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sam als Sühne für seine lärmende Freude im Trauerhause, für seine

*) Griech. Tragödien, übersetzt von Ulrich v. Wilamowitz-Moellendorf.

3. Bd. Berlin 1906. S. 86, 87.

*) G. Ellinger, a. a. O. S. 5.

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laute, sorglose Fröhlichkeit, mit der er den Freund wohl verletzt hat.

Anders bei Wieland. Sein Herkules bringt dem Freunde die Gattin wieder, weil das ein unerhött kühnes Wagnis ist, well es chn drängt, Großes, Herrliches zu vollbringen und seine Kraft im Kampfe für das Edle und Gute zu erproben. Wieland begründet seine Abweichung von Euripides einmal damit, daß er sagt, die Tugend der Gast­

freundschaft sei in unserer modernen Gesellschaft nicht mehr von so ttefgreifender Bedeutung wie in der Antike; er könne also nicht mit demselben Rechte wie Euripides diese Tugend als tteibendes Mottv der Handlung verwerten. Dieser Grund ist stichhalttg. Aber er war für ihn nicht der eigentlich maßgebende. Er wollte vielmehr auf keinen Fall die Trinkszene von Euripides herübernehmen, die er aufs schärfste krittsiett. Wie konnte Herkules, so sagt er, überhaupt glauben, es handle sich um den Tod einer Hausgenossin? Ganz Thessalien wußte ja von demOpferwotte der Alceste. Er mußte also zunächst an ihren Tod denken. Und diese Leichtgläubigkeit des Herkules ist in der Tat eine Schwäche in dem Stücke des Euripides. Aber dieser brauchte eben die Trinkszene als komisches Element. Er wollte und mußte seine Zuschauer, da er die Alceste an Stelle des üblichen Satyrdramas gab, einigermaßen für dessen lustige Späße entschädigen. Das wußte Wieland natürlich nicht und zieht die Szene ganz ins Lächerliche:

„Herkules kränzt sich mit Mytthen, gießt Sttöme Weins die Gurgel hinab und macht den Palast von Trinkliedern wiederhallen. Der ungezogene Herkules! Sogar die Bedienten ärgern sich über seine Aufführung. Einer von ihnen, der sich nicht länger halten kann, entdeckt ihm die wahre Beschaffenheit der Sache. Nun jammett Herkules, reißt sich die Myrthenkränze vom Kopfe, läßt sich den Weg zu Alcestens Grabe zeigen und läuft, was er laufen kann, um sie wo- möglich dem Tode noch abzujagen." — „Gestehen wir's, der Sohn Jupiters inacht bei diesem allem eine sehr mittelmäßige Figur. Aber zum Ersatz hat Admet eine herrliche Probe abgelegt, wie heilig ihm die Rechte der Gastfreyheit sind. Vermuthlich war dieses genug, um die Griechen zuftieden zu stellen. Nach unserer Sitte würde ein solcher Herkules verächtlich und die Gastfteyheit Admets keine so wichttge Tugend seyn, um den Dichter wegen einer solchen

An-ordnung zu rechtfertigen." B. Seuffert ist der Ansicht1), daß die Abweichung Wielands vom Plane des Euripides hier eine berechtigte war. Auch ihm erscheint die Gelagszene für unser modernes Emp­

finden anstößig. Auch Voltaire hat für diese Szene nut Worte des Tadels. Wie derb Goethe in seiner Farce das burschikose Auftreten des Herkules verspottet hat, ist bekannt. Jedoch die burschikose Her­

kulesgestalt des Euripides war historisch berechtigt. Im sechsten Jahr­

hundert waren in Athen, Korinth und Megma die Kaufleute, Schiffer, Handwerker und Großbauern obenauf gekommen; sie verdrängten den Adel, der andere für sich arbeiten ließ. Mit dieser sozialen Um­

gestaltung wurden ganz von selbst auch neue Lebensformen und neue Ideale geschaffen, und diese Umgestaltung erstreckte sich bis auf die Gestalten der Heldensage. So wurde auch der Heros, der bis jetzt die Jdealgestalt des dorischen Adels gewesen war, Herkules, umgeformt. Er erscheint jetzt plump, derb und bäurisch *). Dieser historische Gesichtspunkt und die Absicht, eine komische Wirkung zu erzielen, machen uns den Herkules des Euripides verständlich und bewahren uns vor einem einseitigen schiefen Urteil im Sinne Wie­

lands. Ganz einzig steht die Auffassung Cllingers da. Das Auftreten des Herkules scheint ihm nicht den geringsten Tadel zu verdienen.

Er bewundert vielmehr die großartige Kunst Euripideischer Cha­

rakteristik, die uns den zechenden Herkules zeigt, bis zum Augen- blicke, wo er sich zu der großen Tat entschließt. Es ist chm unbe­

greiflich, wie man dieses herrliche Kunstwerk mit so falschem, modernem Maßstabe messen kann'). Demgegenüber ist zu sagen — und damit möchte ich meine Ausführungen über die Herkulesszene schließen —, daß wir mit Ellinger die Herkulesgestalt des Euripides als Kunst­

werk genießen und ihr gerecht werden können. Daß aber Wieland in seinem Stücke von dem griechischen Vorbilde abwich, war not­

wendig; er mußte dieses Zugeständnis an unser modernes Empfinden machen. Denn es würde mindestens ein starkes Gefühl des

Unbe-l) Ztschr. f. deutsches Mtert. 91. F. 14. Der junge Goethe u. Wieland.

