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4.6 Verwahrung und Beaufsichtigung

4.6.4 Die Verwahrung von Reitpferden

4.6.4.2 Reiten im Straßenverkehr

Das Reiten eines Pferdes auf öffentlichen Straßen ist grundsätzlich gestattet, ist aber immer mit einem Risiko für das Reiter-Pferd-Paar sowie für andere Verkehrsteilnehmer behaftet.

Pferde sind Fluchttiere – Straßenlärm und vorbeifahrende Autos können zu Reaktionen des Pferdes führen, die nicht vorhersehbar sind und damit Gefahrenpotential besitzen.

Pferde mit ihren Reitern gelten als Straßenverkehrsteilnehmer. Die StVO ist somit anwendbar. § 79 StVO sieht vor, dass der Reiter körperlich geeignet und des Reitens kundig sein muss. Reiter, die öffentliche Straßen benutzen, müssen das 16. Lebensjahr vollendet haben, ansonsten darf nur in Begleitung eines Erwachsenen geritten werden.353 Unerheblich ist, ob die Begleitperson selbst reitet, das Pferd führt oder mit dem Fahrrad daneben herfährt.354 Grundsätzlich gilt, dass der Begleiter 18 Jahre alt sein muss. Soche355 ist der Meinung, dass es ausreicht, wenn die Begleitperson wenigstens 16 Jahre alt ist, sofern sie selbst daneben her reitet. Tut sie das nicht, sondern geht neben dem Tier, ist eine Begleitung nur sichergestellt, sofern sie unmittelbar in der Nähe des Tieres bleibt und dieses gegebenenfalls am Durchgehen hindern könnte. Dies wird für eine kundige Person bereits ab 16 Jahren möglich sein, ein Laie aber wird die mangelnde Sachkenntnis durch entsprechende Körperkraft kompensieren müssen, die in der Regel wohl erst ab 18 Jahren gegeben sein dürfte. Andererseits wäre auch die Überlegung anzustellen, ob eine Begleitperson bei Personen, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, überhaupt notwendig ist. Eine Haftung bei Verursachung von Schäden ist grundsätzlich ab dem 14.

Lebensjahr vorgesehen. Auch darunter können Kinder und Jugendliche haftbar gemacht werden, soweit sie entsprechend einsichtsfähig sind. Ein abgelegter Reiterpass, der die Befähigung, das Pferd im Gelände kontrollieren zu können, belegt, kann Indiz für die Einsichtsfähigkeit des Kindes sein. Dadurch hat das Kind Kenntnisse erlangt, wie es sich im Gelände und auch im Straßenverkehr korrekt zu verhalten hat. Bei Nichteinhaltung der

352 Vollständiger Wortlaut abgedruckt in

https://www.pferderevue.at/magazin/freizeit/2015/09/erlaubt_oder_nichtmitpferdenimwaldspazierengehen.h tml (Zugriff 26.04.2021).

353 § 79 StVO idF BGBl I 37/2019.

354

Https://www.propferd.at/main.asp?VID=1&kat1=96&kat2=643&GenLiPage=4&DDate=28112015&NID=2 896 (Zugriff 03.08.2020).

355 Soche, ZVR 1979, 44.

Kenntnisse kann sich daher gegebenenfalls auch bei Kindern unter 14 Jahren eine Haftung für beim Reiten entstandene Schäden ergeben.356 Diese Überlegung wird wohl eher beim Bereiten von Wald und Wiese, abseits von öffentlichen Straßen, von Relevanz sein. Der Reiterpass als Bescheinigung des Inhabers, das Pferd im Gelände reiten zu können und die entsprechenden Vorschriften zu beherrschen, begründet für sich allein noch keine Ausnahme von der Regelung des § 79 Abs 1 StVO. Einzige Ausnahme stellt das Reiten im Rahmen eines landwirtschaftlichen Betriebes dar, das schon mit Vollendung des zwölften Lebensjahres ohne Begleitung erlaubt ist.357

