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Die Savoyenkrise 1610

Im Dokument (16. bis frühes 20. Jahrhundert) (Seite 66-90)

Von Hillard von Thiessen

Im Frühjahr 1610 schockierte ein politischer Seitenwechsel die spanische Krone:

Ihr langjähriger Verbündeter Karl Emanuel I., Herzog von Savoyen, schloss am 24. April den Vertrag von Bruzolo mit Heinrich IV. von Frankreich. Der Herzog trat damit im sich anbahnenden habsburgisch-französischen Konflikt, der sich am Streit um die Erbfolge in den Herzogtümern Jülich und Kleve zu entzünden drohte, offen auf die Seite der französischen Krone. Karl Emanuel verpflichtete sich zum Angriff auf das spanisch beherrschte Herzogtum Mailand, dessen Er-werb ihm als Kriegsbeute in Aussicht gestellt wurde. Bestätigt wurde die bereits im Vorjahr getroffene Eheabsprache zwischen dem Haus Savoyen und der französi-schen Krone, der zufolge der savoyische Thronfolger Viktor Emanuel eine Tochter des französischen Königs heiraten sollte1.

Die Ermordung des französischen Königs in Paris am 14. Mai verhinderte indes den Kriegsausbruch und bedeutete für den Herzog eine existenzbedrohende Wendung. Denn auf spanischer Seite wurde sein Verhalten als eine Ungeheu-erlichkeit wahrgenommen. Der Staatsrat in Madrid diskutierte, welche Strafe (castigo) nun gegen den Herzog zu verhängen war2. »Strafe« war im zwischen-fürstlichen Verkehr keine übliche Kategorie, wohl aber im Umgang mit untreuen Klienten, die sich nicht den Erwartungen ihres Patrons gemäß verhalten hatten3. Im spanischen Staatsrat war man offensichtlich der Auffassung, der Herzog habe sich außerhalb eines gemeinsamen Wertesystems bewegt. Und dieses betraf nicht primär politische, sondern personale Beziehungen, für die soziale Normen galten.

Die Akteure auf spanischer Seite nahmen das Verhältnis zwischen Philipp III.

von Spanien und Karl Emanuel als eine hierarchische Sozialbeziehung wahr. Es 1 Heinz Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen. Internationale Beziehungen 1559–1660 (Handbuch der Geschichte der internationalen Beziehungen, 2), Paderborn/

München/Wien/Zürich 2007, 240 und 477. Vgl. auch Tobias Mörschel, Buona amicitia?

Die römisch-savoyischen Beziehungen unter Paul V. (1605–1621). Studien zur früh-neuzeitlichen Mikropolitik in Italien, Mainz 2002, 17 f. – Für Korrekturen dankt der Verfasser des vorliegenden Beitrages herzlich Sophie Große.

2 AGS, Est. Leg. 993 (unfol.), Protokolle des Staatsrats zwischen Mai und Juli 1610.

3 So stellte Diego de Cabrera y Bobadilla, Conde de Chinchón, in der Sitzung des Staats-rats vom 8.6.1605 fest, dass nach einem Konklave diejenigen Kardinäle, die ihren klien-telären Verpflichtungen gemäß Kandidaten der spanischen Krone unterstützt hatten, zu belohnen, diejenigen aber, die sich diesen Verpflichtungen entzogen hätten, zu bestrafen seien: […] los Reyes son bien servidos com premiar a los buenos, y castigar a los que no sirven.

Protokoll der Sitzung des Staatsrats vom 8.6.1605, in: AGS, Est. Leg. 983 (unfol.).

