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Ein erneuter Anlauf: Photovoltaik und die Energiekrise

Zum Teil erklären politische Ratlosigkeit und die mittelfristige Reformunfähig-keit der amerikanischen Energieversorgung, das Fehlen eines regelungstechni-schen easy fix, wie über das folgende Jahrzehnt die Forschungs-, Technologie- und Industriepolitik in das Zentrum der amerikanischen Energiepolitik gelangte. Dazu kam, dass die Energiepolitik schon im Nachhall der Neuen Sozi-alen Bewegungen politisiert wurde; sie hatte sich zu einem Feld entwickelt, in dem Wertkonflikte und konfligierende Vorstellungen über die gegenwärtigen Probleme und zukünftige Struktur der amerikanischen Gesellschaftsordnung eine Rolle spielten. Inkrementell hatte sich in immer breiteren Schichten die Wahrnehmung verfestigt, an einem Epochenbruch in der Energieversorgung zu stehen, eine historische Wasserscheide strategisch langfristig gestalten zu müssen.

Ähnlich verlaufende Prozesse vom Restrukturierungsstau in die Energiefor-schung finden sich in beinahe jeder Industriegesellschaft nach der ersten Ölkrise.

Die meisten Industriestaaten begannen Mitte der 1970er-Jahre, dezidierte

Ener-gieforschungs- und Entwicklungsprogramme einzurichten. Bis in die Gegen-wart gilt es in OECD-Ländern als selbstverständlich, dass der Staat die Energie-forschung massiv unterstützt und leitet – eine Entwicklung, die in dieser Breite in vielen Hinsichten auf die Kernenergieförderung und die späten 1960er- und frühen 1970er-Jahre zurückgeht. Bis Mitte der 1970er-Jahre wurde in den neu-en Energieforschungsprogrammneu-en vor allem eines deutlich: Konvneu-entionelle Kern- und Kohlekraftwerke, die Erdgasnutzung im Wärmebereich und die

»nächsten Generationen« der Kerntechnik sollten die Zukunft der Energiever-sorgung sichern. Die breitflächige Nutzung verschiedener Solartechnologien, ob im Wärme- oder Strombereich, ordneten die ersten Energieforschungsprogram-me zuEnergieforschungsprogram-meist ebenso weit in der Zukunft ein wie die Nutzung der Kernfusion, mit entsprechenden Konsequenzen für die jeweiligen Forschungsbudgets (siehe Ab-bildungen 4-7 bis 4–9).

Abbildung 4-7 Jährliche Energieforschungs- und Entwicklungsausgaben in Deutschland nach Technologiefeldern, 1974–1990

Quelle: Internationale Energieagentur.

Mio. 2012 US-Dollar

0 500 1.000 1.500 2.000 2.500 3.000

1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 Querschnittsforschung Andere

Nukleartechnologien Regenerative Energien Fossile Brennstoffe Energieeffizienz

Der Aufbau der amerikanischen Energietechnologiepolitik

In den USA war die Interessenlage in der Forschungs- und Technologiepoli-tik genauso unübersichtlich wie im energiepolitischen Tagesgeschäft. Allerdings hatten Forschungsschwerpunkte weniger gravierende Verteilungswirkungen – im Vergleich zu vorherigen Zeiten war die Energieforschung in den

1970er-Jahren abseits von einigen Zuständigkeitskonflikten ein Feld der »Förderung mit der Gießkanne« und entsprechendem »Wildwuchs«, was etwas mehr planerische Beweglichkeit zuließ. Nixon hatte seit Juni 1971 mehrmals Energieforschungs-programme angekündigt und den Kongress spätestens seit April 1973 darin unterstützt, die in die Kritik geratene Atomic Energy Commission aufzulösen, die sowohl für die Forschungs-, Industrie- und Technologiepolitik als auch für die regulatorische Aufsicht des Kernkraftwerksausbaus und teilweise für die Kernwaffenprogramme zuständig war.62 Die Auflösung der AEC sollte einerseits

62 Richard M. Nixon, 1971: Special Message to the Congress on Energy Resources, 4. Juni; Richard M.

Nixon, 1973: Statement Announcing Additional Energy Policy Measures, 29. Juni.

