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Sonnenmotoren und das Kohleproblem

Seit den 1950er-Jahren nähren sich die Hoffnungen auf die terrestrische Nutzung von Photovoltaikanlagen aus einer Art Hybrid zweier technischer Entwicklungs-linien: der 1950 schon ungefähr einhundert Jahre währenden Entwicklung von Sonnenmotoren und der Halbleiterforschung, insbesondere der Forschung zum photovoltaischen Effekt in Halbmetallen. Sonnenenergie zur Energieversorgung moderner Industriegesellschaften einzusetzen ist eine recht alte technische Fanta-sie. Die Faszination der Perspektive, Sonnenenergie unmittelbar »zu ernten«, den zuerst als umständlich und später als gefährlich wahrgenommenen Umweg der Verbrennung fossiler Energieträger zu vermeiden, muss vor dem Hintergrund des theoretisch enormen Potenzials gesehen werden, das die Sonnenstrahlung Ingenieuren und Unternehmern versprach. In einer Beschreibung, die dem Ton nach ebenso gut die Schwärmerei gegenwärtiger Fürsprecher der Sonnenener-gienutzung sein könnte, versuchte Archibald Williams seinem nicht technischen Publikum das praktisch unerschöpfliche Energiepotenzial, das die aufkommen-den Sonnenmotoren einzufangen versuchten, bildlich nahezubringen:

Do many of us realise the enormous energy of a hot summer’s day? The heat falling in the tropics on a single square foot of the earth’s surface has been estimated as the equivalent of one-third of a horse-power. The force of Niagara itself would on this basis be matched by the sunshine streaming on to a square mile or so. A steamship might be propelled by the heat that scorches its decks.1

Williams, typisch für einen Ingenieur des frühen 20. Jahrhunderts, nannte all die Energie, die die Sonne »kostenlos« auf die Erdoberfläche strahlt, »this huge waste power« und spekulierte überschwänglich, die Sonnenenergienutzung sei

»so simple, so scientific, and so obvious, that it is easy to imagine it at no far distant date a dangerous rival to King Coal himself«.2 Die Anziehungskraft der technischen Eleganz der Sonnenenergienutzung wird im Folgenden immer wieder vorkommen, im Fall der Photovoltaik, die Sonnenlicht unmittelbar in Elektrizität wandelt, noch wesentlich häufiger als im Fall der solarthermischen Kraftwerkstechnik der frühen Sonnenmotoren, die über den Umweg der Wär-me Bewegungsenergie oder Strom erzeugten und deren Varianten Williams zu

1 Archibald Williams, 1910: The Romance of Modern Invention. Philadelphia: Lippincott, 209.

2 Ebd.: 212.

Beginn des 20. Jahrhunderts beobachtete. Nicht nur bewegten entwickelte Ge-sellschaften im Zuge ihrer zumeist kohle- und wasser- und später auch öl- und gasgestützten Elektrifizierung enorme Mengen an Arbeit, Infrastruktur und Ressourcen; die zunehmend geografisch zentrale Verbrennung fossiler Rohstoffe und die Wasserkraft schienen Beobachtern nüchtern technisch betrachtet als umständliche Umwege, um im Endeffekt doch die Strahlungsenergie der Sonne geografisch verteilt nutzbar zu machen.

Die frühen Sonnenkraftwerke waren verhältnismäßig große Apparaturen aus angewinkelt, konisch oder parabolisch angeordneten Spiegeln, angeschlos-senen Absorbern, Kochern und Dampfmaschinen oder Heißluftmotoren. Über zumeist auf Silber oder Silberbeschichtungen basierende Spiegel konzentrierten sie die einfallende Sonnenstrahlung, erhitzten Wasser, alternative Flüssigkeiten oder Luft und trieben so Druckerpressen, Öfen oder Pumpen an. Hauptsächlich französische und US-amerikanische Erfinderunternehmer, deren Biografien sich ausnahmslos wie Beschreibungen jenes Typs von individuellen Unternehmer-persönlichkeiten lesen, denen Schumpeter ([1942]1994: 132–134) nachgetrau-ert hatte, begannen Mitte des 19. Jahrhundnachgetrau-erts an solarthermischen Kraftwer-ken zu arbeiten, die die Versprechen der unerschöpflichen Energieversorgung durch die Sonne einlösen sollten. In Frankreich versuchte sich Augustin Mou-chot, hauptberuflich Mathematiklehrer, spätestens seit 1860 an einer Serie von Apparaten, den ersten dokumentierten modernen thermischen Solaranlagen.

