• Keine Ergebnisse gefunden

Die Rupie rollt

Im Dokument Rendite machen und Gutes tun? (Seite 165-170)

Auch wenn die Geldgeber nicht immer das Ziel verfolgen, an den Ar-men Geld zu verdienen, wird durch die Disziplinierungskette nachweis-lich ein beträchtnachweis-liches Quantum ihrer Arbeitsleistung ins Finanzsystem abgeschöpft. Die »finanzielle Inklusion« der Armen ermöglicht neue Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit, deren Nutzen für die Armen zwar unklar ist, für die Finanzindustrie aber eindeutig positiv. Die der Mikrofinanzindustrie zugrunde liegende Ressource, die deren Renditen ermöglicht, ist nichts anderes als die Arbeitskraft der Armen.

Effektive Jahreszinssätze von über 100 Prozent sind keine Seltenheit, insbesondere bei den wirtschaftlich erfolgreicheren Mikrofinanzban-ken; der mexikanische Branchenführer Compartamos Banco, der an der Börse notiert ist, erhebt sogar Zinsen von bis zu 195 Prozent. Trotz der vergleichsweise hohen Kosten, die den MFI bei der Verwaltung der Kredite entstehen, sind die möglichen Gewinne mit solchen Zinsen im-mens. Beispielsweise erwirtschafteten selbst im indischen Mikrofinanz-markt, der global gesehen vergleichsweise geringe Zinsen aufweist, die zehn größten Mikrofinanzierer jeweils 2008 und 2009 im Schnitt 37,8 und 35,2 Prozent Jahresrendite.4 Die Mikrofinanz ist nicht immer und überall, aber doch oft hochprofitabel.

Aus Daten, die in der globalen Datenbank Mixmarket5 gesammelt wurden, lassen sich die Gesamteinkünfte der Mikrofinanzbanken er-rechnen: beispielsweise für das Jahr 2010 fast 19,6 Milliarden

4 Eigene Berechnungen auf Basis von Mixmarket-Daten.

5 Mixmarket ist eine von der der Weltbank nahestehenden CGAP (Consultative Group to Assist the Poor) gegründete Datenbank, die sich an Mikrofinanzinvesto-ren mit dem Anspruch richtet, für sie das »Bloomberg of microfinance« zu sein.

Finanzialisierung der Armut 165 lar, Tendenz steigend. Damit leisteten die Mikrokreditnehmerinnen und Mikrokreditnehmer, nur um die Zinsen ihrer Mikrokredite zu be-zahlen, sogar höhere Zahlungen, als vergleichsweise der griechische Staat mit 16,6 Milliarden Dollar im selben Jahr für seinen Schulden-dienst aufbrachte.6 Die Schuldenzahlungen Griechenlands gelten als ausreichend »systemrelevant«, um Europas Finanzen ins Wackeln zu bringen; das große Interesse finanzstarker Investoren an der Mikrofi-nanz, mit ihren berühmten 98- bis 99-prozentigen Rückzahlungsraten und großen Margen, wird so noch verständlicher.

So entpuppt sich die Mikrofinanz trotz ihres Versprechens, Ent-wicklungshilfe für die Armen zu leisten, und gerade wegen des erfolg-reich mobilisierenden Narrativs der effektiven Hilfe zur Selbsthilfe, als Instrument zur Finanzialisierung der Armut. Die Ressourcen, das sozi-ale Kapital und das Leistungspotenzial der Armen im globsozi-alen Süden werden durch sie erstmalig für weit entfernte Investoren in Wert gesetzt und zugänglich gemacht. Dies kann durchaus als revolutionäre Neue-rung im Kapitalismus verstanden werden: Wo früher der lokale Geld-verleiher eingebettet in das soziale Gefüge des Dorfes komplexe Bezie-hungen pflegen musste (siehe auch Abdalla und Schultz in diesem Buch), um den Armen Kredit zu geben, ist das Kreditgeschäft mit den Slum- und Dorfbewohnern des globalen Südens heute für anonyme Investoren und Milliardäre wie George Soros möglich.7 Die Mikrofi-nanz macht so jene Tätigkeiten, die in den Slums und Dörfern verrich-tet werden, als neuen Markt für Finanzmarktakteure zugänglich – und sogar für Investoren als Anlageprodukt interessant.

