Migrationshintergrund an deutschen Gerichten
3.3 Richter_innen mit Migrationshintergrund und die Welt der Rechtsunterworfenen
3.3.3 Salient werden des Migrationshintergrundes der Richter_innen
Wie bereits in Kapitel 3.2 erläutert, ist das Salient werden des Migra-tionshintergrundes der Richter_innen das zentrale Geschehnis, die Kernkategorie der vorgelegten, gegenstandsbegründeten Theorie.
Das Salient werden des Migrationshintergrundes eignete sich auch
deshalb als Kernkategorie, da sich diese Kategorie gut in
Verbin- ȱĵȱ§ȱ£ȱȱǰȱȱȱ ǰȱ-gierten Kategorien. So habe ich in den vorangegangenen Kapiteln dargelegt, welche Bedingungen dazu führen, dass der
Migrations-
ȱȱȏȱȱ ǯȱȱȱȱ- ȱ ȱȱ§ǰȱ ȱȱȏȱȱȱ-enz umgehen.
Wie bereits erläutert, leitete mich bei der Modellierung meiner Daten und der Entwicklung der Kernkategorie meiner gegenstands-begründeten Theorie eine sozialkonstruktivistische Perspektive.
Dieser folgend, analysierte ich, welche
Bedeutungszuschreibun-ȱ ûȱ ȱ ȱ ȱ ȏȱ ȱ ȱ -teraktionen mit migrantischen Rechtsunterworfenen konstruiert ȱǻȱȱŚǼǯȱ
ǯȱŚDZȱ ȱ £ûȱ ȱ
- ȱȱȏȱȱȱȱȱ-unterworfenen
Hierbei ist wichtig zu betonen, dass diese Bedeutungskonstruk-tionen von den Rechtsunterworfenen, also von außen durch die
£ȱ ǰȱȱȱȱȱȏȱȱ§ȱ ǯȱȱȱȏȱȱȱȱ-konstruktionen für ihren Migrationshintergrund als innerliche
£ȱȱ ȱȱȱȱȱȏȱȱ
ȱ¢ȱȱ §ȱȱȱȱȱěȱ-tisiert.
3.3.3.1 Die Richter_innen als Migrantenverbündete
Eine Bedeutung, die von migrantischen Rechtsunterworfenen
be-
£ûȱȱȱȱȏȱ-ȱ ǰȱǰȱȱȱȱȏȱȱȱ
-ȱ ȱ ȏȱ ȱ ȱ ȱ ûǯȱ ȱ
ȱ ãȱ ȱ ȏȱ £ȱ ǰȱ ȱ ȱ
ȱǰȱȱȏǰȱȱȱȱȱ£ȱȱ Migrationshintergrund teilen, sich über das Richteramt hinaus,
ȱȱȱȱ ȱȱȏ fühlen. Mit dieser Bedeutungszuschreibung sind spezifische Erwartungen an die
ȏȱûǰȱ£ǯȱǯȱȱȱȱȱ-£ȱȱĚȱȱȱęȱȱãǯ
Ǯǰȱȱȱ§ęȱȱȱǰȱȱȱ§ȱǰȱȱȱ das Gefühl habe, dass sie da so ein bisschen mehr Solidarität erwarten und uns beide halt so als eine Einheit sehen. Wenn sie Schwierigkeiten mit den Behörden haben, dass sie sagen, „ja, Sie verstehen das doch, die Deutschen, die machen uns das Leben schwer“, so dann auch erwarten, dass ich mich mit ihnen solidarisiere.“ (4.1.35-40)
Diese Bedeutungskonstruktion für den Migrationshintergrund der
ȏȱȱȱȱ£ȱ ȱ£ǯȱǯȱ §-ȱ ȱ §ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ §Ĵȱ verdeutlicht:
„Weil im Vorfeld dann hat der Verteidiger so kommuniziert, „die Richterin kommt aus Russland, Sie kommen ja auch aus Russland, dann können Sie vielleicht so ein bisschen Milde erwarten“. Und nachher sagt dann der
Ver-ȱ£ȱǰȱǮȱȱ ȱȱȱȱĴ§ǰȱȱȱȱ
ĵȱȱ §ǰȱȱȱȱ §ȱ-ȱĴǯȃȱǻŚǯŗǯŗşȬŘŚǼ
ȱ ȱ ȏȱ ȱMigrantenverbündete, diese
ȱ ȱȱȱȏȱȱ-ǯȱȱȱȱȏȱ ȱȱȱ
ȱ ȱ ȱ ȏȱ ȱ ¢ȱ ûȱ gesehen, dass sie über das Richteramt hinaus mit der Gruppe der
ȏȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ bedeutend für das richterliche Handeln sei.
