• Keine Ergebnisse gefunden

Die Entdeckung der Photovoltaik

Schon während der Euphorie um die frühen wärmebasierten Sonnenmotoren arbeiteten Forscher wesentlich grundlegender an einem Komplex von Techno-logien, die schließlich zur kommerziellen Photovoltaik führen sollten. Die Be-obachtung, dass Licht unter bestimmten Bedingungen elektrische Flüsse beein-flussen kann, war spätestens seit dem Jahr 1839 bekannt (Perlin 1999: 22, En.

10). Dass ein solcher »photoelektrischer Effekt«, wie er oft genannt wurde, in bestimmten Materialien auftrat, entdeckten Telegrafeningenieure zufällig in den 1860er-Jahren. Sie benutzten Selenkomponenten in Prüfapparaturen beim Ver-legen von Unterseeleitungen, für eine der ersten transatlantischen Telegrafenver-bindungen, und bemerkten, dass das Selen nur dann die von ihnen benötigten elektrischen Eigenschaften aufwies, wenn es von Sonnenstrahlen abgeschirmt war. In der Zeitschrift Nature berichtete der leitende Elektrotechniker des Pro-jekts, Smith, von dieser Anomalie:

[T]here was a great discrepancy in the tests, and seldom did different operators obtain the same result. While investigating the cause of such great differences in the resistance of the bars, it was found that the resistance altered materially according to the intensity of light to which it was subjected. When the bars were fixed in a box with a sliding cover, so as to exclude all light, their resistance was at its highest, and remained very constant, fulfilling all the condi-tions necessary to my requirements; but immediately the cover of the box was removed, the conductivity increased from 15 to 100 per cent […]. Merely intercepting the light by passing the hand before an ordinary gas-burner placed several feet from the bar increased the resistance from 15 to 20 per cent.1

Die Entdeckungen der Telegrafeningenieure wurden in den folgenden Jahren von einer Reihe von Forschern aufgegriffen, die die geschilderten Anomalien des Materials experimentell zu systematisieren, einzuordnen und zu verstehen versuchten. Insbesondere zwei Physiker und Werner Siemens machten mit aus-führlichen Testreihen und Publikationen auf sich aufmerksam. Die Physiker Day und Adams führten eine Serie explorativer Experimente durch und kamen, obgleich noch etwas ungläubig, zu dem Schluss, dass Licht nicht bloß die elek-trischen Eigenschaften der Selenproben zu beeinflussen schien, sondern selbst einen elektrischen Fluss im Material auslösen könnte.2 Siemens veröffentlichte in den 1870er-Jahren drei Berichte zu den amerikanischen Experimenten und zu seiner eigenen Forschung mit den Anomalien des Selens in den Monatsbe-richten der Berliner Akademie der Wissenschaften. Er hoffte, mit dem Selen

1 Willoughby Smith, 1873: Effect of Light on Selenium During the Passage of an Electric Cur-rent. In: Nature 7, 20. Februar, 303.

2 William G. Adams und Richard E. Day, 1876: The Action of Light on Selenium. In: Proceedings of the Royal Society of London 25, 313–349, hier: 333–339.

die Grundlage zur Herstellung eines verlässlichen Photometers in der Hand zu haben. Außerdem experimentierte er schon länger mit der Leitfähigkeit ver-schiedener Materialien, in erster Linie von Metallen.3 Was Adams und Day eher zurückhaltend feststellten und Siemens in seinen frühen Berichten ausließ, de-monstrierte der New Yorker Erfinderunternehmer Fritts in den 1880er-Jahren.

Fritts experimentierte mit Selen in verschiedenen Formen und mit verschiede-nen Beschichtungen und entwarf, ohne wirklich zu verstehen, was er da tat (das Elektron wurde 1897 entdeckt und unser gegenwärtiges Verständnis der Natur des Lichts erst im frühen 20. Jahrhundert entwickelt), das erste Photovoltaik-modul:

My form of cell is a radical departure from all previous methods of employing selenium […].

