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und justizielle Kooperation zwischen der Republik Genf und Frankreich im 18. Jahrhundert

Im Dokument (16. bis frühes 20. Jahrhundert) (Seite 140-166)

Von Fabrice Brandli

Im 18. Jahrhundert galt die Republik Genf als souveräner Staat. Dieser zählte weniger als 30.000 Einwohner, die sich über ein bloß 9000 Hektar großes, zerstü-ckeltes Territorium verteilten. Teile davon waren als Enklaven von französischen, savoyischen und schweizerischen Gebieten umgeben. 1679 hatte Ludwig XIV. in Genf eine ständige Gesandtschaft einrichten lassen, die erst mit der Annexion des Territoriums durch die Grande Nation im April 1798 geschlossen wurde. Mehr als hundertzwanzig Jahre stellte die Residenz einen jener Orte dar, an dem die Beziehungen zwischen dem republikanischen Zwergstaat und der bedeutendsten Macht des Kontinentes geformt wurden1.

Mochte es auch ein offenkundiges Ungleichgewicht zwischen dem Starken und dem Schwachen, zwischen hegemonialer und demütiger Haltung, zwischen den Sprachen der Protektion und des Wohlwollens geben, so spielte sich diese asymmetrische Beziehung doch unter den Vorzeichen gegenseitiger Interessen im rechtlich-politischen Rahmen des frühneuzeitlichen Völkerrechts und eines Gleichgewichtes der Mächte ab. Zur Vermeidung vordergründiger Evidenzen und Vereinfachungen bietet sich ein praxeologischer Zugang an, der es erlaubt, die Modi der Interaktion von derart ungleichen staatlichen Akteuren wie dem Kö-nigreich Frankreich und der Republik Genf angemessen zu beschreiben. Die jus-tizielle Kooperation, die gegen Ende des Ancien Régime zusehends zur Routine gerann, stellt in dieser Hinsicht einen bedeutsamen Gegenstand an der Nahtstelle zwischen Praxis des Verhandelns und einer gemeinsamen Rechtskultur dar. Dieser Ansatz ermöglicht einen klareren Blick darauf, dass diese asymmetrischen Bezie-hungen keineswegs notwendigerweise zuungunsten eines hochgradig zerbrechli-chen Herrschaftsraumes ausfielen.

I. Asymmetrie und Reziprozität

Auf dem Feld der Außenbeziehungen von Staaten mit in politischer, ökonomi-scher und militäriökonomi-scher Hinsicht ungleichen Machtmitteln läuft die Interaktion zwischen dem Starken und dem Schwachen keineswegs zwingend auf eine einsei-1 Fabrice Brandli, Le nain et le géant. La République de Genève et la France au XVIIIe

siècle, Rennes 2012.

tige Dominanz hinaus2. Vielmehr spielt sich hier die Interaktion in Form von Ver-handlungsprozessen ab, bei denen eher die dynamische Dimension von Machtbe-ziehungen zum Ausdruck kommt als ein statisches Konzept von Macht, welche der mächtigere Akteur automatisch gegenüber dem schwächeren ausüben würde.

Denn die Kleinen legten oft einen überraschend »kreativen Erfindungsreichtum«

an den Tag3, um die ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen zu mobilisieren und in die Verhandlungen mit mächtigeren Partnern einfließen zu lassen4. Dabei konnte es sich etwa um eine Koalition, eine Konföderation, die Beherrschung von Völkerrechtsregeln, die Inanspruchnahme der Vermittlung eines Dritten, Neu-tralität oder eine »multiple Bilateralität« handeln5: Die Beziehung fluktuierte in solchen Fällen zwischen rechtlichen Normen und politischer Strategie und glich in vielerlei Hinsicht den Hegemonialanspruch des stärkeren Staates aus. Darüber hinaus gibt es nichts, das a priori verhindert, dass ursprünglich in asymmetrischen Machtbeziehungen eingebundene Akteure am Ende von Aushandlungsprozessen für beide Seiten zufriedenstellende Bedingungen erlangen.

