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elisabethanischen England in den ersten französischen Religionskrieg (1562/1563)

Im Dokument (16. bis frühes 20. Jahrhundert) (Seite 166-188)

Von Gabriele Haug-Moritz

Im dem Themenfeld »Schutz fremder Untertanen« gewidmeten Teil der Frage nachzugehen, ob und, wenn ja, in welcher Weise gemeinsame religiöse Überzeu-gungen die Bereitschaft von Obrigkeiten, Schutz zu gewähren, beeinflusst haben, liegt nahe, erscheint doch gerade die militärische Intervention von »fremden«

Herrschaftsträgern in religiös-amalgamierte Konflikte anderer Gemeinwesen als ein Moment, das die europäische Geschichte des Konfessionellen Zeitalters prägte, wobei der sogenannten »calvinistischen Internationale« die besondere Aufmerk-samkeit der Forschung galt und gilt1. Dass solche Interventionen nicht nur, so der bis in die jüngste Zeit herrschende Forschungskonsens, für die Zeit bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts zu beobachten sind, sondern die daraus abgeleitete Epochen-schwelle 1650 transzendieren, hat jüngst zum Beispiel Christoph Kampmann für Großbritannien mit überzeugenden Argumenten ausgeführt2.

So bekannt das Phänomen, über das hier gehandelt wird, ist, so wenig wurde es unter den Fragestellungen eingehender betrachtet, die den Autorinnen und Autoren dieses Teils als Leitfragen auf den Weg gegeben wurden3. So reizvoll ein räumlich wie zeitlich weiter ausgreifender Zugriff auf die Thematik wäre, so wenig ist er in Anbetracht dieser Forschungssituation zu realisieren. Im Fol-1 Nur zwei der zahlreichen älteren und neueren Arbeiten zu dieser Thematik seien ange-führt: Alastair Crawford Duke/Gillian Lewis/Andrew Pettegree (Hrsg.), Calvinism in Eu-rope. 1540–1620, Cambridge 1996 sowie in jüngster Zeit, in Hinblick auf die kurpfälzi-sche Religionspolitik die Rede von der »calvinistikurpfälzi-schen Internationale« bemühend, Eike Wolgast, Calvinismus und Reformiertentum im Heiligen Römischen Reich, in: Calvin und Calvinismus. Europäische Perspektiven, hrsg. v. Irene Dingel/Herman Selderhuis, Göttingen 2011, 23–45, 42.

2 Christoph Kampmann, Das »Westfälische System«, die Glorreiche Revolution und die Interventionsproblematik, in: Historisches Jahrbuch  131 (2011), 65–92. Dieser Band dokumentiert (3–164) die 2010 bei der Generalversammlung der Görres-Gesellschaft gehaltenen Vorträge zum Thema »Vom Schutz fremder Untertanen zur humanitären In-tervention« (mit weiterführender Literatur). Vgl. ders., Vom Schutz fremder Untertanen zur Humanitären Intervention. Einleitende Bemerkungen zur diachronen Analyse einer aktuellen Problematik, 3–10. Zum identischen Befund für das Heilige Römische Reich vgl. zuletzt Frank Kleinehagenbrock, Die Erhaltung des Religionsfriedens. Konfessionelle Konflikte und ihre Beilegung im Alten Reich nach 1648, in: Historisches Jahrbuch 126 (2006), 135–156.

3 Vgl. in diesem Band Tilman Haug/Nadir Weber/Christian Windler, Einleitung (9–27).

genden soll das Thema daher am Beispiel Frankreichs erörtert werden, spezifi-scher am Beispiel des ersten, in den Jahren 1562/1563 ausgefochtenen und in der Forschung als Religionskrieg etikettierten Konflikts4. Dabei werden wir uns derjenigen Interventionsmacht zuwenden, die als einzige der zahlreichen Frem-den, die in den Konflikt involviert waren, ihr Handeln rechtfertigte – dem elisa-bethanischen England. Die offenkundig unauflösliche Verwobenheit »innerer«