Abbildung 4-8 Jährliche Energieforschungs- und Entwicklungsausgaben in den USA nach Technologiefeldern, 1974–1990

Quelle: Internationale Energieagentur.

Mio. 2012 US-Dollar

0 1.000 2.000 3.000 4.000 5.000 6.000 7.000 8.000 9.000 10.000

1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 Querschnittsforschung Andere

Nukleartechnologien Regenerative Energien Fossile Brennstoffe Energieeffizienz

die Forschungs- und Technologieförderung für die Energieversorgung breiter aufstellen und andererseits die Atomaufsicht von der Atomförderung tren-nen (eitren-nen historischen Überblick gibt Jasper 1990: Kap. 3).63 Waren Nixons Vorschläge 1973 noch in einem Zuständigkeitskonflikt zwischen Innen- und Atomausschuss blockiert worden (De Marchi 1981a: 435), gelang es der Admi-nistration Gerald Fords Ende 1974 die Reorganisationspläne und damit auch die Gründung der Energy Research and Development Administration (ERDA) umzusetzen, die seit 1975 große Teile der Technologiepolitik für die zukünftige Gestaltung des Energieversorgungssystems koordinieren sollte.

Die ERDA, von der Ausstattung und Stellung durchaus nicht nur rhetorisch vergleichbar mit dem Manhattan-Project, vereinigte die gesamten Forschungs- und Produktionsabteilungen der Atomic Energy Commission, das Office of Coal Research des Department of the Interior, die Entwicklungsarme des

63 Tom Alexander, 1976: ERDA’s Job Is to Throw Money at the Energy Crisis. In: Fortune, Juli, 152–162.

Abbildung 4-9 Jährliche Energieforschungs- und Entwicklungsausgaben in Japan nach Technologiefeldern, 1974–1990

Quelle: Internationale Energieagentur.

Mio. 2012 US-Dollar

0 500 1.000 1.500 2.000 2.500 3.000 3.500 4.000 4.500 5.000

1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 Querschnittsforschung

Andere

Nukleartechnologien Regenerative Energien Fossile Brennstoffe Energieeffizienz

reau of Mines, die Solar- und Geothermieprojekte der National Science Founda-tion und die Forschungsprojekte zu alternativen Antrieben der Environmental Protection Agency und war bei ihrer Gründung mit 7.200 direkten Mitarbeitern und einem Budget von 3,6 Milliarden US-Dollar ausgestattet.64 Die Gründung der Energieforschungsadministration war Teil einer seit der zweiten Hälfte 1974 verhältnismäßig breit unterstützten und länger geforderten Zentralisierung der Kompetenzen in der amerikanischen Energiepolitik durch den Energy Reorga-nization Act 1974. Die Verteilung der Verantwortung in der Energiepolitik auf über vierzig bundesstaatliche administrative Einheiten und unzählige weitere auf regionaler Ebene, so die Problemwahrnehmung, hielt den Staat in der Ener-giekrise in der kurzen Frist gefangen, nahm ihm die Möglichkeit, langfristig ausgerichtete Programme anzugehen, sie gegen eventuell betroffene Interessen durchzusetzen und Handlungsfähigkeit zu demonstrieren.65 Die Förderschwer-punkte der ERDA lagen, wie aus ihrer Geschichte nicht anders zu erwarten, auf Nukleartechnologien, alternativen Förder- und Verbrennungsanlagen für Kohle und Gas und – nach ausdrücklicher Forderung der Administration Fords – der Forschung zur Herstellung und Verarbeitung von Synthetic Fuels, von Flüssig-kraftstoffen aus Kohle (siehe Tabelle 4-1).