„(...) man weiß ja vorher auch, von während der Schulzeit schon immer, dass sie dann gesagt haben, ah ich kann bei Gericht eh sagen, was ich will,
ȱȱȱȱȱĴǰȱȱȱȱ ȱ keiner bei Gericht. Dass sie vielleicht dieses Misstrauen bei einem Richter mit Migrationshintergrund nicht ohne Weiteres haben.“ (1.28.18-22)
ȱ ȱ ȏȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ ĵȱ ȱ
ȱ£ȱȏȱȱȱȱĚȱȱ Urteile gehe, wie es teilweise von Prozessbeteiligten erwartet wird.
Ihr Migrationshintergrund könne vielmehr die Basis bieten, dass es in Verfahren gegenüber migrantischen Prozessbeteiligten nur
ȱȱȱ ĵȱȱȱǯȱȏ können und sollen vor Gericht nach dieser Perspektive nicht per se aufgrund ihres Migrantenstatus davon ausgehen, dass sie benachteiligt werden, da sie ja von einem Migranten als ȏȱ -teilt werden.
„Und was dann vielleicht auch das Gefühl, man ist da nicht ein bloßes
ȱȱǰȱ ȱȱ§ȱȱȱȱȱȱ die diese Benachteiligungsidee haben, sondern man ist ernstgenommenes Subjekt dieses Verfahrens.“ (6.9.34-37)
Wie zuvor bereits angedeutet, geschieht diese
Bedeutungskon-
ǰȱȱȱȱȏȱȱ§ȱ ǰȱȱ-ȱ £ȱ ȱ ȱ ȏǰȱ ǯȱ ǯȱ ȱ ȱ
ȏȱ ȱ ȱ ȱ ȱ
ȏ-ȱ ȱ ěȱ ȱ ȏ-ȱ ȱ ȱ -worfenen. Nach Analyse der vorliegenden Daten entscheiden die
ȏȱȱȱ§ȱȱãȱǰȱ
ȱȱȱȱȱȏȱěȱȱȱ-ȱ ǯȱ ȱ ěȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ
ȱ ȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ ein, wie ich im Verlauf noch genauer erläutern werde.
3.3.3.2 Die Richter_innen als Migrantenversteher
Eine weitere Bedeutungskonstruktion für den
Migrationshinter-
ȱȱȏȱǰȱȱȱ£ȱȱȱ-ȏȱ£ȱMigrantenversteher mache. Zunächst ist dies natürlich nicht nur eine Bedeutungskonstruktion, sondern aufgrund der
£ȱȱȱȏȱȱ-ǰȱ ȱ ȱ ȏȱ §ȱ ȱ ȱ ȱ
ȏȱȱǯ
Ǯȱȱȱǰȱȱ£ȱȱĵǯȱȱȱȱȱ-teien hat, die vielleicht auch die Sprache sprechen, die ich spreche, als Mut-tersprache, dass man dann auch ein bisschen mitkriegt, was da vielleicht hinter den Kulissen passiert. Was man als vielleicht nur rein
deutschspre-ȱȱȱ§ĴǯȃȱǻŝǯŗǯŗŘȬŗŜǼǯ
Im weiter gefassten Sinne, wird dem Migrationshintergrund
zu-§ĵȱ ȱ ȱ £ǰȱ ȱ ȱ Ȭ
ȏȱ ȏȱ §ĵȱ ȱ ȱ ãȱ
ȱȏȱȱǯȱȱȱ-teilten sozialen Merkmals, wird davon ausgegangen, dass
Rich-ȏȱ ȱ ȱ ȱ ȱ ȱ
ȏ- ȱȱȱ ȱȱȱûȱãǯȱ-se Bedeutungskonstruktion des Migrantenverstehers wird auch
ȱȱȱȏȱȱǯ
Ǯȱȱǰȱ đȱǰȱ ȱȱǯȱȱȱȱĚȱ ihre Ursache haben, die hier rechtlich ausgetragen werden. Weil nicht jeder
Ěȱ ȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ Ěȱ ûȱ ȱ ȱ ǻdzǼȱ ȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ ȱ §ǰȱ ȱ £ȱ ȱ auch Familienangehörige über Dinge miteinander streiten schon weiß wie die ticken. Wie das Familiengefüge ist und vielleicht an welcher Stelle die
ĚȱȱǯȃȱǻŜǯŗřǯŗŝȬŘŝǼ
Über das Teilen des gemeinsamen sozialen Merkmals, gehen die migrantischen ȏȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȱ Rechtsunterworfene über die Sprache hinaus besser verstehen
ȱ §ĵȱ ãȱ ȱ ȏȱ ȱ -tergrund.
