• Keine Ergebnisse gefunden

Rheinisches Schiefergebirge

Von Wolfgang KREBS und Horst WACHENDORF, Braunschweig Einleitung

Falten unterschiedlicher Ordnung, listrisch geformte Überschiebungen (WEBER 1978), die sich zu Schuppenstrukturen ergänzen und eine für pelitische Serien stratigraphisch tieferer Niveaus charakteristische Schieferung sind die wesentlichen tektonischen Merkmale des Rheinischen Schiefergebirges. Diese Gefüge dokumentieren die Zunahme der orogenen Beanspruchung von der oberflächennäheren, rein kompressiven Verformung bis hin zur inneren Deformation größerer Tiefen. Weitreichende Überschiebungen haben mit wenigen Ausnahmen (BLESS et al. 1977) keine alpidischen Deckenschüben vergleichbare Bedeutung.

Die mehr als 10 km mächtige, überwiegend tonig-grauwackenreiche ordovizisch-karboni-sche Abfolge des nördlichen Schiefergebirges wird durchragt von synsedimentär angelegten Großsätteln aus mitteldevonisch-tiefoberdevonischem Massenkalk, der gleichfalls eine intensive Umformung bis in den Kornbereich erfuhr. Im Bereich des Warsteiner Massenkalkaufbruchs ist an dessen Südrand im Verlauf einer Störungszone die stratigraphische Abfolge Mitteldevon bis Namur erschlossen. Wie zu zeigen ist, folgt die orogene Ausgestaltung mit der Prägung einer Uberschiebungstektonik paläogeographisch vorgezeichneten Nahtzonen, die Räume unter-schiedlicher Subsidenz trennten.

Fazielle Entwicklung und Stockwerkgliederung

Das Liegende des ober-mitteldevonischen Warsteiner Massenkalkes ist nicht bekannt.

Unter dem Massenkalk sind in Analogie zum Nordrand des RemscheidAltenaer Sattels -mächtige ober-mitteldevonische klastische Schelfablagerungen vom Typ der Honseler oder Newberrien-Schichten zu vermuten (Abb. 1).

N S

Abb. 1. Schematisches Querprofil durch den Warsteiner Komplex im präorogenen Stadium.

Adresse der Autoren: Prof. Dr. W. KREBS; Prof. Dr. H. WACHENDORF, Institut für Geologie und Paläontologie der Technischen Universität Braunschweig, Pockelsstraße 4 (Hochhaus), 3300 Braunschweig.

34 W. KREBS, H. WACHENDORF: Der paläogeographisch-tektonische Entwicklungsgang Drei mechanisch unterschiedlich wirksame Stockwerke sind im Warsteiner Komplex erschlossen.

Massenkalke, die überwiegend als ausgedehnte Plattform-Kalke (Schwelm-Fazies im Sinne von KREBS 1968a) vorliegen, bilden das tiefste Stockwerk. Infolge starker Spezialfaltung und Schuppung sind für den Massenkalk keine exakten Mächtigkeitsangaben möglich, doch wird für den Warsteiner Massenkalk eine Mindestmächtigkeit von > 200 m vermutet. Im SE-Teil des Warsteiner Komplexes wird die ober-mitteldevonische Plattform-Fazies von der Riff-Fazies (Dorp-Fazies im Sinne von KREBS 1968a) überlagert. Am „Hohlen Stein" SW Kallenhardt und an der Bilstein-Höhle enthalten Kalke der Riff-Fazies bereits Conodonten des tiefen Oberdevons (UFFENORDE 1976, CLAUSEN 1977, CLAUSEN et al. 1978). Die Dorp-Fazies wird im N des Warsteiner Komplexes durch Flinz-Schiefer vertreten, die auf Grund ihres mechanischen Formungsverhaltens bereits dem mittleren Stockwerk angehören. Bei Warstein wies MUCHOW (1965) mit Hilfe von Conodonten nach, daß beträchtliche Teile dieser Flinz-Schiefer ein ober-mitteldevonisches Alter aufweisen und bis in die Adorf-Stufe hinaufreichen (vgl. STASCHEN 1968). Diese Flinz-Schiefer der Umgebung von Warstein folgen über den ober-mitteldevonischen Kalken der Schwelm-Fazies.

