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Klima-Katastrophe, Tschernobyl und die Wieder entdeckung

Während der energiepolitische Druck auf OECD-Regierungen unter der Be-dingung wieder fallender Rohstoffpreise in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre abnahm, verschärften sich umweltpolitische Konflikte um die Energieversor-gung entwickelter Gesellschaften. Die gesellschaftlichen Nachwirkungen der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl und der inkrementellen Politisierung des menschlichen Einflusses auf das Weltklima seit 1986 brachten nichts wirklich qualitativ Neues in die Auseinandersetzungen um die Unterstützung regenerati-ver Energietechniken. Sie ließen Forderungen nach einem ökologischen Umbau industrieller Energieversorgungssysteme allerdings wesentlich mehrheitsfähiger und drängender werden. Tschernobyl und die Klima-Katastrophe kamen un-gefähr gleichzeitig im öffentlichen Bewusstsein an. Am 29. April 1986 begann in Westeuropa die Berichterstattung zum Reaktorunfall in Tschernobyl, gefolgt

von der Panik vor der radioaktiven Wolke, radioaktiv belasteten Niederschlägen, Lebensmitteln und Spielplätzen in großen Teilen des europäischen Kontinents (Arndt 2012: Kap. 4; Renn 1990). Im August 1986 veröffentlichte der Spiegel sein mittlerweile legendäres Titelbild des Kölner Doms unter Wasser und leitete damit unter dem Begriff der Klima-Katastrophe in Deutschland die bis in die Gegenwart nur schwer historiografisch auseinanderzuflechtende soziale Dyna-mik zwischen der medialen, öffentlichen, politischen und wissenschaftlichen Be-schäftigung mit dem Einfluss des Menschen auf die Ozonschicht und das Welt-klima und dessen Folgen ein (anstelle vieler: Weingart/Engels/Pansegrau 2008).

Tschernobyl stärkte in Deutschland mehrere seit den 1970er-Jahren einfluss-reiche umwelt- und energiepolitische Bewegungen. Der Spiegel veröffentlichte im Mai 1986 eine Umfrage, der zufolge 69 Prozent der Bevölkerung den Bau neuer Kernkraftwerke ablehnten und 54 Prozent die bestehenden Kraftwerke nach einer »Übergangszeit« stilllegen wollten.1 Bis in den August 1986 waren es schon 81 Prozent, die sich gegen neue Anlagen aussprachen. Es waren die gesellschaftlichen Nachwirkungen von Tschernobyl, die die Redewendung von der »Übergangs-« oder »Brückentechnik« für die Kernenergie populär machten.

Eine Ausgabe später konnte der Spiegel schon Politiker aller Bundesparteien zi-tieren, die den teils impliziten, teils expliziten Konsens um die Kernkraft öffent-lich infrage stellten. Der zukünftige SPD-Kanzlerkandidat und damalige Minis-terpräsident in Nordrhein-Westfalen Johannes Rau warnte, die Gefahren seien

»auf die Dauer zu groß«, woraufhin Kurt Biedenkopf gegen die Parteilinie der CDU einzuschwenken schien. Innerhalb der SPD wurden öffentlichkeitswirk-sam Forderungen zum Ausstieg aus den Demonstrationskraftwerken in Hamm und Kalkar lauter.2 Im August beschloss ein SPD-Parteitag den Ausstieg aus der Kernenergie innerhalb von zehn Jahren (Altenburg 2012: 260). Heiner Geiß-ler befürwortete plötzlich die »Suche nach Alternativen«. Und Joschka Fischer kündigte eine Verfassungsklage gegen den Einsatz der Kernkraft an sich an.3 Bis 1988 sprachen auch konservative Politiker öffentlich davon, dass die Kernener-gie eine »vorübergehende EnerKernener-gieart« sei, »die so bald wie möglich durch andere,