Die Normen und Praktiken der Diplomatie lassen sich auch als »soziale Ge-brauchsformen von Alterität«6 verstehen, in deren Rahmen gegenseitig die jeweili-gen Identitäten der betroffenen Akteure, und zwar gleichermaßen jene souveräner Fürsten und Staaten wie jene ihrer offiziellen oder inoffiziellen Unterhändler kon-struiert, bewertet und verändert wurden. Dies geschah im Rahmen eines bestän-dig neu ausgehandelten Gleichgewichts zwischen agonalen Machtbeziehungen und der Suche nach Kompromissen7. Nach Erving Goffman strukturiert diese Figuration, welche die diplomatische Interaktion mit einschließt, die Gesamtheit ritualisierter Austauschprozesse, in denen Hierarchien und ihre Repräsentationen

2 Frank R. Pfetsch, Power in International Negotiations: Symmetry and Asymmetry, in:

Négociations 16/2 (2011), 39–56.

3 Heinz Waelchli/Dhavan Shah, Crisis Negotiations between Unequals: Lessons from a Classic Dialogue, in: Negotiation Journal 10 (1994), 129–145, 137.

4 F. R. Pfetsch, Power in International Negotiations (Anm. 2), 42; Jean-François Chanet/

Christian Windler (Hrsg.), Les ressources des faibles. Neutralités, sauvegardes, accom-modements en temps de guerre (XVIe–XVIIIe siècle), Rennes 2009; William I. Zartman, The Structuralist Dilemma in Negotiation, in: Research on Negotiations in Organiza-tions 6 (1997), 227–245, 238. Der Autor spricht von einem möglichen »Machttransfer«

(borrowing of power) zugunsten des Schwächeren in Verhandlungsprozessen im Kontext asymmetrischer Beziehungen.

5 Bertrand Badie, Le diplomate et l’intrus. L’entrée des sociétés dans l’arène internationale, Paris 2008, 32.

6 Christian Windler, La diplomatie comme expérience de l’Autre. Consuls français au Ma-ghreb (1700–1840), Genève 2002, v. a. 9–16.

7 Erving Goffman, Interaction Ritual. Essays on Face-to-Face Behavior, Garden City 1967;

Anselm Strauss, La trame de la négociation. Sociologie qualitative et interactionnisme, hrsg. v. Isabelle Basczanger, Paris 1992.

ebenso zum Ausdruck kommen wie wechselseitige Diskurse über den anderen und über sich selbst8.

Der Begriff »Asymmetrie« legt es nahe, politische Macht als dynamische Fä-higkeit zu verstehen, die andere Seite in die gewünschte Richtung zu lenken. Es handelt sich hierbei um eine soziale Fähigkeit, die keinesfalls mit »Herrschaft«

im strengen Sinne, also als »Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden«9, verwechselt werden darf. Asymme-trische Beziehungen entfalten sich an bestimmten Orten – Orten des Diskurses oder der Macht wie beispielsweise der Grenze – wo das Prinzip der Reziprozität teilweise die Folgen der Ungleichheit zwischen den Unterhändlern auffängt und wo Rechtsnormen die Erzwingungsgewalt, die der Mächtigere gegenüber dem Schwachen ausüben kann, einschränken.

Als normativer Erwartungshorizont und als rechtliches Erfordernis steht die Reziprozität für die Effizienz von Kooperation im Rahmen einer asymmetrischen Beziehung10. Gegenseitigkeit ist hier als Dreh- und Angelpunkt der diplomati-schen Praxis und als in der völkerrechtlichen Tradition verankertes Konzept zu verstehen, das die situativ angepassten politischen Beziehungen zwischen der mächtigen französischen Monarchie, später dann dem revolutionären Frankreich, und der Republik Genf erst ermöglichte. Die asymmetrische Beziehung war somit in einen Kontext von Verhandlungen und Repräsentation eingebettet, der sich den reduktionistischen Kategorien des Protektorats und der einseitigen Dominanz entzieht.

Im Völkerrecht des 18. Jahrhunderts galt Souveränität als eine rechtliche Ka-tegorie, die weder an Stärke oder Schwäche noch an eine bestimmte Regierungs-form gebunden war11. Für Mably etwa war »die Unabhängigkeit bei allen Sou-veränen dieselbe, sie muss überall respektiert werden«12. Der Neuenburger Jurist Émer de Vattel hob nicht weniger deutlich den Anspruch jedes Souveräns, als vollwertiges Völkerrechtssubjekt angesehen zu werden, hervor. Er verdeutlichte dies mit folgendem Vergleich: »Ein Zwerg ist genauso ein Mensch wie ein Riese;

8 Paul Ricœur, Soi-même comme un autre, Paris 1990.

9 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss einer verstehenden Soziologie [1922], Tübingen 51980, 28.