Das mittlere Stockwerk besteht im Warsteiner Komplex weiterhin aus Cypridinen-Schiefem und Cephalopodenkalken des mittleren und höheren Oberdevons. Die schiefrigen

Abb. 2. Lage der erwähnten Aufschlüsse am-SE-Rand des Warsteiner Komplexes (TK 25 4516 Warstein).

Numerierung der Aufschlüsse nach UFFENORDE 1976.

W. KREBS, H. WACHENDORF: Der paläogeographisch-tektonische Entwicklungsgang 35

*

1 £k%

<•.;'•£ f '

• * * & i f t

-- =.l 1

£S»\

*mm 5cr n i

Abb. 3. Schlagwasser-Brekzie. Polymikte Brekzie aus Cephalopoden- und Flinzkalken in einer unterkarboni-schen tonig-mergeligen Matrix. - Straßenanschnitt S Kallenhardt (7).

Serien des mittleren Stockwerkes beginnen in stratigraphisch unterschiedlichen Niveaus des Oberdevons. So verzahnen sich im südlichen Warsteiner Komplex örtlich Kalke der Dorp-Fazies mit Mergelschiefern der Flinz-Dorp-Fazies. Darüber hinaus sind Flaser- und Knollenkalke ausgebildet, die örtlich die mittlere Adorf- bis Wocklum-Stufe umfassen.

Am SE-Rand des Warsteiner Komplexes fehlen oberdevonische Sedimente bereichsweise (SW Kallenhardt), oder diese liegen in extremer stratigraphischer Kondensation vor (Schieß-stand an der Bilstein-Höhle). Schließlich wurden oberdevonische Kalke als Spaltenfüllungen im Massenkalk nachgewiesen (CLAUSEN et al. 1978).

Auch das höchste Stockwerk, die Kulm-Fazies, ist im Bereich des Warsteiner Komplexes ungleich entwickelt. Über weite Teile des Warstein-Belecker Sattels ist das Unterkarbon in charakteristischer Kulm-Fazies ausgebildet (Steinbrüche bei Drewer, Steinbruch Kattensiepen u. a.). Wiederum abweichend ist im SE des Warsteiner Sattels das Unterkarbon II in der Fazies des Erdbacher Kalkes entwickelt. In Analogie zu den Vorkommen mit gleicher stratigraphischer Abfolge (Langenaubach, Brilon, Iberg) ist anzunehmen, daß die Crinoidenkalk-Fazies des Unterkarbons nach einer Schichtlücke der oberdevonischen Dorp-Fazies örtlich auflagert und/

oder in Form von Sedimentgängen im Massenkalk-Komplex eingeschlossen ist (WALLISER und Mitarbeiter 1958, KREBS 1966, 1968b, BÄR 1968, FRANKE 1971 u.a.).

Gleichfalls auf den Ostrand des Warsteiner Komplexes ist die Schlagwasser-Brekzie beschränkt. Diese ist z. Z. nur im Straßenanschnitt S Kallenhardt (Abb. 2) aufgeschlossen. Das Bildungsalter dieser polymikten Brekzie mit oberdevonischen Komponenten (Abb. 3) fällt nach STASCHEN (1968) in den Grenzbereich Oberdevon-/Unterkarbon. UFFENORDE (1976) datiert die Brekzienbildung bei Kallenhardt als mittleres Unterkarbon. Nach unseren Untersu-chungen enthält der höchste Teil der Schlagwasser-Brekzie neben einer reichen oberdevoni-schen Conodonten-Fauna Siphonodella sulcata (HUDDLE) sowie Polygnathus communis communis BRANSON & MEHL (det. D. STOPPEL, Hannover). Im lückenhaft aufgeschlosse-nen Straßenanschnitt S Kallenhardt wird die Schlagwasser-Brekzie von ausgebleichten Schiefern vom Typ der Liegenden Alaunschiefer überlagert, in denen wir Gnathodus punctatus

(COO-36 W. KREBS, H. WACHENDORF: Der paläogeographisch-tektonische Entwicklungsgang PER) bestimmten. Die Schiefer werden von einem wenige dm mächtigen, stark angewitterten Lapilli-Tuff unterlagert (vgl. STASCHEN 1968).