Nach § 79 Abs 2 StVO358 dürfen Reiter nur die Fahrbahn und auf Straßen mit Reitwegen nur die Reitwege benützen. Bankette, Gehsteige, Radwege und auch Fußgängerzonen sind nicht zu bereiten. Ebenfalls ist das Reiten auf Autobahnen und Autostraßen verboten. Der OGH sieht den Zweck des Absatz 2 leg cit darin, die Gefährdung für Fußgänger auf Gehsteigen zu verringern, nicht aber Autolenker vor Kollisionen mit Pferden zu schützen.359 Dies führt dazu, dass die Judikatur die Frage des Mitschuldens zulasten der Autofahrer oft sehr streng beurteilt. So benützte eine Reiterin mit ihrem Pferd einen am linken Fahrbahnrand gelegenen Gehsteig, als plötzlich zwei zu einem Haus gehörige Hunde zu bellen begannen. Das Pferd scheute infolgedessen und sprang vom Gehsteig auf die Fahrbahn, während sich ein PKW annäherte. Eine Kollision konnte auch durch die eingeleitete Vollbremsung der Lenkerin nicht verhindert werden, wodurch beide Parteien und das Pferd verletzt wurden. Der OGH hielt in diesem Zusammenhang zwar fest, dass gemäß § 79 Abs 2 StVO Reitern nur die Fahrbahn und ausgeschilderte Reitwege zur Verfügung stehen und damit grundsätzlich ein Verstoß gegen diese Bestimmung vorliegt, aufgrund eines rechtswidrigen Verhaltens aber nur für jene Schäden zu haften ist, welche die übertretene Verhaltensnorm mit ihrem Schutzzweck gerade verhindern will. Der Zweck der Bestimmung besteht in der Hintanhaltung der Gefährdung von Fußgängern auf Gehsteigen. Autofahrer sind vielmehr dann dem Risiko von Kollisionen mit Pferden ausgesetzt, wenn diese die Bestimmung des

§ 79 Abs 2 StVO einhalten und die Fahrbahn benützen. Das Fehlverhalten der Reiterin führt für sich allein noch nicht zu einer Haftung für den eingetretenen Schaden. In dem scheuenden Pferd und dem dadurch reflexartigen Verreißen des PKW durch die Lenkerin sieht das Höchstgericht eine außergewöhnliche Betriebsgefahr, die eine Haftung der

356 Https://www.noeps.at/kolumne-recht-gehabt-teil-12/ (Zugriff 03.08.2020).

357 Straßenverkehrsordnung 1960 BGBl 1960/159; vgl auch Pürstl, StVO-ON15.00 § 79 Rz 2 (Stand 1.10.2019, rdb.at).

358 Straßenverkehrsordnung 1960 BGBl 1960/159.

359 RIS-Justiz RS0117474.

Autolenkerin begründet. Insgesamt überwiegt aber dennoch der Beitrag der Reiterin zum Unfallereignis, weswegen von einer Schadensteilung von 2:1 auszugehen ist.360

In der Entscheidung 2 Ob 65/94 sprach der OGH eine Verschuldensteilung von 1:1 aus. Die Reiterin benützte einen geschotterten Güterweg, welchen sie beim Auftauchen eines entgegenkommenden Fahrzeuges zum Ausweichen in den links davon liegenden Wassergraben verließ. Die Lenkerin fuhr mit ihrem PKW mit einem Seitenabstand von 75 cm an dem Pferd vorbei, wobei das Pferd plötzlich mit dem hinteren Oberschenkel gegen den PKW stieß und infolgedessen zu Sturz kam. Das Höchstgericht begründete die Verschuldensteilung damit, dass der Vertrauensgrundsatz zwar grundsätzlich auch gegenüber Reitern mit Pferd gilt, jedoch nicht davon auszugehen ist, dass sich das Pferd verkehrsgerecht verhalten wird, schon gar nicht, wenn ein zu geringer Seitenabstand eingehalten wird. Die Reiterin konnte aufgrund ihres nicht StVO-konformen Verhaltens nicht beweisen, dass sie für die erforderliche Beaufsichtigung gesorgt hatte, weswegen auch ihr ein Mitverschulden angelastet wurde.361 Das Vorbeifahren an Tieren erfordert stets besondere Aufmerksamkeit. Als ausreichend wird in der Regel ein Seitenabstand von 1,5 bis 2 m vom Pferd beurteilt. Die Größe des Abstandes ist aber jedenfalls abhängig von den erkennbaren Gefahren, von der Breite der Straße sowie von der Annäherungsgeschwindigkeit.362