Im Unterschied zu den alten entwicklungsstaatlichen Einrichtungen der ame-rikanischen Regierung, etwa DARPA, NASA und den angeschlossenen Labora-torien, hatte die ERDA, wie Lambright und Teich (1979: 145) bemerken, eine durchaus neuartige politisch-ökonomische Rolle. Sie war nicht eingerichtet, um den Privatsektor für die Erfüllung staatlicher Ziele einzuspannen, sondern ihm in eine bestimmte Richtung zuzuarbeiten und zu technischen Durchbrüchen und neuen Geschäftsfeldern zu verhelfen.66 Die ERDA sah sich von Beginn an Vorwürfen ausgesetzt, eine Einrichtung zur Kernkraftförderung mit erweiterten Kompetenzen zu sein. Bei ihrer Gründung standen in der Organisation beinahe 6.000 ehemalige Angestellte der Atomic Energy Commission gegen 8 Angestellte, die aus der Forschung an der Solarenergie kamen (Laird 2004: 90). In Beglei-tung der EinrichBeglei-tung der ERDA erließ der immer mehr von den oben dar-gestellten Ideen um eine basisdemokratische grüne Energiepolitik durchzogene

64 Alice Buck, 1982: A History of the Energy Research and Development Administration. Washington, DC: US Department of Energy, 2–3.

65 Siehe zur Krisendiagnose exemplarisch: U.S. Congress, 1974: Federal Energy Organization: An Organizational Study. Prepared for Public, Congressional, and Agency Comment by the Federal Regulation Study Team. Washington, DC, Kap. 4.

66 Diese oft wiederholte Einschätzung muss relativiert werden. Die Gründung der NSF ging unter anderem auf klassische industriepolitische Ziele zurück, und das Atoms-for-Peace-Programm und die Förderung der Kernkraft waren von Beginn an darauf ausgerichtet, dass der Privatsektor das, was im Militärbereich erforscht wurde, in der Energieversorgung einsetzt, vermarktet und exportiert.

Kongress eine Reihe gesonderter Gesetze, die einzelne – häufig regenera tive – Energietechnologien in der neuen Forschungspolitik festschrieben und der Forschungsadministration Berichtspflichten zur Arbeit an neuen Technologien, zur Energieeinsparung und zur Umweltverträglichkeit der Energieforschung im Ganzen aufbürdeten, unter ihnen der Federal Nonnuclear Energy Research and Development Act, der Solar Heating and Cooling Act, der Geothermal Energy Research, Development and Demonstration Act und der Solar Energy Research, Development, and Demonstration Act. In der Administration schien es durch-aus gewollt zu sein, verschiedene Energietechnologien innerhalb der ERDA konkurrieren zu lassen, in ihr gewissermaßen einen Markt zu simulieren und konkurrierende Ansprüche zu schlichten. »In this way, scientists of all disciplines who are interested in and committed to the solar dream will be able to form a community dedicated to that goal. Only the best science can survive in such a setting; solar energy research deserves nothing less«, bemerkte etwa Sawhill, Di-rektor der Federal Energy Administration unter Ford, zynisch im Hinblick auf einen vor dem Energy Reorganization Act vom Kongress eingebrachten Entwurf

Tabelle 4-1 US Energy Research and Development Administration: Forschungs- und Entwicklungsbudget, 1975–1977

1975 1976 1977

Nuklearer Stoffzyklus und Reaktorschutz 120 (118) 163 (173) 282 (347)

Energieeinsparung 21 (36) 55 (75) 91 (120)

Geothermie 21 (28) 32 (31) 50 (100)

Kernfusion 151 (183) 224 (250) 304 (392)

Kernspaltung 538 (567) 522 (602) 709 (823)

Solar Energy 15 (42) 86 (115) 116 (160)

davon Photovoltaik 2,6 (5,2) 16,4 (22,4) 24,3 (32,8) Fossile Brennstofftechniken 138 (335) 333 (398) 442 (447)

Umwelttechniken 7 (8) 12 (13) 16 (16)

Gesamt (Technologieförderung) 1.011 (1.317) 1.427 (1.657) 2.009 (2.435) Gesamt (inklusive Grundlagenforschung) 1.324 (1.679) 1.800 (2.060) 2.413 (2.865) Outlays in Millionen US-Dollar, Authority in Klammern. Der Posten Solar Energy umfasst alle nicht nuklearen regenerativen Energietechniken in der Wärme- und Elektrizitäts-produktion.