Das höhere Unterkarbon ist über den gesamten Warsteiner Komplex gleichförmig verbreitet und leitet über zum Flözleeren des Namur.

Synsedimentäre Schollenbewegungen

Die Ausbildung der Riff-Fazies auch im oberen Teil des Massenkalk-Profils, die fehlenden Flinz- und Cypridinen-Schiefer, das geringmächtige, lückenhafte kalkige Oberdevon sowie die Crinoiden-Fazies des mittleren Unterkarbons verweisen auf eine notorische Hochlage mit geringer Absenkungsgeschwindigkeit vom hohen Mitteldevon bis zum mittleren Unterkarbon am SE-Rand des Warsteiner Komplexes (Abb.l). Demgegenüber repräsentieren die Flinz-Fazies, die lückenlose oberdevonische Schiefer-Cephalopodenkalk-Folge und die kulmische Normalfazies im mittleren und nordwestlichen Teil des Warsteiner Komplexes eine kontinuierli-che Sedimentation bei anhaltender Subsidenz.

Analog dem Attendorner und dem Balver Riff (KREBS 1971: Abb. 32) ergibt sich auch für den Warsteiner Komplex das Bild einer von synsedimentären Brüchen gerahmten, nach SE herausgehobenen und nach NW geneigten Kippscholle, die vom hohen Mitteldevon bis zum mittleren Unterkarbon Fazies und Mächtigkeit bestimmte. Der „Warsteiner Trümmerzug"

H. SCHMIDT's (1922), der sich vom Bilstein-Tal bis zum Schlagwasser-Tal entlang dem SE-Rand des Warsteiner Komplexes verfolgen läßt, bildet mit seinen Brekzien, Verkieselungen und Vererzungsspuren ein synsedimentäres Scharnier, das den im SE am stärksten herausgekippten Teil der Warsteiner Scholle markierte. Spalten und Sedimentgänge mit fossilleeren Rotpeliten sowie mit conodontenführenden Oberdevon- und Unterkarbon-Kalken im Massenkalk (UFFENORDE 1977b, CLAUSEN et al. 1978) belegen die anhaltende synsedimentäre Zerrüttung entlang des mobilen Scharniers am SE-Rand des Warsteiner Komplexes.

Ein ähnliches Scharnier bestand offenbar entlang des SE-Randes des Belecke-Rüthener Sattels, da auch hier synsedimentäre Rutschungen, Brekzien, Kippungen und Spaltenbildungen im Oberdevon und Unterkarbon verbreitet sind (KRONBERG et al. 1960, STASCHEN 1968, STRUCKMEIER 1974).

Spaltenfüllungen (Erdbacher Kalk) im tektonisch iiberprägten Verband mit Massenkalk Der Nachweis von unterkarbonischen Conodonten am SE-Rand des Warsteiner Komplexes bei Kallenhardt veranlaßte UFFENORDE (1976, 1977a) die höchsten, etwa 40 m mächtigen Abschnitte des devonischen Massenkalkes als „Kohlenkalk" bzw. unterkarbonischen „Kallen-hardt-Kalk" zu deuten. Devonische Stromatoporen und Korallen sowie oberdevonische Conodonten wurden als Resedimente interpretiert. Nach UFFENORDE soll sich die mittelde-vonische Schwelm-Fazies nach einer Sedimentationslücke in den Kalken des mittleren Unter-karbons fortsetzen.

Nachdem einige Teilnehmer anläßlich einer Exkursion der Subkommission für Karbonstra-tigraphie im Mai 1977 Zweifel an der Deutung der Massenkalke bei Kallenhardt als unterkarbonischer Plattformkalk geäußert hatten, liegt vom gleichen Autor eine kurze Notiz vor, in der diese Auffassung widerrufen wird (UFFENORDE 1977b). Darin muß allerdings richtiggestellt werden, daß nicht der gesamte „Kallenhardt-Kalk" (sensu UFFENORDE 1977a) ein jüngeres Synonym des Erdbacher Kalkes ist, sondern daß nur die unterkarbonischen crinoidenführenden Spaltenfüllungen im devonischen Massenkalk litho- und biofaziell dem Erdbacher Kalk entsprechen.