Reiter als Verkehrsteilnehmer haben Richtungswechsel, das Abbiegen sowie auch Tempowechsel per Handzeichen anzuzeigen. Beim Reiten in der Gruppe trifft diese Pflicht den Vorreiter hinsichtlich des Gegenverkehrs sowie den Schlussreiter für den Folgeverkehr.

Sie haben sich zu vergewissern, dass die anderen Verkehrsteilnehmer die Handzeichen wahrgenommen haben. Ein Überqueren oder Abbiegen auf der Straße sollte zügig und gemeinsam erfolgen. Es kann zu einer Gefahrensituation kommen, wenn ein Pferd zurückbleibt, während sich die anderen bereits auf der anderen Straßenseite befinden. Pferde sind instinktiv Herdentiere, weswegen das alleinige Zurückbleiben Panikreaktionen hervorrufen kann.363

360 OGH 27.03.2003, 2 Ob 40/03a.

361 OGH 2 Ob 65/94 ZVR 1995, 213.

362

Https://www.pferderevue.at/aktuelles/recht/2018/06/Reiter_und_Kfz-Lenker_beiderseits_fuer_Unfallvermeidung_verantwortlich.html (Zugriff 01.04.2021); vgl auch RIS-Justiz RS0074030; OLG Celle 10.04.2018, 14 U 147/17.

363

Https://www.propferd.at/main.asp?VID=1&kat1=96&kat2=643&GenLiPage=4&DDate=28112015&NID=2 896 (Zugriff 03.08.2020).

Erfolgt der Ausritt zu einer Zeit, in der bereits mit Dämmerung, Dunkelheit oder starkem Nebel gerechnet werden muss, ist der Reiter verpflichtet, eine Beleuchtung mitzuführen, soweit die vorhandene Straßenbeleuchtung nicht ausreicht. Grundsätzlich ist im Falle einer Beleuchtungspflicht das Mitführen einer hell leuchtenden Laterne an der linken Seite des Reittieres vorgeschrieben.364 Zusätzlich wird das Anbringen von gelben Reflexstreifen oder -bändern empfohlen. Die Vorschriften über die Beleuchtung haben besondere Bedeutung für die Verkehrssicherheit, da deren Verletzung meist als unfallauslösend beurteilt wird.365 So wurde von einem Gericht das Fehlverhalten zweier Reiter, das Reiten auf unbeleuchteten Pferden in der Dunkelheit, schwerer beurteilt als das Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit des Unfallgegners. Das Gericht hielt eine Verschuldensteilung von 1:2 zulasten der Reiter für angemessen.366

Pferde, die am öffentlichen Verkehr teilnehmen, müssen einen hohen Grad an Grundgehorsam aufweisen. Kommt es trotzdem zu kritischen Situationen, etwa aufgrund von neuen Reizen durch Straßenlärm, große Maschinen oder vorbeifahrende Autos, kann ein Absitzen vom Pferd hilfreich sein. Zumeist lassen sich Pferde in der Praxis vom Boden aus leichter beherrschen und beruhigen, sodass Unfälle verhindert werden können. Das Antreiben des Pferdes vom Sattel aus muss zweckmäßig und situationsgerecht sein. Auch kann das Rauchen oder Telefonieren im Sattel als irritierende Manipulation angesehen werden, was als „Reizen“ des Pferdes ausgelegt werden und haftungsrelevant sein kann.367 Die Erforderlichkeit der Art der Verwahrung kann nur im Einzelfall beurteilt werden, da aber das Reiten im öffentlichen Verkehr mit erhöhten Gefahrenquellen verbunden ist, wird auch der Sorgfaltsmaßstab hinsichtlich der Verwahrung entsprechend anzupassen sein.

