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4 Wissenschaftliche Grundlagen

4.3 Emotionen - Definition und Relevanz

4.3.4 Emotionen in der Produktsprache

Auch Flade folgert aus einer quantitativen Erhebung, welche sich um die allgemeine Entstehung von Emotionen bei der Nutzung von Verkehrsmitteln handelt, also unabhängig vom Design, dass es angesichts der Verkehrsrelevanz emotionaler Bewertungen erforderlich sei „Emotionen in der Verkehrsplanung größeres Gewicht beizumessen als bisher.“ Dabei sei es zweitrangig, ob Emotionen als Primärreaktionen gesehen werden oder nicht (FLADE in UMWELTPSYCHOLOGIE 2000, S. 62).

„Wenn […] die relevanten emotionalen Faktoren des Mobilitätsverhaltens zukünftig zweckmäßiger berücksichtigt werden, wird man der nachhaltigen Modernisierung der Mobilität in Städten wohl ein erhebliches Stück näher kommen.“

(KLÜHSPIES 1998, S. 185)

Diese These von Klühspies wird durch eine Veröffentlichung des Zukunftsinstituts GmbH unterstützt.

Diese sagt aus, dass Emotionen unbändige Kraft besäßen. Um diese Kraft in produktive Energie umwandeln zu können, müssten „Unternehmen die Rolle von Emotionen als wichtigste Treiber für menschliches Handeln antizipieren.“ (ZUKUNFTSINSTITUT GMBH (Hg.) 2018, S. 7)

Arten der Produktwahrnehmung

Um Emotionen in die Produktsprache einordnen zu können, ist es nötig, die allgemeinen Arten der Produktwahrnehmung zu erläutern. Roth und Saiz definieren zwei grundlegende Differenzierungen der Produktwahrnehmung. Zunächst gäbe es die Variante, bei der das Produkt selbst eine Emotion ausstrahle. Hierbei agiere das Produkt passiv. Als Beispiele für die passive Ausstrahlung nennen Roth und Saiz Adjektive wie „ängstlich, zurückgezogen, zusammengekauert und unterwürfig“. Diese Eigenschaften hat das Produkt selbst. Im zweiten Fall löst das Produkt eine Emotion aktiv aus. Als Beispiele werden die Erregung von Angst, das Auslösen von Freude oder die Erregung von Ekel genannt.

Emotionen können laut Norman durch Produkte ausgelöst werden. Hierzu sind drei Stufen definiert:

„Intuitives Design (visceral design)

Basiert auf der Wahrnehmung von Produkten und beschäftigt sich mit deren Erscheinungsbild

Verhaltensbezogenes Design (behavioral design)

Basiert auf Erwartungen und beschäftigt sich mit dem Vergnügen während der Benutzung

Reflektiertes Design (reflective design)

Basiert auf geistigen Prozessen und beschäftigt sich mit dem Selbstbild oder Erinnerungen“

(ROTH und SAIZ 2014, S. 70 nach NORMAN 2005, S. 39)

„Wie ein visuelles Artefakt wirkt, variiert je nach Kontext (Thematik, Zielpublikum, Anlass, Medium, gestalterisches Miteinander etc.) sehr stark. Diese Wirkungsunterschiede lassen sich mit dem rhetorischen Decorum und damit mit der Frage nach der Angemessenheit seines Einsatzes erklären. Die Wirkung und somit auch die Gültigkeit einer Wirkregel hängen also immer davon ab, ob das gestaltete Artefakt vom jeweiligen Publikum, zum jeweiligen Zeitpunkt etc. als passend oder unpassend empfunden wird: Das rhetorische Decorum verlangt die Angemessenheit der verwendeten Stilmittel relativ zum räumlichen, zeitlichen und sozialen Kontext.“

(SCHNELLER et al. 2012, S. 11)

Zusätzlich beschreiben Schneller et al., dass gezielte Abweichungen von den eigentlichen Wirkregeln als prägende visuelle rhetorische Figuren beschrieben werden können (SCHNELLER et al. 2012, S. 11).