Quellen: US Energy Research and Development Administration, 1976: A National Plan for Energy Research, Development and Demonstration: Creating Energy Choices for the Future, Vol. 1: The Plan. Washington, DC, 15. April, 37; US Energy Research and Devel-opment Administration, 1976: A National Plan for Energy Research, DevelDevel-opment and Demonstration: Creating Energy Choices for the Future, Vol. 2: Program Implementa-tion. Washington, DC, 30. Juni, 103.

für den Solar Energy Research, Development, and Demonstration Act, der die Verankerung eines dezidiert der Kommerzialisierung regenerativer Energien ge-widmeten Instituts im ERDA-Komplex festschrieb, dem späteren Solar Energy Research Institute (SERI).67 In den Auseinandersetzungen um die anfängliche Ausrichtung der ERDA kündigten sich bereits Ansätze jener Konflikte an, die die Politik der Entwicklung regenerativer Energien im Allgemeinen und die Politik der Sonnenenergie im Besonderen über das nächste Jahrzehnt immer wieder prägen sollten. Etwas wie eine einheitliche Vision, wie die amerikanische Energiezukunft auszusehen habe, gab es nicht.

Die Photovoltaik in der amerikanischen Energietechnologiepolitik

Die Erforschung der Photovoltaik im terrestrischen Einsatz hatte noch An-fang der 1970er-Jahre zunehmend Unterstützer gefunden. Der Anstoß zu ei-nem neuen Versuch, sie für die Energieversorgung der USA bereit zu machen, entstammte im Kern einer losen Interessenkoalitionen aus drei ebenfalls lose gekoppelten Gruppen: industriellen Akteuren aus der Photovoltaikfertigung, mehreren Forschungsorganisationen und der Umweltbewegung nahestehenden Kongressabgeordneten. Schon Ende der 1960er-Jahre entstand neues Interesse mehrerer Industrieakteure am terrestrischen Einsatz der Photovoltaik. Mener (2001: 306) präsentiert Hinweise, dass es in den Forschernetzwerken um das amerikanische Weltraumprogramm schon Mitte der 1960er-Jahre vermehrt zu Austausch über die Möglichkeiten der Photovoltaiknutzung auf der Erde kam.

Industrielle Anstöße, dies auch wirklich anzugehen, entwickelten sich erst An-fang der 1970er-Jahre.

Einer der wesentlichen Pioniere dieser Bewegung in der Industrie war Elliot Berman, ein Chemiker. Wie Perlin (1999: 52) berichtet, ergab sich Bermans Interesse für die Photovoltaik auf der Suche nach einem neuen, länger ausge-legten Forschungsprojekt für seinen Arbeitgeber, einen für den amerikanischen Verteidigungskomplex produzierenden Hersteller von Kameratechnik. Er ent-wickelte einen Vorschlag, nach Möglichkeiten zu suchen, Kosten für Photovol-taikanlagen so weit zu senken, dass sie sich auf der Erde nutzen lassen sollten.

Dieser Vorschlag wurde von seinem Arbeitgeber sogleich abgelehnt. Berman schaffte es noch 1969, den Ölkonzern Exxon von seinem Forschungsprojekt zu überzeugen, der seine Entwicklungsarbeit und damit die erste ausschließlich auf die Energieerzeugung auf der Erde fokussierte Photovoltaikabteilung der

67 U.S. Congress, 1974: Solar Energy Research, Development, and Demonstration Act of 1974. Hear-ings before the Subcommittee on Energy of the Committee on Science and Astronautics, U.S. House of Representatives, Ninety-third Congress. Second session on H.R. 15612. Washington, DC, 30.