4.6.5 Zwischenergebnis

Eine unzureichende Verwahrung ist haftungsbegründend. Der Halter hat die Verwahrung des Pferdes abhängig von unterschiedlichen Faktoren zu organisieren. Es muss nicht jede denkbare Beschädigung im Vorfeld ausgeschlossen werden,368 da aber eine ordnungsgemäße Verwahrung zur Verhinderung von Schäden beiträgt, sind die

364 § 79 Abs 3 StVO idF BGBl 1960/159.

365 Ollinger, Haftungsfalle 93; RIS-Justiz RS0027459.

366 OLG Innsbruck 2 R 47/02g ZVR 2003, 256.

367

Https://www.propferd.at/main.asp?VID=1&kat1=96&kat2=643&GenLiPage=4&DDate=28112015&NID=2 896 (Zugriff 03.08.2020).

368 RIS-Justiz RS0030365.

Gefährlichkeit des Tieres sowie die Möglichkeit der Schädigung bei den gewählten Verwahrungsmaßnahmen zu berücksichtigen.369

Eine verallgemeinerungsfähige Aussage, wie die Verwahrung von Pferden zu passieren hat, kann kaum getroffen werden. Die Umstände des Einzelfalles bestimmen die Ausgestaltung der Verwahrung.370 Massive Holzzäune sind geeignet, auch bei Panikreaktionen ein entgegenwirkendes Hindernis darzustellen. Die geeignete Zaunhöhe kann durch die Faustregel Stockmaß des Pferdes x 0,9 bestimmt werden. Besondere Sorgfalt erfordert die Haltung von Hengsten und Springpferden.371

Die strenge Haftung der Pferdehalter in Stadt- und Landgebieten steht der Hintanhaltung geforderter Maßnahmen in Alpgebieten gegenüber. Die Vermeidung der Forderung von zusätzlichen Verwahrungsmaßnahmen führt dazu, dass gewisse Gefahren, vor allem eine Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit, von der Rechtsordnung in Kauf genommen werden. Ob sich ein derartiges Herabsetzen des Mindestmaßes einer Sorgfaltsverpflichtung durch das Allgemeininteresse an der Landwirtschaft noch rechtfertigen lässt, ist fraglich.

Viel eher müsste ein Mittelweg gefunden werden, bei dem beide Parteien, also auch Landwirte sowie Straßenverkehrsteilnehmer, Touristen und Wanderer, gleichermaßen belastet werden.372 Die Novelle des § 1320 ABGB schafft einen solchen Ausgleich wiederum nicht. Es kommt hier zwar zu einer zusätzlichen Belastung der Almbesucher durch eine gesetzlich verankerte Eigenverantwortung, was aber wieder nur zu einer Besserstellung der Landwirte führt. Diese können sich zusätzlich bei der Verwahrung auf altbekannte Standards stützen, welche sich zumeist nur am Mindestmaß an Verwahrungsmaßnahmen orientieren.373 Ob sich dadurch die Divergenz zwischen Tourismus und Landwirtschaft in Einklang bringen lässt, bleibt offen.

Die unterschiedliche Behandlung von Tierhaltern im urbanen Bereich gegenüber jenen in Alm- und Weidegebieten zeigt sich bei den geforderten Verwahrungsmaßnahmen von Reitpferden. Das Führen eines Pferdes in einem uneingefriedeten Bereich wird außerhalb von Alm- und Weidegebieten als unzureichende Maßnahme erkannt,374 während geforderte Verwahrungsstandards in Almgebieten teilweise gänzlich entfallen. Die Rechtfertigung für

369 Vgl RIS-Justiz RS0030081.

370 RIS-Justiz RS0030157.

371 Https://www.propferd.at/main.asp?VID=1&kat1=96&kat2=643&NID=2884 (Zugriff 08.09.2020)

372 Oberhofer, ZVR 1996, 34.

373 Vgl dazu ErläutRV 623 BlgNR 26. GP 1.

374 OGH 2 Ob 70/16g ZVR 2018/62 (Huber) = Zak 2016/439 = JBl 2016, 723 = EvBl‑LS 2016/144 = HAVE/REAS 2017, 196 (Huber).

die deutliche Verminderung der geforderten Verwahrungsmaßnahmen in Almgebieten sieht die Gesetzgebung375 in der im Allgemeininteresse liegenden Landwirtschaft einerseits und dem Tourismus andererseits. Nachvollziehbar ist diese gebietsabhängige Ungleichbehandlung nicht immer, vor allem dann nicht, wenn die Verwahrungsmaßnahmen, welche von Haltern außerhalb solcher Gebiete gefordert werden, immer wieder verschärft werden.

