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2 LITERATURÜBERSICHT

2.8 Schmerz

2.8.1 Schmerz bei Tieren, Schmerz bei Neugeborenen

Der Schmerz an sich stellt eine subjektive Empfindung dar (SILBERNAGEL und DESPOPOULOS 2001).

Schmerz wird von der Internationalen Gesellschaft für Schmerzforschung (International Association for the Study of Pain, IASP) als „unangenehmes Sinnes- und Gefühlerlebnis, das mit tatsächlichen und/oder möglichen Gewebeschäden verbunden ist“, definiert.

Generell wird heute akzeptiert, dass Tiere trotz der Unfähigkeit zu einer verbalen Äußerung über den schmerzhaften Reiz „unangenehme Erlebnisse“ haben, deren Reaktionsmuster denen des Menschen ähneln. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass viele der beim Tier auftretenden (messbaren) Reaktionsmuster auf Schmerzreize denen des Menschen vergleichbar sind. Der anatomische Aufbau des zentralen Nervensystems mit der Organisation von Gehirn, Rückenmark und peripherem Nervensystem zusammen mit seinen neurophysiologischen Charakteristiken zeigt viele Gemeinsamkeiten zwischen Mensch und Tier (HELLEBREKERS 2001).

Forschungen an Labortieren und Untersuchungen bei menschlichen Neugeborenen haben eindeutig gezeigt, dass die Schmerzwahrnehmung beim jungen Individuum eher stärker ausgeprägt ist als beim erwachsenen Organismus. Außerdem führt ein kurz andauernder Prozess hoher Schmerzintensität zu einem „unangenehmen Erlebnis“, welches die Periode der Stimulation weit überdauert (HELLEBREKERS 2001).

2.8.2 Physiologie der Schmerzverarbeitung

Für die Wahrnehmung und Verarbeitung des Schmerzes braucht der Organismus Nozizeptoren (freie Endigungen afferenter Nerven), die sich in allen Geweben des Körpers, außer in ZNS und Leber, befinden. Bei vielen Organen ist mehr der seröse Überzug als das Parenchym selbst mit Nozizeptoren ausgestattet (PFANNKUCHE 2004). Die Nozizeptoren wandeln das Schmerzsignal, die Noxe, in ein neuronales Signal um und leiten das Signal weiter zum ZNS. Dort erfolgt die Erkennung und Lokalisation des Schmerzreizes. Über absteigende Bahnen werden Motoneuronen (motorische Komponente) und präganglionäre sympathische Neuronen (vegetative Komponente) aktiviert, was dann zu verändertem Verhalten und vegetativen Reaktionen wie Herzschlagveränderungen führt (SANN 2005, 2006). Diese Abwehrantwort auf die Noxe wird als Nozifension bezeichnet (THALHAMMER 2006).

Entgegen früherer Vermutungen ist das nozizeptive System bei Neugeborenen fast vollständig ausgebildet. Schmerzreize können wahrgenommen und verarbeitet

werden, die Schmerzabwehr ist jedoch noch unzureichend. Dadurch ist oft nur eine grobe Einschätzung der Schmerzen durch die Eltern oder einen Arzt möglich (BENRATH und SANDKÜHLER 2000). Die Nerven von Neugeborenen haben geringer myelinisierte Nervenfasern, wodurch die Leitungsgeschwindigkeit reduziert ist. Die Auswirkungen der Schmerzreize sind umso größer, je jünger das Individuum ist (HENKE und ERHARDT 2001).

2.8.3 Auswirkungen von Schmerz auf den Organismus

Wesentliche negative Auswirkungen von Schmerz auf den tierischen Organismus:

• Durch die Aktivierung einer Stressantwort wird die Wundheilung beeinträchtigt.

• Auf Grund des gesteigerten Energieverbrauchs und der herabgesetzten Futteraufnahme geraten die Tiere leichter in eine negative Energiebilanz.

• Die Erholung von der Narkose kann verzögert sein, und es besteht ein größeres Risiko für postoperative Komplikationen.

• Die Atmung wird weniger effektiv.

• Das Risiko von Eigenverletzungen und Beißen an Wunden steigt.

• Bei fortschreitender Dauer des Schmerzes kann dieser chronisch werden und ist dann schwieriger zu behandeln.

