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3. Ergebnisse

3.4. Seltene Themen

„Wenn wir über die Volkskrankheiten häufig berichten, dann kommen naturgemäß die selteneren Krankheiten natürlich auch seltener vor.“

Friederike Krumme, „Visite“ (Interview Krumme, S. 109 im Anhang)

Für Erkrankungen, an denen viele Menschen leiden, ist viel Platz in den TV-Gesundheitsratgebern.

Für Erkrankungen mit wenig betroffenen Patienten ist wenig Platz in den Sendungen. Seltenere Krankheiten haben bei den Redakteurinnen und Redakteuren schlechte Chancen, als Thema für

„Visite“, „rbb PRAXIS und Co. ausgewählt zu werden. Aber auch bestimmte weit verbreitete Erkrankungen werden kaum behandelt: So kommen insbesondere Krebs und psychische Leiden in den TV-Gesundheitsratgebern fast nicht vor.

Der Chef von „Hauptsache Gesund“, Stefan Mugrauer, nennt sie „Special Interest“-Themen: All die Themen, die nur einen kleinen Teil der Zuschauerschaft interessieren, weil sie nicht davon betroffen sind und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nie davon betroffen sein werden (vgl.

Interview Mugrauer, S. 176 im Anhang). Beispielsweise Erbkrankheiten wie Morbus Osler oder das Prader-Willi-Syndrom. Die TV-Gesundheitsratgeber wollen ihrem Publikum einen persönlichen Nutzwert liefern, das gelingt bei selteneren Krankheiten nicht. „Gesundheit!“-Redaktionsleiter Andreas Geyer bringt es auf den Punkt: „Was wir eher selten machen, sind Beiträge über Krankheiten, die kaum jemand hat, weil es nicht von so breitem Interesse ist.“

(Interview Geyer, S. 89 im Anhang) So findet sich auch in der Themenfrequenzanalyse etwa aus dem Gebiet der angeborenen Fehlbildungen in den Ausgaben aller Formate aus drei Monaten kein

einziger Beitrag. Ab wann genau den Machern der Sendungen eine Krankheit zu selten ist, sagen sie in den Leitfadengesprächen nicht. Nur Moderator Raiko Thal spricht spontan von

„Nischenthemen“, wenn damit „nur drei, vier Prozent der Leute ein Problem haben“ (Interview Thal, S. 132 im Anhang). Die Einigung darauf, ob eine Krankheit verbreitet genug ist, um sie im TV-Ratgeber zu behandeln, findet für jedes aufkommende Thema individuell und im redaktionellen Diskurs statt – unter Berücksichtigung einer ganzen Reihe weiterer Kriterien (siehe Abschnitt 3.5.).

Was trotz häufigem Vorkommen in der Bevölkerung in den TV-Gesundheitsratgebern wenig bis gar nicht aufgegriffen wird, sind die großen Themengebiete Krebs und psychische Krankheiten.

So gehört etwa Lungenkrebs zu den häufigsten Diagnosen in Deutschlands Krankenhäusern (vgl.

Gesundheitsberichterstattung des Bundes 2016b) und Depressionen werden in Allgemeinarztpraxen fast genauso oft diagnostiziert wie Adipositas oder Herzinfarkte (vgl.

Gesundheitsberichterstattung des Bundes 2016a). Die Themenfrequenzanalyse zeigt, dass Neubildungen und psychische Leiden in Deutschlands TV-Gesundheitsratgebern aber nur in sehr geringem Umfang auftauchen: Neubildungen machen – je nach Format – nur einen Anteil von null bis drei Prozent aus, die psychischen Erkrankungen in den multithematischen Magazinen ebenfalls höchstens drei Prozent. In den untersuchten Ausgaben von „rbb PRAXIS“ und „Hauptsache Gesund!“ kamen sie überhaupt nicht vor.