10 Überlegungen zu Asymmetrie und Reziprozität im Rahmen der Normen der heutigen demokratischen politischen Kultur: Document de Bergamo. Principes d’éthique de la coopération internationale évaluée selon l’effectivité des droits de l’homme, in: Stefania Gandolfi/Patrice Meyer-Bisch/Johanne Bouchard (Hrsg.), La démocratisation des relations internationales, Paris 2009, 193–204, 200 ff.

11 Marc Belissa, Fraternité universelle et intérêt national (1713–1795). Les cosmopolitiques du droit des gens, Paris 1998.

12 L’indépendance est égale dans tous les souverains, et elle doit être partout respectée. Gabriel Bonnot de Mably, Principes des négociations pour servir d’introduction au droit public de l’Europe [1757], hrsg. v. Marc Belissa, Paris 2001, 88.

ebenso ist eine Republik nicht weniger ein souveräner Staat als das mächtigste Königreich«13. Die traditionelle hierarchische Unterscheidung zwischen den eu-ropäischen Mächten, seit Beginn des 16.  Jahrhunderts in den vom ordo regum et principum und dem ordo ducum etablierten Regeln festgeschrieben, wurde da-her dem Prinzip der rechtlichen Gleichheit souveräner Staaten nachgeordnet14. Entsprechend insistierten die französischen Unterhändler auf dem Vorrang des französischen Königs gemäß seiner Machtstellung und seinem ständischem Rang gegenüber der schwachen Republik, während umgekehrt die Genfer von der Vor-stellung der Unabhängigkeit ihres Staatswesens als mindermächtiger, jedoch nicht weniger legitimer Akteur in der europäischen Ordnung aus agierten15.

Europäisches Gleichgewicht, balance of power16: Asymmetrie und Reziprozität kamen im Begriffsfeld von Strategie und Kräfteverhältnissen zum Ausdruck, wel-ches die Normen und Praktiken der Außenpolitik frühneuzeitlicher europäischer Staaten beschrieb17. Die Gleichgewichtsidee verweist nicht nur auf den Denk-rahmen einer »Staatenphysik«, sondern auch auf die Vorstellung einer europäi-schen Gesellschaft, die aus einer Vielzahl von Verknüpfungen, besonders solchen rechtlicher Natur, bestehe18. Sie kann daher nicht auf den Krieg »als ultima ratio 13 [Un] nain est aussi bien un homme qu’un géant; une petite république n’est pas moins un État souverain que le plus puissant royaume. Emer de Vattel, Le droit des gens ou principes de la loi naturelle appliqués à la conduite et aux affaires des nations et des souverains, 2 Bde., Londres 1758, Bd. 1, Préliminaires, 11. Zur Souveränität der Orte der Alten Eidgenos-senschaft vgl. Thomas Maissen, Art. »Souveränität«, in: e-HLS, digital verfügbar: http://

www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D26456.php, letzter Zugriff: 6.2.2016.

14 Maria Antonia Visceglia, Il cerimoniale come linguaggio politico. Su alcuni conflitti di precedenza alla corte di Roma tra cinquecento e seicento, in: Cérémonial et rituel à Rome (XVIe–XIXe siècle), hrsg. v. ders./Catherine Brice, Rome 1997, 117–176, 126.

15 Zu asymmetrischen Verhandlungsstrategien: Frank  R. Pfetsch, Negotiating Political Conflicts, Houndmills 2007, 98 ff.

16 Zur begrifflichen Unterscheidung zwischen balance of power und Mächtegleichge-wicht Bruno Bernardi, L’idée d’équilibre européen dans le jus gentium des modernes.

Esquisse d’histoire conceptuelle, in: Assecuratio Pacis. Französische Konzeptionen von Friedenssicherung und Friedensgarantie. 1648–1815, hrsg. v. Guido Braun, Münster 2011 (digital verfügbar: www.perspectivia.net/content/publikationen/discussions/4-2010/

bernardi_idee, letzter Zugriff: 12.11.2014).

17 Georges Livet, L’équilibre européen de la fin du XVe à la fin du XVIIIe siècle, Paris 1976;

Michel Foucault, Sécurité, territoire, population. Cours au Collège de France, 1977–1978, Paris 2004, 293–318; Evan Luard, The Balance of Power. The System of International Relations 1648–1815, London 1992; Michael Sheehan, The Balance of Power. History and Theory, London 2000.