Kontextbezug

Ein Fokus der vorliegenden Arbeit liegt auf dem intuitiven Design bzw. darauf, wie Produkte sinnlich wahrgenommen werden. Dies ist die Grundlage dafür, dass Emotionen überhaupt gebildet werden können. Im Emotionsmodell von Roth und Saiz wird die Beziehung zwischen Rezipient und Produkt erläutert. Zunächst werde der Rezipient in seiner Wahrnehmung grundlegend von seinen Erwartungen, seinen Motiven und seinen Werten beeinflusst. Das Produkt (P) hingegen habe ebenfalls kulturelle und soziale Umfelder, stehe also ebenfalls in einem Kontext. Das Produkt verfüge über gewisse Reize. Diese würden durch den Rezipient wahrgenommen. Im Anschluss entwickelt der Rezipient aufgrund der aufgenommenen Reize Emotionen (E). Die Bewertung gestalte sich jedoch nicht bei allen Rezipienten analog, da jeder Rezipient über andere Erwartungen Motive und Werte verfüge. Aufgrund der entstandenen Emotionen entwickle sich eine Handlung die direkt oder indirekt auf das Produkt wirkt. Es sei dabei zu beachten, dass keine Handlung ebenfalls eine Reaktion darstelle (ROTH und SAIZ 2014, S. 71). Steffen hingegen erweitert dieses Model in ein interaktives Model mit wechselseitigen Beziehungen. Das Ziel von Designern sei es, das Produkt im Prozess der

sozialen Interaktion zu integrieren. Hierzu müssten die Designer das Umfeld des Rezipients detailliert analysieren, um eine solide Basis für die soziale Interaktion zu garantieren (STEFFEN 2000, S. 23).

Roth und Saiz gehen 2014 zudem auf das „Circumplex der 41 produktrelevanten Emotionen“ ein. Die von Desmet 2002 in die deutsche Sprache übersetzte Grafik zeigt die Kategorisierung von Emotionen, die im Zusammenhang mit Produkterscheinungen auftreten (siehe Tabelle 7). Emotionen die beim Gebrauch bzw. durch den Besitz eines Produkts auftreten, werden hierbei vernachlässigt. Auch sind nur die am relevantesten erachteten Emotionen genannt. Zusätzliche Emotionen können ebenfalls vorkommen, häufigen sich laut Desmet jedoch nur seltener (ROTH und SAIZ 2014, S. 78 ff; DESMET 2002, S. 33 ff.)

Tabelle 7: Produktrelevante Emotionen (eigene Darstellung nach DESMET 2002, S. 33)

Hauptkategorie Zwischenkategorie Unterkategorie

erregt neugierig, überrascht, gierig, angeregt, konzentriert, erstaunt, begierig

freudig-erregt begeistert, begehrt, geliebt

erfreulich Freudig überrascht, fasziniert, erfreut, bewundernd, kontaktfreudig, sehnsüchtig, freudig

freudig-ruhig zufrieden, abgeschwächt

ruhig Erwartend, respektvoll

unerfreulich-ruhig melancholisch, seufzend, gelangweilt, traurig, kontaktarm unerfreulich griesgrämig, launisch, zynisch, enttäuscht,

geringgeschätzt, verärgert

unerfreulich-erregt gereizt, abgestoßen, empört, unangenehm überrascht, frustriert, habgierig, beunruhigt, feindselig

Roth und Saiz entwickelten 2014 ein sogenanntes „Emotional Grid“ (siehe Abbildung 15 [Auszug]).

Zweck der komplexen Darstellung ist es, Emotionen, welche durch Produkte entstehen, einordnen und transferieren zu können. Dadurch biete sich die Möglichkeit, Empfindungen grafisch und strukturiert zuordnen zu können. „Das Emotion Grid dient hier zum einen als Analysetool, um bestehenden Marken, Produkte oder Zielgruppen bezüglich ihrer Werte und Emotionen aufzurastern.

