• Keine Ergebnisse gefunden

4 Wissenschaftliche Grundlagen

4.1 Verkehrsmittelwahl

4.1.1 Relevante Theorien zur allgemeinen Entscheidungsfindung

Die Wahl eines Verkehrsmittels ist ein komplexer Vorgang. Um spezifische Entscheidungsmodelle bezüglich der Verkehrsmittelwahl aufstellen zu können, ist eine interdisziplinäre Recherche unausweichlich. Die Wahl eines Verkehrsmittels stellt den Verkehrsteilnehmenden vor eine Entscheidung. Die Literatur verfügt über eine Vielzahl von Theorien zu Entscheidungsmodellen unter Berücksichtigung psychologischer Faktoren. Hierbei wird zunächst der Faktor der Verkehrsmittelwahl vernachlässigt.

Als Grundlage für die folgende Darstellung von Theorien zur Entscheidungsfindung wird zunächst der Unterschied zwischen expliziter und impliziter Informationsverarbeitung erläutert. Um vor allem visuelle Informationen wahrzunehmen, müssen diese zunächst explizit und implizit verarbeitet werden. Der Input von Informationen gelange generell über Augen, Ohren oder auch die Haut in das menschliche Gehirn. Das implizite (automatische) System sei für die Sinneswahrnehmung verantwortlich und entscheide über Verhaltensweisen. Das implizite Verhalten sei außerdem für die schnelle Entscheidung verantwortlich, wenn eine Person beispielsweise unter Zeitdruck steht. Es werde spontan und intuitiv gehandelt. Die Entscheidung werde „automatisch“ getroffen und stehe bei einem Großteil von Entscheidungen (95%) im Vordergrund. Das explizite System, auch

„Arbeitssystem“ oder bewusstes System genannt, arbeite schrittweise und wäge die Entscheidung mit vorherig gewonnenen Erkenntnissen ab. Um die Entstehung von Emotionen zu verstehen, zeigt Scheier 2008 die Verarbeitungskapazität der beiden Systeme im menschlichen Gehirn auf. Die implizite Wirkung habe eine gesamte Kapazität von mehr als 11.000.0000 Bits (Informationseinheiten/Sinneseindrücken). Die explizite Wirkung könne hingegen nur 40-50 Bits verarbeiten und diene somit in erster Linie dem Nachdenken (SCHEIER in KREUTZER und MERKE 2008, S. 307 ff.).

Die Theorie des geplanten Handelns 4.1.1.1

Die Theorie des geplanten Handelns, welche Ajzen in seinem Werk „The Theory of Planned Behavior“

(AJZEN in ORGANIZATIONAL BEHAVIOUR AND HUMAN DECISION 1991) sowie in „Attitudes, Personality and Behavior“ (AJZEN 2005) erläutert, bietet die Grundlage zahlreicher psychologischer Entscheidungsmodelle. Die Theorie des geplanten Handelns wird deshalb im folgenden Abschnitt kurz zusammengefasst.

Die Theorie basiert auf der Annahme, dass Menschen in der Regel nach einer vernünftigen Art und Weise handeln bzw. sich verhalten. Dabei sei die Absicht einer Person, das Verhalten auszuführen bzw. nicht auszuführen die wichtigste und unmittelbarste Determinante eines Handelns. Absichten und Verhalten werden von drei grundlegenden Determinanten bestimmt und beeinflusst. Dazu zählen die persönliche Einstellung gegenüber dem Verhalten, der reflektierende soziale Einfluss bzw.

soziale Normen sowie die Bewertung der Möglichkeit das geplante Verhalten durchführen zu können (siehe Abbildung 1).

Die erste Determinante bzw. der persönliche Faktor beschreibt Ajzen mit der individuellen Einstellung gegenüber dem Verhalten. Es könne negativ oder positiv ausgeprägt sein. (AJZEN 2005, S.

116 ff.).

Abbildung 1: Theorie des geplanten Verhaltens (AJZEN 2005, S. 118)

Als Ergänzung zu diesem Faktor seien individuelle bzw. persönliche Faktoren zu ergänzen. Diese Faktoren nennt Norman 1963. Er unterscheidet insgesamt fünf Faktoren voneinander. Der erste Faktor stellt die Extroversion und die Introversion gegenüber. Darunter fallen beispielsweise Eigenschaften wie gesprächig – ruhig, aufrichtig – verschwiegen, abenteuerlustig – vorsichtig oder auch gesellig und zurückgezogen. Der zweite Faktor ist die Wohlgefälligkeit. Hier werden Eigenschaften wie gutmütig - reizbar, freundlich – eigenwillig, kooperativ – negativistisch oder auch eifersüchtig – nicht eifersüchtig vorgestellt. Der dritte Faktor stellt Eigenschaften des Pflichtbewusstseins gegenüber. Dazu zählen neben ordentlich – nachlässig, verantwortlich – unzuverlässig auch ausdauernd – aufgebend. Die emotionale Stabilität bildet den vierten Faktor.