Warum spielen Krebs und psychische Krankheiten in den TV-Gesundheitsratgebern eine relativ kleine beziehungsweise keine Rolle? Mugrauer: „Ein großer Diskussionspunkt in der Redaktion ist das Thema Krebs. Extrem wichtiges Thema in der Medizin. Da sagen die Kollegen hier in der Redaktion, die schon lange dabei sein, dass das nicht läuft. Dass das keiner sehen will. Wir wollen die Leute, die uns donnerstagabends kucken, ja nicht runterziehen. Wir reden über Krankheiten und sagen dem Zuschauer, was er anders machen soll. Der hat aber Feierabend und will vielleicht ein bisschen was lernen, aber nicht vorgebetet bekommen, was er alles Schlimmes noch bekommen kann. Also wir wollen die Zuschauer ja nicht runterziehen. Dazu gehören auch psychische Erkrankungen. Depression können wir in einem Schwerpunkt nicht machen. So was wie Burnout können wir aber – verpackt in das Thema Licht und Dunkelheit – schon behandeln.“

(Interview Mugrauer, S. 176 im Anhang) Aus der Sicht der Macher geht es darum, die Zuschauerinnen und Zuschauer mit ihrem Programm nicht zu überfordern.

Tumorerkrankungen seien besonders „harte Themen“ (Interview Denninger, S. 97 im Anhang), die auf das Publikum „abstoßend“ (Interview Henss 2015, S. 128 im Anhang) wirken könnten. Für die Sendungen sind diese Themen deswegen eine Gefahr, weil sie mit solchen Beiträgen ihre Zuschauerinnen und Zuschauer verlieren könnten. Kristina Henss von der „rbb PRAXIS“ nennt

als Beispiel AIDS. Wenn sie versuchen würde, dieses Thema in die Sendung zu nehmen, würden viele Zuschauer ab- oder umschalten. Das zeige die Quotenauswertung (vgl. ebd.).

Zu einem schweren Thema werden Tumoren auch dadurch, dass es für die betroffenen Patienten meistens keine oder nur sehr schlechte Heilungschancen gibt. Die TV-Gesundheitsratgeber wollen ihre Beiträge aber so umsetzen, dass am Schluss ein Happy End steht (siehe Abschnitt 3.7.).

Claudia Bohm, Redakteurin bei „service: gesundheit“: „Wir wagen uns sehr behutsam an Krebs ran. Wir behandeln natürlich Themen wie Darmkrebs, Brustkrebs und Prostatakarzinom. Aber wir würden am Ende der Sendung schon gerne zeigen können, dass die Menschen entweder geheilt sind oder die Krankheit im Griff haben. Und das wissen wir beim Thema Krebs nicht, wenn wir da Betroffene begleiten. Dafür begleiten wir die Patienten zu kurz, und da sind wir dann sehr vorsichtig.“ (Interview Bohm, S. 155 im Anhang)

Die Probleme der psychischen Leiden sehen die Macher der Ratgeber darin, dass diese schwerer fernsehtauglich sichtbar gemacht werden könnten und schlechter pauschalisierbar seien. Sandra Ließmann von „service: gesundheit“: „Weil es so vielschichtig ist, wenig ratgebertauglich. Da kann man nicht so pauschal sagen, wie etwa beim Thema Herz: ‚Wenn Sie dies oder jenes Symptome haben, gehen Sie zu diesem oder jenem Arzt. Der tut das und das und danach geht es Ihnen besser.‘ Das ist bei psychischen Erkrankungen schwierig. Bei Erkrankungen, die sehr vielschichtig sind und bei denen man nur schwer eine Diagnose findet.“ (Interview Ließmann, S.

