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3.6. Darstellungsformen der Themen

Stefan Tschirner von der „rbb PRAXIS“ sagt: „Wir machen harte Medizin, versuchen aber, das unterhaltend zu verpacken.“ (Interview Tschirner 2015, S. 142 im Anhang)

Ganz praktisch geht es schließlich bei der Themenwahl noch darum, dass die Mischung der Inhalte stimmt. Ein Thema sollte in einer Sendung nur einmal auftauchen und auch nicht in den Ausgaben unmittelbar davor schon gelaufen sein (vgl. Interview Denninger, S. 98 im Anhang). „Wir kucken dann auf unsere große Planungswand, die ist ja im Büro von Stefan Tschirner. Wenn in einer Sendung zum Beispiel schon eine Operation drin ist, dann wollen wir nicht weitere operative Verfahren in der Sendung. Wir suchen dann ein weicheres Thema. Wir mixen die Darstellungsformen ja sehr. Wir versuchen, unsere Sendung so zu bauen, dass möglichst viele verschiedene Themen und Darstellungsformen drin sind, um so auch das Interesse der Zuschauer zu halten. Eine Dreiviertelstunde ist lang.“ (Interview Henss 2015, S. 129 im Anhang)

Darstellungsformen, die jeweils bestimmte Funktionen erfüllen. Die Redakteurinnen und Redakteure der TV-Gesundheitsratgeber machen in den Leitfadengesprächen zwei Grundgedanken deutlich: Einerseits greifen sie vor allem auf klassische, bewährte Darstellungsformen zurück. So dominieren in den multithematischen Magazinen Betroffenenbeiträge, Experteninterviews und Aktionen (im Studio). Andererseits sind die Redaktionen darum bemüht, mit vielen weiteren, teils neueren Darstellungsformen wie Live-Schalten, Reportagen, App-Tests oder Animationsfilmen eine abwechslungsreiche, gut durchmischte Sendung zu erstellen.

Das Herzstück der TV-Gesundheitsratgeber sind die klassischen Betroffenenberichte. In den drei- bis achtminütigen Filmen wird eine Krankheit anhand eines betroffenen Patienten unter bestimmten Aspekten abgebildet, eventuell kommen Erläuterungen von Ärzten und Erklärungen mittels Grafiken hinzu. Die Macher der Sendungen nennen die Darstellungsform auch

„Patientengeschichte“, weil die Geschichte der Patienten „der rote Faden“ der Beiträge ist, so Filmautorin Katharina Kerzdörfer von „Gesundheit!“ (Interview Kerzdörfer, S. 102 im Anhang).

Der Betroffenenbericht taucht in allen Magazinen am häufigsten auf und stellt eine Art Grundlage dar, zu der bei Bedarf und abhängig von zeitlichen Möglichkeiten ergänzende Elemente in die Sendung genommen werden, insbesondere Experteninterviews und Studioaktionen (vgl. etwa die Interviews Ide, S. 119, Denninger, S. 99, und Mugrauer, S. 177 im Anhang). Nach Einschätzung von Bettina Goldbach, Themenplanerin von „Hauptsache Gesund“, machen diese klassischen Beiträge „80 Prozent der filmischen Darstellungsformen aus“ (Interview Goldbach, S. 190 im Anhang).

Dabei haben die Macher der TV-Gesundheitsratgeber Regeln, nach denen sie die Protagonisten für ihre Betroffenenberichte aussuchen. Das verdeutlicht Sandra Ließmann, Redakteurin bei

„service: gesundheit“, durch ihre Beschreibung, wie die Personen aussehen sollten, die für einen Filmbeitrag ausgewählt werden: „Sie sollten sympathisch sein. Sie sollten sich gut ausdrücken können. Sie sollten Erfolg haben im Kampf gegen Ihre Krankheit. Die Geschichte sollte gut darstellbar sein und ein gutes Ende haben. Am liebsten haben wir das Alter unserer Zuschauer oder etwas jüngere Protagonisten. Die Protagonisten sollten also so zwischen 50 und 65 Jahre alt sein. Die Zuschauer sollen sich wiederfinden können.“ (Interview Ließmann, S. 160 im Anhang) Dass das Publikum sich mit den betroffenen Patienten identifizieren kann, ist den Journalisten wichtig, um ihre Ziele zu erreichen, welche sie mit der Darstellung der Krankheiten in Form von Betroffenenberichten haben: „Interesse wecken“ (Interview Lekutat, S. 185 im Anhang), die Zuschauer für einen Beitrag „fesseln“ (Interview Bohm, S. 155 im Anhang) und sie „in das Thema reinkommen“ lassen (Interview Goldbach, S. 190 im Anhang). Kerzdörfer fasst es so zusammen:

„Da geht es um die Emotionen. Der Zuschauer soll offen dafür werden, die folgenden Informationen aufzunehmen und den Experten anzuhören.“ (Interview Kerzdörfer, S. 102 im Anhang)

Das Bestreben der Macher, die Zuschauerschaft an die Sendung zu binden und deswegen möglichst emotional zu berichten, ist erst in den letzten Jahren entstanden. Sabine Denninger aus der BR-Medizinredaktion: „Früher haben wir noch viel mehr systematisierte Service-Beiträge gehabt. Da sind wir mehr von der Behandlungsseite gekommen. Alles rund um die Fußpflege. Alle Risikofaktoren für einen Herzinfarkt. Das haben wir dann an einer gecasteten Person durchdekliniert. Wir versuchen heute, mit echten Protagonisten zu arbeiten, damit man als Zuschauer etwas miterleben kann. Die Filme sind deswegen auch länger geworden. Weil wir nicht nur die Info abbilden, sondern auch Emotionalität erzeugen.“ (Interview Denninger, S. 99 im Anhang)

„Miterleben“ und „nah dran sein“ sind Schlüsselbegriffe geworden, die auch Redaktionsleiterin Kristina Henss gern verwendet (vgl. Interview Henss 2015, S. 130, und 2014, S. 123 im Anhang) um aufzuzeigen, wohin sich ihre „rbb PRAXIS“ und generell die TV-Gesundheitsratgeber entwickelt haben und weiter entwickeln werden. Das gilt besonders für ihr monatlich ausgestrahltes Feature und den neuen „Gesundheits-Check“ der ARD. Dort wird auf das Studio und eine klassische Moderation komplett verzichtet, stattdessen stellt der Betroffenenbericht das sendungsumspannende Element dar. Caro Matzko präsentiert den „Gesundheits-Check“ als Reporterin vor der Kamera und sagt: „Die Patientengeschichte ist das menschliche, emotionalisierende Element der Sendung. Die Klammer. Sie schafft einen Wiedererkennbarkeitswert. Sie ist total zentral. Letztendlich geht es in unserer Sendung ja um Menschen. Um einen Haufen Zellen, die rumstoffwechseln. Die leiden und wieder gesund werden wollen. Das braucht man als Zuschauer: Menschen, denen es so geht wie ihnen selbst.“ (Interview Matzko, S. 93 im Anhang)

Auf den Betroffenenbericht folgt von seiner Bedeutung her das Interview, vor allem mit Experten, gelegentlich mit Patienten. Dafür werden insbesondere Ärzte und manchmal eben auch Patienten in die Live-Sendung ins Studio eingeladen oder – wie im Fall des „rbb PRAXIS“-Features und des „Gesundheits-Checks“ im ersten Programm – irgendwo draußen interviewt. Goldbach:

„Neben den filmischen Darstellungsformen haben wir natürlich die Studiogespräche mit Patienten und Experten. Die stehen auf dem zweiten Platz, was ihre Häufigkeit angeht.“ (Interview Goldbach, S. 190 im Anhang) Das Interview steht selten für sich allein, sondern ergänzt meist den Filmbeitrag, der davor gelaufen ist. „Zuerst bekomme ich visuell vorgestellt, worum es geht, dann folgen im Expertengespräch die Nachfragen.“ (Ebd.) Während es den Machern in dem

Patientengespräch auch wieder um Emotionen geht (vgl. Interview Lekutat, S. 185 im Anhang), dienen die häufigeren Interviews mit Experten vor allem der Vertiefung eines Themas durch die Vermittlung von Fakten, sagt zum Beispiel Friederike Krumme, „Visite“-Redaktionsleiterin:

„Weil man dann direkt nachfragen kann. Wir können Zuschauerfragen mit einbeziehen. Wir können das Thema aus dem Beitrag vertiefen. Wir können nicht alles in Bildern darstellen. Im Interview kann man dann nochmal sehr viele Informationen in sehr kurzer Zeit geben.“ (Interview Krumme, S. 110 im Anhang)