Mouchot recherchierte eine Fülle historisch dokumentierter Nutzungsweisen der Sonnenenergie, von antiken Berichten über die Nutzung von Brennspie-geln über sonnenbetriebene Pumpensysteme in Ägypten bis zu den zahlreichen neuzeitlichen Experimenten mit »Hitzekisten«.3 Die eigentliche Innovation, die Mouchot nach einer Reihe von Experimenten entwickelte, war eine Kombi-nation von Spiegeln zur Bündelung des einfallenden Lichts und fortgeschrit-tener Kocher, die ihm erlaubte, seine Apparate verhältnismäßig klein zu halten.

Auf dieser Basis entwarf er eine Serie an Demonstrationsanlagen, unter ihnen Destillationsanlagen, Öfen und Pumpen. 1866 stellte Mouchot eine erste zu-friedenstellende sonnenbetriebene Dampfmaschine fertig; 1874 entwickelte er ein verbessertes Modell, das in seiner Heimatstadt Tours ausgestellt wurde und ihm breitere öffentliche Aufmerksamkeit einbrachte (Butti/Perlin 1980: 66–70).

Weiterentwicklungen seiner Apparate sicherten Mouchot und seinem Assisten-ten Pifre, der sein Projekt in den 1880er-Jahren übernahm, in den 1870er-Jah-ren finanzielle Unterstützung von Mäzenen, der lokalen und der französischen

3 Siehe zu seinen historischen Studien und seinen technischen Erwägungen Mouchots spätere Zusammenfassung dieser Arbeiten: Augustin Mouchot, 1869: La Chaleur Soleil et ses Applica-tions Industrielles. Paris: Gathier-Villars.

Zentralregierung, eine Auszeichnung auf der Pariser Weltausstellung 1878 und mehrere Expeditionen nach Algerien, um die Sonnenkraftwerke im Feld weiter-zuentwickeln (Mener 2001: 40–43).

Einige Jahre nach Mouchots ersten Entwicklungen experimentierte in den USA ein wesentlich profilierterer Erfinder, John Ericsson, an ähnlichen Appara-ten. Es ist bekannt, dass Ericsson von Mouchots Kraftwerkskonzepten wusste, auch, wenn er sie, nicht ganz uneigennützig, als »bloßes Spielzeug« abtat (Butti/

Perlin 1980: 77).4 Anders als im Fall Mouchots – und erst recht Pifres, der sich relativ schnell und erfolglos um die Vermarktung der neuen Apparate sorgte –, fand Ericssons Entwicklungsarbeit verborgener statt. Seine ersten Apparate er-zeugten zwar ein breites Presseecho um die 1870er-Jahre, die Alta California etwa fragte im Jahr 1869: »[After] this who shall say that ›bottled sunshine‹ is any longer a myth?«,5 und Ericsson bemühte sich um Demonstrationen vor mehreren europäischen akademischen Einrichtungen (ebd.: 77), öffentliche De-monstrations- und Anwendungsversuche verfolgte er allerdings weniger. Trotz mehrerer technischer Weiterentwicklungen, wie etwa des Einsatzes von silberbe-schichtetem Glas und Versuchen der Kombination der Anlagen mit Druckluft-motoren statt mit Dampfmaschinen (ebd.: 78–80), starb Ericsson 1889, ohne seine Vision der Verbreitung der Nutzung der neuen Energiequelle in die Tat umgesetzt zu haben.

