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Die »Freiheit« des Schuldvertrags

Im Dokument Rendite machen und Gutes tun? (Seite 25-29)

Häufig konfrontiert man uns mit der Frage: »Was ist das Problem?

Schließlich handelt es sich um freiwillige Verträge – niemand wird ge-zwungen, einen Mikrokredit aufzunehmen.« Um diese Frage zu beant-worten, ist es nötig, Mikrokredite in den Kontext globaler Entwicklun-gen einzuordnen, wie wir und die Autorinnen und Autoren in diesem Buch es tun. Denn von Anfang an hing der Aufschwung der Mikrofi-nanz mit Umwälzungen in der politischen Ökonomie der Entwick-lungsländer zusammen. Die Staatsverschuldung in den 1980er-Jahren (getrieben durch die Ölkrise und Jahrzehnte der verfehlten Entwick-lungshilfe) brachte die meisten Länder des globalen Südens in direkte Abhängigkeit von Geberländern aus dem Norden und ihren Finanzins-titutionen, wie Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF).

Die von diesen Institutionen durchgesetzten

Einleitung 25 gramme zwangen die Regierungen vieler Länder dazu, ihre staatliche Fürsorge – zum Beispiel im Gesundheits- und Bildungsbereich – sowie Beschäftigungsprogramme und Nahrungsmittelsubventionen abzubau-en. Ehemals öffentliche Aufgaben übernahm nach und nach der Privat-sektor. Für die Bevölkerung ist es seitdem kaum noch möglich, ohne Geldmittel eine angemessene Schulbildung oder grundlegende medizi-nische Behandlung zu erhalten. Ehemalige Angestellte öffentlicher Be-triebe und ruinierte Kleinbauern waren gezwungen, sich in irgendeiner Weise im informellen Sektor zu verdingen.

In diesem Kontext kamen erstmals Mikrokredite gezielt als entwick-lungspolitisches Instrument zum Einsatz – zuerst in Lateinamerika, das zur Pionierregion in der kommerziellen Mikrofinanz wurde (Rhyne/

Busch 2006: 8), und dann auch in anderen Regionen. So dienten Mik-rokredite, der sri-lankischen Entwicklungsforscherin Heloise Weber (2002: 541) zufolge, den internationalen Finanzinstitutionen in einer

»doppelte[n] Rolle« bei der Liberalisierung von Entwicklungsländern:

Erstens mussten diese ihren Finanzsektor deregulieren, um Mikro-finanzbanken das Geschäft zu ermöglichen; zweitens lieferten sie ein wichtiges Argument, um den Raubbau an den Sozialsystemen zu recht-fertigen, indem Regierungen die Forderungen ihrer Bürger mit Verweis auf die bereitstehende Hilfe per Kredit ablehnen konnten (siehe Mer-tens in diesem Buch zur Kompensation via Kredit).

Der Washington Consensus – das neoliberale politische Konsens-programm der westlichen Geberländer, das mithilfe von Stukturanpas-sungsprogrammen des IWF und der Weltbank in den 1980er- und 1990er-Jahren Deregulierung und Privatisierung durchsetzte – schuf zusammen mit internationalen Handelsverträgen die Grundlagen für eine radikale Strategie der Ausweitung der kapitalistischen Marktwirt-schaft. Mikrokredite stellen also nicht – wie so oft behauptet11 – einen Bruch mit der (selbst in Insiderkreisen als gescheitert angesehenen) Ent-wicklungspolitik in den Jahren der Strukturanpassung dar, sondern wa-ren ein integraler Bestandteil derselben. Die heutige Förderung einer noch umfassenderen Mikrofinanzindustrie, die die volle finanzielle In-klusion aller Menschen anstrebt, ist die konsequente Fortsetzung. So

11 Beispielsweise der Bonner Aufruf »Eine andere Entwicklungspolitik«, verfasst von Rupert Neudeck, Winfried Pinger und anderen (September 2008).

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veröffentlichte die Weltbank-Tochter International Finance Coopera-tion (IFC) 2007 einen wegweisenden Bericht, in dem sie den Privatsek-tor aufforderte, die Kaufkraft der Armen in ihrem eigenen Interesse zu nutzen: Vier Milliarden Arme in der Welt verfügten über Werte von unvorstellbaren 5.000 Milliarden US-Dollar. Mikrofinanzen, das wird in diesem Bericht ausdrücklich und mehrfach hervorgehoben, sind ein Weg, um diese Ressourcen der Armen in Wert zu setzen und der Privat-wirtschaft zugänglich zu machen (IFC/WRI 2007).

