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Der Entwicklungspfad neoliberaler Reformen in Bangladesch

Im Dokument Rendite machen und Gutes tun? (Seite 182-187)

In den 1980er-Jahren geriet Bangladesch – wie viele andere Länder der Peripherie auch – in den Griff der Strukturanpassungsprogramme, die später zur tragenden Säule des Washington Consensus wurden. Soge-nannte Fiskaldisziplin, Neuordnung der Prioritäten bei öffentlichen Ausgaben, Steuerreformen, Liberalisierung der Zinssätze, wettbewerbs-fähige Wechselkurse, Liberalisierung des Handels und der ausländi-schen Direktinvestitionen, Privatisierung und Deregulierung standen seit jeher im Mittelpunkt der Strukturanpassungsprogramme und der Programme des Washington Consensus. Vereinfacht gesagt zielen diese Programme darauf ab, alles und jedes in den Einflussbereich der Privat-wirtschaft zu bringen, jegliche Aktivität zu kommerzialisieren und Un-ternehmensinteressen überall Zugang zu gewähren. Es heißt, dies sei effizient und rational.

Die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IWF) haben in der Tat seit den 1950er-Jahren in den gerade erst unabhängig gewor-denen Ländern Reformen vorangetrieben, die mit der globalen kapita-listischen Ordnung kompatibel sind. Die politische Unabhängigkeit Bangladeschs von Pakistan hat dem Land keinerlei nachhaltige Unab-hängigkeit gebracht, es ist vielmehr zum Ziel einer Reihe von Interven-tionen zugunsten des globalen Kapitals geworden. Zu den Politiken und Programmen, die die Wirtschaft und ihre Entwicklungsrichtung maßgeblich prägten, gehören:4

1. strukturelle Anpassungsprogramme;

2. marktorientierte Programme zur »Armutslinderung«;

3. das GATT-Abkommen;

4. Unterstützungsprogramme aus dem Ausland: technische Unterstüt-zung, Politikreform, Beratung, Aus- und Weiterbildung;

5. Privatisierung des Energie- und Stromsektors;

6. Abschaffung von Fünfjahresplänen zugunsten der 1999 eingeführ-ten Strategiepapiere zur Armutsminderung (diese wiederum wurden

4 Zur detaillierten Analyse dieser Programme und der Rolle weltweit tätiger Institu-tionen in Bangladesch siehe Muhammad (2003).

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2009 wieder abgeschafft und die Fünfjahresplanung begann erneut, wobei jedoch die Planerstellung an ein privates Beratungsunterneh-men unter Leitung früherer Vertreter von IWF und Weltbank aus-gelagert wurde).

Tabelle 1 fasst die Ziele und Aktionsprogramme der wichtigsten Finan-zinstitutionen, einschließlich Weltbank und IWF, in Bangladesch zu-sammen.

Tabelle 1: Stoßrichtung der Programme internationaler Finanzinstitu tionen in Bangladesch

Ziele Bereiche und Aktionsprogramme

Fragmentierung des öffentlichen Sektors und Privatisierung/Zugang zu öffentlichen Ressourcen für die Privatwirtschaft

– zunehmende Beteiligung der Privatwirtschaft in verschiedenen Bereichen

– Weltbankkredite zur Schließung oder Privatisierung von Unternehmen des öffentlichen Sektors, einschließlich der Jutespinnereien

– Finanzierung der Umstrukturierung oder Neuausrichtung von Investitionsprogrammen öffentlicher Institutionen mit dem Ziel der Beteiligung multinationaler Konzerne am Energie- und Stromsektor

– Umstrukturierung staatseigener Banken und Schließung von Filialen in ländlichen Gebieten

– Privatisierung des Gesundheitswesens – Verhinderung von Lohnsteigerungen

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– Politikempfehlungen für den Einstieg multinationaler Konzerne in den Energie- und Stromsektor

– bei privaten Investitionen in den Strom- und Gassektor Bereitstellung von Garantien zur teilweisen Risikoübernahme

– Erleichterung des Markteintritts multi-nationaler Übertragungs- und Verteilungs-unternehmen

– Erleichterung der Privatisierung des Wassersektors

– Drängen auf Gasexporte multinationaler Konzerne

– Preiserhöhungen bei Gütern und Dienst-leistungen, einschließlich Strom

Infrastruktur als

Investitionsobjekt – Privatisierung der Telekommunikation – Werben um ausländische Direktinvestitionen

in Energieinfrastruktur und Hafenanlagen Neuausrichtung von

Institutionen – Neuausrichtung öffentlicher Institutionen zum Zwecke der Privatisierung

– Ausdehnung der Reformen des Finanzsektors auf öffentliche Banken

– Förderung der Marktorientierung von NGOs und öffentlichen Institutionen

Schaffung und Ausweitung export-orientierter Märkte

– Entwicklung des Fischereisektors und Zunahme der kommerziellen Fischzucht, Garnelenzucht für den Export

– Förderung exportorientierter Unternehmen – Abwertung der heimischen Währung – Vermarktung von Düngemitteln, Saatgut

und Pestiziden

– Privatisierung von Wasserprojekten – Stärkung des Mikrofinanznetzwerks

Anmerkung: Diese Tabelle beruht großenteils auf einer Überarbeitung der Tabelle in Asian Develop ment Bank (1999).