In the first place, I form the selenium in very thin plates, and polarize them, so that the oppo-site faces have different electrical states or properties. […] The current thus produced is radiant energy converted into electrical energy directly and without chemical action, and flowing in the same direction as the original radiant energy, which thus continues its course, but through a new conducting medium suited to its present form. This current is continuous, constant, and of considerable electromotive force. A number of cells can be arranged in multiple arc or in series, like any other battery. The current appears instantly when the light is thrown upon the cell, and ceases instantly when the light is shut off.4

Fritts sandte Proben seiner Zellen an Werner Siemens, der sich auf einer Sitzung der Berliner Akademie begeistert zeigte: »Wir haben es hier in der Tat mit einer ganz neuen physikalischen Erscheinung zu tun, die von größter wissenschaft-licher Tragweite ist«, resümierte er seine Prüfung von Fritts’ Erfindung.5 Per-lin (1999: 17, 20, 23, En. 23) und Mener (2001: 98–99, 114–115) finden in den Jahrzehnten nach Fritts’ Entwicklung Anzeichen ebenso überschwänglich formulierter Hoffnungsbekundungen zu einer schnellen Anwendung der Selen-zellen, wie sie in Bezug auf die Sonnenmotoren herrschten.6 Sie reichten aber

3 Werner Siemens, 1877: Über die Abhängigkeit der elektrischen Leitungsfähigkeit des Selens von Wärme und Licht (Zweiter Teil). In: Monatsbericht der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Juni 1877, 299–316; Werner Siemens, [1892]2008: Lebenserinnerun-gen. München: Piper, 449–453.

4 Charles E. Fritts, 1885: On the Fritts Selenium Cells and Batteries. In: Scientific American Supplement, 6. Juni, 7854–7856.

5 Werner Siemens, 1885: Über die von Hrn. Fritts in New York entdeckte elektromotorische Wirkung des beleuchteten Selens. In: Sitzungsberichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 12. Februar 1885, 299–316.

6 Eine Welle sehr zuversichtlicher Presseberichte wurde in den frühen 1930er-Jahren durch einen Artikel in der Zeitschrift Popular Science über die Forschung von Bruno Lange am Kaiser Wilhelm Institut für Silikatforschung angestoßen. Siehe: Magic Plates Tap Sun for Power. In:

Popular Science Monthly 118(6), 1931, 41, 134. Langes Drang in die Presse und sein Befeuern der öffentlichen Erwartungen, seine Forschung hätte naheliegende Anwendungen in der Elek-trizitätsversorgung industrieller Gesellschaften, scheinen schließlich zu seinem Rausschmiss

keinesfalls, was oft schlicht technische Gründe hatte, an die Euphorie heran, die etwa Shuman in der technischen Presse erzeugen konnte. Fritts beschwerte sich schon 1885 bei Siemens, dass der Umgang mit dem Material problembeladen sei. Er klagte »über die Unsicherheit der Herstellung der Platten, deren Eigen-schaften man gar nicht voraussehen könnte«.7 Die Module müssten weiterhin, so einige von Perlin (1999: 20) zitierte Skeptiker, fünfzigmal effizienter werden, bevor man über ihr Potenzial zur Elektrizitätserzeugung überhaupt diskutieren könne.8 Auch wenn die Selenzellen vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Nachkriegszeit zahlreiche Forschungsarbeiten anstießen, entfernten sich Ent-wicklungsarbeiten vom Problemzusammenhang der Elektrizitätsversorgung. In der anwendungsorientierten Forschung konzentrierte man sich vor allem auf messtechnische Anlagen, auf die Übertragungstechnik und auf verschiedene weitere Bereiche der Halbleiternutzung. Darüber hinaus allerdings konnten Fra-gen nach der Natur des photoelektrischen Effekts, damit zusammenhänFra-gend des Lichts selbst und der chemischen und physikalischen Eigenschaften von Festkörpern, wissenschaftliche Ressourcen anziehen, wie es bei den im Vergleich wenig komplexen Pumpen, Kollektoren und Sonnenmotoren nie der Fall war.

Einen wirklichen Aufschwung erlebte die Entwicklung der Photovoltaik erst in den 1950er-Jahren, nachdem sich die Bell Telephone Laboratories ihr ange-nommen hatten. AT & Ts legendärer Forschungs- und Entwicklungsarm stieß durch eine Serie kontingenter Entwicklungen auf jenen Typ von Siliziumzellen, der die Photovoltaik bis in die Gegenwart dominiert. Die Bell Labs waren ein Musterbeispiel für jene vorsätzlich vom operativen Geschäft getrennt betriebe-nen – aber lose an die Fertigung gekoppelten – Entwicklungsabteilungen, die seit dem späten 19. Jahrhundert in vielen großen technologieorientierten Un-ternehmen gegründet wurden. Firmen wie die BASF, General Electric, Krupp, Siemens und eben AT & T stellten Wissenschaftler ein, errichteten wissenschaft-liche Infrastrukturen und versuchten, Grundlagenforschung für ihr Geschäft zu mobilisieren; sie institutionalisierten, was später oft industrial research genannt wurde (Hoddeson 1981; Mowery 2009: 2–7; Schumpeter [1942]1994: 132–