159 im Anhang)

Ein weiteres Themengebiet, das nach Ansicht aller Macher ein eher geringes Gewicht in den TV-Gesundheitsratgebern haben soll, ist der Wellness- und Lifestyle-Bereich. Gemeint sind genussvolle, gesunde und produktive Methoden und Anwendungen zur allgemeinen Steigerung des körperlichen, geistigen und seelischen Wohlbefindens (vgl. Roche Lexikon Medizin 2003:

1968). Tipps für ein entspannendes Schaumbad oder Gesichtspeeling-Tests haben keinen Platz in den Sendungen. Die Redaktionen unterstreichen damit ihren Anspruch, „harte Medizin“

(Interview Tschirner 2015, S. 142 im Anhang) zu machen. Und sie grenzen sich von den vielen anderen Wettbewerbern auf dem breiten Markt der Gesundheitsberichterstattung ab. Das bringt auch Redakteurin Sabine Denninger von „Gesundheit!“ und „Gesundheits-Check“ zum Ausdruck, wenn sie über Wellness und Lifestyle spricht: „Das gehört ins Privatfernsehen.“ (Interview Denninger, S. 97 im Anhang)

Eine Ausnahme war bis Frühjahr 2016 die Rahmenhandlung von „Gesundheit!“, in der es gelegentlich bewusst um einen „Wohlfühl-Aspekt“ (Interview Geyer, S. 89 im Anhang) ging.

Zwischen den Filmbeiträgen wurde eine – in einzelne Abschnitte aufgeteilte – Geschichte erzählt.

Darin konnte es um Tipps für Erste Hilfe gehen, aber eben auch um eher lockere, unterhaltende

Themen aus dem Wellness- und Lifestyle-Bereich oder aus dem Gebiet der Ernährung und des Sports: Beispiele sind das Kneipen oder Kajaktouren. Denninger: „Wir haben uns eine Rahmenhandlung überlegt, die auch in die Richtung Gesundheit geht, aber nicht so hart ist, sondern eher unterhaltend.“ (Interview Denninger, S. 96 im Anhang) Dahinter steckt die Annahme, dass Zuschauer im Vorabendprogramm, in dem „Gesundheit!“ ja läuft, nicht zu sehr angestrengt werden sollten. Wenn schon die Beiträge informationsorientierter sind, so sollen doch zumindest die Rahmenhandlungen auflockern. Tatsächlich liegt der Anteil der Wellness- und Lifestyle-Themen im Untersuchungszeitraum bei null bis fünf Prozent, am höchsten ist er bei

„Gesundheit!“.

Das Zielpublikum der TV-Gesundheitsratgeber ist im Schnitt deutlich über 60 Jahre alt. Das mag daran liegen, dass man sich für Krankheiten erst dann interessiert, wenn man in einem Alter ist, in dem man sie bekommt (vgl. Härle 2001: 183). Die Sendungen machen Programm für dieses Publikum und orientieren sich dementsprechend bei der Themenwahl auch nach ihnen. Das heißt im Umkehrschluss, dass Inhalte, die für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene interessant wären, in den TV-Gesundheitsratgebern kaum vorkommen. Susanne Fass von der „rbb PRAXIS“:

„Die Themen müssen zum Alter unserer Zuschauer passen. Deswegen haben wir Themen, die Kinder und junge Erwachsene betreffen, eher selten im Programm.“ (Interview Fass 2014, S. 145 im Anhang) So würden etwa Gefahren des Piercings kaum zum Thema einer medizinischen Ratgebersendung, sagt auch Mugrauer für sein Format „Hauptsache Gesund“ (vgl. Interview Mugrauer, S. 176 im Anhang).

Gibt es bei den TV-Gesundheitsrastgebern überhaupt Themen, die gar keine Chance haben, in die Sendungen zu kommen? „rbb PRAXIS“-Planungsredakteur Stefan Tschirner meint: „Die gibt es nicht. Man kann aus allem eine Geschichte machen. Man kann dem Zuschauer immer medizinisch Relevantes hervorzaubern. Egal, welches Thema das ist.“ (Interview Tschirner 2015, S. 139 im Anhang) Auch die anderen Journalisten sehen das so, beispielhaft ist hier gleichfalls die Antwort von Fass: „Grundsätzlich probieren wir (...) gern vieles aus und können die meisten Themen schon umsetzen.“ (Interview Fass 2014, S. 147 im Anhang)