Konfliktlagen und »äußerer« Intervention5 soll im zweiten Teil dieses Aufsatzes einer genaueren Analyse unterzogen werden. Im hier beispielhaft untersuchten ersten Religionskrieg engagierten sich die meisten Mächte – im wörtlichen Sinn – stillschweigend; sich rechtfertigen für interventionistisches Handeln war in die-sem Kontext die Ausnahme, nicht die Regel6. Die Frage nach dem »Wie« der Rechtfertigung solcher Interventionen wäre demnach zu erweitern um diejenige nach dem »Warum«7. Dass freilich schon die Betrachtung der Art und Weise, wie das Eingreifen begründet wurde, was im dritten Abschnitt dieser Abhandlung geschehen soll, auch zum »Warum« neue Einsichten vermittelt, verdeutlicht das abschließende Resümee.

Eingangs aber gilt es, sich dem zeitgenössischen Verständnis von Schutz res-pektive protection zuzuwenden, das, wie sich herausstellen wird, für die Praxis des Schutz-Gewährens von ebenso entscheidender Bedeutung ist wie vice versa – so

4 Zu den divergierenden (und konfligierenden) zeitgenössischen Bezeichnungen, mittels derer dieser Konflikt begrifflich auf den Punkt gebracht wurde, vgl. Gabriele Haug-Mo-ritz, Hugenottische Pamphletistik und gelehrtes Wissen: die »Déclaration« des Louis de Bourbon, prince de Condé (1562). Ein Beitrag zur politischen Ideengeschichte der Anfangsphase der französischen Religionskriege, in: Francia. Forschungen zur westeu-ropäischen Geschichte 39 (2012), 115–134 (dort auch die weiterführende Literatur zum Konflikt als solchem).

5 Zum Problem, dass im Europa des Ancien Régime »innen« und »außen« unzulängli-che Beschreibungskategorien für Gemeinwesen sind, vgl. Anuschka Tisunzulängli-cher, Grenzen der Souveränität: Beispiele zur Begründung gewaltsamer Einmischung in »innere Angelegenheiten« in der Frühen Neuzeit, in: Historisches Jahrbuch 131 (2011), 41–

64, 43–46.

6 Vgl. im Überblick Arlette Jouanna, Le temps des guerres de Religion en France (1559–

1598), in: Histoire et dictionnaire des guerres de Religion, hrsg. v. Dominique Biloghi/

Jacqueline Boucher/ders./Guy Le Thiec, Paris 1998, 1–445, und zum Vertrag von Join-ville (31.12.1584) als einer weiteren Ausnahme (spanische Intervention) ebd., 306;

Stewart Carroll, Martyrs and Murderers. The Guise Family and the Making of Europe, Oxford 2009, 258 f.

7 Im Konjunktiv wird formuliert, weil dieser wichtige Gesichtspunkt im Folgenden leider außer Betracht bleiben muss, da er bisher, soweit ich sehe, noch nicht einmal andeu-tungsweise systematischer erörtert worden ist, auch nicht von Anuschka Tischer, Offizielle Kriegsbegründungen in der Frühen Neuzeit. Herrscherkommunikation in Europa zwi-schen Souveränität und korporativem Selbstverständnis, Münster 2012.

der Befund, der sich aus dem konkreten Beispielfall ergibt8 – die konkrete Aus-gestaltung solcher asymmetrischer Beziehungen den semantischen Wandel in zu-kunftsträchtiger Weise beförderte.

I. Die zeitgenössische Semantik

Schutz wird, wiewohl von der Forschung als ein Schlüsselbegriff der frühneu-zeitlichen gesellschaftlichen und politischen Ordnung vorgestellt, in Frankreich erstmals von Jean Bodin (1576) systematisch reflektiert9. Aufschluss über die dis-kursive Dimension des Phänomens lässt sich daher für die Zeit vor 1576 allenfalls auf der lexikalischen Ebene10 gewinnen. Die neuen elektronischen Recherche-möglichkeiten11 erlauben es zudem, den Schutzsemantiken im druckgestützten Kommunikationsraum, dessen sich auch Elisabeth bediente, nachzuspüren, um dergestalt einen ersten, freilich nur partiellen Eindruck von diskursiver Formung und öffentlicher Präsenz von Schutzsemantiken zu bekommen.