Auf Grund des fortschreitenden Stresses verringert sich die körperliche Abwehrkraft gegenüber Infektionen, und in der Folge kommt es vermehrt zu Komplikationen (HELLEBREKERS 2001).

2.8.4 Parameter der Schmerzerkennung

Das Erkennen und Quantifizieren von Schmerzen bei Tieren ist oft eine schwierige Aufgabe. Deshalb wird seit langer Zeit in der Forschung mit Tieren das „Prinzip der Analogie“ angewendet. Die Grundlage dieses Prinzips liegt in der Annahme, dass jene (chirurgischen) Eingriffe, die beim Menschen als schmerzhaft angesehen werden, auch beim Tier schmerzhaft betrachtet werden (SANN 2005).

Bei akuten Schmerzen verändert sich das Verhalten des Tieres. Die Verhaltensweisen können sich bei verschiedenen Tierarten signifikant unterscheiden.

Veränderungen des Temperaments und der Aktivität, Lautäußerungen, Schutz der schmerzhaften Region, Veränderungen des Gesichtsausdruckes, herabgesetzte Körperpflege und Futteraufnahme weisen bei Tieren auf Schmerzen hin (HELLEBREKERS 2001). Größere Tiere können Zähneknirschen und Einstellen des Wiederkäuens zeigen (z. B. Schafe). Schmerzhafte Regionen werden entlastet, dabei sind „hundesitzige Stellung“, z. B. bei Schweinen, oder schwankender Gang zu beobachten (MILITZER 2006).

Klinisch kommt eine Veränderung der Atmungsfrequenz und des –rhythmus sowie flache Atmung vor. Katzen neigen zur Hyperventilation (DOBROWYLSKYI et al.

2000). Gesträubtes Fell, Hecheln, Speicheln, Schwitzen oder Frieren sind weitere Schmerzsymptome (MILITZER 2006). Mittels Punktwerttabellen wird versucht, akute Schmerzen einzuordnen (ZIERZ 1993, ZIERZ und WINTZER 1996, MALAVASI et al.

2006). GRAUBNER (2008) hat ein neues Schmerzbeurteilungsprotokoll für Pferde nach notfallmäßiger Kolikoperation entwickelt und untersucht. Das Protokoll setzt sich aus physiologischen und verhaltenstypischen Parametern zusammen, ein sogenanntes multi-dimensionales Schmerzprotokoll.

Die chronischen Schmerzen sind in leichteren Stadien schwierig und nur bei langfristiger Beobachtung zu erkennen. Klinischen Untersuchungen kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Die Tiere können eine Verminderung des Körpergewichts um mehr als 25 % entwickeln (FELASA-ARBEITSGRUPPE 1994), verminderte Futter- und Wasseraufnahme, Atmungsgeräusche, Veränderungen der Wiederkaurhythmik, Muskelatrophie und Rückgang der Fruchtbarkeit wurden ebenfalls beobachtet (MILITZER 2006).

In verschiedenen Studien wurden für die Schmerzbewertung spezifische Bewertungsskalen angewendet. Die einfache beschreibende Bewertungsskala hat in der Regel drei bis fünf Gradeinteilungen für verschiedene Parameter, zum Beispiel Lautäußerung, Bewegung und Erregung. Häufig werden in diese Skalen auch physiologische Meßgrößen integriert (z. B. Pupillenweite, Puls, Atemfrequenz, Rektaltemperatur, Speichelfluss) (HELLEBREKERS 2001).

Im schweizerischen Projekt ProSchwein wurde die Beurteilung der Schmerzausschaltung bei der Ferkelkastration nach WALKER et al. (2004) empfohlen. Die Erhebung von physiologischen Stressparametern ist in diesem Fall nicht sinnvoll. Es wurde die Anwendung des Scoring-Schemas zur Beurteilung der Schmerzausschaltung in Anlehnung an WENGER et al. (2002) angewendet:

Grad 1: Völlige Reflexlosigkeit und Relaxation (Idealzustand);

Grad 2: Wie Grad 1 aber eine bis zwei leichte Bewegungen;

Grad 3: Mehrere Bewegungen, schwache Vokalisation;

Grad 4: Hochgradige Bewegungen mit starker Vokalisation.