68 Siehe etwa: Photovoltaic Conversion of Solar Energy for Terrestrial Applications. Workshop Pro-ceedings, Vol. I: Working Group and Panel Reports, 23–25 October 1973. Cherry Hill, NJ: JPL, California Institute of Technology, NSF, 19.

1970er-Jahre finanzierte (ebd.: 53). Seit 1973 vermarktete Berman mit seiner Solar Power Corporation Solarzellen und forschte an Möglichkeiten, das over-engineering der Weltraumzelltechnik abzubauen. Bermans Unternehmen legte in den ersten Jahren seines Bestehens wichtige technische Weichenstellungen, experimentierte etwa mit Siliziumscheiben, deren Reinheit für die Halbleiterin-dustrie und die Weltraumprogramme nicht ausreichte, die für günstige Solarzel-len aber durchaus Potenzial versprachen. Es versuchte, statt mit der Anbringung einer Antireflexionsschicht auf den Modulen mit angerauten Oberflächen zu arbeiten, die beim Sägen der Scheiben aus Siliziumkristallen ohnehin entstan-den, und arbeitete daran, die Zellfläche zu vergrößern. Bis 1973 konnte Berman, nach eigenen Behauptungen, Solarmodule statt für die noch zwei Jahre zuvor für üblich gehaltenen 100 US-Dollar pro Watt (634,76 für 2013 CPI-bereinigt) für 20 US-Dollar pro Watt anbieten (ebd.: 54–55).

Ähnliche Fälle, in denen Ingenieure Kleinfirmen im Bereich der Photovolta-ikentwicklung mit der Hilfe finanzkräftiger Ölkonzerne gründeten, häuften sich bis Mitte der 1970er-Jahre. 1974 etwa gründete Mobil Oil einen Ableger, der ein von der Universität Harvard und den Tyco Laboratories, einer Firma in der Halbleiter- und Materialforschung, entwickeltes Verfahren zum »Ziehen« von kristallinen Siliziumscheiben entwickelte, genannt edge-defined film-fed growth (EFG; Mener 2001: 305). Gewichtige Kostenpunkte in der Herstellung von Siliziumsolarzellen bleiben bis in die Gegenwart die Produktionsschritte vom aufbereiteten Silizium bis zu den für die Zellproduktion benötigten kristallinen Scheiben (genannt Wafer). Noch heute wird ein Großteil dieser Scheiben aus Kristallen oder Siliziumblöcken (genannt Ingots) gesägt, was einerseits äußerst schwer zu automatisieren ist und wobei andererseits, insbesondere bei der Sä-getechnik der frühen 1970er-Jahre, oft ebenso viel kristallines Material verloren ging, wie am Ende in Form von Scheiben übrig blieb. Verschiedene Techniken der direkten Scheibenherstellung für die Weiterverarbeitung, in den 1970er-Jahren sprach man gerne von »sand in, cells out«,68 entwickelten sich zu einer der wesentlichen Zukunftshoffnungen in der Produktionstechnik für Solarzel-len (sowie für die Halbleiterei).

Karl Böer, langjähriger Leiter einer Forschungsgruppe für Dünnschichtmo-dule an der Universität Delaware, der derart lange mit Solarzellen gearbeitet hatte, dass er schon an Experimenten mit Selenzellen beteiligt war, gründete in Verhandlungen mit Shell 1973 einen Hersteller für Cadmiumsulfidmodule und rüstete in Delaware ein Demonstrationshaus mit seinen