Geht man so vor, so ergibt sich ein recht homogenes Bild12. Dies überrascht, sind doch die zugrunde liegenden Textkorpora – bilinguale Wörterbücher auf der einen, politische, juristische, religiöse Traktate auf der anderen Seite – sehr hetero-gen. Schutzsemantiken begegnen in einem ebenso klar umgrenzten wie in sich 8 Und, dies sei ausdrücklich betont, in einer vertieften, für die zweite Hälfte des

16. Jahr-hunderts en détail noch zu leistenden Analyse der Semantiken des Schützens der weite-ren Untersuchung bedürfte.

9 Und so ist es auch kein Zufall, dass Bodin, wann immer über diese Fragen gehandelt wird, die zentrale Referenzgröße darstellt, so z. B. bereits Werner Conze, Art. »Sicher-heit«, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hrsg. v. Otto Brunner/dems./Reinhart Koselleck, 8 Bde., Stutt-gart 1972–1997, Bd. 5, Sp. 831–862, Sp. 840. Vgl. auch den Beitrag von Wolfgang E. J.

Weber in diesem Band (31–48).

10 Z. B. Robert Estienne, Dictionarium latinogallicum. Ex hos latini sermonis cum gallico idiomate consensum ita percipies […]. Editio postrema. […], Paris 1570 (Erstauflage:

1536); Jean Nicot, Dictionnaire françois-latin, augmenté outre les précédentes impressi-ons d’infinies dictiimpressi-ons françoises […], Paris 1584; Nicot, wiewohl 1584 erstmals erschie-nen, unterscheidet sich materiell nur unmaßgeblich von Estienne, ist aber gerade durch die Angabe lateinischer Synonyme für die Analyse sehr hilfreich; vgl. jetzt auch das ARTFL-Project (https://artfl-project.uchicago.edu, Zugriff: 8.8.2014) der University of Chicago und anderer, das wichtige Wörterbücher der französischen Sprache ab dem frühen 17. Jahrhundert gebündelt recherchierbar macht.

11 Wenn auch ob der Titelaufnahme nicht immer unproblematisch, so doch sehr hilfreich ist »The universal short title catalogue« (http://www.ustc.ac.uk, Zugriff: 8.8.2014).

12 Recherchiert wurde, ausgehend von dem lateinisch-französischen Lexikon (Begriffe:

protectio, custodia, tutela), über ARTLF die Stichworte protection, protecteur, defense, garder, die auch im USTC (Zeitraum: 1520–1590) aufgerufen wurden.

sehr unterschiedlich differenzierten Begriffsfeld. Das Feld ist, wobei als lexikali-sche Einheiten primär Verben und nur nachgeordnet die substantivierten Begriffe aufscheinen, durch die Trias von »verteidigen« (defendre, lat. defendere), »bewachen/

bewahren« (garder, custodire) und »schützen« (proteger, protegere) gekennzeichnet.

Proteger firmiert dabei – etwa in Robert Estiennes Wörterbuch – vorrangig als ein auf garder und defendre verweisendes Lemma. Dass defendre und garder freilich keine Synonyme sind, zeigt nicht nur der mit Condé geschlossene Vertrag, in dem Elisabeth I. sich verpflichtet, die »Verteidigung sowie die Bewahrung« (defensio-nem atque custodiam) zu übernehmen, sondern auch die einschlägigen Lexika und die Druckpublizistik.

Beide – wie nicht zuletzt die einschlägigen Belegstellen der Wörterbücher zu erkennen geben – auch rechtlich fundierten Dimensionen von Schutz bezeich-nen verschiedene Aspekte des Phänomens, die durch die unterschiedlichen la-teinischen Synonyme im Nicotschen Wörterbuch besonders gut zu greifen sind.

