklären.233 Bemerkenswert ist die Bildung des Papierers. Neben den für die Papiermacherei als einschlägig anzusehenden Werken von Joseph Jérôme Lefrançais de Lalande und Jacob Christian Schäffer234 erwähnt er Isaac Newton und Gottfried Wilhelm Leibniz.235 Deutlich kommt im Unterricht eines Papiermachers der Berufs-stolz dieses Metiers zum Ausdruck: …schmutzige Lumpen werden von uns zu schönem Papier gemacht. Wenn dieß nicht Kunst heißt, so weiß ich keine zu nennen.236

Die Ausführungen von Johann Michael Becker und Georg Christoph Keferstein sind für die vorliegende Studie besonders wertvoll, da sie in ihren Beschreibungen des Herstellungsprozesses eine große Praxisnähe aufweisen und durch ihr unmit-telbares Zeugnis einen direkten Zugang zum Arbeitsalltag eines Papiermachers mit seinen Routinen und Herausforderungen bieten.

Durch seinen Detailreichtum und seine exakten Beobachtungen überzeugt das Werk L’art de faire papier237 des französischen Mathematikers und Astronomen Joseph

229 Vgl. Anm. 188.

230 Vgl. Bayerl 1987, 19, 179–182.

231 Keferstein 1766/1936, 36.

232 Vgl. die Homepage des Familienvereins Keferstein e. V., http://www.keferstein83.de/pages/die-familie/ die-geschichte.php (Stand 22.10.2017).

233 Dem Neudruck aus dem Jahr 1936 sind Erläuterungen von Alfred Schulte beigefügt, siehe Kefer-stein 1766/1936, 89–93.

234 Vgl. Keferstein 1766/1936, 59, 62–66. Jacob Christian Schäffer verfasste ein vielbeachtetes Buch über mögliche alternative Rohstoffe für die Papierherstellung, vgl. Schäffer 1765. Mit der Rezeption der Werke von Lalande und Schäffer war Keferstein am Puls der Zeit: Die Abhandlung über Ersatzroh-stoffe war erst ein Jahr alt, als Keferstein seinen Unterricht veröffentlichte.

235 Keferstein 1766/1936, 12. Die Bemerkungen von einigen angehenden Gelehrten, die sich an Kno-ten im Papier stören und diese Monaden nennen, veranlassen Keferstein sogar dazu, den Begriff Mo-nade in Hinblick auf die Papierherstellung zu diskutieren, vgl. Schreiben, die Knoten in den Papieren betreffend, ebd., 67–72.

236 Keferstein 1766/1936, 17.

237 Die erste Auflage wurde 1761 veröffentlicht, vgl. Lalande 1761. Bereits ein Jahr später erschien die deutsche Übersetzung des Texts, vgl. Lalande 1762. Im Jahr 1820 wurde eine zweite Auflage publiziert,

Jérôme Lefrançais de Lalande (1732–1807), das im Jahr 1761 von der Académie Royale des sciences publiziert wurde. Lalande hatte selbst keine praktischen Erfahrungen in der Papierherstellung, war jedoch als in der Darstellung von Maschinen bewanderter Laie wie auch sein bereits erwähnte Berufskollege Louis-Jacques Goussier sehr an der Papiermacherei interessiert. Mit seiner Abhandlung verfolgte Lalande das Ziel, das Handwerk entgegen den Geheimhaltungsbestrebungen der Papiermacher bekannt zu machen. Er vertrat dabei ganz in der Tradition der Aufklärung die Ansicht, dass das Handwerk von der Wissenschaft abhänge und dass nur durch die Aufdeckung der Methoden und Probleme eines Gewerbes ein Fortschritt in der Arbeitsweise erlangt werden könne.238 Neben der ausführlichen Beschreibung und vierzehn detaillier-ten Abbildungen technischer Einzelheidetaillier-ten239 – Funktionsweise des Wasserrads, des Stampfwerks und des holländischen Zylinders –, gibt Lalande zu jedem Arbeits-schritt die Hintergründe an und erklärt, warum man jenen Handgriff auf diese Weise ausführe und welchen Effekt dies auf das Endprodukt habe.240 Dieses In-Beziehung-Setzen von Arbeitsschritt und fertigem Papier ist für die Untersuchung von Herstel-lungsspuren sehr instruktiv.