W. KREBS, H. WACHENDORF: Der paläogeographisch-tektonische Entwicklungsgang 37

Abb. 4. Spaltenfüllung aus unterkarbonischem Crinoiden-Kalk (Erdbacher Kalk, cu) im Massenkalk (dm).

Spaltenfüllung und Massenkalk sind intensiv tektonisch ausgelängt bzw. miteinander verschleift. -Steinbruch in der Günne (1).

Der bemerkenswerte Nachweis unterkarbonischer Conodonten durch UFFENORDE (1977a) im Verband mit typischem Massenkalk bei Kallenhardt findet seine Erklärung auf Grund der Eigenart der tektonischen Deformation. Bereits RICHTER-BERNBURG (1953) und PLESSMANN (1966) verwiesen am Beispiel extrem ausgelängter Stringocephalen auf die ausgeprägte innere Deformation des Warsteiner Komplexes. Dieser Deformationsstil des Massenkalkes steigert sich in der Umgebung von Kallenhardt bis hin zur Bildung von tektonischen Laminiten, Boudinage-Körpern sowie einer markanten Lineation in a. Die starke tektonische Durchbewegung führte zu einer weitgehenden Auflösung des ursprünglichen stratigraphischen Verbandes bzw. der sedimentären Anlagerungsgefüge. Dabei wurden die z. T.

vermutlich schichtparallel angelegten, mit Erdbacher Kalk gefüllten Spalten (s-Spalten) mit dem Massenkalk tektonisch verschleift (Abb. 4).

Ebenso ist auch das mittlere Stockwerk aus oberdevonischen Schiefern, Cephalopodenkal-ken und unterkarbonischen Schiefern sowie Brekzien abschnittsweise von einer intensiven Phacoidisierung bzw. Auslängung in Richtung des tektonischen Transportes betroffen. Hinge-gen wurden das höhere Unterkarbon und das Flözleere lediglich zu einem NW-verHinge-genten, durch Biegegleitung entstandenen Faltenbau deformiert.

Abb. 5. Massenkalk-Pseudolaminit (ac-Anschnitt). In der Richtung des tektonischen Transportes ausgelängte Fossilquerschnitte (u. a. Amphiporen und ?lagige Stromatoporen). - Aufgelassener Steinbruch ca. 400 m ESE

„Warte" (2).

W. KREBS, H. WACHENDORF: Der paläogeographisch-tektonische Entwicklungsgang 39

•4A

Abb. 6. Boudinage-Gefüge im Massenkalk als Ergebnis einer ausgeprägten Dehnung in Richtung des tektonischen Transportes (a). - Steinbruch in der Günne (1). A: Kompetente feinschichtige Dolomit-Boudins getrennt durch calcitische Zwickelfüllung (punktiert) und umhüllt von stärker duktilem, tektonisch laminier-ten Massenkalk. B: Rotierter feinschichtiger Dolomit-Boudin. Streckungshöfe mit Calcit (punktiert) gefüllt.

C: Pinch-and-swell structure in dolomitischen Lagen. Die beginnende Trennung kompetenter Lagen stellt die Vorstufe der Boudinierung dar.

40 W. KREBS, H. WACHENDORF: Der paläogeographisch-tektonische Entwicklungsgang In den von UFFENORDE (1977a) beschriebenen Aufschlüssen „Am Hohlen Stein" und

„In der Günne" ist eine jeweils 30 m mächtige Abfolge intensiv tektonisierter Massenkalke erschlossen, in denen keinerlei Faltenbilder zu erkennen sind. Die s-Flächen fallen gleichförmig mit 35-65° nach S ein. Anschliffe homogener Kalke zeigen in ac-Schnitten extrem in a ausgelängte Fossilquerschnitte, bei denen es sich überwiegend um lagige bis kugelige Stromato-poren, tabulate Korallen und Amphiporen handeln dürfte (Abb. 5). Einzelne dolomitisierte Lagen verhielten sich im Verlauf der Durchbewegung relativ kompetent und wurden daher zu charakteristischen Boudins zerlegt, die von der umhüllenden, stärker duktilen Kalkmatrix

„umflossen" wurden (Abb. 6). Die Boudinierung steht nicht im Zusammenhang mit der Zerscherung eines Faltenflügels, sondern diese ist auf die Auslängung einer über 45° geneigten, zugempfindlichen, kompetenten Lage zurückzuführen (de SITTER 1958). Die sich zwischen den einzelnen Boudins öffnenden Räume wurden mit hellem Calcit gefüllt.