1 Siehe: Neue Mehrheit für den Ausstieg. In: Der Spiegel 20, 1986, 28–32.

2 Die Debatte um den Hochtemperaturreaktor in Hamm war insofern sehr brisant, als er die Grundlage der seit den 1970er-Jahren insbesondere in der SPD bestehenden Hoffnungen war, mit seiner Hilfe in die kommerzielle Kohleverflüssigung einzusteigen und damit der Ruhrkohle neues Leben einzuhauchen. Siehe die aufschlussreiche Debatte im nordrhein-westfälischen Landtag und in den relevanten Ausschüssen zu einem SPD-Antrag zum stufenweisen Ausstieg aus der Kernenergie: Landtag Nordrhein-Westfalen, 1986: Umsteuerung in der Energiepolitik – Zukunft von SNR 300 und THTR 300. Antrag der SPD Fraktion. 10/1115. Düsseldorf: Land-tag Nordrhein-Westfalen.

3 Siehe die Positionssammlungen in: Angst vor dem politischen Super-Gau. In: Der Spiegel 32, 1986, 50–73; Atomenergie – Einstieg in den Ausstieg? In: Der Spiegel 21, 1986, 18–29.

erneuerbare Energiequellen abgelöst werden muss«.4 Noch im Juni 1986 setzte die Bundesregierung Walter Wallmann als ersten Minister des hastig eingerich-teten Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ein, der in der aufgeheizten Stimmung noch vor seiner Vereidigung von der Op-position – angesichts der personellen Besetzung des BMU nicht ganz zu Un-recht – als im Grunde korrumpiert diskreditiert wurde.5 Es war keinesfalls so, dass Tschernobyl in Deutschland eine prosperierende Branche traf, was auch erklärt, warum viele Politiker ohne viel Zögern ankündigen konnten, sich in Zukunft gegen den Bau neuer Kraftwerke einzusetzen. Die kurze Euphorie war dem politisch-ökonomischen Komplex um die Kernenergie schon in den Bür-gerprotesten, erzwungenen Bauverzögerungen und Schutzauflagen sowie einer Reihe von sektoralen Governance-Problemen seit der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre genommen worden (detailliert: Campbell 1991; Radkau 1983: Kap. IV, 3). Dennoch setzte die Katastrophe die Politik in einem Maß unter Druck, dass der Industrie in der Folge vollends der Wille zum Bau neuer Anlagen genom-men wurde. Seit 1982 begann sie in Deutschland kein neues Bauunternehgenom-men mehr (Altenburg 2012: 260). Im Jahr 1989 wurde der Bau der über beinahe ein Jahrzehnt von der Regierung Strauß verteidigten Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf eingestellt. Der Brutreaktor in Kalkar – die kleine Variante der Vision der unerschöpflichen Kernkraft – ging nie in den kommerziellen Betrieb und wurde Anfang 1991 endgültig für abgeschrieben erklärt.

Die Auseinandersetzung mit dem anthropogenen Klimawandel hatte dage-gen keine spezielle Katastrophe zum Anlass, sie gelangte inkrementell in poli-tische Debatten. Die Frage, zu welchem Zeitpunkt die naturwissenschaftliche Überzeugung aufgekommen ist, dass menschliche Aktivitäten, vor allem zu-nehmende Gasausscheidungen und die Abholzung und Rodung von Wäldern Auswirkungen auf die Beschaffenheit der Erdatmosphäre und damit auf das Weltklima und menschliche Lebensbedingungen haben, schwanken in der

his-torischen und sozialwissenschaftlichen Literatur zwischen den 1930er-Jahren (Mariussen 2010: 336) und der Mitte der 1970er-Jahre (Weingart/Engels/Pan-segrau 2008: 47–49).6 Ein durchweg bestehendes Problem der Forschung zum

4 Siehe Späth: Kernkraft nur Übergangsenergie. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. Juni 1988, 4. Spätere öffentliche Stellungnahmen aller relevanten Bundesparteien sind versammelt in: Po-litiker nehmen Stellung zur Energiefrage. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. Oktober 1989, B4–B6.