18 M. Foucault, Sécurité, territoire, population (Amn. 17), 311. Vgl. auch die deskriptive und kulturell geprägte Definition des Gleichgewichts bei Jean-Jacques Rousseau, Extrait du projet de paix perpétuelle de Monsieur l’abbé de Saint-Pierre [1761], in: Principes du droit de la guerre. Écrits sur la paix perpétuelle, hrsg. v. Blaise Bachofen/Céline Spector/

Bruno Bernardi/Gabriella Silvestrini, Paris 2008, 83–114, 89.

der Macht in den internationalen Beziehungen« reduziert werden19. Sie beruhte gleichermaßen auf der Kooperation, der Aushandlung, der Interaktion und der Integration in ein auf Interdependenz und »einem gewissen Grad von sozialer und kultureller Homogenität« zwischen den Staaten fußenden europäischen System20. Dies schloss auch Akteure mit derart unterschiedlichen Identitäten wie die Repu-blik Genf und Frankreich mit ein.

II. Protektion und Mediation

Königliche Protektion nimmt unter den Gemeinplätzen, die die Depeschen der französischen Unterhändler in Genf strukturieren, einen ebenso prominenten Platz ein wie die standardisierten Höflichkeitsformeln. Sie wurde dabei gemeinhin der Güte und dem Wohlwollen des Königs zugeordnet und erschien als Kennzei-chen einer Macht, die sich ihrer Stärke bewusst ist und sich zugleich zu mäßigen in der Lage ist. Im weitesten Sinne bezeichnete Protektion damit zunächst das Statusgefälle zwischen dem Zwerg und dem Riesen, wenngleich auch diese Un-terscheidung »der Souveränität keinen Abbruch tut«21. Sie verwies lediglich auf den asymmetrischen Charakter der Beziehung, in welcher die Machtungleichheit implizierte, dass der Schwache aus einem seiner Position angemessenen Unterord-nungsverhältnis heraus agiert.

Zu dieser ersten Dimension des Protektionsbegriffs, die man als deskriptiv be-zeichnen könnte, kommt eine weitere, stärker juristische hinzu. Die Protektion leitete sich auch aus der Funktion als Mediator und – gemeinsam mit den eidge-nössischen Orten Bern und Zürich – Garant der Fundamentalgesetze der Repu-blik ab, die dem König von Frankreich im Kontext der politischen Unruhen der Jahre 1737 und 1738 in Genf zugesprochen wurde.

Kommen wir kurz auf die Hintergründe dieses Mediationsrechts zu sprechen:

den über das ganze 18. Jahrhundert virulenten Konflikt um die Gestalt des »aris-tokratisch-demokratischen« Regimes in Genf. Die politischen Gräben, die sich dabei auftaten und in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts akzentuierten, fuß-ten auf der zunehmenden sozialen und ökonomischen Differenzierung innerhalb 19 Ultima ratio of power in international relations is war. Edward H. Carr, The Twenty Years’

Crisis, 1919–1939, London 1946, 109.

20 […] certain degré d’homogénéité sociale ou culturelle. Jean Barrea, Domination et coopéra-tion internacoopéra-tionale. L’apport des théories en relacoopéra-tions internacoopéra-tionales, in: Entre puissance et coopération. Les relations diplomatiques Orient-Occident du 17e au 20e siècle, hrsg. v.

Paul Servais, Louvain-la-Neuve 2007, 15–58, 49; Wolfgang Reinhard, Was ist europäische politische Kultur? Versuch zur Begründung einer politischen Historischen Anthropolo-gie, in: Geschichte und Gesellschaft 27 (2001), 593–616.

21 […] qui ne déroge point à la souveraineté. E. de Vattel, Le droit des gens (Anm. 13), Bd. 1, I, XVI, § 192, 183.

