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2 LITERATURÜBERSICHT

2.5 Anästhesie / Analgesie bei der Ferkelkastration

2.5.2 Kastration unter Allgemeinnarkose

Man unterscheidet zwei Formen von Narkose oder Allgemeinanästhesie: Injektions- und Inhalationsnarkose, die, wie generell jedes Anästhesieverfahren, nach dem Tierschutzgesetz nur von einem Tierarzt durchgeführt werden dürfen.

Eine Narkose umfasst Bewusstlosigkeit, Schmerzlosigkeit (Analgesie), Verminderung oder Ausschaltung der Reflexaktivität und Muskelerschlaffung (Relaxation) (BERLIT 2005).

Die folgenden Anforderungen müssen bei der Ferkelkastration erfüllt sein: Das Exzitationsstadium muss möglichst schwach, die Analgesie ausreichend und der Nachschlaf der Ferkel kurz sein. Dazu müssen gute und leichte Anwendbarkeit in der Praxis, Rückstandsfreiheit und Wirtschaftlichkeit gewährleistet sein (LAUER et al.

1994).

2.5.2.1 Injektionsnarkose

Zurzeit sind zwei Wirkstoffe für die Allgemeinanästhesie beim Schwein zugelassen:

Azaperon (Stresnil®, Fa. Janssen Animal Health) und Ketamin (Ursotamin®, Fa.

Medistar Arzneimittelvertrieb GmbH oder Fa. Serum-Werk-Bernburg AG). Die Applikation eines Allgemeinanästhetikums beim Ferkel kann intramuskulär, subcutan, intravenös oder intraabdominal erfolgen.

Die Injektionsanästhesie mit Xylazin, Ketamin und Guaifenesin haben McGLONE und HELLMAN (1988) erprobt. Hierbei wurde festgestellt, dass diese Methode für die zwei Wochen alten Ferkel, die in den Versuch genommen wurden, nicht geeignet ist, da die Tiere während des postoperativen Stadiums drei Stunden lang durchschnittlich eineinhalb Säugeperioden verpassten und es zu großen Verlustraten (28 %) kam.

WALDMANN et al. (1994) untersuchten die Wirkung von Trapanal® (Thiopental), Tilest® (Tiletamin + Zolazepam) und Disoprivan® (Propofol). Obwohl die Narkose mit Trapanal® eine ausreichende Muskelrelaxation und Anästhesie der Tiere gezeigt hatte, wurde der Nachschlaf der Ferkel mit bis zu 30 Stunden als deutlich zu lang bewertet. Die Ferkel litten durch den verlängerten Nahrungsausfall unter Hypothermie, Energie- und Immunglobulinunterversorgung, was zu Verlusten von 9,5

% der Tiere führte. Eine ausreichende Allgemeinanästhesie mit Tilest® oder Disoprivan® konnte nicht erreicht werden, was sich durch heftige Abwehrbewegungen während der Kastration zeigte. Weiterhin führten diese Narkosen zu postoperativen Exzitationen bei den Ferkeln.

LAHRMANN et al. (2006) erprobten die zugelassene Kombination von Azaperon/

Ketamin für die Narkose von Saugferkeln. Die Tiere zeigten nach der Kastration in der Versuchsgruppe bis zu vier Stunden Nachschlaf und die Wundheilung stellte sich schlechter dar als in der Kontrollgruppe. Um eine Hypothermie und Erdrücken durch die Sau zu vermeiden, mussten die narkotisierten Ferkel nach der Kastration an einem warmen Ort für ungefähr fünf Stunden untergebracht werden. Die Sterblichkeit lag bei bis zu 3 %. 30 % der Tiere zeigten heftige Abwehrbewegungen während der Operation.

Die Kombination von Ketamin, Azaperon und Climazolam wurde von AXIAK et al.