5 Sorgfaltsmaßstab

Die Haftung eines Tierhalters tritt nicht schon dann ein, wenn nicht jede Möglichkeit einer Beschädigung durch das Tier ausgeschlossen wurde, sondern erst dann, wenn die nach den Umständen gebotenen Vorkehrungen unterlassen wurden.376 Dabei ist von einem Tierhalter die durchschnittlich gebotene Sorgfalt iSd § 1297 ABGB zu fordern.377 Erst wenn im Einzelfall besondere Fachkenntnisse erforderlich sind, kommt der strengere Maßstab des § 1299 ABGB zur Anwendung.378 Die Gerichte halten sich bei der Anwendung des § 1299 ABGB in Hinblick auf die Tierhalterhaftung sehr zurück. Eine Sachverständigenhaftung nach § 1299 ABGB sprach der OGH einem Betreiber eines Tierparks zu – von einem solchen sei zu erwarten, dass er sich hinreichende Kenntnis von der Eigenart und der spezifischen Gefährlichkeit der im Tierpark gehaltenen Tiere verschafft.379 Daraus folgt, dass ein einfacher Tierhalter den strengeren Haftungsvoraussetzungen des § 1299 ABGB grundsätzlich nicht unterliegt. Oberhofer380 betrachtet diese Annahme kritisch, da er der Meinung ist, dass jede Tierhaltung dem Grunde nach besondere Sachkenntnisse erfordert, über die Nicht-Tierhalter oft nicht verfügen. Es liege demnach nahe, sich am maßgerechten Tierhalter und nicht bloß am maßgerechten Durchschnittsmenschen zu orientieren.

Reischauer381 führt diesbezüglich aus, dass von einem Bauern die Sorgfalt eines ordentlichen Landwirts zu fordern sei und dass die Judikatur, selbst wenn lediglich der Maßstab nach § 1297 ABGB verlangt wird, § 1299 vor Augen habe. Daraus könne der Schluss gezogen werden, dass der OGH also in aller Regel eine über § 1297 ABGB hinausreichende Sorgfalt verlangt. Oberhofer382 begründet diese Annahme auch damit, dass

375 Vgl ErläutRV 623 BlgNR 26. GP 1.

376 RIS-Justiz RS0030024.

377 OGH 2 Ob 211/72 SZ 45/126 = ZVR 1974, 110 = RZ 1973, 17.

378 Oberhofer, ZVR 1996, 34.

379 RIS-Justiz RS0026520; OGH 1 Ob 694/85 EvBl 1986/111.

380 Oberhofer, ZVR 1996, 34.

381 Reischauer in Rummel, ABGB3 §1320 Rz 12a.

382 Oberhofer, ZVR 1996, 34.

§ 1320 ABGB von einem Tierhalter die erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung verlangt, was die Notwendigkeit eines besonderen Sachwissens sowie eines Sorgfaltsmaßstabs, der dem des § 1299 ABGB entspricht oder zumindest nahekommt, zeigt.