5 Deutscher Bundestag, 1986: Plenarprotokoll 10/220. Bonn, 17037.

6 In der Nixon-Administration kursierte schon 1969 ein Memorandum, das die Gefahren und Mechanismen des anthropogenen Klimawandels aufbauend auf einer Studie von 1965 mit beeindruckender Treffgenauigkeit beschrieb. Es enthielt eine treffende Voraussage zum Politi-sierungspotenzial des Phänomens; der Klimawandel könne »seize the imagination of persons normally indifferent to projects of apocalyptic change«, scherzte Moynihan. Siehe Daniel P.

anthropogenen Klimawandel – das erklärt die lange anhaltende Unsicherheit über menschlich verursachte Klimaänderungen in der Wissenschaft – war es, im Verständnis des enorm komplexen und dynamischen Systems globaler klimati-scher Bedingungen menschliche von natürlichen Einflüssen und zyklische von säkularen Änderungen zu unterscheiden. Dennoch gaben sich mehrere Klima-forscher schon in den 1970er-Jahren relativ sicher, dass der carbon cycle zwischen Pflanzen, Meeren, Tieren, der Feststoffumwelt und der Erdatmosphäre durch Industriegesellschaften aus dem Gleichgewicht gebracht werden könne (ebd.:

47–49). In der deutschen Debatte gab vor allem eine Pressemitteilung der Deut-schen PhysikaliDeut-schen Gesellschaft 1986 und ihr Aufgriff in den Massenmedien den Ausschlag, dass vorher durchweg verhallte Versuche, das Thema der Kli-maveränderung in die politische Auseinandersetzung zu führen, Erfolg hatten (ebd.: 64–67). Weingart et al. nennen die Phase politischer und medialer Klima-debatten zwischen 1986 und 1992 treffend »Katastrophismus«. Der Bericht des Spiegels zur Klima-Katastrophe begann mit einer Art Distopie über den »Som-mer 2040« und resümierte:

Daß der im Grunde wohltätige Treibhauseffekt, der irdisches Leben überhaupt erst möglich macht, vielleicht schon bald zur Plage wird, ist der Tatkraft des Homo sapiens zuzuschreiben.

Seit mehr als 150 Jahren stinken die Industriegesellschaften zum Himmel. Rund 180 Mil-liarden Tonnen CO2 wurden seit anno 1800 beim Verheizen fossiler Brennstoffe in die Luft gepustet; bis hinauf in die Stratosphäre herrscht inzwischen dicke Luft.7

Ozonloch und Klima-Katastrophe wurden in den Debatten der 1980er-Jahre häufig noch in einem Zug problematisiert. Ersteres sollte sich als kollektiv we-sentlich reibungsloser zu bearbeitendes Problem erweisen und ein Modell für besonnene transnationale politische Reaktionen auf globale Umweltgefahren werden (Bernauer 2013: 421; Radkau 2011: 546–547). Im Jahr 1985, nach un-gefähr zehnjährigen regional verteilten Konflikten zwischen warnenden Wissen-schaftlern, Umweltschützern, Politikern und allen voran der Chemieindustrie, verabschiedeten zwanzig Staaten in Wien eine nicht bindende Vereinbarung zur abgestimmten Erforschung der Effekte und zur Eindämmung des Fluorchlor-kohlenwasserstoffausstoßes. Zwei Jahre später beschlossen 29 Regierungen in einem überraschend weitreichenden Abkommen, die Produktion und Verarbei-tung der Stoffe schrittweise zu reduzieren und den internationalen Handel mit ihnen sowie mit auf ihrer Basis hergestellten Gütern zu beschränken (zur Ge-schichte des Abkommens: Parson 1992: 9–14).

Moynihan, 1969: Memorandum to John Ehrlichman, 17. September. Washington, DC. Siehe zum Aufgriff des anthropogenen Klimawandels im Kontext der Energiedebatten in den USA der 1970er-Jahre auch: Denis Hayes, 1977: Energy: The Solar Prospect. World Watch Paper 11, 6.