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Die Auswirkungen dieser Reformen auf Wirtschaft und soziales Gefüge wurden von mir ausführlich analysiert (Muhammad 2006, 2011). Zu-sammenfassend bestanden sie aus folgenden Punkten:

1. Große öffentliche Unternehmen wurden aufgelöst, große Spinnerei-en durch freie ExportzonSpinnerei-en, EinkaufszSpinnerei-entrSpinnerei-en und Hochhäuser ver-drängt.

2. Exportorientierte Bekleidungsfabriken wurden zur Stütze der Ferti-gungsindustrie. Vorfälle wie der Einsturz des Rana Plaza im April 2013 zeigen das Ausmaß an Grausamkeit und Gier in diesen Fabri-ken, die zu Todesfallen werden.

3. Feste Beschäftigungsverhältnisse in Fabriken wurden durch ein un-sicheres ausgelagertes Personalvermittlungssystem mit zeitlich be-fristeten Teilzeitstellen ersetzt.

4. Die derzeit größte Deviseneinnahmequelle sind die ins Land flie-ßenden Überweisungen der Arbeitsmigranten, wobei jedoch durch Transferpreisgestaltung und Gewinnabfluss ausländischer Unter-nehmen sowie durch legale und illegale Transfers des akkumulierten Reichtums lokaler Unternehmensgruppen der Devisenabfluss hoch 5. Die Anzahl der im Ausland tätigen Arbeitnehmer übersteigt mittler-ist.

weile die Zahl der in den inländischen Fabriken Beschäftigten, die diese riskanten Jobs aufgrund des Stellenmangels am heimischen Arbeitsmarkt angenommen haben.

6. Ein weiteres Phänomen der jüngeren Zeit ist die Feminisierung der Arbeiterklasse, die eine Folge des Kaufkraftrückgangs und der zu-nehmenden Arbeitsplatzunsicherheit ist. Dies hält den Druck auf Familien aufrecht, länger und mit mehr als einem Familienmitglied, Kinder inbegriffen, erwerbstätig zu arbeiten.

7. Energiequellen und Strom wurden systematisch privatisiert. Strom wurde erheblich teurer, was die Kosten im Fertigungssektor hat stei-gen lassen und die Energiesicherheit der Bevölkerungsmehrheit zu-nehmend bedroht. Dies schadet den Kleinbauern, viele mussten sich Stellen im In- und Ausland suchen.

8. Land grabbing, die Inbesitznahme öffentlichen Raumes durch die Privatwirtschaft unter Verletzung der Rechte von Kleinbauern, so-wie Abholzung haben vielen Menschen die Lebensgrundlage entzogen.

Schlusswort 185 9. Die Schließung von Filialen staatlicher Banken in ländlichen Gebie-ten verringerte die Auswahl der Landbevölkerung an günstigen Fi-nanzierungsmöglichkeiten und zwang sie, die höher verzinslichen Mikrokredite aufzunehmen.

Im Zuge desselben Prozesses haben in den letzten zwanzig Jahren Aus-maß und Anteil jener Wirtschaftsaktivitäten, die illegal, nicht gemeldet oder kriminell sind oder in der Schattenwirtschaft stattfinden, in bisher unbekanntem Maße zugenommen. Eine unveröffentlichte Studie des Finanzministeriums schätzt das Volumen dieses Wirtschaftsbereichs auf mindestens 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts von Bangladesch.5 Dieser spezielle Wirtschaftsbereich umfasst Bestechung, Verbrechen, Waffenhandel, die Beschäftigung Berufskrimineller, Korruption, die Aneignung gemeinschaftlichen Eigentums und öffentlicher Ressour-cen, Frauenhandel, die rechtswidrige Besetzung von Kommissionen zur Verabschiedung von Projekten, die nachteilig für das Land sind, sowie das Versickernlassen von Geldern aus unterschiedlichen Regierungspro-jekten, insbesondere durch Entwicklungszusammenarbeit geförderte Projekte. Aus diesem Bereich ist der größte Teil der schnell entstande-nen Klasse der Superreichen des Landes hervorgegangen, die zufälliger-weise auch die politische Arena dominiert.6 Der Aufstieg der Superrei-chen und Mafiabosse sowie ihr dominanter Einfluss auf die politisSuperrei-chen Entscheidungsträger erleichtern es weltweit tätigen Institutionen, für ihre Agenda zu werben. So eröffnen sich dieser Klasse etwa durch die Privatisierung enorme Möglichkeiten, sich Gemeinschaftseigentum an-zueignen. Der größte säumige Bankschuldner ist die größte Unterneh-mensgruppe des Landes, ihr Eigentümer ist Wirtschaftsberater der Mi-nisterpräsidentin. Er wird beschuldigt, viele Milliarden von Taka7 durch Manipulationen des Aktienmarktes8 ins Ausland geschleust zu haben.

5 Mitteilung des Finanzministers an das Parlament im Jahr 2012.

6 Die Veränderung der sozialen Zusammensetzung der herrschenden Klasse hat Sid-diqui (1995) dokumentiert.

7 Ende 2013 betrug der Wert eines bangladeschischen Taka etwa 1 Euro-Cent.

8 Banik Barta, eine täglich erscheinende Finanzzeitung, hat zahlreiche Berichte über die Beximco-Gruppe veröffentlicht. Jüngst berichtete sie über nicht zurückgezahlte Kredite von staatlichen Banken in Höhe von Hunderten von Milliarden Taka (Ba-nik Barta, 12. November 2013).

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