Aus praktischer Sicht bedeutsamer ist die Unterscheidung zwischen allgemeiner Haftung und Sachverständigenhaftung beim Hüter bzw Verwahrer eines Tieres. Der Hüter haftet nach § 1320 Abs 1 S 1 ABGB lediglich bei subjektiv schuldhafter Verletzung der Verwahrungs- und Beaufsichtigungspflicht. Kommt aber § 1299 ABGB zur Anwendung, kann ein Verwahrer auch dann zur Haftung herangezogen werden, wenn ihm gerade wegen seiner mangelnden Fähigkeiten kein subjektiver Vorwurf gemacht werden kann, da § 1299 ABGB auf einen objektiven Sorgfaltsmaßstab abstellt. Damit wird die Haftung des Verwahrers jener des Tierhalters angenähert. Die Haftung wird auf diese Weise verschärft, lediglich die Beweislastumkehr tritt nicht ein. Der anzuwendende Sorgfaltsmaßstab richtet sich nach der Gefährlichkeit der Tiere und auch danach, ob jemand ein Tier zum eigenen Vorteil in seiner Gewahrsame hat. So kann demjenigen, der ein Tier aus Gefälligkeit kurzfristig übernimmt, nicht die Haftung eines Sachverständigen auferlegt werden, wohl aber demjenigen, der gewerbsmäßig gegen Entgelt fremde Tiere verwahrt und beaufsichtigt.383 Die Rechtsprechung ist ebenso der Ansicht, dass jemanden, der zwar nur einfacher Stallarbeiter ist, sich aber mit der Verwahrung fremder Pferde abgibt, der objektive Sorgfaltsmaßstab der Sachverständigenhaftung nach § 1299 ABGB aufzuerlegen ist. Der Stallarbeiter hat demnach jene Sorgfalt anzuwenden, die üblicherweise Personen aufwenden, die die betreffende Tätigkeit ausüben.384

Festzuhalten ist, dass die Sachverständigenhaftung bei Reitstallbetreibern und Einstellbetrieben aufgrund dieser Ausführungen zur Anwendung kommt. Hauptaufgabe von Einstellbetrieben ist die Verwahrung und Beaufsichtigung fremder Pferde, welche sie von Haltern zur Verwahrung übergeben bekommen. Zumeist erfolgt die Verwahrung gegen Entgelt, also zum Vorteil der Betreiber. Es ist deshalb naheliegend, sich bei Beurteilung des Sorgfaltsmaßstabes an jenem, der für verständige Einstellbetreiber iS eines Sachverständigen gilt, zu orientieren. Die Verwahrung von Pferden in Form eines Einstellbetriebes erfordert ein notwendiges Maß an Sachwissen, das über jenes eines einfachen Pferdebesitzers hinausgehen sollte.

383 Oberhofer, ZVR 1996, 34.

384 OGH 2 Ob 75/82 ZVR 1983, 311.

Ebenfalls ist von bestimmten Berufsgruppen ein erhöhter Sorgfaltsmaßstab zu fordern.

Darunter fallen Reitlehrer, Bereiter, Züchter, aber auch Gelegenheitsreitlehrer, welche Reitunterricht aus Gefälligkeit erteilen. Bei der Beurteilung des konkret einzuhaltenden Sorgfaltsmaßstabes muss eine Einzelfallprüfung vorgenommen werden, in der die Frage gestellt wird, wie sich die sorgfältige Maßfigur in der konkreten Situation verhalten hätte.385 Sind bei der konkreten Tätigkeit Fachkenntnisse erforderlich, so ist bei der Beurteilung auf einen Fachmann und damit auf die objektiven Kriterien der Haftung nach § 1299 ABGB abzustellen. Der Fachmann hat für Schäden, die aufgrund mangelnder Fähigkeit und Sachkenntnis hervorkommen, einzustehen.386

6 Abschließende Bemerkungen

Die Tierhalterhaftung im österreichischen Recht weist eine starke Einzelfallbezogenheit auf, was es schwierig macht, verbindliche Aussagen darüber zu treffen, wann es tatsächlich zu einer Haftung kommt. Die Verschiedenartigkeit der einzelnen Tierarten kommt erschwerend hinzu. Auch innerhalb einer Tiergruppe kommt es aufgrund der verschiedenen Rassen, Geschlechter sowie Ausbildungsstände zu auffallenden Unterschieden in der Behandlung in Bezug auf die Haftung des Tierhalters. Gerade im Bereich der Pferdehaltung fällt eine sehr strenge Auslegung der Tierhalterhaftung des § 1320 ABGB durch die Gerichte auf. Nur in seltenen Fällen gelingt dem Tierhalter der Freibeweis durch den Nachweis einer ordnungsgemäßen Verwahrung. Die Urteile des OGH verbreiten sich in der Reiterwelt und bringen teils Unsicherheit mit sich. So auch das Urteil, in dem der OGH entschied, dass das Führen eines Pferdes, egal ob am Halfter oder Zaumzeug, in einem uneingefriedeten Bereich eine unzureichende Verwahrung darstellt und damit im Schadensfall zu einer Haftung des Pferdehalters führt.387 Daraus würde eine enorme Einschränkung in der Handhabung von Pferden entstehen, da es oftmals unvermeidlich ist, Pferde auch in uneingefriedeten Bereichen zu führen. Allein der Gang zu einer Weidefläche wäre mit Haftungsrisiken verbunden. Der OGH begründet diese Entscheidung mit der von Pferden aufgrund ihres charakteristischen Verhaltens ausgehenden Gefährlichkeit. Dass derartig strenge Entscheidungen in Reiterkreisen heftig kritisiert werden, liegt auf der Hand. Der OGH weicht mit dieser Entscheidung auch in Ansätzen von seiner bisherigen Rechtsprechung ab,