7 Das Weltklima gerät aus den Fugen. In: Der Spiegel 33, 1986, 122–134, 124.

Im Fall der globalen Erwärmung dauerte es mehrere Jahre, bis Versuche zu derartigen weltweiten Initiativen unternommen wurden. Ihre Politisierung ge-schah langsam und auf mehreren politischen Ebenen von transnationalen In-stitutionen und Gemeinschaften bis hin zu Kommunen, Gemeindeinitiativen und multinationalen Konzernen. Ab 1986 entstand ein unüberblickbares Feld verschiedenster Ansätze, auf die Gefahr der globalen Erwärmung zu reagieren.

Im August 1987 veröffentlichte die 1983 eingesetzte World Commission on En-vironment and Development, die zumeist sogenannte Brundtland Commission, ihren Abschlussbericht zur globalen Umweltfrage. Im Bericht der Kommission tauchte jene Tendenz wieder auf, Umweltschäden nicht als gesonderte lokale Probleme zu behandeln, sondern sie als Teil einer umfassenden Krise der moder-nen Weltgesellschaft zu begreifen, die in den 1970er-Jahren, etwa in der Debatte zu den Publikationen des Club of Rome, sehr verbreitet war:

Until recently, the planet was a large world in which human activities and their effects were neatly compartmentalized within nations, within sectors […], and within broad areas of con-cern […]. These compartments have begun to dissolve. This applies in particular to the various global »crises« that have seized public concern […]. These are not separate crises: an environ-mental crisis, a development crisis, an energy crisis. They are all one.8

Noch stärker als in den Überbevölkerungs- und Wachstumsdiskursen der 1960er- und 1970er-Jahre rückte der Bericht die Angst in den Vordergrund, was

mit der globalen Umwelt geschehen könnte, sollten Entwicklungsländer jene Industrialisierungsprozesse nachholen, die der globale Nordwesten hinter sich hatte: »To bring developing countries’ energy use up to industrialized country levels by the year 2025 would require increasing present global energy use by a factor of five. The planetary ecosystem could not stand this, especially if the increases were based on non-renewable fossil fuels.«9 Der Bericht erkannte die Gefahr der globalen Erwärmung als gegebene Tatsache an, wenn auch in weni-ger drastischer Sprache als der Spiegel. Er warnte erstens davor, dass im Fall eines tatsächlichen Anstiegs des Meeresspiegels um die prognostizierten Werte »many countries could expect their economic, social, and political structures to be se-verely disrupted«, auch wenn – und damit sprach die Kommission ein wesentli-ches Problem zukünftiger transnationaler Kooperation in der Klimapolitik aus:

»There is no way to prove that any of this will happen until it actually occurs.«10 Zweitens deutete der Bericht die folgende Entwicklung in der politischen Pro-blematisierung der Energieversorgung an. Obwohl die Kommission unter dem

8 United Nations, World Commission on Environment and Development, 1987: Our Common Future. New York: United Nations, 20.

