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Süd- und Nord-Kultstelle - Zum Problem der isolierten Speisetischtafel

Im Dokument Statue und Kult (Seite 74-79)

Teil I - Grabstatuen im frühen Alten Reich

5. Die Entwicklung der Kultanlagen in Periode II und III

5.3.1. Süd- und Nord-Kultstelle - Zum Problem der isolierten Speisetischtafel

1. Zur Klärung des besonderen Charakters der Entwicklung der funerären Praxis der Periode III und ihrer Installationen ist neben der Analyse der auftretenden Statuen die Deutung des Phänomens des kurzzeitigen Auftretens der isolierten Speisetischtafel notwendig. Als Ausgangspunkt der Analyse ist festzuhalten, daß die Scheintür-Nische mit dem Index "Tor / Durchgang" und die Darstellung der Speisetischtafel mit dem Index

"versorgter Toter im Grab" ursächlich zwei getrennte Phänomene sind171. Die Markierung einer Kultstelle unter dem Aspekt, an ihr das Heraustreten eines Toten zu bewirken, und einer Kultstelle, um an ihr die Versorgung eines Toten zu bewirken, beschreiben jeweils verschiedene rituelle Schwerpunkte. Die Nische ist als Installation schon in Periode I belegt, das

167 Reisner 1942: fig. 6, 7

168 Reisner 1942: fig. 109, 110, 111(?), 112, 113(?)

169 Reisner 1942: 296

170 Reisner 1942: 305 erwägt, daß diese Kapellen eventuell gemalte Dekoration besaßen, von der nichts erhalten blieb.

171 Haeny 1971: 160

Bild des Toten am Speisetisch erst ab Periode II. Während die Tor-Nische noch mit der Vorstellung des Grabes als "Haus"/ Aufenthaltsort zu verbinden ist, steht die Speisetischszene (und die Sitzfigur) in engster Beziehung zur Vorstellung vom Grab als Kultplatz.

2. Die beiden für Periode II funerärer Praxis der Residenz charakteristischen Nischen setzen eine Tradition der Periode I fort, die dem Toten mittels symbolischer Durchgänge die Möglichkeit zuschreibt, sein "Grab als Wohnhaus" beliebig verlassen zu können. Dabei wird in Periode II aber der Bestand an Nischen auf zwei reduziert und jeder Nische eine bestimmte Funktion zugeschrieben. Die (ideal) nördliche Nische ist auch in Periode II der alten Vorstellung verpflichtet geblieben, einen symbolischen Ausgang aus dem Grab darzustellen. Sie steht dementsprechend mit dem meist von Norden in die Sargkammer führenden Grabschacht in enger Verbindung und liegt außen an der Mastabafront. Die südliche Nische dagegen wird mit der Vorstellung des Versorgungskultes am Grab verbunden und bildet eine symbolische Verbindung zwischen Opferstelle und Sargkammer, in deren räumlicher Nähe (Süden) sie sich gewöhnlich befindet. Zudem hat sie die Tendenz in den Mastabakörper,

"zum Toten hinein", verlegt zu werden. Auf diese Weise bildet sich ein erster Typ eines im Massiv liegenden Scheintürraumes, die sogenannte

"Kreuzkapelle". Sie ist als eine echte, ein eigenes Raumvolumen besitzende Kapelle in das Mastabamassiv hineingebaut und steht räumlich in einem gewissen Bezug zur tendenziell südlich gelegenen Sargkammer.

3. Folgende Maßnahmen sind bei der Veränderung der Kultstellen in Periode III.a/b zu beobachten:

a) In Dahschur Mitte wird der enge, im Mastabamassiv liegende südliche Scheintürraum durch eine flach an der Mastabafront liegende Nische ersetzt. Davor befindet sich ein größerer Raum oder Hof, der eine Konzentration kultischer Handlungen an diesem Platz ermöglicht. Dieser Raum ist unter Snofru ausgesprochen schlicht gestaltet, während die Grabanlage selbst monumentalisiert wird. Es wird vollständig auf unterirdische Versorgungsinstallationen (Nebenräume) verzichtet und auch der Zugang zur Sargkammer nur als senkrechter Schacht gestaltet.