S. 273.

*) Wilamowitz, a. a. O. III, 76.

*) a. o. O. S. 38.

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Hägens in uns auslösen, das fröhliche Zechgelage zu sehen, mit dem Bewußtsein: in diesem Hause liegt eine Tote, und diese Tote ist die Frau des Hauses. Mer die Art, wie Meland hier von Euripides spricht, beweist deutlich seine falsche Auffassung der Antike und noch deutlicher seine Selbstgefälligkeit gegenüber dem griechischen Dichter.

Eine weitere Mweichung von dem Plane desselben liegt in der Art der Mederbringung der Alceste. „Sie allein hat mir mehr Mühe gemacht, als die vier ersten Slkte zusammengenommen", sagt Wieland darüber. Er tadelt den „ewiglangen abgeschmackten Dialog" zwischen Herkules und Mmet, worin jener seinem Freunde zumutet, die verschleierte Alceste, die er für eine im Wettkampfe gewonnene Sklavin ausgibt, bis zu seiner Rückkehr aus Thrakien in Verwahrung zu nehmen, und tadelt noch viel mehr die lockeren Scherze, die sich an diese Zumutung anschließen: „Ein moderner Dichter würde mit einem Mmet, der aus diesem Tone spräche, kein grosses Glück machen, und es war freylich nicht schwer zu finden, daß es besser sey ihn gar nichts sagen zu lassen, als solche Plattheiten." Auch bei Wieland führt der Erretter eine kleine Komödie auf; auch hier soll Mmet, der die verschleierte Alceste nicht sofort erkennt, anscheinend zu einer neuen Liebe überredet werden. Dieser, „anstatt plattes Zeug zu reden wie der griechische", gerät in Unwillen und verläßt seinen Freund. Und dieses gerade erschien Wieland für seine Technik sehr brauchbar. So wird die Szene des Medersehens zwischen Mceste und Patthenia möglich, und während Parthenia den Mmet zurück­

ruft, hat Alceste Gelegenheü zu einem Monologe, „ohne welchen dem ganzen Stücke eine wesentliche Schönheit gefehlt hätte. — Ich möchte lieber meine ganze Alceste vermissen, als diese Scene aufopfern."

Meland hält diese Szene für unbedingt notwendig, um uns in der Überzeugung zu befestigen, daß Alceste wirllich gestorben war. Zwar ist er sich wohl bewußt, daß diese Komödie nicht gut zur Heldengröße seines Herkules paßt; aber das stört ihn nicht. Auf den Charatter des Herkules kommt es ihm gar nicht in erster Linie an, weil dieser eine Nebenfigur ist. „Alceste und Admet, Alcestens Zärtlichkeit und Admets Treue, dies sind die Hauptfiguren, und beyde gewinnen sehr viel durch seine Verdunllung. Sollte dies nicht allein schon

hin-länglich seyn den Dichter zu rechtfertigen?" Aber Wieland findet noch einen psychologischen Grund. Herkules hatte seinen Freund in einem Zustande völliger Apathie verlassen. Wie hätte er die Szene des Wiedersehens ertragen können? Die Zumutung des Herkules, seine Liebe einer anderen Frau zuzuwenden, mußte ihn erst wieder aufwecken aus seinem Zustande gänzücher Teilnahms­

losigkeit und ihn so befähigen, einen so starken neuen Eindruck auf­

zunehmen und zu ertragen. Wieland ist also überzeugt, daß er in diesem Punkte den Euripides weit übertrifft. „Was ich mir itzt bei dieser Scene vorzuwerfen habe, betrifft bloß den Detail derselben.

Herkules schwatzt zu viel. Der Zuhörer erkaltet und — was gewiß in dem ganzen Stücke sonst nirgends geschehen kann — er fängt an zu gähnen." Um diesem „unverzeihlichen Fehler" abzuhelfen, macht nun Wieland den Versuch, die Szene umzuändern, und gibt sie tat­

sächlich in bedeutend gekürzter Form (in eben diesen Alceste-Briefen).

Und endlich eine letzte Abweichung von Euripides in bezug auf den Plan des Stückes. „Die Alceste des Euripides sagt im ganzen letzten Akte gar nichts — aus einer Ursache, die sich auf einen reli­

giösen Gedanken der Griechen gründete, der auf unser Parterre keine Würkung thun könnte." Nicht gerade allzu bescheiden fügt Wieland hinzu: „Wenigstens hoffe ich, daß meine Alceste das Still­

schweigen, welches ihr der griechische Dichter auferlegt, gar wohl brechen durfte, um so zu reden, wie sie spricht."

Alfred Schöne*) findet für das Stillschweigen der Euripideischen Alceste außer diesem rituellen auch noch einen szenisch-technischen Grund: Wenn Alceste in dieser Szene redend aufgetreten wäre, so würde dies die einzige Stelle sein, wo nicht zwei, sondern drei Schauspieler nebeneinander auf der Bühne das Wort führen. Auf­

fallenderweise führt Euripides in der Alceste, und nur in dieser, die Zweizahl durch, während er sonst überall die bereits von Sophoves eingefilhrte Dreizahl hat. Aeschylos dagegen in seinen älteren Stücken und die ganze ältere Tragödie, mithin auch Phrynichos (ein älterer Zeitgenosse des Aeschylos, dessen bmleske Umgestaltung der