9 Ebd.: 30.

10 Ebd.: 176–177.

Eindruck wieder gefallener Rohstoffpreise tagte und eben die Vorratsprognosen für fossile Rohstoffe der 1970er-Jahre wiederholte, die Ölförderung sollte bald global ihren Höhepunkt überschreiten, Erdgas sei ausreichend für 200 Jahre vorhanden und die Kohlevorräte sollten für bis zu 3.000 Jahre genügen, warnte sie: »With the exception of CO2, air pollutants can be removed from fossil fuel combustion processes […]. However, the risks of global warming make heavy future reliance upon fossil fuels problematic.«11 Mit der Entdeckung der glo-balen Erwärmung waren auch Kohleverstromung und -verflüssigung potenziell delegitimiert und die regenerativen Energien, die die Kommission unter der Überschrift »The Untapped Potential« diskutierte, verblieben als einzig unbe-stritten problemfreie Alternative. Durchaus auch in der Umweltschutzszene fa-vorisierte Energieversorgungsszenarien, etwa unter Überschriften wie »Selbstver-sorgung durch Kohle und Sonne«,12 mussten im Licht der Klima-Katastrophe überdacht werden. Nicht nur das: Die Brundlandt Commission rief sämtliche schon früher debattierten Vorteile regenerativer Energietechnologien wach, die nichts mit dem Umweltschutz zu tun hatten, ihre Arbeitsintensität unter Bedin-gungen globaler Unterbeschäftigung, die Modularität der mit ihnen möglichen Erzeugungsstrukturen, die mit ihnen mögliche Unabhängigkeit von internati-onalen politischen und Marktverwerfungen sowie ihre generell ausreichende inländische Verfügbarkeit.13

Die Weltklimapolitik bleibt bis in die Gegenwart ein eigentümliches Politik-feld. Die meisten OECD-Staaten erließen trotz weitgehend scheiternder trans-nationaler Initiativen über die 1990er-Jahre Reduktionsziele für den Ausstoß klimaschädlicher Gase und der Schutz des Weltklimas entwickelte sich zu einem durchweg wichtigen Argument in energiepolitischen Debatten und energiepo-litischen Programmen.14 Das Reißen selbst gesetzter Reduktionsziele brachte jedoch keine Regierung zu keiner Zeit in ernsthafte Legitimationsprobleme.

Es war vielmehr das wahrgenommene Scheitern transnationaler und nationa-ler Initiativen zur Eindämmung des Klimawandels, das seit den 1990er-Jahren konsequenzenreich für die ökologische Energiepolitik wurde. Über die 1990er-Jahre richteten zahlreiche Gemeinden, Städte und Länder – ganz im Stil der

11 Ebd.

12 Siehe etwa Florentin Krause, Hartmut Bossel und Karl-Friedrich Müller-Reißmann, 1980:

Energie-Wende. Wachstum und Wohlstand ohne Öl und Uran. Ein Alternativ-Bericht des Öko-Instituts, Freiburg. Frankfurt a.M.: Fischer, 37–42, 163–165.

13 United Nations, World Commission on Environment and Development, 1987: Our Common Future. New York: United Nations, 194–195.

14 Die Bundesrepublik ist in dieser Beziehung insofern ein Sonderfall unter westlichen Staaten, als es ihr zu Beginn der 1990er-Jahre gelang, dass ihre Ausscheidungssenkungen am Vergleichsjahr 1990 gemessen wurden, womit die Deindustrialisierung Ostdeutschlands in die Erfüllung von

Klimaschutzabkommen hineinwirkte (vgl. Rüdig 2003: 253).

frühen Umweltbewegung – je eigene Programme zur Vermeidung des Anstiegs des Weltklimas ein (siehe überblicksweise Brauch 1996: Kap. 19–24). Der Welt-klimaschutz zersplitterte geografisch und wurde vornehmlich durch unzählige regionale Vorstöße betrieben. Darüber hinaus trieb die empfundene Handlungs-unfähigkeit der internationalen Staatengemeinschaft Aktivisten und Umweltpo-litiker vermehrt zu der Vision, klimaschädliche Energieversorgungssysteme über die nationale Förderung neuer Technologien mit der Aussicht auf Substitutions-prozesse »auszuhebeln«, statt über den Einsatz für transnationale Bekenntnisse zur Selbstbeschränkung einzudämmen, ein Prozess, der der früheren Hinwen-dung der amerikanischen politischen Ökonomie zur Technologiepolitik gleicht.

In der Technologiepolitik für regenerative Energien führte die neue Legiti-mationskrise industrieller Energieversorgungsstrukturen kurzzeitig zu einigem Aktivismus, wiederum viel mehr in der Forschungs- als in der Energiepolitik.