Garder meint hier primär asservare, conservare, die Verpflichtung zum »Hüten und Bewahren«, das heißt die custodia des Römischen Rechts, die dort unauflöslich mit der Haftung desjenigen verbunden ist, der sich engagiert und sich für das, was er behütet, gleichsam verbürgt13. Zielt garder demnach generell auf das Aufrechter-halten eines bestimmten, schützenswerten Zustandes mit einem hohen Maß an Verbindlichkeit für denjenigen, der ihn übernimmt, so bezieht sich defendre auf den Schutz, der, auch mit bewaffneter Hand (Synonym: propugnatio) zu leisten ist, wenn dieser Zustand von Feinden (defense contre les ennemis) bedroht wird14. Erst die Bereitschaft zur Verteidigung macht aus dem gardien, dem »Treuhänder« (de-positarius, fiduciarius), den tutor, den »Vormünder«15. Der Vormund, so die Lehre des Römischen Rechts, nimmt ein Amt (officium) wahr, das ihm zwar »keinerlei Art an Eigentum an der Person oder dem Vermögen des Pupillen« verschafft, ihm aber nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht auferlegt, alle »Handlungen, welche zur Defension des Pupillen im weitesten Sinn des Wortes nothwendig sind«, vorzunehmen16.

Somit bestätigt sich in einer begriffsgeschichtlichen Perspektive der gleiche enge Zusammenhang von defensio und tutela, den die rechtsgeschichtliche For-schung in ihren Untersuchungen zum Widerstandsrecht im Reich der Reforma-tionszeit17 herausgearbeitet und für den juristischen Tatbestand der Notwehr als

13 Zur custodia des Römischen Rechts: Alois von Brinz/Philipp Lotmar, Lehrbuch der Pan-dekten, Bd. 2, Erlangen 21879, 261–271, Zitat: 262.

14 J. Nicot, Dictionnaire (Anm. 10), 198.

15 Vgl. auch in rechtsgeschichtlicher Perspektive Alois von Brinz, Die Familienrechte und die Vormundschaften, Erlangen u. a. 21889, 802.

16 Ebd., 805–807, Zitate: 805 f.

17 Hier bestätigt sich, was Donald Reed Kelley, Law, in: The Cambridge History of Politi-cal Thought 1450–1700, hrsg. v. James Henderson Burns, Cambridge 1991, 66–94, 73,

konstitutiv erwiesen hat18. In dem Moment, in dem sich Schutz in diesem Sinne als ein politischer Legitimationsbegriff etablieren konnte, was im Reich bezeich-nenderweise 1546 (Beginn des Schmalkaldischen Krieges) und in Frankreich 1562 in Gestalt der Schriften Condés und seiner englischen Bündnispartnerin geschah19, und zugleich seiner aus dem Mittelalter tradierten, herrschaftsbegrün-denden Funktion entkleidet wurde20, gewinnt der semantische Wandel an Dyna-mik und evoziert, eineinhalb Jahrzehnte später, die systematisierende Reflexion.

Bodin, der das siebte Kapitel des ersten Buches unter die Überschrift »Von denjenigen, die unter Schutz stehen und über die Unterschiede zwischen Ver-bündeten, Ausländern und Untertanen« stellt21, wählt mit protection zwar einen Begriff, der dem Estienne’schen Wörterbuch noch fremd war, tradiert aber zen-trale Bestandteile des Verständnisses dessen, was Schutz ausmacht22. Ganz im Überkommenen wurzelt die materiell umfassend definierte Hilfeleistung, zu der betont: These European doctores legum had a common professional commitment, spoke the same technical language, believed in the same exalted goals, and applied the same methods.