Gelistet werden beruhigend – ängstlich, gelassen – nervös und nicht hypochondrisch – hypochondrisch. Der fünfte Faktor beschäftigt sich mit kulturellen Aspekten. Hier werden künstlerisch sensibel – künstlerisch gefühllos, einfallsreich – einfach, intellektuell – nicht reflektierend und raffiniert – plump unterschieden (NORMAN 1963, S. 574 ff.). Das Handeln ist also immer von dem persönlichen Faktor und der Einstellung eines jeden Individuums abhängig.

Die zweite Determinante bildet die Wahrnehmung des sozialen Drucks des Individuums, ein Verhalten durchzuführen bzw. dies zu unterlassen. Da es sich hierbei um empfundene normative Empfindungen handelt, nennt sich die zweite Determinante subjektive Norm (AJZEN 2005, S. 116 ff.).

Als Ergänzung zur subjektiven Norm und des Empfindens von sozialen Drucks können fünf Faktoren ergänzt werden (FISHBEIN und AJZEN 2010, S. 130 ff.):

• Belohnender Faktor; der soziale Druck wird durch eine empfundene Belohnung bekräftigt, der beim Ausführen der Absicht als positiv empfunden wird.

• Bestrafender Faktor; der soziale Druck kann ebenfalls in der Lage sein, bei Nichteinhaltung eine Art Bestrafung auszuüben.

• Legitimierender Faktor: der soziale Druck hat eine entscheidende Position, wenn die meinungsgebende Position in einer entscheidenden Rolle ist.

• Expertisen-Faktor: Sobald der soziale Faktor eine bestimmte Expertise, ein ausgeprägtes Wissen oder besondere Fähigkeiten besitzt, wird der gefühlte soziale Druck gesteigert.

• Referenten-Faktor: Die Einhaltung des sozialen Drucks kann abhängig von dem einflussgebenden Faktor sein, wenn die Person der einflussgebenden Person ähneln will.

Hunecke nimmt in seinem Werk „Mobilitätsverhalten verstehen und verändern“ eine weitere Differenzierung der subjektiven Normen vor:

„Injunktive Normen kennzeichnen dabei die inhaltlichen Erwartungen einer Gruppe, wie man sich angemessen zu verhalten hat, z. B. als Pkw-Fahrer auf Fußgänger und Radfahrer Rücksicht zu nehmen. Deskriptive Normen beschreiben hingegen, wie sich die Angehörigen der relevanten Bezugsgruppe hinsichtlich der jeweiligen Erwartungen tatsächlich verhalten, also ob sie sich beim gewählten Beispiel als Pkw-Fahrer auch wirklich rücksichtsvoll gegenüber Fußgängern und Radfahrern verhalten.“ (HUNECKE 2015, S. 19)

Die dritte Determinante kann als wahrgenommene Verhaltenskontrolle beschrieben werden. Dabei beabsichtigen Personen ein Verhalten durchzuführen, entsprechend des Vorhandenseins nötiger Mittel und Möglichkeiten.

Die Theorie berücksichtigt also die möglichen Auswirkungen der wahrgenommenen Verhaltens-kontrolle auf die Erreichung von Verhaltenszielen. Alle genannten Determinanten werden jedoch auch durch die jeweiligen Ausprägungen untereinander gestärkt oder geschwächt. Die Determinanten haben im Anschluss einen direkten Einfluss auf eine Absicht, welche durch ein Verhalten bzw. ein Handeln zum Ausdruck kommt. Ein Sonderfall stelle die dritte Determinante dar.

Wenn die Verhaltenskontrolle so eindeutig sei, was beispielsweise durch eine Unterstützung oder Verhinderung durch äußere Umstände geschehen könne, münde dies direkt in einem Verhalten, ohne dabei die zwei verbleibenden Determinanten sowie die Intention zu berücksichtigen (AJZEN 2005, S. 116 ff.).

Neben den drei zuvor genannten Determinanten haben jedoch auch generalisierte Stimmungen einen direkten Einfluss auf Absichten und Verhalten. Dazu zähle neben Fröhlichkeit bzw. Freude auch Traurigkeit. Diese Faktoren seien jedoch indirekt. Generelle Stimmungen können systematische Effekte auf Glauben und Evaluationen haben. Personen, die zu dem Zeitpunkt der Entscheidung über eine positive Stimmung verfügen, entscheiden optimistischer und positiver bei Entscheidungen, die sich um bevorzugte Geschehnisse handeln, als Personen die negativer gestimmt sind (FISHBEIN und AJZEN 2010, S. 247).