Als Experten dienen meistens Ärzte, die sich auf ihrem Gebiet einen Ruf erarbeitet haben und aus dem passenden Sendegebiet kommen. Die Redaktionen suchen Fachärzte aus, die sich auf die Krankheit spezialisiert haben, die den Zuschauerinnen und Zuschauern in den Magazinen thematisch nähergebracht werden soll. Moderator Mathias Münch von „service: gesundheit“: „Die wollen vom Professor etwas über Medikamente hören.“ (Interview Münch, S. 170 im Anhang) Eine besondere Bedeutung haben die Interviews mit Ärzten im monothematischen Format des Hessischen Rundfunks: In „service: gesundheit“ gibt es an Darstellungsformen nur Beiträge und Interviews. Der Aufbau der Sendung ist immer der gleiche. Eine Patientengeschichte ist in drei kürzere Filmbeiträge aufgeteilt, danach geht es jeweils mit einem Experteninterview im Studio weiter. Münch zum Wechsel zwischen emotionalen Filmen und faktenorientierten Gesprächen:

„Ich erkläre es den Gästen immer so: Wir haben einen Film gedreht. Den haben wir in drei Teile gehauen. Und wenn genug Fragen aufgelaufen sind, drücken wir die Pause-Taste und erläutern im Interview mal kurz, was der Film nicht kann. Wir haben es im Film ja auch mit einem Einzelfall zu tun. Mit einem Patienten, der bestimmte Symptome hat. Im Gespräch fragen wir dann, ob das typische Symptome sind und welche Symptome es sonst noch gibt. Der Patient im Film hat sich für diese Therapie entschieden. Für wen ist die angezeigt? Was gibt es noch? Wann würden Sie zu anderen Therapien raten? Wir öffnen das dann ein bisschen, um die anderen Möglichkeiten zu erläutern, die allgemein in der Anamnese, Diagnose und Therapie bestehen.“ (Interview Münch, S. 169 im Anhang)

Die dritte Säule der Darstellungsformen bilden die Aktionen, die im Studio der Sendungen stattfinden oder – wie im Fall des „rbb PRAXIS“-Features und des „Gesundheits-Checks“ – draußen. Sie ergänzen die Betroffenenberichte und Experteninterviews. Goldbach: „Wir zeigen, was man machen kann. Das sind Demonstrationen. Zum Beispiel Tipps für Erste Hilfe. Das soll aber auch einen Spannungsbogen haben. Zum Beispiel läuft das Kochen ja über die ganze Sendung hinweg, bis am Ende das fertige Gericht gezeigt werden kann.“ (Interview Goldbach, S. 190 im Anhang) So wie bei „Hauptsache Gesund“ gekocht wird, wird im „rbb PRAXIS“-Studio auch schon mal gegärtnert (vgl. Interview Henss 2014, S. 123 im Anhang) und in der „Visite“ geturnt

(vgl. Interview Cordes, S. 115 im Anhang). „service: gesundheit“ macht etwas, das Münch

„Warenkunde“ nennt: „Wenn wir eine Sendung zum Ohr machen, dann zeigen wir im Studio die klassischen Arten von Hörgeräten.“ (Interview Münch, S. 170 im Anhang) Im „Gesundheits-Check“ wird mitten in der Stadt getestet, wie Matratzen Rückenschmerzen befördern (vgl.

Interview Matzko, S. 93f. im Anhang). Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, wenn es darum geht, gesundheitsbezogene Informationen mittels Aktionen darzustellen.

Primär wollen die Macher der TV-Gesundheitsratgeber damit unterhalten, aber auch veranschaulichen. Krumme: „Eine Aktion ist natürlich unterhaltsamer als das reine Interview.

Aber es ist auch so, dass man Dinge besser begreifbar machen kann, wenn man sie zeigt. Zum Beispiel die neuen Regeln der Reanimation. Wo und wie man drückt, kann man natürlich mit einer Studioaktion gut zeigen.“ (Interview Krumme, S. 110 im Anhang) Dafür nehmen die Redakteurinnen und Redakteure in Kauf, in den Studioaktionen nicht ganz so viele Inhalte zu vermitteln. „Visite“-Moderatorin Vera Cordes: „Der Aufmerksamkeitscharakter einer Studioaktion ist meist groß, der Informationswert manchmal relativ klein.“ (Interview Cordes, S.