Aus demselben Grund lohnt auch die Betrachtung der Texte des französischen Geologen Nicolas Desmarest (1725–1815).241 Im Rahmen seiner Tätigkeit als Inspecteur des manufactures242 schrieb er zwei Abhandlungen über die Papierherstellung, die

die im Haupttext mit der ersten Auflage übereinstimmt und lediglich durch Fußnoten ergänzt wurde, vgl. Lalande 1820. Da die Erstausgabe nicht zugänglich war, wird im Folgenden aus der zweiten Auf-lage zitiert.

238 Vgl. Lalande 1820, 3–5.

239 Diese Abbildungen sind dem Werk am Ende beigefügt. Acht der vierzehn Tafeln konnte Lalande in leicht veränderter Form von Gilles Filleau des Billettes übernehmen, der bereits im Jahr 1698 eine Darstellung der Papiermacherei in Angriff genommen hatte, jedoch nur die Abbildungen publizierte.

Das dazugehörige Manuskript blieb unveröffentlicht, vgl. Lalande 1820, 1; Tammaro 2006, 2. Neben den bereits erwähnten Kupferstichen von Louis-Jacques Goussier zählen diese Illustrationen zu den bekanntesten Darstellungen der Papierherstellung und werden häufig in Publikationen gezeigt, vgl.

beispielsweise Renker 1950, Anhang, Tafel 17, 18, 20–23; Bayerl/Pichol 1986, 63, 89, 95, 96, 98; Cevini 1995, 206 f. Vgl. hierzu auch Bayerl 1987, 23. Vergleicht man die Tafeln der Encyclopédie mit denen aus Lalandes Art de faire papier, so stellt man schnell fest, dass Goussier keinesfalls die Abbildungen des früheren Werks aufgriff, sondern neue Kupferstiche anfertigen ließ. Dies erscheint umso erstaunli-cher, wenn man bedenkt, dass auch Lalande mit Beiträgen, allerdings vornehmlich zur Astronomie, an der Encyclopédie beteiligt war.

240 In der Suche nach Erklärungen und Hintergrundfakten unterscheidet sich der Text von Lalande maßgeblich von dem vier Jahre später in der Encyclopédie erschienenen Beitrag Goussiers, der deut-lich mehr beschreibt, denn erklärt, vgl. hierzu Tammaro 2006, 3.

241 Neben der Schreibung Desmarest gibt es auch die Version Desmarets, vgl. den Artikel Desmarets, in: Biographie universelle 1843–1847, Bd. 6, 139.

242 In dieser Funktion wurde er bereits 1757 von der Regierung beauftragt, die französischen Tuch-manufakturen zu besichtigen und über ihre Produktionsweise Bericht zu erstatten, vgl. den Artikel Desmarets, in: Biographie universelle 1843–1847, Bd. 6, 139.

1774 beziehungsweise 1778 veröffentlicht wurden.243 Sein Ziel war es, die französi-sche Papierproduktion zu verbessern und ihre Produkte gegenüber dem qualitativ hochwertigeren holländischen Papier wieder konkurrenzfähig zu machen. Hierzu besuchte er in den Jahren 1768 und 1777 Papiermühlen sowohl in Frankreich als auch in den nördlichen Niederlanden und ließ sich vor Ort alle Arbeitsschritte zeigen und erklären.244 Seine Erkenntnisse trug er der Académie Royale des Sciences vor, der er seit 1771 als Mitglied angehörte. Die Gegenüberstellung von französischer und hol-ländischer Papiermacherei zeigt deutlich, dass es regionale – oder auch schon nati-onale – Unterschiede in der Technik der Papierherstellung gab. Desmarests feine Beobachtungen, die die Herstellungsweise mit den Charakteristika des Endprodukts in Beziehung setzen, erlauben zudem einen besonderen Blick auf mögliche Herstel-lungsspuren im Papier. Erst der Vergleich unterschiedlicher Papiere ermöglicht es, Erscheinungen im Papier zu benennen und zu qualifizieren, und verdeutlicht, welche gravierenden Auswirkungen selbst kleine Änderungen im Produktionsprozess haben können. Daher sind Desmarests Ausführungen auch im Hinblick auf die mittelalterli-che Papierherstellung aufschlussreich.

Im Dokument 2 Technik der Papierherstellung (Seite 27-33)