Beide Erfinder hinterließen eine Ingenieurszene in ihren jeweiligen Ländern (vgl. Mener 2001: Kap. 2.2.3); und, wesentlich wichtiger, prägten mit ihren Ar-beiten spätere Ideen, wozu, wie und wo sich Sonnenkraftwerke einsetzen lassen könnten. Sie hinterließen gewissermaßen ein Bündel an Versprechen und Pers-pektiven, die die Arbeit an der Technologie rechtfertigten (zu derartigen Prozes-sen: van Lente 1993). Der Zeitpunkt der ersten Entwicklungen von Solarkol-lektoren war weder zufällig noch war er von bloßen technischen Entdeckungen bestimmt. In beiden Fällen konzentrierten sich Mobilisierungsbemühungen der Erfinder und Diskussionen in der Presse auf die zukünftige Nutzung der neuen Sonnenkraftwerke in der Erschließung und Entwicklung sonnenreicher Gegen-den in Gegen-den Peripherien der jeweiligen Staaten – in Frankreich in der Erschließung der afrikanischen und asiatischen Kolonien, in den USA der dünn besiedelten und trockenen Gebiete »jenseits der Frontier« (Kryza 2003: 186–188; Mener 2001: 48; Butti/Perlin 1980: 70–71, 77). Einerseits muss diese Fokussierung auf die Energieversorgung des Südens und des Westens vor dem Hintergrund gesehen werden, dass die Entwickler der ersten Sonnenkraftwerke nach dem

4 Siehe ausführlicher zur Kritik Ericssons an den Solarkraftwerken der Franzosen: John Ericsson, 1888: The Sun Motor. In: Nature, 2. August, 319–321.

5 Sunshine as a Motive Power. In: Daily Alta California, 26. Juli 1869, 21(7067), 1.

Ausbleiben gravierender kostentechnischer Durchbrüche nach Nischen suchten, in denen ihre Erfindungen intuitiv Unterstützung erfuhren. Andererseits be-ruhten die frühen Sonnenkraftwerke in gewisser Hinsicht auf technizistischen Vorstellungen der Erschließung unterentwickelter Gebiete des späten 19. und

frühen 20. Jahrhunderts (Mener 2001: 48).6

Daneben folgten die Sonnenkraftwerke einer internationalen Episode gesell-schaftlicher Debatten um die zukünftige Kohleversorgung, die in Großbritan-nien ihren Ausgang hatte. Mehrere wissenschaftliche Publikationen begannen Mitte des 19. Jahrhunderts, die Erschöpflichkeit der britischen Kohlevorräte zu problematisieren. Im Zentrum dieser Bewegung stand die international viel beachtete erste Monografie von Stanley Jevons, The Coal Question. Jevons ver-suchte einerseits, die Verbindung zwischen der Stärke der britischen Industrie und der britischen Kohleversorgung herauszuarbeiten. Andererseits zeigte er, wie Effizienzgewinne in der industriellen Produktion die Ausbeutung der na-türlich fixen britischen Kohlevorräte nicht senkte, sondern im Gegenteil stetig steigerte.7 Und obwohl Jevons durchaus vorsichtig optimistisch klang, man kön-ne mit peak coal schon irgendwie fertig werden – zumindest gab er sich Mühe, keine klare Untergangsprognose zu schreiben –, erhob er die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Kohlefrage in einer Weise zum politischen Problem, die weitgehend identisch mit dem Grundtenor der späteren Ressourcendebatten der 1970er-Jahre war:

Are we wise in allowing the commerce of this country to rise beyond the point at which we can long [sic] maintain it? […] [T]o disperse so lavishly the cream of our mineral wealth is to be spendthrifts of our capital – to part with that which will never come back. […] To allow commerce to proceed until the source of civilization is weakened and overturned is like killing the goose to get the golden egg.8

6 Ein gutes Beispiel für die sofortige Verknüpfung der frühen Solarkraftwerke mit der zivilisa-torischen Erschließung der südlichen Wildnis ist die Illustration, die im Scientific American zu Ericssons Solarmotoren abgedruckt wurde. Sie zeigt Ericssons Erfindung, seine Apparate standen durchweg in den USA, in einem mit Palmen bewaldeten Gebiet neben einem leicht bekleideten, offensichtlich afrikanischen »Eingeborenen«. Siehe Ericsson’s Sun Motor. In: Sci-entific American, 17. Mai 1884, 310.