Die Grabanlage entbehrt damit aller an ein "Wohnhaus" oder ähnliche Einrichtungen erinnernde magische Installationen und ist offensichtlich ganz bewußt auf den Index "Grablege" reduziert worden. Auch der Kultplatz wurde aus dem Massiv dieser "Grablege" entfernt und vor die südliche Ostfront verlegt. Er bleibt in der schon in Periode II.b üblichen Art und Weise als dekorierte Scheintürnische gestaltet. Der Kultplatz erhält damit eindeutig den Charakter einer Installation des Kultes "am" Grab.

Eine kleine Nordnische bezeichnet weiterhin einen Platz, an dem das Grab vom Toten verlassen werden kann. Sie steht dabei noch in Verbindung mit einer den alten Schrägschacht nachempfundenen, aber zugeschütteten Rampe, die eventuell beim Bau der Bestattungsanlage verwendet wurde und die für die Gräber der Übergangsperiode vom Schrägschacht-Grab zum Grab mit senkrechten Schacht typisch ist172.

b) Die Veränderungen der Kultstelle in Giza in Periode III.b stellen offensichtlich die Konsequenz aus der in Dahschur begonnenen Umgestaltung der funerären Anlagen dar. Bei der Gestaltung der Süd-Kultstelle und bei der Nord-Süd-Kultstelle wird auf das Element der Nische mit dem Index "Tor / Durchgang" verzichtet. Die Süd-Kultstelle ist nun nur noch durch die Speisetischtafel markiert, die Nord-Kultstelle verschwindet ganz.

4. Das Charakteristische dieser Entwicklung ist also, daß man die funeräre Anlage selbst ganz klar in zwei Bereiche teilt: die eigentliche Grablege und die Kultstelle "am" Grab. Jeder Aspekt der Überschneidung, z.B. die Position der südlichen Kultstelle "im" Grabbau, wird vermieden. In Periode III.b verzichtet man selbst auf die symbolische Andeutung des Durchganges in Form der Scheintürnische zwischen Grabbau und Kapelle.

Die Speisetischtafel und die vorhandenen Opferinstallationen (Tafel, Ständer) zeigen, daß davon ausgegangen wurde, daß der Tote im Opferraum der Kapelle anwesend ist und das hier dargereichte Opfer empfängt. Negiert wird nur, daß er dazu einen symbolischen Durchgang (Scheintür) benötigt. Ebenfalls negiert wird das symbolische "Wohnhaus"

mit symbolischen Depots; die Grablege ist nichts anderes als ein Aufbewahrungsort für die Leische. Und ebenso wird die symbolische Abbildung des Toten durch eine Statue negiert – der Tote ist in Gestalt seiner Leiche anwesend.

5. Die folgende Umgestaltung der Kultstellen in Periode III.c zum Scheintür-Raum (NS:L:1s) betrifft zum einen die Rückverlagerung der südlichen Kultstelle in das Massiv der Mastaba hinein und die Wiederaufnahme der beiden symbolischen Durchgänge in Form von Scheintür-Nischen im Süden und Norden. Während bei der Gestaltung der Nord-Kultstelle wohl direkt an die Tradition der Periode II angeknüpft wurde, hat man bei der Gestaltung der Süd-Kultstelle einen völlig neuen Raumtyp eingeführt:

a) Der äußere Zugang zum Raum ist mit Elementen der Scheintür-Dekoration versehen, was auf eine Deutung als ein kultischer Zugang verweist173.

172 Alexanian 1991: 3

173 Junker Giza XII: 75-81

b) Der Zugang ist seitlich versetzt, tendenziell nach Norden, was der Lage der Nord-Kultstelle und ihrer Indizierung mit "Zugang zur Grabstelle"

seit Periode II entspricht174. Die größte Ausdehnung des Scheintürraumes ist Nord-Süd. Die sich ergebende L-artige Raumform175 setzt zwei wesentliche "Ritualrichtungen" um, die innerhalb von funerären Anlagen der Residenz wirken: Erstens die Richtung von Süden nach Norden, in der der Tote aus seinem Grab heraus wirkt und die durch die Lage der Grabtreppen und -rampen in Periode II bereits vorgegeben wurde. Diese Richtung ist die Bewegungsrichtung im "liminalen Raum", innerhalb der funerären Anlage.