Ein weiterer Faktor für die zunehmende Nachfrage nach Mikrokre-diten sind die Folgen der Handels- und Wirtschaftsabkommen, die vie-le Länder des globavie-len Südens dazu zwingen, ihre Märkte für Nah-rungsmittel, Gentechnologie und andere Produkte westlicher Konzerne zu öffnen. Im Gegenzug sollen diese Länder ihre Handelsbilanzen durch vermehrte Exporte ausgleichen, wie zum Beispiel Shrimps, Baumwolle, Schnittblumen oder Energiepflanzen, deren Aufzucht und Anbau nur auf großen Flächen und als Monokultur finanziell ertrag-reich ist. So wird das westliche Modell der Landwirtschaft – hoch tech-nisiert und von Großgrundbesitzern mit wenig Bedarf an Arbeitskräf-ten betrieben – in traditionellen AgrargesellschafArbeitskräf-ten implementiert, in denen bis heute (zumindest in Afrika und Asien) noch die Mehrheit der Bevölkerung direkt oder indirekt vom Subsistenzanbau oder der Vieh-zucht lebt. Über Lockangebote werden kleinbäuerliche Betriebe dazu gebracht, sogenannte cash crops – Feldfrüchte für den Verkauf – anzubau-en, und das Kapital für die Umstellung bekommen sie oft per Mikro-kredit.12 Spätestens wenn der Markt gesättigt ist, oder wenn durch Bil-ligimporte aus den Industrieländern die Preise in den Keller sinken, fängt das Elend an. Dann übersteigen die Input-Kosten für Kunstdün-ger, Insektizide, Pestizide und Saatgut den Ertrag, den sie durch den

12 So Calvin Miller von der Food and Agriculture Organization der UN (FAO) in seinem Beitrag für den internationalen Mikrokreditgipfel 2011 im spanischen Valla-dolid: »Landwirtschaft muss als Geschäft gedacht werden. Anbau für die Subsistenz reicht nicht, die Mikro- und Kleinbauern müssen in ihrem Denken und Handeln weiter gehen. […] Mikrokredite in der Landwirtschaft müssen helfen, ein Einkom-men zu generieren, um die Zinskosten zu bezahlen und Reserven für Eventualitäten aufzubauen. […] Um zukünftig wettbewerbsfähig zu sein, müssen Kleinbauern ver-bessertes Saatgut und Technologien nutzen und so die Produktionsanforderungen erfüllen« (Miller 2011; eigene Übersetzung).

Einleitung 27 Verkauf der Ernte erzielen können. Die Kleinbauern verschulden sich weiter, machen schließlich Pleite, verpfänden oder verkaufen ihr Acker-land. Durch diesen Prozess werden bisherige Subsistenz- und Teilsubsis-tenzstrukturen – also Selbstversorgungsstrukturen – zerstört. Das Land der Kleinbauern gelangt in andere Hände.13

Durch derlei Veränderungen sind in den Ländern des globalen Sü-dens immer mehr Menschen darauf angewiesen, ihre Lebensmittel käuflich zu erwerben – und das bei einer oftmals zweistelligen Inflati-onsrate für Grundnahrungsmittel, wie in Südasien. Ob medizinische Behandlung, Bildung oder Ernährung: Der Zugang zu Bargeld wird zu einer Frage des täglichen Überlebens. Die »Freiwilligkeit« des Vertrags-abschlusses für einen Mikrokredit relativiert sich also, wenn die sozio-ökonomischen Alltagszwänge mit in den Blick genommen werden. Wer kann es einer mittellosen Tagelöhnerin verdenken, wenn sie, um heute ihre Kinder zu ernähren oder ihnen eine notwendige medizinische Be-handlung zu finanzieren, einen Mikrokredit aufnimmt, auch auf die Gefahr hin, anschließend die Bürde der Ratenzahlungen nicht meistern zu können und übermorgen hoffnungslos überschuldet zu sein? Es ist eine im tiefsten menschlichen Sinne nachvollziehbare Entscheidung.

Die Mikrofinanzbank verlangt aber so oder so die Rückzahlung mit-samt Zinsen. Kredite sind grundsätzlich Verträge auf eine (besonders bei armen Menschen) unsichere Zukunft: Wer heute glaubt, er könne übermorgen zurückzahlen, ist noch lange nicht gegen Schicksalsschläge gewappnet. Deswegen gibt es in Europa gesetzliche Pfändungsgrenzen, die überschuldete Privathaushalte vor dem völligen Ruin bewahren sol-len. In den meisten Entwicklungsländern fehlen sie jedoch. Das wissen auch die MFI.

»Mikrokredite sind wie schmutziges Wasser, das man an Verdursten-de verkauft«, resümiert passend dazu Malcolm Harper. Die Not Verdursten-der Armen werde vielfach ausgenutzt, um Verträge mit ihnen abzuschließen, die nur scheinbar fair und frei sind (Harper/Downing 2012). Harper ist Managementprofessor und war Gründer der ersten großen Mikrofinan-zinstitution im indischen Andhra Pradesh, BASIX. Er hat aber Abstand

13 Diesen Zusammenhang hat der britische Entwicklungswissenschaftler Marcus Tay-lor in seiner Studie der Mikrofinanzkrise im indischen Bundesstaat Andhra Pradesh hervorragend herausgearbeitet.

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vom Sektor genommen. Harper bezeichnet heute die Mikrofinanz so-gar, im Gegensatz zur traditionellen industriellen Beschäftigung etwa in sweatshops, als »ein subtileres und möglicherweise dauerhafteres Mittel für jene, die Kapital besitzen, diejenigen auszubeuten, die nur ihre Ar-beitskraft zu verkaufen haben« (Harper, in Bateman 2011: 59).

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