Das Fraunhofer ISE konnte nach der Reaktorkatastrophe mehrere, schon lange beantragte und nicht bewilligte Projekte durchführen und sich für einige Jahre aus seiner schlechten finanziellen Situation und dem Problem befreien, den von der Fraunhofer-Gesellschaft eingeforderten Anteil an privaten Drittmitteln nicht einwerben zu können (Mener 1999: 128, 130; Trischler/vom Bruch 1999:

360). In der Förderung der Windkraft überschritt das Forschungsministerium zwischen 1986 und 1988 mehrere technologiepolitische Tabus. Ende 1987 ging mit dem zu drei Vierteln staatlich finanzierten Windpark Westküste, ei-nem Demonstrationsprojekt zur Systemintegration der Windenergie, der erste kommerzielle Windpark Deutschlands ans Stromnetz. 1988 erließ das BMFT ein Demonstrationsprogramm, mit dem bis 1995 wahlweise Investitionszulagen oder Einspeisebeihilfen für Windanlagen mit insgesamt 100 MW Leistung be-reitgestellt wurden (Neukirch 2010: 177–178). Zusätzlich legten seit 1987 eine Reihe von Bundesländern eigene Förderprogramme auf. 1987 begann Nieder-sachsen Investitionskostenzuschüsse zu gewähren, gefolgt von Nordrhein-West-falen 1988 und von Schleswig-Holstein 1989 (Suck 2008: 103). Zumindest das Programm des Forschungsministeriums hatte ausdrücklich industriepolitische Ziele. Die Förderung, berichtet Neukirch (2010: 178), war über ein Zertifizie-rungssystem auf inländische Hersteller beschränkt und die jeweiligen Anlagen mussten Potenzial zur Serienfertigung zeigen. Die überlagerte Förderung über Länder- und Bundesmittel führte zu einem überraschenden Anstieg von Instal-lationen in den drei Ländern, die bis 1989 für 97 Prozent der aus Bundesmitteln geförderten Leistung von ungefähr 23 MW verantwortlich waren. Im Jahr 1989 erweiterte das BMFT das Programm auf 200 MW und 1991 auf 250 MW.15

15 Interessant ist an den frühen deutschen Windkraftprogrammen vor allem, wie das Forschungs-ministerium hier ein Förderprogramm von Installationen finanzieren und erweitern konnte,

Darüber hinaus hatte sich im Dezember 1990 eine ungewöhnliche Koalition aus Parlamentariern verschiedener Parteien mit der wahrscheinlich meist unter-schätzten Fördermaßnahme für regenerative Energien der 1990er-Jahre durch-gesetzt. Was im Dezember 1990 als Stromeinspeisungsgesetz verabschiedet werden sollte, war ein fundamentaler Bruch mit der Praxis politischer Regelung in der deutschen Elektrizitätswirtschaft. Das Stromeinspeisungsgesetz ersetzte Verbän-devereinbarungen über die Vergütungskonditionen unabhängig eingespeisten Stroms aus allen gebräuchlichen regenerativen Stromquellen außer der Geother-mie und der Kraft-Wärme-Kopplung mit der gesetzlichen Vorgabe, dass Energie-versorger den in ihrem Versorgungsgebiet produzierten Strom abnehmen muss-ten und ihn mit 65 bis 90 Prozent ihres durchschnittlichen Endkundenpreises zu vergüten hatten. Die Entstehungsgeschichte des Stromeinspeisungsgesetzes reicht bis in die Mitte der 1980er-Jahre. Die Politik des Verbands der Elektrizi-tätswirtschaft gegenüber unabhängigen Erzeugern stand aus mehreren Richtun-gen in der Kritik. Die Fraktion der Grünen führte noch vor Tschernobyl und der Klima-Katastrophe eine Vielzahl der Dinge, gegen die sie gesellschafts- und umweltpolitisch vorging, auf die Residuen des verbundwirtschaftlichen Systems und die Unternehmenskonzentration und -verflechtung in der Energiewirtschaft zurück. Neben Dumping gegen die private Eigenerzeugung, Dis kriminierung beim Zugang zum Verbundnetz und im internationalen Vergleich ruinösen Ver-gütungen für unabhängig eingespeiste Elektrizität warf sie der Energiewirtschaft vor, »ein Machtmonopol« errichtet zu haben, »das sich einer realen öffentlichen Kontrolle entzieht und alle Reformprojekte bisher zum Scheitern verurteilte«.