Die zuvor erläuterte Theorie kann in vielen praktischen Anwendungsfällen angewandt werden. Auch kann sie dazu genutzt werden, gezielte Verhaltensinterventionen zu erzielen. Jedoch können einige Verhaltensweisen zu einer Routine führen. Somit reichen minimale Anstrengungen bzw.

Aufmerksamkeiten aus, dass Personen in einem gewissen Verhaltensmuster verweilen (FISHBEIN und AJZEN 2010, S. 23 ff.). Daraus schließt sich, dass die Anstrengungen, Personen zu einem anderen Handeln zu bewegen, sehr umfangreich und komplex sein können.

Erweiterung der Theorie und zeitliche Differenzierung

Bamberg erweiterte 2013 die zuvor genannte Theorie inhaltlich und zeitlich. Die in Abbildung 1 aufgeführten Vorgänge teilt Bamberg in eine Phase ein, die vor der Entscheidungsfindung liegt.

Hierbei liegt die Absicht des Zieles jedoch bereits auf dem Übergang zur zweiten „preactional“ Phase.

Die Verhaltensabsicht stellt dann die Verbindung von der „preactional“- zur eigentlichen Handlungsphase da. Hierbei wird dann die Verhaltensabsicht praktisch umgesetzt. Nach der Umsetzung führt Bamberg eine Post-Handlungsphase ein, die die Entscheidung bzw. den potenziellen Umschwung zu einem neuen Verhalten darstellt (BAMBERG in JOURNAL OF ENVIRONMENTAL PSYCHOLOGY 2013, S. 69).

Verhaltensmodell von BJ Fogg 4.1.1.2

BJ Fogg entwickelte ein weiteres Verhaltensmodell (siehe Abbildung 2). Dieses Modell zeigt ebenfalls auf, welche Faktoren für das Verhalten von Menschen entscheidend sind. Das Modell baut lediglich auf drei Faktoren auf. Je höher die einzelnen Faktoren sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass das entsprechende Verhalten eintritt.

1. Motivation / Motivation (m)

Als Beispiele für die Motivation bzgl. eines bestimmten Verhaltens nennt Fogg diverse Faktoren.

Diese Faktoren können positiv oder negativ belastet sein. Die positiven Eigenschaften seien Motivationen, um den geänderten Zustand zu erreichen (Pull-Faktoren). Die negativen Faktoren seien Push-Faktoren und motivieren die Person, den jetzigen Zustand zu ändern. Zu den Pull-Faktoren zählt Fogg beispielsweise Freude/Vergnügen, Hoffnung oder auch Akzeptanz. Als Push-Faktoren nennt er Schmerz, Angst und Ablehnung.

2. Befähigung /Ability (a)

Im Bereich der Befähigung erwähnt Fogg folgende Vereinfachungsfaktoren: Zeit, Geld, physischer Aufwand, kognitiver Aufwand, soziale Devianz, und eine Nicht-Routine. Wenn diese Faktoren in eine positive Richtung ausgeprägt sind, steigere sich die Befähigung in Bezug auf das Verhalten bzw. auf dessen Änderung.

3. Auslöser / Trigger (t)

Jede Handlung benötige einen Auslöser. Dieser Auslöser kann durch ein Signal ausgelöst werden. Wo dieses Signal herkommt, bzw. durch wen es ausgelöst wird, wird dabei als zweitrangig eingestuft. Das Signal könne direkt oder indirekt durch Personen oder diverse Informationen ausgelöst werden.

Fogg geht davon aus, dass wenn einer der drei Faktoren nicht existiert, auch kein Verhalten bzw. eine Verhaltensänderung durchgeführt werde. Mit dem Modell will Fogg WissenschaftlerInnen unterstützen, psychologische Entscheidungsfindungen nachvollziehen zu können (FOGG o. J.a). Des Weiteren beschreibt Fogg eine Action Line. Diese stellt die Trennlinie zwischen dem Durchführen und dem Nicht-Durchführen eines Verhaltens dar. Direkt abhängig sei diese Linie primär vom Einfluss der Motivation und der Befähigung. Sei die Motivation und die Befähigung positiv ausgeprägt bzw. hoch, so könne der Auslöser einfach wirken und die Aktion würde durchgeführt werden. Seien Motivation und Befähigung niedrig, könne auch der Auslöser keinen positiven Einfluss mehr leisten. Somit lege der Gesamtfaktor hinter der Aktionslinie. Kommt es beim Einfluss von Motivation und Befähigung zu Grenzsituationen, sei der Auslöser elementar entscheidend für die Durchführung eines Verhaltens bzw. einer Verhaltensänderung. Daraus entwickelte Fogg folgende Formel (FOGG (o. J.b):

Verhalten = Motivation x Befähigung x Auslöser

Abbildung 2: Fogg Behavior Modell (eigene Darstellung nach FOGG o. J.b)