385 Ollinger, Haftungsfalle 42.

386 Schacherreiter in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.07 § 1299 Rz 2 (Stand 1.5.2020, rdb.at); Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1299 ABGB (Stand 1.1.2007, rdb.at).

387 OGH 2 Ob 70/16g ZVR 2018/62 (Huber) = Zak 2016/439 = JBl 2016, 723 = EvBl‑LS 2016/144 = HAVE/REAS 2017, 196 (Huber).

in der er eigentlich davon ausging, dass vom Tierhalter keine Verwahrung verlangt werden kann, die jede nur denkbare Beschädigung mit Sicherheit ausschließt.388 Ebenfalls stellt der Gerichtshof auf die Zumutbarkeit von Maßnahmen hinsichtlich der Verwahrung ab. Es ist deshalb unverständlich, warum von einem Pferdehalter derart schwerwiegende Verwahrungsmaßnahmen gefordert werden, die in der Praxis nicht umsetzbar sind.

Auf der anderen Seite wird die Haltung von Tieren, mitunter auch Pferden, in Alpgebieten durch das HaftRäg 2019 noch weiter privilegiert. Dadurch wird versucht, den Konflikt zwischen der Landwirtschaft und dem steigenden Tourismus in diesen Regionen zu lösen.

Um der Ratio der Landwirte, nämlich für Touristen gesperrte Weideflächen, entgegenzuwirken, wurde hinsichtlich der Verwahrung auf altes Herkommen abgestellt. Den Touristen wurde zusätzlich noch eine gesetzlich verankerte Eigenverantwortung auferlegt, wenn sie Bereiche betreten, in denen sie auf Vieh treffen könnten.389 Es bleibt abzuwarten, wie die Judikatur das HaftRäg 2019 in ihren Entscheidungen einbeziehen wird. Tatsächlich wird es dadurch wohl nicht zu einer Abweichung der Judikaturlinie des OGH in Bezug auf die Haftung der Tierhalter für ihre weidenden Tiere in Alpregionen kommen. Das HaftRÄG 2019 hält nämlich im Grunde lediglich bereits Ausjudiziertes gesetzlich fest. Es wäre nicht nachvollziehbar, warum Regelungen rund um die Haltung von Weidetieren noch weiter aufgeweicht werden sollten, während es im Haustierbereich immer wieder zu Verschärfungen kommt.

Die enorme Zunahme des Vieh- und Haustierbestandes in Österreich lässt die Thematik der Tierhalterhaftung immer wieder aufkommen. Allein der Pferdebestand hat sich in den letzten 50 Jahren verdreifacht. Die Modernisierung im landwirtschaftlichen Bereich hatte zuvor einen enormen Abfall an gehaltenen Pferden mit sich gebracht. Ein Tiefstand mit etwa

Die enorme Zunahme des Vieh- und Haustierbestandes in Österreich lässt die Thematik der Tierhalterhaftung immer wieder aufkommen. Allein der Pferdebestand hat sich in den letzten 50 Jahren verdreifacht. Die Modernisierung im landwirtschaftlichen Bereich hatte zuvor einen enormen Abfall an gehaltenen Pferden mit sich gebracht. Ein Tiefstand mit etwa