18 Diethelm Böttcher, Ungehorsam oder Widerstand? Zum Fortleben des mittelalterlichen Widerstandsrechtes in der Reformationszeit (1529–1530), Berlin 1991, 33 f.; zur we-nig trennscharfen zeitgenössischen begrifflichen Unterscheidung zwischen Not- und Gegenwehr siehe ebd., 33–52. Dieser begriffsgeschichtliche Befund und auch der hier zutage tretende Sinnhorizont, macht mich für den Untersuchungszeitraum skeptisch gegenüber dem Vorschlag Robert von Friedeburgs, »konstitutionelles« Recht zur Ge-genwehr von einem strafrechtlichen bzw. naturrechtlichen Notwehrrecht zu unterschei-den. Vgl. Robert von Friedeburg, Widerstandsrecht und Landespatriotismus: Territorial-staatsbildung und Patriotenpflichten in den Auseinandersetzungen der niederhessischen Stände mit Landgräfin Amelie Elisabeth und Landgraf Wilhelm VI. von Hessen-Kassel 1647–1653, in: Wissen, Gewissen und Wissenschaft im Widerstandsrecht (16.–18. Jh.).

Sapere, coscienza e scienza nel diritto di resistenza (XVI–XVIII sec.), hrsg. v. Angela de Benedictis/Karlheinz Lingens, Frankfurt 2003, 267–326.

19 Recherchiert man über USTC das Suchwort defense im Zeitraum 1520–1562, so er-scheinen erstmals 1562 eine Mehrzahl von Titeln, in denen defense nicht mehr könig-liche Verbote, sondern Schutz als (auch) naturrechtlich fundierte Verteidigung aufruft (http://www.ustc.ac.uk, Zugriff: 11.8.2014).

20 Hierzu grundlegend: Dietmar Willoweit, Rechtsgrundlagen der Territorialgewalt. Lan-desobrigkeit, Herrschaftsrechte und Territorium in der Rechtswissenschaft der Neuzeit, Köln/Wien 1975, 65–69. In Frankreich, wo bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts die königliche auctoritas und potestas in der normgebenden Gewalt des Königs verankert wurden, spielten im Vergleich mit dem Reich, Schutz und Schirm für die Konzeptuali-sierung der Rechte und Pflichten im Gemeinwesen eine nachgeordnete Rolle. Dazu Lo-thar Schilling, Normsetzung in der Krise. Zum Gesetzgebungsverständnis im Frankreich der Religionskriege, Frankfurt a. M. 2005.

21 De ceux, qui sont en protection et la difference entre les alliez, estrangers, & sujets. Jean Bodin.

Les six livres de la Republique, Paris 1576, 72–87.

22 J. Nicot, Dictionnaire (Anm. 10), 588 gibt denn auch für protection als lateinische Über-setzung tutela an.

der Protektor verpflichtet (obliger) ist – »die Güter, das Leben und die Ehre des Schwächeren gegenüber dem Mächtigeren, den Armen vor dem Reichen, die be-drückten Guten vor der Gewalt der Bösen zu schützen«23. Protection kann aber auch deswegen mit tutela, so bei Nicot, übersetzt werden, weil dem Beschützenden aus seinem Amt des Schutzes keinerlei wie auch immer gearteten Rechte oder Vorteile erwachsen. Sind, so führt Bodin aus, alle anderen Formen asymmetri-scher Machtbeziehungen dadurch gekennzeichnet, dass »der souveräne Fürst, der Meister, der Herr, der Patron Nutzen und Gehorsam aus der Verteidigung seiner Untertanen, Sklaven, Freigelassenen und Vasallen ziehen«24, so unterscheidet sich die Protektion gerade dadurch von ihnen, dass der »Schutzherr sich mit der Ehre zufrieden gibt«25.