Fazit

Wäre ein klarer Nutzen für die Armen nachweisbar, würden die Er-kenntnisse über Gouvernementalität und Ausbeutung weniger schwer wiegen, obschon die Frage berechtigt wäre, ob die Mikrofinanz nicht

6 Berechnungsdetails finden sich in Mader (2014).

7 Soros war einer der größten Investoren der berüchtigten indischen SKS Microfi-nance, bevor sie 2010 an die Börse ging (Bloomberg 2010).

166 Philip Mader

eine (für die Armen) recht teure Form der Entwicklungsförderung ist.

Bei einer Beurteilung der Mikrofinanz geht es aber auch um die Frage, was die allgemeine Ausdehnung des Finanzsektors in den letzten Jahr-zehnten bedeutet. Finanzmärkte und Finanzmarktakteure spielen eine immer größere Rolle in der Erfüllung und Steuerung gesellschaftlicher Bedürfnisse, von der Sicherung der Altersvorsorge und des Wohnraums (US-Hypothekenblase) bis hin zum Klima (Emissionshandel) und der Bereitstellung öffentlicher Güter (vgl. Mader 2011). Im Fall der Mikro-finanz spielt das Narrativ über eine vermeintlich emanzipatorische Kraft von Krediten eine zentrale Rolle; »finanzielle Inklusion« soll armen Menschen helfen, ihre Bedürfnisse besser zu erfüllen. Doch das Finanz-system stellt eine transnationale Kette der Disziplinierung her, die im Interesse regelmäßiger Kapitalflüsse arme Menschen dazu bringt, ihre Gürtel noch enger zu schnallen und nennenswerte Teile des Mehrwerts ihrer Arbeit abzutreten. Die Analyse legt nahe, dass Finanzmärkte die heute bestehende ungleiche Vermögensverteilung selbst dort, wo sie un-ter dem Vorzeichen der Armutsreduktion arbeiten, weiun-ter verschlim-mern werden. Soziale Gerechtigkeit durch Finanzprodukte schaffen zu wollen, ist ein äußerst mangelhafter Ersatz für öffentliche Fürsorge oder eine gerechtere Produktionsweise.

Literatur

Banerjee, Abhijit, et al., 2013: The Miracle of Microfinance? Evidence from a Randomized Evaluation. MIT Department of Economics Working Paper 13–09. Cambridge MA: MIT University Press.

Consultative Group to Assist the Poor (CGAP), 2004: Annual Report 2004.

Washington, DC: CGAP.

Dowla, Asif/Barua Dipal, 2006: The Poor always Pay Back: The Grameen II Story. Bloomfield, CT: Kumarian Press.

Collins, Daryl, et al., 2009: Portfolios of the Poor: How the World’s Poor Live on

$2 a Day. Princeton: Princeton University Press.

Bloomberg, 2010: Soros-Backed SKS Microfinance Seeks as Much as $347 Million in Indian IPO, 26. Juli 2010. <http://www.bloomberg.com/news/2010–

07–26/sks-microfinance-to-sell-shares-in-ipo-at-850-rupees-to-985- rupees-each.html>

Finanzialisierung der Armut 167 Karim, Lamia, 2011: Microfinance and its Discontents: Women in Debt in

Bang-ladesh. Minneapolis: University of Minnesota Press.

Lemke, Thomas/Susanne Krasmann/Ulrich Bröckling, 2000: Gouvernemen-talität der Gegenwart: Studien zur Ökonomisierung des Sozialen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Mader, Philip, 2011: Attempting the Production of Public Goods through Mi-crofinance: The Case of Water and Sanitation. In: Journal of Infrastructure Development 3, 153–170.

–, 2014: The Political Economy of Microfinance: Financialising Poverty. London:

Palgrave, im Erscheinen.

McKim, Andrew/Matthew Hughart, 2005: Staff Incentive Schemes in Practice:

Findings from a Global Survey of Microfinance Institutions. Washington, DC: Consultative Group to Assist the Poor/The Microfinance Network.

Opportunity International, 2011: My Inspirational Meeting in Malawi with Mi-crofinance Client Mary Jackson. Beitrag von Cynthia Greenwood auf dem Opportunity International Blog, 2. August 2011. <http://www.opportunity.

org/blog/my-meeting-in-malawi-with-inspiration-and-microfinance-suc cess-story-mary> (6.11.2013)

Wall Street Journal, 2009: As Microfinance Grows in India, So Do Its Rivals, 15. Dezember 2009. <http://online.wsj.com/news/articles/SB126055117322 287513>

Im Dokument Rendite machen und Gutes tun? (Seite 165-170)