134; Wise 1980). Man müsse sich, so der leitende Ingenieur bei AT & T im Jahr 1887, der die Idee hinter der Gründung unternehmensinterner Forschungsarme auf den Punkt brachte, den »many problems daily arising in the broad subject

am KWI und damit auch dem Ende seines Forschungsprojekts geführt zu haben (Mener 2001: 111).

7 Werner Siemens, 1885: Über die von Hrn. Fritts in New York entdeckte elektromotorische Wirkung des beleuchteten Selens. In: Sitzungsberichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 12. Februar 1885, 299–316, 148.

8 Weitere Beispiele der Skepsis gegenüber photovoltaischen Zellen als Elektrizitätsquellen im Deutschen Reich und in den USA finden sich bei Mener (2001: 111, Fn. 277, 118–119).

of telephony« widmen, »which require solution but are not studied as they will not lead to any direct advantage to ourselves« (Hayes, zitiert in Eckert/Schubert/

Torkar 1992: 59). Wie Lester und Piore (2009: 62) erinnern, systematisierten die Labors der frühen Technologiekonzerne jene nicht kurzfristig rationale, in bestimmter Hinsicht ergebnisoffene, aber problemorientierte Forschung und Entwicklung, die es in profitorientierten Umgebungen schwer hat und für die westliche Staaten vor dem Ersten Weltkrieg wesentlich weniger selbstverständ-lich aufkamen als in Kriegszeiten, seit der Zwischenkriegszeit und insbesondere seit den 1960er- und 1980er-Jahren (Block 2008; McDougall [1985]1997: 5;

Mowery/Rosenberg [1989]1995).

Die Bell Labs waren über die 1920er- und 1930er-Jahre zum wichtigsten Zentrum für grundlegende Halbleiterforschung geworden (Hoddeson 1981:

532–541; Seidenberg 1997: 35–36). AT & Ts Pläne für den Aufbau eines immer größere Distanzen überbrückenden Telefonnetzes zu Beginn des 20. Jahrhun-derts bedurften Signalverstärker, deren Entwicklung ohne Kompetenzen im re-lativ neuen physikalischen Forschungsfeld, der damals sogenannten Elektronen-physik, schwer möglich schien (Hoddeson 1977: 24). Das Verstärkerproblem wurde seit dem Jahr 1912 mit Vakuumröhren gelöst, die zwar wie geplant funk-tionierten, jedoch als »large, expensive, fragile, slow, relatively noisy, and often unreliable and short-lived« galten (ebd.: 28). Seit den 1930er-Jahren dachte man in der Leitung der Labors darüber nach, eine Forschungsgruppe einzurichten, die Chemiker, Physiker und Metallurgen zusammenbringen sollte, um zu er-gründen, ob sich die Eigenschaften von Halbmetallen zur Verstärkung nutzen ließen. Eben mit diesem Gedanken begannen die Bell-Labs Forscher einzustel-len, die sich für die Eigenschaften von Festkörpern interessierten. Ab den späten 1930er-Jahren veranstaltete man wöchentliche Treffen zwischen verschiedenen

an der Festkörperphysik interessierten Wissenschaftlern. Außerdem waren, be-dingt durch den Zweiten Weltkrieg, zahlreiche Mitarbeiter in der Halbleiterfor-schung für Radar- und Radiotechniken im militärischen Bereich tätig. Die Ra-darforschung bewirkte einerseits, dass verschiedene Halbleitermaterialien (haupt sächlich Germanium und Silizium) wesentlich besser verstanden und in wesentlich reinerer Form verfügbar wurden. Andererseits veranlasste sie Forscher zu weitergehenden Experimenten mit den Materialien. Im Jahr 1940 entdeck-ten Forscher des Bell-Radiolabors um Scaff und Ohl die systematische Grundla-ge der Siliziumphotovoltaik sowie der Transistorentwicklung. Sie stellten einen Siliziumblock her, der »entgegengesetzte« elektrische Eigenschaften in verschie-denen Regionen zeigte und bei Lichtbestrahlung einen »substantial photovoltaic effect« erzeugte (ebd.: 28): »The study […] showed that a rectifying barrier which, upon illumination, produced a photovoltage existed between the two regions. Scaff and Ohl named the outer region ›p-type‹ and the inner region