Definiert Bodin demnach den Umfang der Schutzpflicht sowie die Rechte und Pflichten des Schutzherrn in tradierter Art und Weise, so bringt er mit sei-nen ausführlichen Erörterungen zur Frage, wie das Schutzrecht, auch und gerade gegenüber den Untertanen (sujets) eines anderen souveränen Fürsten, rechtsför-mig auszugestalten ist, einen neuen Gesichtspunkt ins Spiel26. Präzise definiert er: »Die Schutzherrschaft ist nichts anderes als ein Bund & eine Allianz zwi-schen zwei Fürsten oder souveränen Herrschaften, in denen der eine den anderen als übergeordnet anerkennt«27. Schutz, realisiert als militärische Hilfe zwischen einem mächtigeren und einem weniger mächtigen Fürsten, setzt demnach das Vorhandensein eines Bündnisses voraus, womit im Umkehrschluss, wiederum mit römischrechtlicher Begründung, die Möglichkeit, dass »der fremde Fürst die Un-tertanen eines anderen unter seine Schutzherrschaft stellen kann«28, nur dann als zulässig vorgestellt wird, wenn der eigene Fürst seine Zustimmung gegeben hat, dass seine Untertanen beschützt werden29. Rechtsförmiger Schutz fremder Unter-tanen ist demnach nur insofern möglich, als sie einem Souverän unterworfen sind und sich dieser mit einem fremden Herrschaftsträger verbündet. Diese Bündnisab-reden können, so wird ausgeführt, sehr vielgestaltig sein und als Freundschafts-, Offensiv- oder Defensivverträge geschlossen werden, wobei Letztere zur Folge haben, dass Protektor und Protegierter sich zusagen, »Freund der Freunde und 23 […] de defendre les biens, la vie, & l’honneur du foible contre le plus puissant: du poure, contre

le riche: des bons affligez, contre la violence des meschans. J. Bodin, Livres (Anm. 21), 73.

24 […] le prince souuerain, le maistre, le seigneur, le patron, tirent profit, & obeissance, pour la defense des sugets, des eslaues, des afranchis, des vassauz. Ebd.

25 […] le protecteur se contente de l’honneur. Ebd.

26 Nur angemerkt sei an dieser Stelle, dass Bodin hier die seit dem Spätmittelalter intensiv geführten juristischen Debatten um das »vertragliche begründete Schutzrecht« aufgreift (D. Willoweit, Rechtsgrundlagen [Anm. 20], 68).

27 La protection n’est autre chose, que la confederation, & alliance de deux Princes ou seigneuries souueraines, en laquelle l’vn recognoist l’autre superieur. J. Bodin, Livres (Anm. 21), 75.

28 […] le Prince estranger (peut) prendre le suget d’autruy en sa protection. Ebd.

29 […] si ce n’est ne du conse[n]tement de son Prince. Ebd.

Feind der Feinde« des Bündnispartners zu sein30. Die asymmetrische Machtbe-ziehung kann sich, aber muss sich nicht zwingend in Zahlungen des Protegierten an den Protektor beziehungsweise dessen Unterstützungszusage für den Schutz-bedürftigen niederschlagen. Solche Abreden bedürfen des Öffentlichmachens, um Geltung zu erlangen.

Zusammenfassend sei festgehalten: Begriffsgeschichtliche Annäherung wie rechtsgeschichtliche Forschung geben zu erkennen, dass Schutz als eine Ver-pflichtung des Protektors konzeptualisiert wird, dessen Amt es ist, den Schutzbe-dürftigen umfassende Hilfe zu leisten, im Falle der Gefährdung seines Mündels auch mit bewaffneter Hand, kurzum: es zu verteidigen. Schutz in einer solchen Situation ist Notwehr, die im geschriebenen Recht ebenso breit fundiert ist wie im Naturrecht. Was für das Reich en détail nachgewiesen wurde31, scheint auch für Frankreich zu gelten: Ein solches Verständnis von Schutz wird erst im Vorzeichen der militärisch ausgefochtenen religiös-konfessionell konnotierten Konflikte wei-teren Öffentlichkeiten kommuniziert und zugleich systematisch entfaltet. Ist die Vorstellung, dass demjenigen, dessen Amtspflicht es ist, den Bedrängten in einer Notwehrsituation militärisch beizustehen, keinerlei Nutzen oder gar Rechte er-wachsen, sondern allein dessen Ehre mehren, dem Notwehrgedanken immanent, so prägt Bodin nicht nur einen neuen Begriff für eine alte Sache, sondern erweitert ihn in für die hier zu behandelnde Fragestellung entscheidender Hinsicht. Schutz-zusagen konkretisieren sich in Bündnissen souveräner Herrscher in vertraglicher, öffentlich zu machender Form, welche die Untertanen nur insofern zu Protegier-ten werden lassen, als sie Untertanen der vertragschließenden Herrschaftsträger sind.