stellte mithin ein Patronageverhältnis4 dar, das zudem noch durch eine Heirat be-kräftigt worden war, welche zugleich die hierarchische Distanz etwas abgemildert hatte. Der Herzog hatte nämlich 1585 eine Tochter Philipps II. geehelicht und war damit nicht nur Schwager Philipps III., sondern zeitweise sogar potenziel-ler spanischer Thronfolgekandidat gewesen. Mit anderen Worten: Zwischen Karl Emanuel und den spanischen Habsburgern bestand eine feste soziale Bindung beziehungsweise sollte eine solche bestehen. Diese brachte bestimmte Verpflich-tungen mit sich. Da die klienteläre Bindung des savoyischen Herzogshauses zur spanischen Krone zudem bereits zwei Generationen zurückreichte5, hatten sich die mit ihr verbundenen Handlungserwartungen auf spanischer Seite verfestigt;

man hatte Vertrauen zum Herzog im Sinne einer positiven Zukunftserwartung betreffs seiner Treue6. Symbolischer Ausdruck dieser Beziehung wie auch der da-mit verbundenen Erwartungen war die Aufnahme Emanuel Philiberts und Karl Emanuels in den Orden vom Goldenen Vlies 1555 beziehungsweise 15857. Der Orden war eine Patronageressource höchster Güte der spanischen Monarchie. Die relativ geringe Zahl seiner Mitglieder – sie stieg im Laufe des 16. Jahrhunderts langsam auf fünfzig – machte seinen Wert als Distinktionsmerkmal aus; der Or-den verband Or-den Ausdruck von Spanienbindung mit der symbolischen Bekräfti-gung der adlig-ritterlichen Werte und damit eben auch der Treue gegenüber dem spanischen König8. Der Bruch dieser Verpflichtungen wurde am spanischen Hof dementsprechend als ethisch disqualifizierend wahrgenommen. Tatsächlich ließ 4 Ein Patronageverhältnis ist nach Guido Kirner definiert als eine »persönliche,

dauer-hafte, asymmetrische und reziproke Tauschbeziehung«, die ein wechselseitiges Ver-pflichtungsgefühl hervorruft. Guido Kirner, Politik, Patronage und Gabentausch. Zur Archäologie vormoderner Sozialbeziehungen in der Politik moderner Gesellschaften, in:

Berliner Debatte Initial 14 (2003), 168–183.

5 Bereits Karl Emanuels Großvater, Herzog Karl III. (1503–1553), hatte sich eng an Kai-ser Karl V. angelehnt und seinen Sohn Emanuel Philibert (1528–1580) am Schmalkal-dischen Krieg auf kaiserlicher Seite teilnehmen lassen. 1553, in dem Jahr, in dem er die Thronfolge antrat, wurde er zum Oberkommandierenden der spanischen Truppen in Flandern ernannt und erfocht den entscheidenden Sieg über die französischen Truppen in der Schlacht von Saint-Quentin (1557). Anschließend profilierte er sich – nicht zu-letzt mangels Alternativen – als treuer Klient Philipps II. Siehe Volker Reinhardt, Savo-yen, in: Die großen Familien Italiens, hrsg. v. dems., Stuttgart 1992, 485–500, 490–492.

6 Zur Kategorie der Anciennität als Grundlage des Vertrauens in Patron-Klient-Bezie-hungen: Hillard von Thiessen, Vertrauen aus Vergangenheit. Anciennität in grenzüber-schreitender Patronage am Beispiel der Beziehungen von Adelshäusern des Kirchen-staats zur spanischen Krone im 16. und 17.  Jahrhundert, in: Zwischen Wissen und Politik. Archäologie und Genealogie frühneuzeitlicher Vergangenheitskonstruktionen, hrsg. v. Frank Bezner/Kirsten Mahlke, Heidelberg 2011, 21–39.

7 Angelantonio Spagnoletti, Principi italiani e Spagna nell’età barocca, Mailand 1996, 80.

8 Wim Blockmans, Art. »Goldenes Vlies, Orden vom«, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 4, München/Zürich 1989, 1545–1546; A. Spagnoletti, Principi (Anm. 7), 51 ff. und 80 ff.

sich eine Militäraktion zur Bestrafung des Herzogs nur durch den demütigenden Kniefall seines ältesten Sohns, Philipp Emanuels, vor Philipp III. abwenden9.

Eine Wiederannäherung der beiden Dynastien gelang indes nicht. Auf spani-scher Seite schlug das vorherige Vertrauensverhältnis in ein generelles starkes Miss-trauen um, was durch das weitere Verhalten des Herzogs noch bekräftigt wurde.