Photovoltaikanla-gen aus (ebd.: 309–311).69 Das Solar One genannte Haus, das zumindest den Berechnungen nach ausreichend Wärme und Elektrizität erzeugen konnte, um zu einem Drittel mit Sonnenenergie betrieben zu werden, erzeugte ein breites Medienecho und schaffte es nach Angaben Böers bis ins deutsche Fernsehen.70 Bis in die zweite Hälfte der 1970er-Jahre hatten die meisten namhaften Ölkon-zerne Beteiligungen oder Abteilungen in der Photovoltaik; es »gehörte […] in der US-amerikanischen Ölindustrie schon fast zum guten Ton, an einer Solar-firma beteiligt zu sein« (ebd.: 305). Neben Corporate-Greening-Motiven, Über-resten der wilden amerikanischen Diversifizierungsbewegung der Nachkriegs-zeit, einem gewissen Grad an institutionellem Isomorphismus und den in der Ölindustrie diskutierten Ideen, im Licht der Energiekrise in Zukunftstechniken vertreten zu sein, hatten Ölkonzerne in den 1970er-Jahren einen viel prakti-scheren Grund, der Photovoltaik aufgeschlossen gegenüberzustehen. Sie nutzten Photovoltaikanlagen in der abgelegenen Exploration und zum Korrosionsschutz an Leitungen und Bohrstellen und seit den 1980er-Jahren zur Beleuchtung von Hochseeplattformen (Perlin 1999: Kap. 7).

Eine weitere Bewegung hin zur Photovoltaik stammte aus den amerikani-schen Weltraumprogrammen. Das Budget der NASA wurde schon seit dem Jahr 1965 langsam, aber kontinuierlich real gekürzt. Auch wenn sich die groß-technischen Fantasien um die amerikanischen Weltraumprogramme bis in die 1980er-Jahre hielten, zeigte sich seit den späten 1960er-Jahren, wie die NASA selbst, ihr nahestehende Forschungseinrichtungen und assoziierte Firmen und Forscher nach neuen Betätigungsfeldern suchten. Einige der wichtigsten Her-steller von Photovoltaikanlagen der 1970er-Jahre stammten direkt oder indi-rekt aus dem amerikanischen Weltraumkomplex. Joseph Lindmayer und Peter Varadi, leitende Ingenieure der Communications Satellite Corporation, waren 1972 von einigen Konferenzpräsentationen und an ihren Arbeitgeber gerichte-ten Regierungsanfragen für Photovoltaiksysteme, die netzferne Telefonkompo-nenten betreiben können, zur Idee gekommen, sich in der terrestrischen Pho-tovoltaik zu versuchen. Nachdem ihr Arbeitgeber ihren Antrag auf Förderung abgelehnt hatte, gründeten sie 1973 Solarex und begannen, an kostengünstigen Herstellungsverfahren für den Einsatz der Photovoltaik auf der Erde zu arbeiten.

Solarex machte wichtige Fortschritte im Einsatz unreineren polykristallinen Sili-ziums – und damit prospektiv darin, von den direkten Lieferketten der äußerst volatilen Halbleiterindustrie unabhängig zu werden – und schaffte es, seine

69 Karl Wolfgang Böer, 2011: Bringing the Oil Industry into the Picture. In: Wolfgang Palz (Hg.), Power for the World. The Emergence of Electricity from the Sun. Singapur: Pan Stanford, 159–163.

70 Karl Wolfgang Böer, 2010: The Life of a Solar Pioneer. Karl Wolfgang Böer. Bloomington, IN:

iUniverse, 203.

len in Nischenmärkten, insbesondere für den Einsatz an Leuchttürmen, Bojen, Wetterstationen und später in elektronischen Kleingeräten, abzusetzen (Jones/

Bouamane 2012: 25–27; Margolis 2002: 194–196).71

Bill Yerkes gründete, nachdem er von Spetrolab, dem lange Zeit wichtigsten Hersteller von Photovoltaikzellen für Satelliten, im Rahmen einer Restrukturie-rung entlassen worden war, Solar Technology International und arbeitete an der Herstellungstechnik für Solarzellen (Margolis 2002: 159). STI machte bedeu-tende Fortschritte in der Herstellungstechnik, führte Laufbänder in die Produk-tion ein, wandte Siebdruckverfahren für das Anbringen von Leiterbahnen an die Zellen an und begann, Module mit Glasabdeckungen und Aluminiumrahmen zu fertigen (ebd.: 159–160). Die neue Welle an Firmengründungen und prak-tischen Versprechen für den Einsatz der Photovoltaik auf der Erde schaffte es wiederum in die Medien. Eine Popular-Science-Ausgabe im Dezember 1974 widmete der neuen Photovoltaikindustrie ihre Titelgeschichte mit dem Zusatz

