Migrationshintergrund an deutschen Gerichten
3.2 Salient werden des Migrationshintergrundes: Die
Kernkategorie der gegenstandsbegründeten Theorie zu Richterinnen und Richtern mit Migrationshintergrund an deutschen Gerichten
Wie bereits im Methodenteil erläutert, geht es beim Selektiven Ko-dieren im Rahmen der GTM-Datenauswertung um den Prozess des Auswählens einer Kernkategorie und um das systematische
Ȭ£Ȭĵȱȱȱȱȱǰȱȱ in der Datenauswertung emergierten Kategorien. Nach Strauss ǻŗşşŗǰȱǯȱŜŝǼȱȱȱȱȱȱȱǰȱ ȱ sie zentral sei, d. h. wenn sie einen Bezug hat zu möglichst vielen
ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ûȱ ȱ £ȱ ĵȱ
ȱ£ȱȱȱȱȱ ȱȱ§ęȱȱ-material vorkomme. Zudem entwickele sich die Theorie merklich weiter, sobald die Details dieser zentralen Kategorie analytisch ausgearbeitet seien. Gemäß des GTM-Forschungsstiles stellte ich mir als Forscher während des iterativ-zyklischen Prozesses der Datenauswertung die Frage, was denn mein Zentralkonzept für meine gegenstandsbegründete Theorie sein könnte, d. h. welche Kategorie könnte sich als Kernkategorie eignen, auf die sich die anderen Kategorien beziehen lassen?
Im Folgenden möchte ich darstellen, wie sich die Elaborie-rung der Kernkategorie meiner gegenstandsbegründeten Theorie
£ȱȏȱȱȱȱȱȱ-schungsprozesses entwickelte und warum ich mich für die
Kate-gorie Salient werden des Migrationshintergrundes als KernkateKate-gorie meiner Theorie entschied.
Wie bereits im Methodenteil beschrieben, gestaltete ich mein erstes Gespräch hinsichtlich der Forschungsfokussierung noch
ȱ ěǯȱ ȱ ȱ ȱ §ȱ ȱ £ȱ £§ǰȱ wie es dazu kam, dass er Richter wurde. Im Verlauf des Gesprä-ches und während der anschließenden Datenauswertung, spürte
ȱȱǰȱȱȱȱȱȱȱĚȱ
ȱȱȱȱęǰȱȱȱȱ£ȱȱ Migrationshintergrund in der Wahrnehmung des Richters
rele- ȱ ǯȱȱĚ¡ȱȱȱȱȱȱ-nehmern des Forschungskolloquiums entschied ich mich deshalb dazu, ab dem zweiten Gespräch direkt stärker darauf zu
fokussie-
ǰȱ ȱȱȱȱȱĚȱ- ȱȱȏȱǯȱȱȱĚ¡ȱȱȱ-schungsprozesses stelle ich fest, dass ich durch dieses Gesprächs-verhalten und mein Forschungsinteresse als Forscher aktiv dazu
ȱǰȱȱȱȏȱȱǰȱ in denen ihr Migrationshintergrund relevant wird. Ich möchte mit
ȱ §ȱ Ě¡ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ -scher die Richtung der Modellierung und auch die Elaborierung der Kernkategorie bereits durch mein Gesprächsverhalten ange-stoßen habe.
Die meisten Gesprächspartner meiner Studie betonten, dass sie im überwiegenden Teil ihres Richteralltags nicht wahrneh-men, dass ihr Migrationshintergrund eine Rolle spiele. Angesto-ßen durch meine Fragen, berichteten aber alle Gesprächspartner, dass es durchaus Situationen gibt, in denen sie wahrnehmen, dass
ȱ£ȱȱȱȱȱȱȏȱȱȱ wird. Durch diese Analysen stellte ich zunehmend dieses bedeut-sam werden des Migrationshintergrundesȱ ȱ ȏȱ ȱ ȱ Zentrum meiner Modellüberlegungen. Ich spürte, dass es für mei-ne Theorie spanmei-nend sein könnte zu analysieren, was denn dazu
ûǰȱȱȱȱȱȏȱ-ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȏȱ ȱ ǯȱ ȱ dieser Überlegungen wurde früh im Forschungsverlauf deutlich,
dass hier ein Zentralkonzept emergieren könnte, auf das sich an-dere Kategorien gut beziehen lassen.
Parallel zur Datenauswertung erhöhte sich bei mir als
For-ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ §ȱ für den Untersuchungsgegenstand. So lernte ich, wie ich bereits im Theorieteil beschrieben haben, die sozialkonstruktivistische Forschungsperspektive auf den Untersuchungsgegenstand
Mi-
ȏȱǯȱȱȱ£ȱ-ȱ ȱ ě£ȱ ȱ £ȱ ȱ
ě£ȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ
-ȏȱȱȱȱȱȱ auf Interaktion, in denen der Migrationshintergrund als Merkmal in den Vordergrund gerückt wird. Zudem wurde ich bezüglich
ȱ £ȱ ȱ ȱ ȱ Ě¡ȱ mit meiner Zweitbetreuerin bekräftigt. So bestätigte sie mir auf-grund ihrer eigenen Erfahrungen als Migrantin, dem Austausch
ȱȱȏȱȱȱȱǰȱ ȱ zentral Zuschreibungsprozesse seien, wenn man sich
Interaktio-ȱ£ ȱȏȱȱȱȱȱ Migrationshintergrund betrachte. Ich als Forscher stellte auf jeden Fall fest, dass diese sozialkonstruktivistische Forschungsperspek-tive fruchtbar für die Auswertung meiner Daten ist und dieser Fo-kus zeigte sich auch bei der Elaborierung meiner Kernkategorie im Verlauf der Datenauswertung als hilfreich.