Nach dessen Einfall in das mantuanische Herzogtum Monferrato im April 1613 mündete die Entfremdung zwischen Patron und Klient schließlich doch noch in einen Krieg.

Der Umschlag von Vertrauen in Misstrauen, ja in Verachtung ist in der Kor-respondenz des spanischen Königs mit seinem Botschafter in Rom10 und in den Beratungen des Staatsrates dazu gut nachzuvollziehen. Bis 1609 hieß es in den Hauptinstruktionen für die römischen Botschafter durchgängig, die Anliegen der savoyischen Dynastie bei der römischen Kurie seien besonders zu begünstigen und mit Vertretern Savoyens sei eine muy buena correspondencia zu unterhalten – das heißt besonders enge und vertrauensvolle Beziehungen zu pflegen11. In den In-struktionen wird bis 1609 das Verhältnis der spanischen Krone zum Herzog von Savoyen mit dem zu Erzherzog Albert, dem Regenten der Spanischen Nieder-lande aus einer habsburgischen Sekundogenitur, gleichgestellt. Erst anschließend folgt dann jeweils die Beschreibung der Beziehungen des Königs zu den übrigen italienischen Fürsten und Republiken. Mit anderen Worten: In den Instruktionen werden die spanisch-savoyischen Beziehungen dem engeren innerdynastischen Feld zugeordnet, sie waren mithin Familienangelegenheiten12. Umso augenfälliger ist der Kontrast zur Beurteilung der savoyischen Dynastie aus spanischer Sicht 9 T. Mörschel, Amicizia (Anm. 1), 18.

10 Die römische Botschaft fungierte als eine Drehscheibe für die Beziehungen zwischen der spanischen Krone und den italienischen Fürsten und Gemeinwesen; dementsprechend behandelte die Korrespondenz des dortigen Botschafters mit seiner Zentrale auch ganz Italien betreffende Angelegenheiten. Von der Mitte des 15. Jahrhunderts an bis weit in das 17. Jahrhundert war Rom gewissermaßen das Nervenzentrum der Diplomatie in Italien und galt der römische Botschafterposten des Katholischen Königs als besonders anspruchsvolle diplomatische Vertretung. Thomas James Dandelet, Spanish Conquest and Colonization at the Center of the Old World. The Spanish Nation in Rome 1555–1625, in: Journal of Modern History 69 (1997), 479–511, 490–494; Garrett Mattingly, Renais-sance Diplomacy, London 1955, 105.

11 Hillard von Thiessen, Diplomatie und Patronage. Die spanisch-römischen Beziehungen 1605–1621 in akteurszentrierter Perspektive, Epfendorf 2010, 321.

12 Siehe die Instruktion für den 1606 als Botschafter nach Rom geschickten Gastón de Moncada, Marqués de Aytona: Istruzione a Gastón de Moncada, marchese di Aytona, Madrid, 25.3.1606, in: Istruzioni di Filippo III ai suoi ambasciatori a Roma 1598–1621, hrsg. v. Silvano Giordano, Rom 2006, 43–63, 58. Die Formulierung muy buena correspon-dencia findet sich in der 1609 erstellten Hauptinstruktion für den Nachfolger Aytonas, Francisco de Castro, Conde de Castro: Istruzione a Francisco de Castro, conte di Castro, San Lorenzo del Escorial, 27.4.1609, in: ebd., 68–93, 83.

nach 1610. Im September 1614 etwa wusste der Nuntius in Spanien nach Rom zu berichten, man habe am spanischen Hof jeglichen Respekt vor dem Herzog ver-loren13. Man hielt ihn aufgrund seines Normbruchs für grundsätzlich nicht mehr vertrauenswürdig. Die Verachtung ging so weit, dass der spanische Gouverneur in Mailand ihn geradezu als vogelfrei ansah und im August 1617 gar vorschlug, seine Ermordung zu veranlassen. So weit allerdings mochte der Staatsrat nicht gehen14. Bezeichnend ist aber, dass sich der schlechte Ruf der savoyischen Herzöge als untreue Verbündete zu einem langlebigen Topos verfestigte, der noch im 18. Jahr-hundert nachzuweisen ist. Dazu trug neben den hier geschilderten Ereignissen vor allem die Schaukelpolitik des Turiner Hofs zwischen der spanischen und fran-zösischen Krone in den 1620er und 1630er Jahren bei. Zwar blieb Savoyen allein schon aufgrund seiner geostrategischen Lage an den Alpenpässen ein gefragter Bündnispartner, dem man aber gleichwohl wenig Vertrauen entgegenbrachte und dessen Empfänglichkeit für Geschenke und Versprechungen notorisch war15.