Die Dolomitisierung steht im Zusammenhang mit der frühen Durchbewegung, da aus den Massenkalken des östlichen Rheinischen Schiefergebirges diagenetisch entstandene Dolomite unbekannt sind (SCHNEIDER 1977). Diese Interpretation bestätigen mm-dünne Dolomit-Bestege, die s-Flächen folgen. Da diese s-Flächen Bahnen der Wegsamkeit abbilden, war die Durchbewegung offenbar mit einem Lösungstransport verknüpft, aus dem die Dolomitisierung und das gehäufte Vorkommen authigener Quarze hervorgingen.

Phacoid-Gefüge im mittleren Stockwerk und das Problem der Schlagwasser-Brekzie

Rhomboidal geformte Phacoide aus zerscherten Flinz- und Cephalopodenkalken wurden von STASCHEN (1968) und UFFENORDE (1976) als sedimentäre Komponenten der

Abb. 7. Rhomboidal zerscherte Flinzkalk-Bänke. Die bogig-sigmoidal verlaufenden Begrenzungsflächen der Phacoide werden von einer mergelig-tonigen Matrix umhüllt. - Steinbruch am Kalvarienberg (10).

W. KREBS, H. WACHENDORF: Der paläogeographisch-tektonische Entwicklungsgang 41

N S

Abb. 8. Kulmkieselschiefer und höchste Abschnitte der Liegenden Alaunschiefer (mit Phosphoritknollen) überfahren an flacher Überschiebungsbahn die phacoidisierte Folge der Flinzschiefer und Flinzkalke der Adorf-Stufe. - Steinbruch am Kalvarienberg (10).

Schlagwasser-Brekzie interpretiert. Von den bei UFFENORDE (1976) genannten Lokalitäten 7-10 der Schlagwasser-Brekzie repräsentiert lediglich das Profil 7 südlich von Kallenhardt eine echte sedimentäre Brekzie (Abb. 6), während die Lok. 8 (Schlagwasser-Steinbruch E Kallen-hardt) und 10 (Steinbruch am Kalvarienberg ENE KallenKallen-hardt) Phacoide aus tektonisch zerscherten Flinz- und Cephalopodenkalken erschließen (Abb. 7).

Die flachbodig begrenzten Phacoide stellen linsig zerlegte tektonische Transportkörper dar, die geringfügig aus ihrem ursprünglichen sedimentären Verband gelöst und dachziegelartig übereinander verschoben wurden (FIEDLER 1974). Die Fragmentierung resultiert aus der Auslängung flach gelagerter kompetenter Bänke in Richtung des tektonischen Transportes (Abb. 8). Der Begriff „Schlagwasser-Brekzie" sollte hingegen nur die Gesteinstypen kennzeich-nen, deren Komponenten aus Gerollen und sedimentären Brekzien bestehen. Alle Altersbe-stimmungen, die aus den Verbandsverhältnissen der Lokalitäten 8 und 10 abgeleitet werden (STASCHEN 1968, UFFENORDE 1976), sind für eine Datierung der Schlagwasser-Brekzie irrelevant. Es muß weiteren Untersuchungen vorbehalten bleiben, den Zeitpunkt der Brekzien-bildung genauer festzulegen. Für die Datierung der Schlagwasser-Brekzie erscheint wesentlich, daß bereits von H. SCHMIDT (1922) und STASCHEN (1968) schwarze Schiefer mit Phosphoritknollen vom Typ der Liegenden Alaunschiefer im Hangenden dieser Brekzie beschrieben wurden.