»Dramatic technical developments can bring free energy into our big power sys-tems« und wiederholte sämtliche Hoffnungen, die schon die früheren Wellen der Euphorie um die Solarenergie getragen hatten. Im Licht der Energiekrise fügte sie nun hinzu: »[W]orking systems […] provide the technology to con-serve billions of dollars worth of fossil fuels.«72

Bei den Forschungsorganisationen aus dem Weltraumprogramm zeigte sich seit den späten 1960er-Jahren Interesse, den Einsatz der Photovoltaik in der Energieversorgung zu unterstützen. Ein Treiber dieser Erwägungen bei der NASA war eine Wiederbelebung eines technischen Traums aus den 1920er-Jah-ren durch den Ingenieur Peter Glaser, im Weltraum stationierte Solarkollekto1920er-Jah-ren für die Energieversorgung auf der Erde einzusetzen (Mener 2001: 306). Glasers Konzept, das er 1968 im Magazin Science öffentlich bewarb, bestand aus einer im Weltraum positionierten Photovoltaikanlage und einer Konstruktion, die die gewonnene Energie per Strahlentechnik auf eine Empfängerstation auf der Erde übertragen sollte.73 So realitätsfern Glasers Projekt aus heutiger Sicht wirken mag, wurde es in der NASA trotz einiger kritischer Stimmen gefördert. Noch im Jahr 1977 erhielt es Unterstützung durch den Kongress (ebd.: 306–307) und wurde in jenem ersten größeren Report des Solarenergiepanels von NSF und NASA detailliert vorgestellt und beworben, der gewissermaßen den formellen

71 Peter F. Varadi, 2011: Terrestrial Photovoltaic Industry – The Beginning. In: Wolfgang Palz (Hg.), Power for the World. The Emergence of Electricity from the Sun. Singapur: Pan Stanford, 555–567.

72 Solar Cells. When Will You Plug Into Electricity From Sunshine. In: Popular Science 205, 52–

55, 1931, 120–121, hier: 121.

73 Peter E. Glaser, 1968: Power from the Sun: Its Future. In: Science 162(3856), 857–861.

Startschuss für den wissenschaftlich-industriellen Komplex zur Erwägung der Arbeit an der Photovoltaik für die terrestrische Energieversorgung gab.74 Cherry Hill und das Problem koordinierter Industrialisierung

Zwischen NASA und NSF kam es zu Unstimmigkeiten darüber, wer für den geplanten staatlichen Anlauf, neue nicht nukleare Energietechniken zu för-dern, verantwortlich sein sollte. Beide Stellen versuchten ihre Zuständigkeiten seit den frühen 1970er-Jahren in diese Richtung zu erweitern und förderten regenerative Energietechniken, noch bevor sie dafür einen politischen Auftrag hatten (Kitschelt 1983: 286; Mener 2001: 316–317, 320–321). In der Folge wurde bei beiden Organisationen im Bereich der regenerativen Energietechni-ken gearbeitet und universitäre sowie privatwirtschaftliche Forschung gefördert.

Ein offensichtlicher Grund für dieses Engagement war, dass die regenerativen Energietechnologien einen wichtigen Weg für diese Forschungsorganisationen darstellten, in den neuen energiepolitischen Technologieprogrammen Fuß zu fassen – die Forschung zur Atomenergie war durch die AEC und später die ERDA abgedeckt, die Forschung zu fossilen Rohstoffen war am Argonne Na-tional Laboratory und den früheren Forschungszentren des Department of the Interior, dem Bartlesville Energy Research Center, dem Morgantown Energy Research Center und dem Pittsburgh Energy Research Center konzentriert.75

74 Siehe NSF/NASA Solar Energy Panel, 1972: An Assessment of Solar Energy as a National Energy

74 Siehe NSF/NASA Solar Energy Panel, 1972: An Assessment of Solar Energy as a National Energy