I. Das spanisch-savoyische Verhältnis in der europäischen Fürstengesellschaft

Der langfristige Reputationsverlust des Hauses Savoyen wirft ein Schlaglicht auf die Wahrnehmung der europäischen Mächteordnung in der Frühen Neuzeit durch die zeitgenössischen Akteure. Damit möchte ich den Blick auf Außenbezie-hungen als Ausdruck »gedachter Ordnungen« (Rainer Lepsius)lenken, verstanden als kommunikativ vermittelte Konstruktionen von Wirklichkeit. Diese gewinnen

»als verhaltensprägende Realitätsbilder politische und soziale Relevanz«; sie sind Konstruktionen von Wirklichkeit. Gedachte Ordnungen setzen also den Rahmen, innerhalb dessen Akteure der Außenbeziehungen entscheiden und handeln16. Die-ser Denk- und Handlungsrahmen war nicht starr, sondern konnte durch deviant handelnde Akteure verändert werden; gelang ihnen dies aber nicht, drohte ihnen – wie im Fall des Herzogs von Savoyen – ein Ansehens- und Machtverlust. Damit wird auch deutlich, dass die Wahrnehmung der Struktur der Mächteordnung von 13 ASV, Fondo Borghese II 263, fol. 247r, Nuntius Antonio Caetani an Kardinalnepot

Sci-pione Borghese, Madrid, 29.9.1614: Il Duca di Savoia hà perduto il total rispetto à questa Corona.

14 Instituto Valencia de Don Juan, Madrid, Archivio Histórico, Envío 93, Dok. 279, Proto-koll der Sitzung des Staatsrates vom 19.8.1617.

15 Robert Oresko, Das Haus Savoyen und der Dreißigjährige Krieg, in: 1648 – Krieg und Frieden in Europa, Textbd. I, hrsg. v. Klaus Bußmann/Heinz Schilling, München 1998, 142–153, 145 f.

16 Eckart Conze, Jenseits von Männern und Mächten. Geschichte der internationalen Politik als Systemgeschichte, in: Geschichte der Politik. Alte und neue Wege, hrsg. v.

Hans-Christof Kraus/Thomas Nicklas, München 2007, 41–64, 51 f.

Seiten verschiedener Akteure nicht unbedingt deckungsgleich sein musste. Solche Differenzen in der Wahrnehmung konnten Missverständnisse zwischen Akteuren hervorrufen und in Konflikte münden. Mächteordnungen als gedachte Ordnun-gen zu betrachten bedeutet, sie in ihrer Bindung an die jeweilige gesellschaftliche Werte- und Normenordnung und deren Wandel zu verstehen. Damit gehe ich davon aus, dass das Handeln von Akteuren im Feld der Außenbeziehungen nicht überzeitlich geltenden Regeln unterliegt, sondern Wandlungsprozessen der politi-schen Kultur unterworfen ist17.