(2007) untersucht. Climazolam erlaubt die Dosisreduzierung von Ketamin und Azaperon, für dieses Medikament gibt es außerdem einen Antagonisten (Sarmazenil), dessen Verabreichung den Nachschlaf verkürzen sollte. Nach der intramuskulären Applikation konnte zwar eine gute Allgemeinanästhesie bei den Ferkeln erreicht werden, die Nachschlafzeit war trotz Antagonisierung aber als zu lang (bis zu 80,5 Minuten) zu bewerten. Die intranasale Verabreichung dieser Kombination führte nicht zu einer ausreichenden Narkose, die Ferkel zeigten heftige Abwehrbewegungen und Lautäußerungen.

BREITINGER (2009) untersuchte die Wirkung von Brotizolam (Thieno-triazolo-diazepin) bei der Saugferkelkastration. Dieser Wirkstoff hat vorwiegend schlafinduzierende, stark sedative und hypnotische Eigenschaften und verhält sich biochemisch wie ein Benzodiazepin (BECHTEL et al. 1986). Die Studie zeigte, dass die Applikation von Brotizolam zu einer Sedation der Ferkel führt, die Kastrationsschmerzen aber nicht reduziert.

2.5.2.2 Intranasale Applikation

Der Vorteil dieser Form der Applikation ist die einfache und belastungsarme Anwendung sowie der kurze Nachschlaf – bis zu eine Stunde nach der Operation (SIDLER 2006).

Wie oben erwähnt, führte die intranasale Applikation von Ketamin, Azaperon und Climazolam in der Untersuchung von AXIAK et al. (2007) aber nicht zur ausreichenden Narkose für die Kastration der Ferkel.

In der Schweizwurde schon 2006 von einigen Wissenschaftlern (SIDLER 2006, SCHATZMANN et al. 2006) diese Applikationsart getestet. In ihren Studien wurde ein Nasenspray aus einer Kombination von Benzodiazepinderivaten, Ketamin und einem Farbstoff untersucht. Die Anästhesie war nur bei einem Teil der Ferkel ausreichend.

Als weitere Nachteile dieser Methode sind das Risiko des Missbrauchs durch den Menschen und das Suchtpotenzial der verwendeten Wirkstoffe zu nennen (SIDLER 2006).

2.5.2.3 Inhalationsnarkose

Bei der Inhalationsanästhesie werden dem Patienten dampf- (z. B. Diethylether, Halothan, Isofluran, Sevofluran) oder gasförmige (Lachgas/N2O) Substanzen verabreicht, deren Aufnahme ausschließlich und deren Elimination weitgehend über die Lunge erfolgt (ERHARDT et al. 2004). Dampfförmige Stoffe liegen bei Raumtemperatur als Flüssigkeit vor und müssen zur Verabreichung verdampft werden, Lachgas hingegen ist unter Normalbedingungen gasförmig (LÖSCHER 2003b).

Die Inhalationsanästhetika wirken sedierend und dosisabhängig hypnotisch und können in hohen Dosen die Muskel- und Herz-Kreislauf-Reaktionen, die auf Schmerzreize erfolgen, unterdrücken (ERHARDT et al. 2004).

Die Wirkstärke der Inhalationsanästhetika ist definiert durch die minimale alveoläre Konzentration (MAC), bei der 50 % aller Patienten auf eine Hautinzision nicht mehr mit Abwehrreaktionen reagieren. Der MAC-Wert ist für jedes Inhalationsanästhetikum und für jede Tierspezies unterschiedlich. Je niedriger der MAC-Wert eines Anästhetikums ist, desto größer ist seine Wirkstärke. Der MAC-Wert kann durch andere Faktoren wie Alter, Trächtigkeit, Hypothermie und vor allem durch die Kombination mit Sedativa, Hypnotika oder Analgetika reduziert werden (ERHARDT et al. 2004). Ein Einfluss von Geschlecht, Gewicht, Narkosedauer sowie Säure-Basen-Status, Hyper- oder Hypokaliämie und Hypertonie besteht dagegen nicht (BACHMANN et al. 1986, LARSEN 1999, EGER et al. 2003).

Als Vorteile werden kurze Einleitungs- und Rekonvaleszenzzeiten geschätzt. Die Nachteile dieser Methode sind ein großer apparativer Aufwand (HEINRITZI und

KÖNIG 1988) und geringe bis keine anti-non rezeptive Wirkung dieser Stoffe (ERHARDT et al. 2004).