115 im Anhang)

Ergänzt werden Betroffenenbericht, Experteninterview und Aktionen (im Studio) von vielen weiteren und immer wieder neuen Darstellungsformen, mit denen die Redaktionen ihr Ziel zu realisieren versuchen, möglichst viel zwischen den einzelnen Elementen abzuwechseln, um eine gute Mischung in den Sendungen hinzubekommen (vgl. etwa die Interviews Henss 2014, S. 124, und Geyer, S. 89 im Anhang). Beispiele sind Live-Schalten zu Operationen, Doku-Serien oder erklärende Cartoonfilme. Zwei Darstellungsformen sollen hier noch ausführlicher erwähnt werden, weil ihre Präsenz in den TV-Gesundheitsratgebern in den letzten Jahren stark zugenommen hat: Reportagen und Servicestücke.

„Reportage-Formen, in denen wir Menschen begleiten, wählen wir mittlerweile häufiger. Um nah an den Leuten zu sein.“ (Interview Denninger, S. 99 im Anhang) Denninger und andere Redakteurinnen bringen in den Leitfadengesprächen zum Ausdruck, dass der klassische Beitrag in den Magazinsendungen immer unwichtiger wird (vgl. Interview Henss 2014, S. 123f. im Anhang), dafür diejenigen Betroffenenberichte an Bedeutung gewinnen, in denen echte Patienten unmittelbar mit der Kamera begleitet werden – oder diese Darstellungsform ganz ersetzt wird durch Reportagen. In seiner krassesten Form hat diesen Wandel die Ratgebersendung im ersten Programm der ARD vollzogen: Das beitragsbasierte Magazin „Ratgeber: Gesundheit“ wurde 2014 ganz aufgegeben und durch die Presenter-Reportage „Gesundheits-Check“ ersetzt: ein 45-minütiges Sendungsformat, in dem zwei Presenter, Reporter im On, entlang von betroffenen Patienten ein Krankheitsfeld aufarbeiten und dafür auch mit Experten sprechen und unterhaltende

Aktionen durchführen. Auch Henss sagt über ihr monothematisches Feature: „Wir machen mittlerweile alles aus dem Reportage-Blickwinkel.“ (Interview Henss 2015, S. 130 im Anhang) Servicestücke erleben ein Revival, weil sich unter diesem Etikett die Entwicklungen der Massenmedien insgesamt aufgreifen lassen und der zunehmenden Bedeutung des Internets Rechnung getragen wird. Henss nennt ein Beispiel: „Wir haben hier ja unseren Scanner. Den hängen wir sehr gerne internetmäßig an eine Berichterstattung an. Letzte Woche hatten wir einen Beitrag über eine neue, umstrittene Behandlungsmethode von Morbus Dupuytren. Wir haben dann für den Scanner Orte gesucht, wo diese neue Methode angeboten wird. Wir haben aber auch gesagt, wo es überhaupt spezialisierte Handchirurgen gibt, die Morbus Dupuytren behandeln. Wir haben also zwei Scanner dazu gemacht. So haben wir das Thema für die Leute nutzwertig aufbereitet.“ (Interview Henss 2015, S. 128 im Anhang) Der Scanner ist ein kurzer Film in der

„rbb PRAXIS“, in dem Orte in Berlin und Brandenburg empfohlen werden, wo Patienten bestimmte medizinische Leistungen erhalten. Er wird im Fernsehen gezeigt – aber mittlerweile auch immer wieder als Erstausstrahlung auf der Homepage der Sendung. Er liefert dann zu einem im TV kürzer vorgestellten Thema weiterführende Informationen. Ein weiteres Beispiel aus dem Bereich der Servicestücke mit Bezug zum Internet ist der Haul, ebenfalls aus der Redaktion der

„rbb PRAXIS“. Planungsredakteur Stefan Tschirner: „Das machen die Youtuber, wenn die sich hinstellen und sagen: ‚Ich finde dies und jenes gut.‘ Das haben wir auf den medizinischen Bereich übertragen, indem wir Medizin-Apps auf Handys testen. Das lief auf unserer Homepage so gut, dass wir gesagt haben, dass wir das jetzt ins Fernsehen bringen.“ (Interview Tschirner 2015, S.

142 im Anhang)