Geodynamisches Bewegungsbild am SE-Rand des Warsteiner Komplexes

Der paläogeographische Entwicklungsgang des Warsteiner Komplexes verlief vom hohen Mitteldevon bis in das mittlere Unterkarbon analog zu den übrigen Massenkalkgebieten des nördlichen Rheinischen Schiefergebirges. Abweichend ist hingegen die tektonische

Ausgestal-42 W. KREBS, H. WACHENDORF: Der paläogeographisch-tektonische Entwicklungsgang tung. Für den SE-Rand des Warsteiner Komplexes ist ein Deformationsstil chrakteristisch, der im übrigen nördlichen Rheinischen Schiefergebirge nicht ausgeprägt ist. Anstelle von NW-vergenten Falten sind Detailgefüge entwickelt, die nur im Zusammenhang mit einer Überschie-bungstektonik entstehen. So findet die ursprüngliche Deutung H. SCHMIDT's (1922) eines von Überschiebungen geprägten SE-Randes des Warsteiner Komplexes eine späte Bestätigung (Abb. 9). Synsedimentäre Abschiebungen wurden im Verlauf der orogenen Verformung zu einem Bereich ausgeprägter Gleittektonik umgestaltet. Offenbar bewirkte der gravitative Vortrieb des Ostsauerländer Hauptsattels mit seinen markanten liegenden Falten die Absche-rung des höchsten Stockwerkes aus klastischen Serien des hohen Unterkarbons und tiefen Oberkarbons über dem tiefen Massenkalk-Stockwerk. Die mächtigen Serien des hohen Unter-und tiefen Oberkarbons wurden zu NW-vergenten Biegefalten Unter-und einer begleitenden Bruchschieferung umgeformt. Das tiefere Massenkalk-Stockwerk sowie die geringmächtigen heteropischen Serien des Oberdevons und tiefsten Unterkarbons wurden demgegenüber intensiv interndeformiert. Eine einheitliche Überschiebungsbahn besteht nicht. Vielmehr wurde die Beanspruchung im Grenzbereich mechanisch unterschiedlich reagierender Stockwerke von mehreren Bewegungsbahnen aufgenommen, in deren Verlauf ein ausgeprägter Lösungstrans-port in karbonatischen Serien stattfand. So wurden die kompetenten Flinzkalk-Bänke zu linsigen Phacoiden zerlegt (Abb. 10), geringmächtige Dolomitlagen boudiniert und die mikriti-schen Massenkalke am SE-Rand des Warsteiner Komplexes zu Pseudolaminiten umgeformt.

Aus dieser intensiven Durchbewegung resultiert die ausgeprägte Auslängung der Geosyn-klinal-Füllung in N-S-Richtung, deren Bewegungsgang in der Anlage SE geneigter Überschie-bungen ihren Ausdruck fand. Die mit 30-65° gegen SE einfallenden tektonischen s-Flächen dürften das Bild listrischer Uberschiebungsbahnen ergeben und aus subhorizontal geführten Bewegungsbahnen hervorgehen. Im Verlauf dieses Vorganges erfolgte die tektonische Ver-schiffung des devonischen Massenkalkes mit unterkarbonischen Spaltenfüllungen.

Kulmtonschiefer u. Flözleeres

Flinz und iQlopodenkalke

Flinz-Schiefer

Kulmtonschiefer u. Flözleeres

Erdbacher Kalk

Abb. 9. Schematisches Querprofil

durch den Warsteiner Komplex im postorogenen Stadium.

W. KREBS, H. WACHENDORF: Der paläogeographisch-tektonische Entwicklungsgang

0 1 2 3

cm

43

A-b/

Abb. 10. Ausgeschwänztes Flinzkalk-Phacoid, dessen eine Begrenzungsfläche der Schichtung entspricht, während die andere Flächenschar aus einer weitständigen Bruchschieferung resultiert. - Steinbruch am Kalvarienberg (10).

Mit zunehmendem Abstand von der Überschiebungszone stellt sich in den Massenkalk-Schuppen im mittleren Teil des Warsteiner Komplexes ein NW-vergenter Faltenbau ein; jedoch ist darüber hinaus in den feinkörnigen Plattform-Kalken im nordwestlichen Teil des Warsteiner Sattels bei Suttrop eine tektonische Lamination und extreme Auslängung von Biogenen in Richtung des tektonischen Transportes zu beobachten, die an die Fließtektonik tieferer tektonischer Stockwerke erinnert.

Zusammenfassung

Vom oberen Mitteldevon bis zum mittleren Unterkarbon besteht im südöstlichen Teil des Warsteiner Komplexes eine gegenüber dem mittleren und nordwestlichen Teil abweichende Faziesentwicklung. Geringmächtige, lückenhafte, kondensierte Sedimente sowie mehrphasig entstandene Spaltenbildungen und lokale Rutschmassen im Oberdevon und Unterkarbon entlang dem SE-Rand des Warsteiner Komplexes verweisen auf eine notorische Hochlage.