der dank des Uhrmacher- und Goldschmiedehandwerks sowie des Bankwesens und des Handels prosperierenden Stadt. Die politische Macht teilten sich eine Minderheit privilegierter Stadtbürger (bourgeois und citoyens), die über eine Reihe von zugangsbeschränkten Räten – den Petit Conseil, den Conseil des Deux-Cents und den Conseil des Soixante – die Zügel der Regierung in den Händen behiel-ten, und eine Mehrheit von etwa 1500 Männern über fünfundzwanzig Jahren, die als Körperschaft im Conseil général zusammenfanden, der jedoch immer mehr auf die Rolle eines reinen Wahlgremiums ohne politischen Gestaltungsspielraum reduziert wurde. Nicht nur zeigte sich nun die breitere privilegierte Bürgerschaft unzufrieden mit der mangelnden Beteiligung an der Regierung des Stadtstaats, auch die übrigen, nichtprivilegierten, aber zahlreicheren Einwohner der Stadt (na-tifs) begannen politische Partizipationsrechte einzufordern. Somit verknüpfte sich die schon ältere Unzufriedenheit mit der aristokratisch-demokratischen Regie-rungsweise mit der für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts charakteristischen Krise der traditionellen Eliten in- und außerhalb Europas22. Mit der Verurteilung des Contrat social und des Émile sowie des gegen deren Verfasser Jean-Jacques Rousseau erlassenen Haftbefehls 1762 fand dieser Konflikt, der in den vorüber-gehenden Sturz der oligarchischen Regierung münden sollte, auch Eingang in die Debatten der Aufklärung, insbesondere in jene über die politische Gesellschaft, das Gesetz und die Toleranz. Als Vaterstadt Rousseaus und republikanisches Le-bendexperiment genoss Genf eine für ein »Atom von einem Staat« (atome d’État)23 ungewöhnliche Aufmerksamkeit, die auch die Erfahrung und das Verständnis von politischer Kultur einiger maßgeblicher Akteure der Französischen Revolution – so etwa von Necker, Mallet Du Pan, Mirabeau, Clavière, den Eheleuten Ro-land, Brissot und anderen – mitprägte. Unter systemischer Perspektive stellten die Genfer Unruhen aber zunächst vor allem auch das regionale Gleichgewicht auf die Probe, da die einander entgegengesetzten Faktionen auf die Vermittlung der angrenzenden Staaten, darunter Frankreichs, zurückgriffen. Die Frage nach den Modalitäten der Interaktion zwischen Schwachem und Starkem erscheint dabei noch akzentuiert24.

Bevor sie als politisches Instrument in Erscheinung trat, das in asymmetri-schen Außenbeziehungen als strategische Ressource instrumentalisiert werden konnte, war Mediation eine juristische Kategorie, deren Charakteristika durch das 22 Franco Venturi, Pagine repubblicane, Torino 2004, 111–128.

23 Simon Nicolas Henri Linguet, Annales politiques, civiles et littéraires du dix-huitième siècle, Bd. 4, London 1778, 172; Jean-Daniel Candaux, Mouvements d’opinion et dé-rapage d’information: la révolution genevoise de 1782 dans la presse européenne, in:

Nouvelles, gazettes, mémoires secrets (1775–1800), hrsg. v. Birgitta Berglund-Nilsson, Karlstad 2000, 59–70; Canon J. Bénétruy, L’atelier de Mirabeau. Quatre proscrits gene-vois dans la tourmente révolutionnaire, Genève 1962.

24 Jérôme Sautier, La Médiation de 1737–1738. Contribution à l’histoire des institutions politiques de Genève, 2 Bde., thèse pour le doctorat d’État, Paris II 1979.

Völkerrecht präzise beschrieben wurden25. Während sie in der beginnenden Frü-hen Neuzeit zunächst noch eng mit den religiös konnotierten Kernfunktionen des Botschafters als Friedensbote verkoppelt war, wurde Mediation in der Folge als eine Möglichkeit der Befriedung bewaffneter Konflikte, ganz besonders von Bür-gerkriegen, definiert26. Mediation ging nun nicht mehr von der reinen Weitergabe von Mitteilungen aus, sondern beruht auf guten Diensten, gütlicher Einigung und Gleichgewicht. Unter diesen Voraussetzungen musste der Mediator, der von der einen oder der anderen Seite eingeschaltet werden konnte, nach Christian Wolff Äquidistanz zu den Konfliktparteien wahren, »damit der Geist der Parteilichkeit verschwinde und zugleich ein jeder parteiische und unfähige Mediator«27. Zu die-ser zeitgenössischen Idealvorstellung muss jedoch hinzugefügt werden, dass die vermittelnde politische Macht, die mit mehr oder weniger großer Konsequenz zu beiden Parteien Abstand wahrt, nichtsdestotrotz die Umsetzung eigener Interes-sen als Entlohnung für die guten Dienste anstrebt28. Obwohl Mediation der offe-nen Einmischung im Prinzip entgegensteht, konnten die vermittelnden Mächte zudem im Falle des Nichtzustandekommens einer Schlichtung und beim Fehlen weitergehender vertraglicher Bindungen gemäß Vattel »der Partei beistehen, die ihnen das gute Recht auf ihrer Seite zu haben erscheint, für den Fall, dass diese Partei um ihre Unterstützung bittet oder diese akzeptiert«29.