Zum anderen lassen sich damit auch Werte und Emotionen für neue Marken oder Produktideen festlegen.“ (ROTH und SAIZ 2014, S. 76) Das Emotional Grid gilt also als „einheitliche und fundierte Methode, um den Zusammenhang zwischen emotionalem Ausdruck und jeweiliger Form, Farbe oder Materialität zu visualisieren und damit auch zu kommunizieren“ (ROTH und SAIZ 2014, S. 78).

Abbildung 15: Beispielhafter Auszug aus dem Emotion Grid (ROTH und SAIZ 2014, Anhang Plakat)

Aufgeteilt ist das Emotional Grid, welches auf der Definition der Basisemotionen von Tabelle 6 basiert, in die Hauptbereiche Lust und Unlust. Auf die Hauptbereiche werden die zuvor definierten zehn Basisemotionen verteilt. Die Basisemotionen sind entlang der drei Emotionsachsen platziert.

Dazu zählen die Faszinationsachse (Interesse/Überraschung), die Triebachse (Begierde/Zorn/Furcht) sowie die Harmonieachse (Vertrauen). Zusätzlich zu den Emotionsachsen wurden Werteareale definiert. Diese bilden jeweils eine Mischform der benachbarten Emotionsachsen. Den Basisemotionen wird eine gewisse Anzahl an Subemotionen zugeteilt (ROTH und SAIZ 2014, S. 79 ff.).

Tabelle 8 zeigt die verwendeten Basisemotionen sowie die entsprechenden Subemotionen (Lust/Unlust) auf. Zusätzlich wird dargestellt, auf welcher Emotionsachse sich die entsprechende Basisemotion befindet.

Tabelle 8: Strukturierung des Emotion Grid (eigene Darstellung nach ROTH und SAIZ 2014, Anhang Plakat)

Basisemotion Subemotion [Lust] Subemotion [Unlust] Emotionsachse

Freude

Euphorie, Bewunderung, Triumpfgefühl,

Fröhlichkeit, Behagen, Lust

Zentral

Interesse

Anspannung, Faszination, Erregung, Begeisterung, Neugier, Inspiration

Faszinationsachse

Vertrauen

Glück, Zufriedenheit, Zuversicht, Sicherheit, Liebe, Sympathie

Harmonieachse

Begierde

Gelüst, Übermut, Habgier, Stolz, Verlangen,

Sehnsucht

Triebachse

Überraschung

Verblüffung,

Verwunderung, freudige Überraschung

Schock, Verwirrung, unangenehme Überraschung

Faszinationsachse

Zorn Aggression, Eifersucht,

Gereiztheit Neid, Hass, (Verzweiflung) Triebachse Furcht

Feigheit, Angst, Panik, Phobie, Schrecken, (Verzweiflung)

Triebachse

Ekel

Abneigung, Geringschätzung, Schaudern, Abscheu, Widerwille, Verachtung

zwischen Harmonie- und Triebachse, leicht orientiert zur Harmonieachse Scham

Unsicherheit, Unwohlsein, Peinlichkeit, Schuld, Reue, Schüchternheit

zwischen Harmonie- und Triebachse, stark orientiert zur Harmonieachse

Trauer

Einsamkeit, Melancholie, Sorge, Depression, Schmerz, Kummer

zwischen Harmonie- und Faszination-sachse, stark orientiert zur Harmonieachse Nach der Anwendung des Emotional Grids resultieren „emotionale Felder für die jeweilige Gestaltung“ (ROTH und SAIZ 2014, S. 79 ff.). Diese Felder können umfassend analysiert werden. Auf eine einfache Art lassen sich jedoch direkte Grundtendenzen ablesen. Diese unterscheiden Roth und Saiz in vier Kategorien (ROTH und SAIZ 2014, S. 88 ff.):