Es gibt in Deutschland keine für das Schwein zugelassenen Wirkstoffe für die Inhalationsnarkose. Für lebensmittelliefernde Tiere sind in der Tabelle 1 (zulässige Stoffe) [VO (EU) Nr. 37/2010 der Kommission vom 22. Dezember 2009] Isofluran und Stoffe mit E-Nummern - Lachgas (E942) und Kohlenstoffdioxid (CO2) (E290), enthalten.

In verschiedenen Studien wurde die Wirkung von Halothan, CO2 - zu verschiedenen Teilen mit Sauerstoff vermischt - Isofluran und Isofluran/Lachgas (N2O) bei der Saugferkelkastration untersucht. Halothan hat eine schwache muskelrelaxierende und analgetische, gute hypnotische und bronchodilatierende Wirkung (LÖSCHER 2006). Die Ferkel wiesen niedrigere Stresshormon-Konzentrationen und besseres Wohlbefinden im Vergleich zu den Ferkeln aus den Kontrollgruppen, die ohne Anästhesie kastriert wurden, auf. Einschlaf- und Aufwachphase verliefen beim größten Teil der Tiere komplikationsfrei (KOHLER et al. 1998, JÄGGIN et al. 2001, WENGER et al. 2002). HAGA und RANHEIM (2004) stellten eine Blutdruckerhöhung bei Ferkeln während der Kastration unter Halothannarkose fest.

Halothan ist jedoch als Tier- und Humanarzneimittel in Deutschland nicht zugelassen. Wegen seiner extrem kreislaufdepressiven Eigenschaften sollte Halothan niemals zur Monoanästhesie verwendet werden (ERHARDT et al. 2004).

Weiterhin ist nach JÄGGIN et al. (2006) Halothan aus Anwenderschutzgründen abzulehnen.

Kohlendioxid (CO2) wird bisher in der Praxis nicht zur Anästhesie, sondern vornehmlich zur Schlachttierbetäubung oder Euthanasie von Tieren verwendet. Zur CO2-Betäubung ist es unbedingt nötig, mindestens 30 % Sauerstoff zuzumischen.

Die anästhetische Wirkung von Kohlendioxid entsteht durch die Ansäuerung des Liquor cerebrospinalis und Dämpfung des zentralen Nervensystems (SIEKER und HICKAM 1971, ERHARDT et al. 2004).

Während der Einleitungsphase der CO2-Betäubung sind die Ferkel unruhig und zeigen mäßige Abwehrbewegungen und Vokalisation (KOHLER et al. 1998), Hyperventilation und Exzitationen (KLUIVERS-POODT et al. 2008). Hyperventilation und Schnappatmung bei Ferkeln unter CO2-Betäubung wurden in Versuchen von STEENBLOCK (2002) beobachtet.

Die große Stressbelastung der Ferkel unter Kohlendioxid-Betäubung wurde durch die Messung von Katecholaminen nachgewiesen (HARTUNG et al. 2002, HEINRITZI und MÜHLBAUER 2009, MÜHLBAUER 2009). SVENDSEN (2006) und MÜHLBAUER (2009) wiesen zusätzlich auf eine postoperative analgetische Wirkung von Kohlendioxid hin. Dagegen wurden in der Arbeit von HOPPE (2011) zwar verringerte Schmerzreaktionen unter der CO2-Betäubung während der Kastration beobachtet, ein operationsfähiges Stadium konnte im EEG aber nicht nachgewiesen werden. Zudem traten neben dem Absinken der Herzfrequenz und einem vermehrten Auftreten von Herzarrhythmien Maul- und Schnappatmung bei den CO2-insufflierten Ferkeln auf. Diese Parameter legten den Schluss nahe, dass der Einsatz einer CO2 -Betäubung bei der Kastration von Saugferkeln nicht anzuraten ist, da sie in ihrer Wirkungsweise auf das ZNS nicht einem Narkotikum entspricht und nur für eine unzureichende Schmerzausschaltung sorgt.