Die Vermittlungsfunktion des französischen Königs lehnte sich außerdem an den Anspruch auf europäische Schiedsgerichtsbarkeit an, der sich zunächst gegen die Habsburger, anschließend gegen England richtete30. Die Mediation gestattete es damit, die Schiedsrichterfunktion des Königs, die bewaffnet oder als diplomati-sche Schlichtung den Bestand des internationalen Völkerrechts garantieren sollte, zu legitimieren. Nach dem Niederländischen Krieg erschien der erste Resident Frankreichs in Genf vor dem Petit Conseil im Namen Ludwigs XIV. als »des sou-veränen Schiedsrichters über Frieden und Krieg«31. Und 1774 äußerte der Graf

25 Paul Foriers, L’organisation de la paix chez Grotius, Paris 1987, 340 ff.

26 Daniel Ménager, Diplomatie et théologie à la Renaissance, Paris 2001.

27 [L’] esprit de parti doit en être entièrement banni, et tout médiateur partial est inhabile à cet office. Christian Wolff, Principes du droit de la nature et des gens, Amsterdam 1758, IV,

§ CXII, 154.

28 F. R. Pfetsch, Power in International Negotiations (Anm. 2), 52.

29 […] assister le parti qui leur paraîtra avoir le bon droit de son côté, au cas que ce parti implore leur assistance, ou l’accepte. E. de Vattel, Le droit des gens (Anm. 13), Bd. 2, III, XVIII,

§ 296, 248.

30 Zur Unterscheidung zwischen Mediation und Schiedsgericht vgl. Samuel von Pufendorf, Le droit de la nature et des gens, ou système général des principes les plus importants de la morale, de la jurisprudence et de la politique, 2 Bde., Basel 1732, Bd. 2, 145, § VII.

31 MAE, CP Genève, Bd. 4, fol. 24, Harangue de Monsieur de Chauvigny au Conseil de Genève, zusammen mit einem Brief von Chauvigny an Pomponne, Genève, 30.10.1679:

arbitre souverain de la paix et de la guerre.

von Vergennes selbstbewusst, dass Ludwig XVI. »seinen Thron, einem höchsten Richter gleich, als ein von der Vorsehung berufenes Tribunal betrachten kann, um dafür zu sorgen, dass dem Recht und dem Besitz der Souveräne Geltung verschafft wird«32. Zwischen der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und dem Ende des Ancien Regimes verwies die Figur des Königs als Mediator damit auf beide von Hugo Grotius hervorgehobenen Dimensionen der Schiedsgerichtsbarkeit, wo-nach »man auf beide Arten einen Schiedsrichter nehmen kann, entweder bloß als Versöhner […] oder so, dass dessen Entscheidung unbedingt zu befolgen ist«33.

Ganz gleich, ob man nun von Mediation, Arbitrium, Befriedung oder Pro-tektion sprechen möchte: Faktisch oszillierte die französische Vermittlung im Rahmen von Beziehungen, die nicht nur asymmetrisch, sondern auch multilateral waren, zwischen Zusammenarbeit und Zwang. Sie schloss auch die Eidgenossen-schaft, insbesondere die verburgrechteten protestantischen Orte Bern und Zürich, mit ein. Dies war etwa im Zusammenhang mit den schier endlosen Verhandlungen um die Erneuerung der französisch-eidgenössischen Allianz von 1663 der Fall, die nach ihrem vorläufigen Scheitern 1723 erst 1777 zu einem Abschluss gebracht wurden34. Vor diesem Hintergrund hat die gemeinsame Mediation Ludwigs XV.

und der Schweizer in Genf zunächst Bedeutung für die Politik Frankreichs ge-genüber der Eidgenossenschaft. Hier ging es darum, sich als arbiter zwischen den protestantischen und den katholischen Kantonen in Stellung zu bringen. Damit konnte Einfluss gewonnen werden in einem geostrategisch wichtigen Raum nahe der eigenen Grenzen, der zugleich als Drehscheibe zwischen dem Heiligen

und der Schweizer in Genf zunächst Bedeutung für die Politik Frankreichs ge-genüber der Eidgenossenschaft. Hier ging es darum, sich als arbiter zwischen den protestantischen und den katholischen Kantonen in Stellung zu bringen. Damit konnte Einfluss gewonnen werden in einem geostrategisch wichtigen Raum nahe der eigenen Grenzen, der zugleich als Drehscheibe zwischen dem Heiligen

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