II. Frankreich 1562

Begründungen wie Praktiken des Schutzgewährens funktionieren jeweils in ei-nem räumlich und zeitlich begrenzten Kontext32. Diesen Kontext gilt es daher, zumindest kursorisch, zu skizzieren. Nachdem in Frankreich im Mai 1560 durch eine »unwiderrufliche Verordnung« (ordonnance irrevocable), das Edikt von Ro-morantin, festgeschrieben wurde, dass der religiöse Dissens ausschließlich als ein innerweltliches Ordnungsproblem Gegenstand königlicher Gesetzgebung zu sein 30 […] estre amy des amis, & ennemy des ennemis. Ebd., 76.

31 Stellvertretend sei verwiesen auf die einschlägigen Beiträge von Robert von Friedeburg, Angela de Benedictis, Merio Scattola und Gabriele Haug-Moritz, in: Das Interim. Herr-schaftskrise und Glaubenskonflikt, hrsg. v. Luise Schorn-Schütte, Gütersloh 2005.

32 Vgl. Donald Haks, Rezension über: A. Tischer, Offizielle Kriegsbegründungen (Anm. 7), in: German Historical Institute London Bulletin, Bd. 35 (2013), 1, 69–72, 70 (http://

recensio.net/r/898551e35b114c9babcd92ba89f221db, Zugriff:13.8.2014): function – in-ternally and exin-ternally – in a specific context and a limited space and time.

habe, spiegelt die widersprüchliche Gesetzgebung der Jahre 1561 (Juli-Edikt) und 1562 (Januar-Edikt) vor allem den Stand der sich seit der sogenannten Verschwö-rung von Amboise (1560) zuspitzenden hochadligen Faktionskämpfe zwischen den Guise auf der einen und den Princes du sang, allen voran Louis de Bourbon, Prince de Condé, auf der anderen Seite wider33. Im Januar 1562 wurde den An-hängern der nouvelle religion, als deren weltlicher Führer sich Condé seit 1560 immer eindeutiger präsentierte, gegen die Zusage, Besitz und Rechte der alten Kirche nicht anzutasten, und befristet bis zur Klärung der religiösen Fragen auf einem Generalkonzil die freie Religionsausübung außerhalb der Stadtmauern zu-gestanden. Befriedend, wie vom spiritus rector dieser Politik, Kanzler Michel de l’Hospital, intendiert34, wirkte dieses Gesetz jedoch nicht – im Gegenteil.

Zeitgleich mit der in den Monaten März und April 1562 gewaltsam eskalie-renden innerfranzösischen Situation intensivierten sowohl die Reformierten als auch die Vormundin Katharina de Medici nicht nur ihre Werbungen auf dem europäischen Söldnermarkt, sondern mobilisierten auch – und unauflöslich da-mit verwoben – ihre jeweiligen europäischen kommunikativen Netzwerke35. Diese umfassten sämtliche Nachbarn Frankreichs und waren bis zum Hochsommer 1562 weit mehr von dynastischen und geopolitischen denn religiösen Konstel-lationen präformiert, wie nicht zuletzt die Vermittlungsinitiative des englischen Gesandten in Frankreich, Sir Nicholas Throckmorton, Mitte Juni 1562 belegt36. Das Zentrum der sich europaweit verdichtenden politischen Kommunikation bil-33 Zur ereignisgeschichtlichen Seite vgl. in knappem Überblick A. Jouanna, Temps

(Anm. 6), 52–120.

34 Grundlegend Loris Petris, La plume et la tribune: Michel de l’Hospital et ses discours

34 Grundlegend Loris Petris, La plume et la tribune: Michel de l’Hospital et ses discours

Im Dokument (16. bis frühes 20. Jahrhundert) (Seite 166-188)