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Können Mikroversicherungen Armut verringern?

Im Dokument Rendite machen und Gutes tun? (Seite 118-124)

Bisher gibt es keine hinreichenden wissenschaftlichen Belege für die erhoffte armutsreduzierende Wirkung. Es mangelt weiterhin an robus-ten Wirkungsanalysen (Radermacher et al. 2012). Die meisrobus-ten der vor-handenen aussagekräftigen quantitativen Studien beziehen sich auf Krankenversicherungen, wobei festgestellt werden konnte, dass es eini-gen solcher Mikrokrankenversicheruneini-gen durchaus gelingt, den Zu-gang zu Gesundheitsdienstleistungen zu verbessern und private Zuzah-lungen zu reduzieren (Spaan et al. 2012). Allerdings bestätigt sich eine ungleiche Wirkung, da vor allem die weniger Armen

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rungen abschließen. Auch bei indexbasierten Wetterversicherungen können diejenigen, die den Versicherungsschutz am meisten bräuchten, die Policen in der Regel nicht bezahlen (Binswanger-Mkhize 2012).

Weil eine gewisse Zahlungsfähigkeit Grundvoraussetzung für die Mitgliedschaft ist, lässt sich Armut nicht allein mit Mikroversicherun-gen reduzieren. Sie leisten eine horizontale Umverteilung zwischen den-jenigen, die einen (vom Versicherungsvertrag eingeschlossenen) Scha-den erleiScha-den, und Scha-denjenigen, die verschont bleiben. Sie bieten jedoch keine Umverteilung auf vertikaler Ebene zwischen verschiedenen Ein-kommensgruppen, wie etwa Sozialversicherungen oder andere öffentli-che Systeme sozialer Siöffentli-cherung. »Finanziell nachhaltig« sind solöffentli-che Sys-teme nicht zu organisieren: Ohne externe Subventionierung kann kein universeller Zugang zu sozialer Sicherung erreicht werden (Wulf 2011).

Möglicherweise können Mikroversicherungen jedoch Bestandteil ei-ner umfassenderen Strategie sein und als Vehikel öffentlicher Transferpro-gramme fungieren, wie die jüngere Vergangenheit zeigt. Die ghanaische nationale Krankenversicherung integriert zum Beispiel die ver schiedenen lokalen, gemeinde- und kirchenbasierten Mikro kranken versicherungen.

Auch in Tansania und Ruanda existieren ähnliche Ansätze. Zwar sind hiermit Steuerungsprobleme verbunden und es besteht die Gefahr einer Ausweitung staatlicher Kontrolle und Verfolgung zentraler Interessen auf Kosten der Selbstverwaltung. Die Stärke solcher Ansätze ist es jedoch, die Verantwortlichkeit des Staates und bessergestellter Bürger ins Spiel zu bringen.

Die Rolle öffentlicher Risikovorsorge wird hingegen ignoriert, wenn Mikroversicherungen als einzig mögliche Lösung dargestellt werden, Armen Zugang zu sozialer Sicherung zu gewähren. Mikroversicherun-gen fungieren dann als Ersatz öffentlicher VorsorgeleistunMikroversicherun-gen. Die Ent-stehung und Verbreitung der Mikrokrankenversicherungen zeigt, dass Mikroversicherungen in der Tat auch als Antwort auf den Rückzug des Staates gebildet wurden: Die unter internationalem Druck – unter an-derem bei Programmen von Institutionen wie der Weltbank und dem IWF – stark reduzierte öffentliche Finanzierung des Gesundheitswesens und die Hinwendung zu »out of pocket payments« (Nutzungsgebüh-ren), die viele Menschen von den Leistungen ausschließen, ließ lokale,

Mikroversicherungen 119 gemeindebasierte Formen der Krankenversicherung entstehen (Leppert/

Degens/Ouedraogo 2012).

Fazit

Mikroversicherungen sind heterogene Gebilde und im Hinblick auf ihre Wirkung ambivalent. Als Teil umfassender Mikrofinanz beruhen sie einerseits auf der Vorstellung von Armutsreduzierung bei gleichzeiti-ger Profitorientierung; aus dieser Marktorientierung speist sich ihre At-traktivität für die (Mikro-)Finanzindustrie. Andererseits existieren auch viele Formen solidarischer, kooperativer Mikroversicherungsarrange-ments, die nicht einer Renditelogik folgen. Mikroversicherungen befin-den sich somit in einem Spannungsfeld zwischen neuem Markt für Unternehmen und Element sozialer Sicherung.

Sowohl profitorientierte als auch nicht profitorientierte Formen be-tonen jedoch das Prinzip der Eigenverantwortung. Individuen und Haushalte sollen ihr Risiko (noch tieferer) Armut durch den vorsorgen-den Abschluss von Policen verringern. Diese Verantwortlichkeit des In-dividuums haben Versicherungen mit anderen Mikrofinanzdienstleis-tungen gemeinsam. Sie sind daher auch Teil des Diskurses, der Armut entpolitisiert und als individuelles, nicht strukturelles Problem auffasst.

Unabhängig von ihrer spezifischen Wirksamkeit müssen sie aus dieser Perspektive grundsätzlich hinterfragt werden. Wenn Mikroversicherun-gen etwa Sicherheit vor den finanziellen FolMikroversicherun-gen von Flutkatastrophen bieten sollen, werden womöglich Handlungsmöglichkeiten der öffent-lichen Prävention oder des solidarischen Umgangs mit den Schäden vernachlässigt.

Möglicherweise können Mikroversicherungen aber als Organisati-onsform beim Auf- und Ausbau von Sozialversicherungen genutzt wer-den. Ihre Stärken hierbei liegen vor allem in ihrem Wissen um lokale Bedingungen, Bedürfnisse und Probleme. Die Verbreitung von lokalen, gemeindebasierten Mikrokrankenversicherungen als Antwort auf einen weitreichenden Rückzug des Staates aus der Gesundheitsfinanzierung zeigt allerdings die Gefahr auf, Mikroversicherungen als Lückenbüßer

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zu nutzen. Sie sind jedoch keine Alternative zu öffentlichen Systemen sozialer Grundsicherung, die nicht nur horizontal, sondern auch verti-kal umverteilen und sich an der Bedürftigkeit, nicht der Zahlungsfähig-keit, orientieren.

Literatur

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Spaan, Ernst, et al., 2012: The Impact of Health Insurance in Africa and Asia:

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Wulf, Andreas, 2011: Ohne Risikodeckung: Können Mikroversicherungen Ge-sundheit für alle gewährleisten? In: iz3w 323, 13–15.

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