›n-type‹ […]. These p-n junctions aroused intense interest at Bell Labs« (Millman 1983: 417).9 Die Forschung zu jener »rectifying barrier«, die Ohl und Kollegen p-n junction nannten, wurde die Grundlage eines Großteils der weiteren Halb-leiterforschung in den Bell Labs. Das Interessante ihrer Entdeckung war, dass sich der P-N-Übergang im Material durch bestimmte Strukturen von Unrein-heiten zu ergeben schien. In seinem Patent der gewissermaßen ersten vage ver-standenen Siliziumphotovoltaikzelle berichtete Ohl:

The nature of the boundary or barrier zone and the reasons for its electrical behavior are obscure. There is evidence to indicate that the phenomena observed are dependent not only upon high purity of the silicon but also upon the character of the extremely small amounts of impurities which remain.10

In den 1940er-Jahren machten die Forscher zunehmend Fortschritte, die P-N-Übergänge mit dem Zusatz verschiedener Elemente gezielt und kontrolliert herzustellen (ebd.: 431–432). Die systematische Weiterentwicklung dieser Ent-deckungen zu Komponenten, die zur Elektrizitätserzeugung genutzt werden konnten, wurde in den frühen 1950er-Jahren von Chemikern und Elektrotech-nikern betrieben. Der Kontext für diese neu anlaufenden Bemühungen war ein Projekt, das seit dem Jahr 1951 verschiedene netzunabhängige Energietechniken ergründen sollte, mit denen sich netzferne Komponenten des Telefonnetzes ver-sorgen lassen könnten (Mener 2001: 233–234). Die wesentlichen Entwicklungs-arbeiten an Solarzellen wurden von Daryl Chapin einerseits und Calvin Fuller und Gerald Pearson andererseits seit 1953 durchgeführt.11 Sie beschäftigten sich in erster Linie damit, den Wirkungsgrad der Zellen, die Effizienz, mit der sie Licht in Elektrizität wandelten, zu erhöhen. Dabei experimentierte die Gruppe mit verschiedenen Möglichkeiten, Silizium zu verunreinigen (zu dotieren). Ins-besondere Chapin versuchte sich an verschiedenen Techniken, Kontakte an die Zellen anzubringen und Reflexionen an ihrer Oberfläche zu minimieren (ebd.:

234–235). Es gelang schließlich, eine Zelle mit ungefähr 6 Prozent Wirkungs-grad herzustellen, mit denen das Bell-Labs-Management 1954 an die Öffent-lichkeit gehen wollte.12

9 Siehe auch die Erzählung von Scaff zum Namensgebungsprozess und zur Charakterisierung und Einordnung der Entdeckung: Jack H. Scaff, 1970: The Role of Metallurgy in the Technol-ogy of Electronic Materials. In: Metallurgical Transactions 1(3), 561–573, hier: 562–564. Einen guten Überblick zur Rolle von Ohls Entwicklung in der Bell-Labs-Halbleiterforschung geben Riordan und Hoddeson (1997: Kap. 6).

10 Russel S. Ohl, [1941]1946: »Light-Sensitive Electric Device«. US Patent 2.402.662, Spalte 14.

11 Siehe unter vielen: Friedolf M. Smits, 1976: History of Silicon Solar Cells. In: IEEE Transactions on Electronic Devices 23(7), 640–643.

12 Daryl M. Chapin, Calvin S. Fuller und Gerald L. Pearson, 1954: A New Silicon p-n Junction Photocell for Converting Solar Radiation into Electrical Power. In: Journal of Applied Physics

Der Öffentlichkeitseffekt mehrerer gut inszenierter Demonstrationen der Bell Solar Battery war enorm und die Presse nahm die äußerst professionell ge-stalteten Marketingbemühungen für die Siliziumsolarzellen breit auf.13 Im wohl meistzitierten Pressebericht in der Geschichte der Photovoltaik verkündete die New York Times auf ihrer Titelseite überschwänglich, die Siliziumzelle »may mark the beginning of a new era, leading eventually to the realization of one of mankind’s most cherished dreams – the harnessing of the almost limitless energy of the sun for the uses of civilization«.14