Hier ist sie als Richtung der größten Tiefe des Scheintürrauemes umgesetzt. Zweitens die Richtung von Westen nach Osten, in der der Tote in die Welt der Lebenden hinein wirkt. Diese Bewegungsrichtung verbindet die Welt der Toten mit der Welt der Lebenden, wirkt daher über die Grabanlage hinaus. Die Bewegung im "liminalen Raum" stellt dabei das Verbindungsglied zwischen beiden Sphären dar.

c) Die eigentliche Süd-Kultstelle wird wieder in Form der Scheintür mit Speisetischtafel gestaltet. An dieser Stelle wirkt die "Ritualrichtung"

Ost-West, der Opfernde steht dem im Westen im Grab ruhenden Toten gegenüber. Zusätzlich kann der Tote in Periode III.c hier in einem West-Serdab ganz unmittelbar "hinter der Tür" anwesend sein.

6. Nutzt man diese durch Dekoration und Beschriftung erleichterte Interpretation des Scheintürraumes (NS:L:1s) zur Deutung des Vorgängertyps der Periode III.b, so ergibt sich:

a) Die Rolle der symbolischen (Schein-)Türnischen in Periode II wird in Periode III.b durch die tatsächlichen Zugänge zum Opferraum übernommen.

Der symbolische Durchgang wird als reale Tür interpretiert, die zum Toten führt.

b) Die Kapelle der Periode III.b hat eine versetzte Wegführung, in der die Richtungen Ost-West und Nord-Süd kombiniert werden. Diese Wegführung nimmt in der Kultanlage vor der Mastaba eine bis dahin von

174 Die Nordposition ist zwar am häufigsten belegt, der Zugang kann aber auch von Süden erfolgen. Siehe die beiden frühen Anlagen des Hm-jwnw (Junker Giza I: Abb. 18) und des nfr G 2110 (Reisner 1942: 422-430) aus dem Übergang von Periode III.b zu III.c. Wesentlich ist, daß der Zugang nie linear ist, sondern stets versetzt, also zwei gegeneinander auch in der räumlichen Tiefe versetzte Knickpunkte hat. Diese Punkte sind strukturell die Nachfolger der beiden seit Periode II ursprünglich im Grabbau definierten Orte "Zugang zum Toten"

(Rampe) und "Aufenthaltsort des Toten" (Sargkammer). Sie werden in Periode II durch die Nord-Kultstelle (Zugang) und die in das Mastabamassiv hineinverlegte Süd-Kultstelle mit Abbild des Toten (Ort der Anwesenheit) umgesetzt. In Periode III wird die räumliche Umsetzung dieser Vorstellung aus der Mastaba heraus in die Kultstelle verlagert. Zur Ambivalenz der Vorstellungen von "Nord" / "Süd" zu "Außen" / "Innen" siehe auch Kap.

14.2.

175 Eigentlich ist die Raumachse Z-förmig, von Ost nach West (Zugang), dann von Nord nach Süd (Raumtiefe), und wieder von Ost nach West (Scheintür).

der Bestattungsanlage in der Mastaba räumlich umgesetzte Vorstellung auf176.

c) Der Raum vor der Mastaba enthält eine Opferstelle, an der der Tote anwesend ist. Dieser Raum bildet gewissermaßen den "Raum hinter der Scheintür" in Kapellen der Periode II.b, denn der Türdurchgang, die ehemalige Scheintür, befindet sich davor177. Eine eigene Scheintür an der Opferstelle wäre unlogisch, die Rolle des Durchganges wurde schon von der Zugangstür zum Opferraum übernommen.

d) Mit endgültiger Einführung des senkrechten Grabschachtes (ohne eine symbolische Schrägrampe) hatte eine Nord-Tür keinen Sinn mehr und auf sie wird verzichtet. Die Rolle dieses "Zugangs zum Grab" wird in der äußeren Tür zur Kapelle real (siehe a) umgesetzt.

7. Die Umgestaltung der Kultanlage in Periode III.a/b steht also in engster Verbindung mit der Trennung von Bestattungsanlage und Kultanlage: Zum einen werden beide Bereiche räumlich klar getrennt, die Kultanlage wird an den Mastabakörper verlegt, zum anderen bewirkt die Umgestaltung der Bestattungsanlage (insbesondere der Wegfall der schrägen Rampe) den Verzicht auf symbolische Durchgänge in Form von Nischen. Damit werden praktisch die letzten Elemente der funerären Praxis der Periode I eleminiert: symbolische Versorgungseinrichtungen in der Bestattungsanlage und symbolische Durchgänge (Nischen) am Mastabaoberbau.