Hingegen charakterisiert eine vollständige oberdevonisch-unterkarbonische Schichtenfolge im mittleren und nördlichen Warsteiner Komplex eine anhaltende Subsidenz. Analog der Fazies-entwicklung im Attendorner und Balver Riff können diese markanten Faziesgegensätze im Warsteiner Komplex durch eine nach SE herausgehobene und nach NW geneigte Kippscholle gedeutet werden, die von synsedimentär aktiven Brüchen gerahmt wird.

Der Nachweis unterkarbonischer Conodonten im Massenkalk bei Kallenhardt veranlaßte UFFENORDE (1977a) einen unterkarbohischen „Kallenhardt-Kalk" zu postulieren. Nicht der gesamte „Kallenhardt-Kalk" ist ein jüngeres Synonym des Erdbacher Kalkes (UFFENORDE 1977b), sondern nur die unterkarbonischen crinoidenführenden Spaltenfüllungen im devoni-schen Massenkalk entsprechen litho- und biofaziell dem Erdbacher Kalk.

R h o m b o i d a l geformte Phacoide tektonisch zerscherter Flinz- und C e p h a l o p o d e n k a l k e bei Kallenhardt k ö n n e n nicht als „Schlagwasser-Brekzie" bezeichnet werden. Dieser Begriff ist ausschließlich auf sedimentäre Brekzien zu beschränken, die südlich Kallenhardt zwischen Flinz- und Unterkarbon-Schiefern ausgebildet sind.

Schließlich zeigt der S E - R a n d des Warsteiner Komplexes einen vom übrigen nördlichen Rheinischen Schiefergebirge abweichenden Deformationsstil mit intensiver tektonischer Lami-nation, e x t r e m in Richtung des tektonischen T r a n s p o r t e s ausgelängten Fossilquerschnitten, B o u d i n a g e - und Phacoid-Gefügen. Eine synsedimentäre Abschiebung am S E - R a n d der Warsteiner Kippscholle wurde im Verlauf der orogenen Verformung zu einer Uberschiebungsbahn umgestaltet. Im Z u s a m m e n h a n g mit dieser Uberschiebungstektonik wurden im G r e n z b e -reich mechanisch unterschiedlich wirksamer Stockwerke m e h r e r e Bewegungsbahnen angelegt, in d e r e n Verlauf ein ausgeprägter Lösungstransport stattfand, der an die Fließtektonik tieferer tektonischer Stockwerke erinnert.

Dank

Herrn Dr. STOPPEL, Hannover, danken wir für die Bestimmung unterkarbonischer Conodonten aus der Schlagwasser-Brekzie. Frl. Lucie WIEGELMANN und Herrn Helmut STOSNACH danken wir für die Erstellung der Foto- und Zeichenarbeiten.

Schriftenverzeichnis

BÄR, P.: Die ober-devonisch/unter-karbonische Schichtlücke über dem Massenkalk des Briloner und Messinghäuser Sattels (Ost-Sauerland). - N. Jb. Geol. Paläont. Abh., 131, 263-288, Stuttgart 1968.

BLESS, M. J. M., BOUCKAERT, M. A., CALVER, M. A., GRAULICH, J. M. & PAPROTH, E.:

Paleogeography of Upper Westphalian deposits in NW Europe with reference to the Westphalian seat north of the mobile Variscan belt. - Meded. Rijks. Geol. Dienst, N. S., 28 (5), 101-147, 's-Gravenhage 1977.

CLAUSEN, C.-D.: Mitteilung während der Exkursion der Subkommission für Karbonstratigraphie in das nordöstliche Sauerland vom 19.-21. 5. 1977.

CLAUSEN, C.-D., GREBE, H., LEUTERITZ, K. & WIRTH, W.: Zur Altersstellung und paläogeographi-schen Bedeutung des Paläokarstes auf der Warsteiner Carbonatplattform. - N. Jb. Geol. Paläont.

Mh., 1978, 577-589, Stuttgart 1978.

FIEDLER, K.: Linsige Zerscherung in Kalken. - Mitt. Geol.-Paläont. Inst. Univ. Hamburg, 43, 173-194, Hamburg 1974.