7 W. Stanley Jevons, 1865: The Coal Question. An Inquiry Concerning the Progress of the Nation, and the Probable Exhaustion of Our Coal-Mines. London: MacMillan, 102–105, 115–116.

8 Ebd.: 344–345. Jevons zeigte sich, das muss hinzugefügt werden, was konkrete regulatorische Abhilfen angeht, etwas ratlos. Vor allem schien jede politische Maßnahme, die ihm einfallen wollte, gegen die Prinzipien des industrial freedom zu verstoßen. Die wesentliche Linderung, die er guten Gewissens anbieten wollte, war die umgehende Rückzahlung der britischen Staats-schulden, um den nächsten Generationen nicht steigende Kohlepreise und Staatsschulden zu hinterlassen (siehe ebd.: Kap. 16).

Nach einem Lobgesang auf die zivilisatorischen Verdienste der globalen Hege-monie des Britischen Empires schloss Jevons sein Buch mit einem für den ökolo-gischen Diskurs der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts typischen Hinweis auf Konflikte zwischen gesellschaftlichen Wachstumskräften und ihren natürlichen Grenzen: »[T]he maintenance of such a position is physically impossible. We have to make the momentous choice between brief greatness and longer contin-ued mediocrity.« Die Debatten um das Kohleproblem und damit verbunden das Aufkommen der Frage nach den Wirkungen der Endlichkeit jener natürlichen Ressourcen, die die Industrialisierung möglich machten, spielte regelmäßig in die politische, wirtschaftliche und wissenschaftliche Bewertung des Sinns der aufkommenden Solarkraftwerke (Mener 2001: 28–32; siehe spezifisch zu Mou-chot und der französischen Sorge, Jahrzehnte nach den Napoleonischen Kriegen in der Staatenkonkurrenz mit Preußen und Großbritannien ressourcentechnisch zurückzufallen, Kryza 2003: 151–152; zu Ericsson: Church 1907: 267).9 Die Mehrzahl der Diskussionen und Vermarktungsversuche der frühen Solarkraft-werke Ende des 19. Jahrhunderts behandelte die Sonnenenergie im Kontext der Debatte um die Endlichkeit der Kohlevorräte; sie gaben dem technischen Feld eine Reihe legitimierender Sprachfiguren und Diskursversatzstücke; Ericsson etwa warb in Schweden für seine Erfindung:

I cannot omit adverting to the insignificance of the dynamic energy which the entire exhaus-tion of our coal fields would produce, compared with the incalculable amount of force at our command, if we avail ourselves of the concentrated heat of the solar rays. […] [T]he skillfull engineer knows many ways of laying up a supply when the sky is clear and that great store-house is opened where the fuel may be obtained free of cost and transportation.10

Zu guten Teilen war es der kombinierte Einfluss der Debatten um die Endlich-keit natürlicher Ressourcen und der Kolonial- und Pionierbewegungen, der die frühen Solarkraftwerke getragen hat.

9 Vgl. unter vielen öffentlichen Hoffnungsbekundungen dieser Zeit, die Solartechnik würde den industrialisierten Gesellschaften dann zur Hilfe kommen, wenn das Kohleproblem akut werden sollte, Samuel P. Langley, 1879: The Recent Progress of Solar Physics. In: Popular Science Monthly 16(1), 1–11; The Coal Problem and Solar Engines. In: New York Times, 10. September 1868;

When the Coal Is All Gone. In: Boston Globe, 12. Juli 1888, 4.

10 The Solar Engine. Translation of Ericsson’s communication to the University of Lund. In: New York Times, 6. Oktober 1868.

2.2 Solarunternehmer und das Problem gesellschaftlicher