Außenbeziehungen wurden von Akteuren im frühen 17.  Jahrhundert pri-mär als soziale Beziehungen wahrgenommen. Eine eigene Handlungssphäre des Politischen, welche die Mächteordnung als System der Beziehungen zwischen abstrakten Staaten ansah, hatte sich noch nicht ausdifferenziert. Das bedeutet, dass die zwischenfürstlichen Beziehungen in der »Fürstengesellschaft«18 zu ei-nem erheblichen Teil sozialen Logiken und Handlungsmustern folgten. Unter diesen Bedingungen muss politisches Vertrauen primär als personales Vertrauen verstanden werden, wie Tilman Haug jüngst betont hat19. Ungeachtet ihrer gro-ßen Relevanz standen soziale Handlungsmuster gleichwohl in Konkurrenz zu anderen Denk- und Handlungsmustern. Faktoren wie Religiosität beziehungs-weise Konfession, mithin religiöse Normen, hatten daher ebenso Bedeutung für außenpolitisches Handeln20 wie geostrategische Erwägungen und das machtpoli-tisch orientierte Denkmuster der Staatsräson. Auch Letzteres stand aber noch in enger Verbindung zu dynastischem Denken21. Die Heftigkeit der spanischen Re-aktion ist ja auch mit der geostrategischen Bedeutung Savoyens im Nordwesten 17 Die Untersuchung von Einstellungen und Verhaltensmustern (außen)politischer

Ak-teure ist das zentrale gemeinsame Anliegen der Kulturgeschichte der Außenbeziehun-gen. Vgl. Karl Rohe, Politische Kultur und ihre Analyse. Probleme und Perspektiven der politischen Kulturforschung, in: Historische Zeitschrift 250 (1990), 321–346, 326;

Hillard von Thiessen/Christian Windler, Einleitung, in: Akteure der Außenbeziehungen.

Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel, hrsg. v. dens., Köln/Weimar/

Wien 2010, 1–12, 4 f.; E. Conze, Jenseits (Anm. 16), 46.

18 Lucien Bély, La société des princes, XVIe–XVIIIe siècle, Paris 1999.

19 Tilman Haug, Vertrauen und Patronage in den diplomatischen Beziehungen zwischen Frankreich und den geistlichen Kurfürsten nach dem Westfälischen Frieden (1648–

1679), in: Zeitschrift für Historische Forschung 39 (2012), 215–254, 221.

20 Vgl. neuerdings zu »politisch-religiösem Kalkül« im konfessionellen Zeitalter Damien Tricoire, Mit Gott rechnen. Katholische Reform und politisches Kalkül in Frankreich, Bayern und Polen-Litauen, Göttingen 2013.

21 Vgl. die von Heinz Schilling beschriebenen »Leitkräfte« der Außenbeziehungen der Frühen Neuzeit: Dynastie, Konfession, Staatsinteresse und Tradition. Heinz Schilling, Formung und Gestalt des internationalen Systems in der werdenden Neuzeit – Phasen und bewegende Kräfte, in: Kontinuität und Wandel in der Staatenordnung der Neuzeit.

Beiträge zur Geschichte des internationalen Systems, hrsg. v. Peter Krüger, Marburg 1991, 19–46, 22 f.

Italiens an den Alpenpässen nach Frankreich und seiner Lage an der »Spanischen Straße« zwischen Italien und Flandern22 zu erklären. Akteure handelten also in einem Kräftefeld verschiedener Faktoren, unter denen im frühen 17. Jahrhundert personale Beziehungen und somit soziale Werte und Normen eine erhebliche Rolle spielten.

Das Verhältnis zwischen dem spanischen König und dem Herzog von Savoyen kann als asymmetrische soziopolitische Beziehung beschrieben werden. Die Asymmetrie war zum einen machtpolitisch begründet, das heißt, es bestand ein offenkundiges Machtgefälle zwischen den beiden Herrschern. Die spanische Mo- narchie war im frühen 17. Jahrhundert noch die – allerdings zunehmend herausgefor-derte – Hegemonialmacht des christlichen Europa23. Der Herzog von Savoyen war nur ein mindermächtiger, auf Bündnisse mit Mächtigeren angewiesener Akteur.

Zum anderen lassen die unterschiedlichen Herrschertitel einen Rangunterschied erkennen. Die gedachte Ordnung der Christianitas stellte eine Hierarchie dar, in der jedes fürstliche Haus ebenso wie jede Republik oder Kommune einen spezi-fischen, wenn auch oft umstrittenen Rangplatz einnahm. Insoweit waren streng genommen alle zwischenfürstlichen Beziehungen hierarchischer Natur. Die Ord-nungsvorstellung des »internationalen« Systems entsprach also in ihrem Prinzip der Ungleichheit der sozialen Abstufung in der Ständegesellschaft24. Doch ne-ben der konfliktträchtigen Rangordnung bestand auch die Vorstellung, dass die Fürsten beziehungsweise die Dynastien eine gemeinsame Ranggruppe bildeten.