FRANKE, W.: Structure and development of the Iberg/Winterberg reef (Devonian to Lower Carboniferous, Harz, West-Germany). - [In:] MULLER, G. (Ed.): Sedimentology of parts of Central Europe.

VIII. Internat. Sediment. Congr. 1971 Heidelberg, Guidebook to Excursions, 83-89, Frankfurt/

M. 1971.

KREBS, W.: Der Bau des oberdevonischen Langenaubach - Breitscheider Riffes und seine weitere Entwicklung im Unterkarbon (Rheinisches Schiefergebirge). - Abh. Senckenberg. naturforsch.

Ges., S i l , 105 S., Frankfurt/M. 1966.

KREBS, W.: Reef development in the Devonian of the eastern Rhenish Slate Mountains, Germany. -Internat. Symp. Devonian System, Calgary 1967, 2, 295-306, Calgary 1968 (1968a).

KREBS, W.: Die Lagerungsverhältnisse des Erdbacher Kalkes (Unterkarbon II) bei Langenaubach -Breitscheid (Rheinisches Schiefergebirge). - Geotekt. Forsch., 28, 72-103, Stuttgart 1968 (1968b).

KREBS, W.: Devonian carbonate complexes of Central Europe. - [In:] MÜLLER, G. (Ed.): Sedimentology of parts of Central Europe. VIII. Internat. Sediment. Congr. 1971 Heidelberg, Guidebook to Excursions, 45-81, Frankfurt/M. 1971.

W. KREBS, H. WACHENDORF: Der paläogeographisch-tektonische Entwicklungsgang 45 KRONBERG, P., PILGER, A., SCHERP, A. & ZIEGLER, W.: Spuren altvariszischer Bewegungen im

nordöstlichen Teil des Rheinischen Schiefergebirges. - Fortschr. Geol. Rheinl. Westf., 3 (1), 1-46, Krefeld 1960.

MUCHOW, S.: Über die Beziehung zwischen Flinzschichten und Massenkalk im Warsteiner Sattel. -Fortschr. Geol. Rheinl. Westf., 9, 723-730, Krefeld 1965.

PLESSMANN, W.: Lösung, Verformung, Transport und Gefüge (Beiträge zur Gesteinsverformung im nordöstlichen Rheinischen Schiefergebirge). - Z. dt. geol. Ges., 115, 650-663, Hannover 1966.

RICHTER-BERNBURG, G.: Zur Tektonik des mitteldevonischen Massenkalkes (Beobachtungen aus dem Gebiet von Warstein, Westfalen). - Z. dt. geol. Ges., 104, 94-98, Hannover 1953.

SCHMIDT, H.: Das Oberdevon-Culm-Gebiet von Warstein i. W. und Belecke. - Jb. preuß. geol.

Landesanst., 41, 254-339, Berlin 1922.

SCHNEIDER, W.: Diagenese devonischer Karbonatkomplexe Mitteleuropas. - Geol. Jb., D 21, 107 S., Hannover 1977.

SITTER, L. U. de: Boudins and parasitic folds in relation to cleavage and folding. - Geologie en Mijnbouw, 20, 277-286, s'Gravenhage 1958.

STASCHEN, D.: Zur Geologie des Warsteiner und Belecker Sattels (Rheinisches Schiefergebirge, Deutsch-land). - Münster. Forsch. Geol. Paläont., 5, 119 S., Münster/Westf. 1968.

STRUCKMEIER, W.: Der Horizont der „Liegenden Alaunschiefer" (cu II) des Warsteiner und Belecker Sattels (Nördl. Rheinisches Schiefergebirge). - Diplomarbeit Braunschweig 1974.

UFFENORDE, H.: Zur Entwicklung des Warsteiner Karbonat-Komplexes im Oberdevon und Unterkarbon (Nördliches Rheinisches Schiefergebirge). - N. Jb. Geol. Paläont. Abh., 152, 75-111, Stuttgart 1976.

UFFENORDE, H.: Resedimentäre Kalke des mittleren Unterkarbons im Warsteiner Sattel (Nördliches

UFFENORDE, H.: Resedimentäre Kalke des mittleren Unterkarbons im Warsteiner Sattel (Nördliches