8. Folgt man der hier kurz skizzierten Interpretation, so ist die Umgestaltung der Kultstelle in Periode III nicht als eine "Reduzierung" zu werten, sondern vielmehr als eine architektonisch-"naturalistische"

Umsetzung der in Periode II.b nur symbolisch vermittelten Bezüge. Die beiden Scheintür-Nischen werden als Türen der Kapelle umgesetzt (Nord-Nische als äußere Tür und Süd-(Nord-Nische als innere Tür) und nur das Bild des

176 Es liegt hier ein interessantes Phänomen der Konzeptualisierung von Ritualrichtung vor:

Ursprünglich ergaben sich die Richtungsführungen wohl ganz einfach aus dem

architektonischen Aufbau eines Elitegrabes der Periode II, für das die Anlage eines von Nord nach Süd führenden Grabschachtes, einer Sargkammer im Süden und des Zugangs zum Grab von Osten aus baulichen und wohl auch religiösen Gründen (so konnte der Tote, auf der Seite liegend, zur Siedlung blicken; die Vorstellung, daß er von Süden nach Norden die

Sargkammer verläßt, kann mit dem Nillauf und dessen Flußrichtung zusammenhängen) sinnvoll, aber keineswegs verbindlich war. Mit der Umgestaltung der Grabarchitektur wird diese Ritualrichtung aber als strukturierendes Element beibehalten und auf einen völlig anderen Baukörper - die Kultanlage - übertragen.

177 Diese Situation bildet die Anlage des ra-Htp in Medum nach dem Umbau ab: Der Grabherr und seine Gattin sitzen hinter der Scheintür. Auch Hm-jwnw nutzt diese Vorstellung bei der Einführung des West-Serdabs in seiner Anlage. In beiden Anlagen sind die Räume aber nicht, wie in Periode III.b, zugänglich, sondern vermauert und wieder nur mit einem symbolischen Durchgang versehen. Der "echte" West-Serdab (im Gegensatz zum reduzierten Nachfolgetyp

"Scheintür-Serdab", s.u. Kap. 17.1.) ist strukturell die Umsetzung des Kultraumes der Kapellen vom Speisetischtafeltyp, unter Hinzufügung der Statue des das Opfer emfangenden Toten.

Toten am Speisetisch behält seinen Platz. Der Verzicht auf die Nordkultstelle in Periode III.b ist sogar ausgesprochen logisch, da mit der Einführung des senkrechten Grabschachtes der Zugang zur Sargkammer gar nicht mehr im Norden liegt. All diese Bemühungen decken sich mit der Tendenz zur naturalistischen Gestaltung der Statuen: in beiden Fällen wirkt das Bemühen, Dinge real und weniger symbolisch darzustellen.

9. Diese Interpretation der Kultstelle setzt sich nicht durch. Die Markierung der Kultstelle auch als (Tür-)Nische wird wieder aufgenommen und die eigentliche Opferstelle wieder "zum Toten" in die Mastaba verlegt.

Dabei wird aber nicht auf die alte Kreuzkapelle zurückgegriffen, sondern der L-förmige Raumtyp der Periode III.b übernommen. Die Wiedereinführung einer Nord-Kultstelle in diesem Zusammenhang ist besonders bemerkenswert, denn in gewisser Weise wird die Funktion der Nord-Tür (Grabausgang) von der Zugangstür zum Scheintür-Raum (NS:L:1s) übernommen178. Die nördlich gelegene Kultstelle wird seit Periode III.c wieder als "Ausgang" des Toten zur Welt der Lebenden eingeführt, während man die Zugangstür zum Scheintür-Raum als "Zugang" der Lebenden zum Toten interpretiert. Es zeigt sich, daß die Nord-Kultstelle im Übergang von Periode III zu Periode IV neu interpretiert wird, was u.a. auch die Einführung einer zweiten Scheintür an der Süd-Kultstelle belegt (NS:L:2). Da diese Veränderungen schon in die Periode IV. funerärer Praxis fallen, werden sie separat behandelt (s.u. Kap. 14).

Im Dokument Statue und Kult (Seite 74-79)