Zunehmend wurde dies in der Frühen Neuzeit mit dem Begriff der Souveränität ausgedrückt, die, wie André Krischer jüngst deutlich gemacht hat, als Höchstmaß an sozialer Schätzung im Kreis der Fürstengesellschaft verstanden werden kann.

Souveränität war also nicht nur ein politischer, sondern auch ein an die ständische Würde gebundener sozialer Status25. Sprachlich wurde dies im zwischenfürstlichen 22 Alain Hugon, Política pacifista y Saboya. De camino español a puerta de los Alpes (1598–

1617), in: El arte de la prudencia. La Tregua de los Doce Años en la Europa de los Paci-ficadores, hrsg. v. Bernardo José García García/Manuel Herrero Sánchez/dems., Madrid 2012, 75–90, 79; Geoffrey Parker, El ejército de Flandes y el camino español, 1567–1659, Madrid 2000, 106.

23 Bernardo José García García, La pax hispánica. Política exterior del Duque de Lerma, Löwen 1996; Robert A. Stradling, Europe and the Decline of Spain. A Study of the Spanish System 1580–1720, London 1981, 25 f.

24 Johannes Burkhardt, Die entgipfelte Pyramide. Kriegsziel und Friedenskompromiss der europäischen Universalmächte, in: 1648 – Krieg und Frieden in Europa. Textbd. 1: Poli-tik, Religion, Recht und Gesellschaft, hrsg. v. Klaus Bußmann/Heinz Schilling, München 1998, 51–60, 51; Matthias Schnettger, Rang, Zeremoniell, Lehnssysteme. Hierarchische Elemente im europäischen Staatensystem der Frühen Neuzeit, in: Die frühneuzeitliche Monarchie und ihr Erbe. Festschrift für Heinz Duchhardt, hrsg. v. Ronald G. Asch/

Johannes Arndt/dems., Münster 2003, 179–195.

25 André Krischer, Souveränität als sozialer Status. Zur Funktion des diplomatischen Ze-remoniells in der Frühen Neuzeit, in: Diplomatisches Zeremoniell in Europa und im

Verkehr in einer Weise ausgedrückt, die ebenfalls auf soziale Beziehungen verwies:

Amicitia war der Ausdruck für gute Beziehungen zwischen souveränen Fürsten, daneben wurden bei der wechselseitigen Anrede auch Verwandtschaftsbezeich-nungen verwendet26. Zwischenfürstliche Beziehungen wiesen also eine Ambiva-lenz zwischen Hierarchie und gemeinsamem Status auf. Eine der Sollbruchstellen im spanisch-savoyischen Verhältnis war nun ihre Einordnung in diese Ambiva-lenz. Dabei stand für die Akteure beider Seiten außer Frage, dass ein Verhältnis der Ungleichheit vorlag; wie groß aber dieser hierarchische Abstand war und was dies für Konsequenzen hatte, war unter ihnen keineswegs ausgemacht. Der Fall der spanisch-savoyischen Beziehungskrise eignet sich daher besonders gut, die sozialen Handlungslogiken ungleicher zwischenfürstlicher Beziehungen und die Ambivalenz zwischen Hierarchie und rangmäßiger Nähe zu untersuchen.

II. Patronage und Protektion im System spanischer Dominanz über Italien

Die spanisch-savoyischen Beziehungen waren in das Herrschaftssystem spani-scher Dominanz über die italienische Halbinsel eingebettet, das spanispani-scherseits politisch-gemeinwohlorientiert begründet wurde: Es sichere nach den unruhigen Jahrzehnten, in denen der Konflikt zwischen den Häusern Habsburg und Va-lois in Italien ausgefochten worden war, den Italienern und ihren Fürstenhäusern Frieden und Wohlergehen27. Gleichwohl verstanden spanische Akteure die Be-ziehungen ihres Königs zu den italienischen Fürsten als ungleiche Sozialbezie-hungen, wie sich der Hauptinstruktion für den spanischen Botschafter in Rom, den Conde de Castro, aus dem Jahr 1609 entnehmen lässt. Ausführlich werden darin die Heiratsverbindungen verschiedener italienischer Fürstenhäuser zu den spanischen und österreichischen Habsburgern behandelt und Erwartungen

da-Mittleren Osten in der Frühen Neuzeit, hrsg. v. Ralph Kauz/Giorgio Rota/Jan Paul Nie-derkorn, Wien 2009, 1–32.

