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Konstruktionsfehler des herrschenden Mikrofinanzmodells

Im Dokument Rendite machen und Gutes tun? (Seite 87-92)

Die hier beschriebenen Probleme sind zu einem nicht geringen Teil Konstruktionsfehler des kommerzialisierten Mikrofinanzsystems selbst.

Zu diesen zählen insbesondere das Prinzip des full cost recovery: Dieses Prinzip, nach dem die Mehrzahl der MFI funktioniert, bedeutet, dass alle Kosten einer MFI durch die Erträge aus der Geschäftstätigkeit ge-deckt sein müssen. Zudem wird von den meisten MFI ein Gewinn an-gestrebt, insbesondere wenn sie börsennotiert oder im Besitz anderer gewinnorientierter Finanzeinrichtungen (Banken, Fonds) sind. Die Eckpfeiler dieses Geschäftsmodells sind:

– sehr hohe Zinssätze, in der Regel von 10 bis 70 Prozent p. a., wobei rund 50 Prozent der Kredite Zinssätze zwischen 20 und 40 Prozent aufweisen (CGAP 2009). Durch Gebühren, unverzinste Spareinla-gen und ähnliches können die Zinssätze effektiv jedoch 100 Prozent p. a. oder mehr betragen (Sinclair 2012);

– relativ kurzfristige Laufzeiten (oft nur wenige Wochen oder Mona-te), die Investitionen in längerfristig sinnvolle, aber kurzfristig we-nig ertragreiche Projekte unmöglich machen;

– keine Lenkung der Kreditvergabe in investive Tätigkeiten, sondern meist unhinterfragte Vergabe zu Konsumzwecken;

Wirtschaftliche Entwicklung dank Mikrofinanz: Fehlanzeige 87 – relativ geringe Kreditsummen, die auch in Entwicklungsländern

nur für geringfügige Anschaffungen, nicht aber für die Anschaffung von teureren Kapitalgütern ausreichen.

Dieses Geschäftsmodell, das darauf abzielt, möglichst hohe Gewinne bei möglichst geringem Risiko zu erzielen, kann keine langfristig wün-schenswerte ökonomische Entwicklung fördern. Wenn Zinssätze dau-erhaft über dem nominellen Wirtschaftswachstum (Wachstum des BIP plus Inflation) liegen wie in der Mikrofinanz, dann können die Zins-zahlungen nicht aus dem laufenden Mehrprodukt einer Volkswirtschaft finanziert werden, sondern nur durch Vermögensumverteilung und Verschuldung.1 In der Tat führt das derzeitige Mikrofinanzsystem zur massiven Umverteilung von Schuldnern an Gläubiger. Mader (2012) schätzt, dass allein im Jahr 2010 mindestens rund 19,5 Milliarden US-Dollar an Kreditrückzahlungen anfielen.

Ein weiteres Defizit des kommerzialisierten Mikrofinanzmodells be-steht in seiner geringen lokalen Verankerung. Der Erfolg lokaler Finan-zierungssysteme, das zeigt die Geschichte genossen- beziehungsweise gemeinwirtschaftlich organisierter Finanzsysteme in vielen Ländern, gründet auf deren Einbettung in die lokale Ökonomie und Gesellschaft.

Das Wissen um die Stärken und Schwächen der lokalen Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur ist wesentlich, nicht nur für eine sinnvolle Kreditvergabe, sondern auch für eine langfristige und organische Bezie-hung zwischen Kreditwirtschaft und lokaler Ökonomie.

Fazit

Die bisherigen Erfahrungen mit mikrofinanzbasierter Entwicklung im globalen Süden sind insgesamt enttäuschend. Daran ändern auch die von den MFI bemühten Erfolgsbeispiele wenig. Auf der Habenseite

1 Zur Illustration: Die durchschnittliche Wachstumsrate der Schwellen- und Ent-wicklungsländer von 2000 bis 2010 betrug 6,2 Prozent p. a., die Inflationsrate 6,7 Prozent p. a. Liegt der durchschnittliche Kreditzins also bei mehr als 12,9 Prozent p. a., ist er aus dem laufenden Mehrprodukt nicht mehr finanzierbar.

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ren ist sicherlich, dass Mikrokredite in Einzelfällen eine kurzfristige Ein-kommens- oder Konsumstabilisierung bewirken können; allerdings oft zum Preis der längerfristigen Verschuldung armer Haushalte. Sinnvoller wären für diese Zwecke sicher Sozialtransfers. Die Mikro finanz lenkt – das ist ihr gravierender Nachteil – Finanzmittel in die falschen Wirt-schaftsaktivitäten, das heißt solche mit geringer Wertschöpfungsintensi-tät, geringem Innovationsgehalt und niedriger Produktivität. Letztlich fördert die Mikrofinanz die Bedeutung des informellen Sektors in Ent-wicklungsländern, statt einen Beitrag zur Transformation der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes zu leisten.

Marktbasierte Bottom-up-Entwicklungsstrategien funktionieren auch deshalb nicht, weil die notwendige Rolle eines aktiven und langfristig agierenden öffentlichen Sektors systematisch unterschätzt wird. Ein ak-tiver Staat, der für gute Bildung, Gesundheit und eine funktionierende Infrastruktur sorgt, ist unerlässliche Voraussetzung für erfolgreiche Ent-wicklung. Darüber hinaus ist aber auch eine Wirtschaftspolitik notwen-dig, die durch strategische Investitionslenkung den Aufbau innovativer Industrien und Unternehmen fördert. Das beinhaltet auch die Förde-rung kleiner und mittlerer Betriebe; allerdings solcher, die neue und bes-sere Produkte und Dienstleistungen erzeugen, nach Produktivitätsge-winnen streben und Arbeitsplätze schaffen. Zudem muss der Staat auch die gesamtwirtschaftliche Nachfrage durch eine umverteilende Steuer- und Ausgabenpolitik erhöhen, denn das – wie auch immer sinnvoll ge-förderte – Angebot schafft sich seine Nachfrage eben nicht von selbst (vgl. Amsden 2012). All dies ist natürlich leichter gesagt als getan, aber aufgrund der historischen Erfahrungen mit nachholender Entwicklung ist es der einzig erfolgversprechende Weg. Ein reformierter Finanzsektor, der lokal eingebettet ist, auf langfristige strukturelle Transformation ori-entiert und um genossen- oder gemeinwirtschaftliche Elemente ergänzt ist, kann einen wichtigen Beitrag für lokale Entwicklung leisten. Ein grundlegender Wandel der heutigen Mikrofinanzindustrie wäre dazu eine unabdingbare Voraussetzung.

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Teil II

Im Dokument Rendite machen und Gutes tun? (Seite 87-92)