In meinen ersten Modellierungsversuchen stellte ich die Kate-gorien-Kandidaten Konstruktion von Bedeutung für den Migrationshin-tergrund der Richter bzw. Ěȱȱ-grundes ȱ ȱ Ĵȱ ȱ tǯȱ ȱ ȱ ȱ zeigte sich, dass mit dem Migrationshintergrund sozusagen die
£ȱ ûȱ ȱ ȏȱ ȱ £ęȱ ȱ -matisiert wird und dass diese Hülle durch Zuschreibungen der Umwelt mit bestimmten Bedeutungen versehen wird. Diese Be-deutungszuschreibungen wurde als mögliche Eigenschaften der Kategorie angedacht und umfassten Bedeutungen wie Interkul-turelle Kompetenz, Exot und Vorbildmigrant. Durch das Füh-ren weiterer Gespräche und der Erhöhung meiner theoretischen
Sensibilität, u. a. durch das Kennenlernen des Stigma-Konzepts
ȱ ěǰȱȱȱȱȱȱǰȱȱȱ
Ěȱûȱȱȱȱ-ȏȱ ȱ ȱ ȱ ûȱ ȱ stehen könnten.
Wie ich im Methodenteil bereits beschrieben habe, zeigte sich
ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ǭȱ ȱ ǻŗşşŜǼȱȱ£ȱȱǰȱȱȱȱȱȱȱ analysieren konnte, welche Bedingungen dazu führen, dass der
ȱ ȱ ȏȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȏȱ ȱ ǯȱ ȱ ȱ ȱ -auswertung bekräftigte mich nochmal darin, dass es sich bei dem noch vagen Kategorien-Kandidaten Ěȱȱ-grationshintergrundes um einen Kandidaten für eine Kernkategorie handeln könnte, da sich die bisher bereits emergierten anderen Kategorien gut darauf beziehen lassen. Im weiteren Verlauf kam es zu einer weiteren sprachlichen Elaborierung der Kategorie, die ich im Folgenden darstellen möchte.
So bezeichnete ich die Kategorie im weiteren Verlauf mit Ak-tivierung des Migranten unter der Richterrobe. Dies sollte auf die
£ęȱȱȱ£ǯȱȱȱȱȱt-ǰȱ ȱ ȱ ȏȱ ûȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ uniformiert und damit entpersonalisiert werden und dass durch bestimmte Interaktionen sozusagen der Migrant, als Besonderheit und als Teil der Privatperson, unter dieser Richteruniform zum Vorschein kommt. Diese Bezeichnung wurde aber wieder verwor-fen, da die Datenauswertung zeigte, dass der Migrationshinter-grund auch in Interaktionen bedeutsam wird, in denen die Rich-terrobe nicht präsent ist. Im weiteren Verlauf wurde die Kategorie bezeichnet als ȱȱȱĴȱȱȱ-grund. Dieser Kategorienname war auch als charmantes Wortspiel gedacht, indem es sprachlich den Migrationshintergrund buch-stäblich in den Vordergrund rückt, wenn in Interaktionen das
sozi-ȱȱȱȏȱȱ ǯ
ȱĚ¡ȱȱȱȱȱȱ Betreuern entschied ich mich schließlich für die Bezeichnung
Sa-lient werden des Migrationshintergrundes der Richter_innen als
Kern-ȱ ȱ ûȱ ǯȱ ȱ ěȱ Salienz ȱûȱȱȱȱ ȱěǯȱȱȱ
ȱǰȱȱȱęȱȱěȱȱ£ȱȱ Bedeutung der Kernkategorie passen. Nach dem Duden bedeutet
SalienzȱǮȱǰȱȱȱ£Dzȱě§-ȱȱǰȱȱȱȱȃǰȱȱȱȱ
¡ȱȱ¢ȱ ȱSalienzȱǯȱǯȱȱǮǰȱȱ
ǰȱ£ǯȱǯȱȱȱȱȱȃ ęǯȱȱ
ȱęȱȱȱěȱ£ȱȱ£ȱ-rie der vorgelegten Untersuchung, da es um Interaktion und Si-tuationen geht, in denen das soziale Merkmal
Migrationshinter-ȱȱȏȱě§ǰȱȱ ǰȱĴȱȱ damit eben salient wird.
Die verschiedenen Bedeutungen, die dem sozialen Merkmal Migrationshintergrund zugeschrieben werden, modellierte ich als Eigenschaften der Kernkategorie Salient werden des Migrationshin-tergrundes der Richter_innen. In dem ich diese Details meiner Kern-kategorie zunehmend feiner ausarbeitete, entwickelte sich auch meine Theorie merklich weiter, was nach Strauss (1991) für eine gute Kernkategorie spricht. Die verschiedenen möglichen Bedeu-tungszuschreibungen für den salient gewordenen Migrationshin-tergrund werde ich bei den nun folgenden Darstellungen zur Welt der Rechtsunterworfenen und zur Welt der Kolleg_innen detailliert beschreiben.