26 Randall Lesaffer, War, Peace, and Interstate Friendship and the Emergence of the Ius Publicum Europaeum, in: Frieden und Krieg in der Frühen Neuzeit. Die europäische Staatenordnung und die außereuropäische Welt, hrsg. v. Ronald G. Asch/Wulf Eck-art Voß/MEck-artin Wrede, München 2001, 87–113, 107 f.; Nadir Weber, Gute Miene zum bösen Spiel? Freundschaft, Kooperation und Vertrauen in den französisch-preußischen Beziehungen des 18. Jahrhunderts, in: Discussions 8 (2013) (digital verfügbar: http://

www.perspectivia.net/content/publikationen/discussions/8-2013/weber_freundschaft?-set_language=en, Zugriff: 18.8.2014).

27 Auch in der Instruktion für Castro von 1609 wird der Botschafter angewiesen, den ita-lienischen Akteuren dies stets zu gewärtigen, ja diese Sichtweise »in ihren Geist einzu-pflanzen«. Istruzione a Francisco de Castro, in: S. Giordano (Hrsg.), Istruzioni (Anm. 12), 83: […] es bien que procuréys imprimirles en los ánimos.

raus abgeleitet. So verhalte sich der parmesische Herzog »entsprechend seinem Blut und seinen Verpflichtungen« gegenüber dem König28. Anders der Großher-zog der Toskana: Er sei zwar mit der Schwester der Königin, einer österreichi-schen Habsburgerin29, verheiratet, halte sich aber keineswegs konsequent an die daraus abgeleiteten Erwartungen. Erst in jüngster Zeit habe er deutliche Zeichen gegeben, Philipp III. wieder »zugetan« (aficionado) zu sein. Es sei zu hoffen, dass der Einfluss der Großherzogin für eine stabilere Bindung an die spanische Krone sorge30. Der Herzog von Mantua hingegen habe sich bereits seit langer Zeit durchgängig des Vertrauens, das der König in ihn gesetzt habe, würdig erwiesen und seine Dankbarkeit für spanische Gnaden bezeugt. Der Botschafter solle ihn des fortdauernden spanischen Wohlwollens (voluntad) versichern31. Langfristig stabile Bindungen an die spanische Krone wiesen dieser Instruktion nach auch die Republiken Lucca und Genua auf, was mit der Formulierung ausgedrückt wird,

raus abgeleitet. So verhalte sich der parmesische Herzog »entsprechend seinem Blut und seinen Verpflichtungen« gegenüber dem König28. Anders der Großher-zog der Toskana: Er sei zwar mit der Schwester der Königin, einer österreichi-schen Habsburgerin29, verheiratet, halte sich aber keineswegs konsequent an die daraus abgeleiteten Erwartungen. Erst in jüngster Zeit habe er deutliche Zeichen gegeben, Philipp III. wieder »zugetan« (aficionado) zu sein. Es sei zu hoffen, dass der Einfluss der Großherzogin für eine stabilere Bindung an die spanische Krone sorge30. Der Herzog von Mantua hingegen habe sich bereits seit langer Zeit durchgängig des Vertrauens, das der König in ihn gesetzt habe, würdig erwiesen und seine Dankbarkeit für spanische Gnaden bezeugt. Der Botschafter solle ihn des fortdauernden spanischen Wohlwollens (voluntad) versichern31. Langfristig stabile Bindungen an die spanische Krone wiesen dieser Instruktion nach auch die Republiken Lucca und Genua auf, was mit der Formulierung ausgedrückt wird,

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