• unruhig-dynamisch-leuchtend-künstlich

• ruhig-statisch-gedeckt-natürlich

• organisch-weich-warm-rau

• kristallin-hart-kalt-glatt

Weitere Methoden zur Messung von Emotionen

Das Emotion Grid stellt eine Möglichkeit dar, Produkte bezüglich ihrer emotionalen Wirkung bewerten zu lassen bzw. die Emotionen in einem Raster zu erfassen und diese im Anschluss strukturiert zu analysieren. Damit bietet sich eine Möglichkeit, indirekt Emotionen zu messen. Die direkte Messung von Emotionen sei nicht möglich, da die Emotion ein „Phänomen ist, das erst durch die Bewertung des Empfindens entsteht.“ (ROTH und SAIZ 2014, S. 146 ff.) Eine vergleichende Analyse von insgesamt acht wissenschaftlichen Methoden zur (indirekten) Messung von Emotionen zeigt auf, dass jede Methode bestimmte Anzeichen misst, um daraus auf die entsprechenden Emotionen zu schließen. So werden neben beobachtenden Methoden aus dem Jahr 1978, über die moderne Messung mithilfe von Elektroden, bis hin zu Methoden mit Hilfe von Kernspintomographie alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Dabei kommen Messungen des Ausdrucks, Messungen des Erlebens, qualitative Methoden, die Messung physiologischer Veränderungen oder auch biopsychologische Methoden zur Anwendung (ROTH und SAIZ 2014, S. 146 ff.). Es wird gefolgert, dass Emotionen am einfachsten durch den Rezipient selbst zu bewerten sind.

Kombination von Emotionen und Verkehrsmitteln

Bereits im Jahr 2003 veröffentlichte Levelt eine Studie bezüglich der Emotionen, welche bei der Nutzung von Verkehrsmitteln ausgelöst werden. Als Emotionskategorien hatten die StudienteilnehmerInnen die Möglichkeit, zwischen Freude, Zuneigung, Überraschung, Wut, Traurigkeit und Angst zu wählen. Ebenfalls wurden den Befragten hierzu diverse Unterkategorien zur Auswahl angeboten. Leider ist dem Dokument nicht zu entnehmen, auf welcher Literatur die Auswahl der Emotionskategorien entstanden ist. Die Emotionen wurden in Abhängigkeit zu diversen Verkehrsmitteln gesetzt (Pkw, Fahrrad, zu Fuß, Motorrad). Somit konnten zwar die Verbindung zwischen Emotionen und Verkehrsmitteln erörtert werden, die genaue Ursache der Entstehung der entsprechenden Emotion bleibt jedoch in diesem Fall unerforscht. Das Ergebnis der Erhebung zeigt, dass bei der Nutzung des Pkw am meisten Emotionen genannte worden sind (62%). Danach folgt das Fahrrad (19%) vor dem zu Fuß gehen (15%) und dem Motorrad (3%). Werden die Emotionen an sich betrachtet, so werden bei der Freude am meisten Emotionen genannt (54%). Danach folgen Wut (22%), Angst (8%), Traurigkeit (7%), Zuneigung (6%) sowie die Überraschung (2%). Levelt stuft Freude, Zuneigung sowie Überraschung als positive Emotion ein. Wut, Angst und Traurigkeit werden als negativ eingestuft. Insgesamt werden mit 61% mehr positive Emotionen ausgelöst als negative (37%) (LEVELT 2003, S. 21 ff.).

Forschungsbedarf

Harms et. al beschreiben in ihrem Paper aus dem Jahr 2007, dass Emotionen das Verkehrsverhalten signifikant steuern können. In den letzten Jahren sei das Interesse an der Bedeutung von Emotionen, bezogen auf das Verkehrsverhalten, gewachsen. Dabei beziehen sie sich jedoch auf nicht-wissenschaftliche Veröffentlichungen, die beschreiben, dass im Verkehr regelmäßig Ereignisse auftreten, die Emotionen verursachen würden. In diesem Bereich seien laut Harms et al. auch nur wenige wissenschaftliche Veröffentlichungen bzw. Untersuchungen vorzufinden (HARMS et al. 2007, S. 31 ff.). Diese Schlussfolgerung bestärkt die nähere Betrachtung der Emotionen in dieser Arbeit und begründet den Fokus der interdisziplinären Integration von Emotionen im folgenden Kapitel. Final leistet die vorliegende Arbeit einen Beitrag dazu, den von Harms et al. beschriebenen Forschungs-bedarf teilweise zu befriedigen.