„Und ich denke da hat man schon, glaube ich ein anderes Verständnis auch dafür, warum bestimmte Sachen, in einer Art und Weise gemacht werden
ȱȱ ȱȱȱ ǰȱȱȱȱĵȱȱȱ
ȱȱȱȱȱȱȱ§ĴǯȃȱǻŝǯŗǯŗşȬŘřǼ
ȱȱ£ǰȱȱȱȱȱȱȏ-nen über die Sprache hinaus teilweise schwierig zu konkretisieren ist.
„Und man hat eine Partei dabei, und die sind beide aus dem gleichen
Kul-ǰȱȱȱȱȱǰȱȱȱȱǰȱ ȱȱĵȱ Brüder sind vielleicht so ein bisschen zwischen den Zeilen lesen kann. Ich
ȱĵȱȱȱȱȱȱ ȱȱǯȃȱǻŝǯřǯřŜȬřşǼ
ȱǰȱȱȱȱȱȱȏȱ zunächst mal eine Bedeutungskonstruktion ist. Wie bei der Be-deutungskonstruktion Migrantenverbündeter betonen die
migran-ȱ ȏȱ ȱ ȱ ȱ ǰȱ ȱ ȱ
ȱȱȱȏȱȱ£ §ęȱ-gen für ihr richterliches Denken und Handeln habe.
„Und da kann es meiner Meinung nach schon eine gute Hintergrundinfor-mation sein, für einen selber, wenn man weiß, wie die Leute ticken. Einfach
ȱ ǯȱ ǻdzǼǯȱ ȱ ȱ ĵȱ ȱ ȱ ȱ £ȱ -gern.“ (7.4.25-31)
ȱ ǰȱ ȱ ȱ ȏȱ £ ȱ ȱ die Bedeutung konstruieren können, dass sie aufgrund ihres
ei-ȱ ȱ ȏȱ ȱ ȱ
ãǯȱȱȱȏȱȱȱȱ hier situativ und abhängig von persönlichen Haltungen, ob das
ȱȱȏȱȱȱȱȱ ûĵȱ ǯ
3.3.3.3 Die Richter_innen als Migrantenautorität
Eine weitere Bedeutungskonstruktion für den
Migrationshinter- ȱȱȏȱǰȱȱȱȱȏȱ£ȱ-ner besonderen Autoritätsperson für migrantische Rechtsunter-worfene mache.
„Genau und vor allen Dingen auch was der Kollege seinerzeit so im Inter-view gesagt hat, die Aussagen, kann ich grad wiedergeben und die teile ich auch. Zum Beispiel hat er gesagt, die Akzeptanz bei Menschen mit
Migrati-ǰȱ ȱȱȱȱȱȱȱĵǰȱȱȱãǰȱ ȱȱǰȱȱȱĵȱȱǰȱȱȱȱȱû§ȱ Namen.“ (1.24.25-29)
Die Bedeutungskonstruktion als Migrantenautorität wird auf der
ȱȱȱȱȱȱȏȱȱ-nommen.
„Aber man hat natürlich zum Beispiel in der Zivilverhandlung, wenn man dann mit denen spricht, hat ich ja auch schon, bei so einem Migrations-hintergrund gegeneinander, dass die einen dann schon eher zuhören und wenn man denen dann einen Vorschlag macht, dass man sagt, hier überlege doch mal, dass die dann darauf eher eingehen, denke ich mal, als wenn das jemand denen sagt, der keinen Migrationshintergrund hat. Da merke ich so die Akzeptanz.“ (1.28.6-11)
Die vorliegenden Daten liefern kein empirisches Material dafür, dass migrantische Rechtsunterworfene in Interaktionen mit den
ȱȏȱǰȱȱȱȏ-nen mit Migrationshintergrund als besondere Autoritätspersoȱȏȱǰȱȱȱȏ-nen wahrnehmen. Dies müssen zukünftige Studien näher untersu-chen, in denen z. B. auch die migrantischen Rechtsunterworfenen selbst befragt werden.