Die Grünen-Parlamentarier forderten unter anderem eine Rekommunalisierung der Erzeugungsstrukturen, die politische Entflechtung von Aufsichtskompe-tenzen und Beteiligungen, die eigentumsrechtliche vertikale Entflechtung der Branche selbst und genau jene an Endkundenpreise gekoppelte gesetzlich vorge-schriebene Vergütung, die seit 1991 gelten sollte.16 Ähnliche Forderungen nach einer gesetzlichen Regelung der Einspeisevergütungen und des Netzzugangs verbreiteten sich in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre in Kommunen, in den Ländern und in der europäischen Politik.17 Neben parlamentarischen Initiativen

ohne dass ihm ordnungsökonomische Einwände und Kompetenzansprüche des Wirtschaftsmi- nisteriums in die Quere kamen. Zwar besaß das BMFT noch bis 1998 den Kompetenzschwer-punkt der Technologiepolitik, es wurde jedoch in den 1970er- und 1980er-Jahren nicht selten ausgebremst, wenn es zu weit in die Industriepolitik vorstieß.

16 Deutscher Bundestag, 1986: Antrag der Fraktion Die Grünen: Rekommunalisierung und Demo-kratisierung der Energieversorgung (Neuordnung der Energiewirtschaft und Novellierung des Energie-rechts). 10/5010. Bonn. Zitate auf Seite 1.

17 Siehe etwa Landesregierung Nordrhein-Westfalen, 1986: Wasserkraftanlagen in Nordrhein-West-falen. Antwort auf die Kleine Anfrage 598. 10/1616. Düsseldorf: Landtag Nordrhein-Westfalen;

kam es ab der Mitte der 1980er-Jahre gehäuft zu Konflikten im verbandlichen Regelungssystem der Energiewirtschaft selbst. Wasserkraftwerksbetreiber, de-ren Vergütungen in teils regionsspezifischen Verbändevereinbarungen zwischen Industrieverbänden und dem Verband der Elektrizitätswirtschaft ausgehandelt wurden, hatten seit 1987 im Wirtschaftsministerium für Interventionen beim VDEW für höhere Preise geworben (Renz 2001: 97; Suck 2008: 170). Bis 1988 konnte das Wirtschaftsministerium die Elektrizitätswirtschaft durchaus zu Konzessionen bewegen. In einer Ergänzung zur Verbändevereinbarung von 1987 wurden um 30 Prozent höhere Vergütungen gewährt. Insbesondere in Bay-ern, wo ungefähr zwei Drittel der deutschen Wasserkraftkapazitäten in Betrieb

kam es ab der Mitte der 1980er-Jahre gehäuft zu Konflikten im verbandlichen Regelungssystem der Energiewirtschaft selbst. Wasserkraftwerksbetreiber, de-ren Vergütungen in teils regionsspezifischen Verbändevereinbarungen zwischen Industrieverbänden und dem Verband der Elektrizitätswirtschaft ausgehandelt wurden, hatten seit 1987 im Wirtschaftsministerium für Interventionen beim VDEW für höhere Preise geworben (Renz 2001: 97; Suck 2008: 170). Bis 1988 konnte das Wirtschaftsministerium die Elektrizitätswirtschaft durchaus zu Konzessionen bewegen. In einer Ergänzung zur Verbändevereinbarung von 1987 wurden um 30 Prozent höhere Vergütungen gewährt. Insbesondere in Bay-ern, wo ungefähr zwei Drittel der deutschen Wasserkraftkapazitäten in Betrieb