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Reichtum, Macht und eine Verheißung: Anmer- Anmer-kungen zum „religiösen” Wesen des Reichtums

Anmerkungen zur ideologischen Dimension der Reichtumsdebatte

5.3 Reichtum, Macht und eine Verheißung: Anmer- Anmer-kungen zum „religiösen” Wesen des Reichtums

Eine rein quantitative empirische Untersuchung des Reichtums in Deutschland vernachlässigt tendenziell, dass dieser Reichtum nicht allein eine materielle Bes-serstellung seiner Besitzer bewirkt. Dass sich aus diesem Reichtum vor allem auch eine Machtposition ableitet, scheint so selbstverständlich336, dass dies in der Literatur meist nicht explizit ausgeführt wird337. Die dem Volksmund mehr als geläufige „Herrschaft des Geldes”338wird von den Wirtschaftswissenschaften und der modernen Soziologie jedoch vernachlässigt. Dies hat seinen Grund offensichtlich in der Ausdifferenzierung der akademischen Disziplinen339. Ent-scheidend ist hier, dass so bisher nur Fragmente einer Soziologie des Reichtums vorliegen. Vorherrschend ist immer noch, Geld im Wesentlichen als Preisindika-tor (so in den Wirtschaftswissenschaften) beziehungsweise als auf das wirtschaft-liche Subsystem beschränktes Kommunikationsmedium zu interpretieren (so in der modernen Soziologie)340. Der Rückbezug auf die dadurch ignorierte Vermö-genseigenschaft des Geldes ist auch der Ansatzpunkt der konstruktiven Interpre-tation des Reichtums durch Christoph Deutschmann.

Das Thema Geld – und damit implizit die Frage nach den Dimensionen von Reichtum – nimmt noch einen wichtigen Platz bei den Klassikern der Soziologie von Marx über Simmel, Veblen und Tönnies bis Max Weber ein. Kern der Ana-lysen ist, dass Geld die Vereinzelung des Individuums in der Gesellschaft erlaubt, indem es soziale Wechselbeziehungen in abstrakter, unpersönlicher Art ermöglicht.

Wegen ihrer zentralen Position341und quasi exemplarisch soll hier knapp die Interpretation Simmels rekapituliert werden. Geld ermöglicht wegen seiner vollständigen Fungibilität (Austauschbarkeit) nach Simmel einerseits die

„Befreiung” des Einzelnen aus direkten persönlichen Abhängigkeiten, tauscht diese andererseits aber mit erweiterten objektiven funktionalen Abhängigkei-ten, die dafür nicht mehr persönlich gebunden sind, ein342. Die durch das Geld begründete Freiheit, die neben der sozialen eine sachliche, räumliche und zeitli-che Dimension343hat, kommt allerdings erst dann zum Tragen, wenn Indivi-duen Geld über die Subsistenzsicherung hinaus, das heißt, Vermögen, zur Ver-fügung steht. Reichtum qualifiziert sich nicht einfach über den Erwerb konkre-ter Gükonkre-ter, sondern über die vollständige Wahlfreiheit, die er seinem Besitzer ermöglicht. „Was er wann, wo, bei wem erwirbt, ob er überhaupt kauft – alles ist seine autonome Entscheidung”344. Dieses im Geld generalisierte Machtpo-tential ist diesem quasi „zugegeben”, nach Simmel das „Superadditum” des Reichtums345. Darauf verweist auch die sprachliche Bezeichnung erheblicher Geldmittel als „Vermögen”, also im weiteren Sinn als Können. Durch diese Eigenschaft ermöglicht Geld sowohl die Lösung bestehender als auch die Kon-struktion neuer sozialer Beziehungen, wird so allgemein zum „Vehikel ‘sozialer Differenzierung’”346.

Simmels Analyse der daraus folgenden gesellschaftlichen Wirkung des Gel-des soll hier nicht im Einzelnen dargestellt werden347. Festzuhalten bleibt an dieser Stelle, dass Geld – nicht nur bei Simmel, sondern auch bei anderen klassi-schen Autoren – einen zentralen Platz in der Gesellschaftstheorie hat. Die Beschäftigung mit Reichtum darf sich analog nicht auf die wirtschaftliche Dimension reduzieren, sondern muss philosophische und spezielle kulturelle Aspekte mit einschließen348.

Neoliberale Gesinnungsethik

„In einigen ihrer Erscheinungsformen weist die neoliberale Revolution darü-ber hinaus die Züge eines gesinnungsethisch radikalisierten Eiferertums auf, das […] statt der Förderung die weitere Lähmung unternehmerischer Dynamik” zur Folge haben könnte: „Gerade in der gesinnungsethischen Zuspitzung könnte sich die Götterdämmerung der Verheißung des absolu-ten Reichtums als letzter großer Religion der Moderne ankündigen”.

Christoph Deutschmann (2001): Die Verheißung absoluten Reichtums, S.14

Mit Rückgriff auf Marx349und die Religionssoziologie (insbesondere Luh-mann) geht Deutschmann allerdings weit über Simmel hinaus350. Geld ist zwar

im Sinne Simmels „allgemeines Mittel” in der Gesellschaft; über seinen Mittel-charakter hinaus ist es jedoch selbst zum Objekt der Begierde geworden. Diese Feststellung scheint relativ trivial, da das Streben nach Reichtum als eigentli-ches Lebensziel vieler Menschen historisch so bekannt351wie – gerade mit reli-giösem Impetus – vehement kritisiert worden ist. Deutschmann interpretiert Reichtum jedoch nicht einfach im Sinne Veblens als gesellschaftliches Distink-tionsmittel, dessen Bedeutung gerade in stärker egalitären Gesellschaften wach-se352. Vielmehr schreibt er dem Reichtum ein tieferes, nämlich religiöses Wesen zu, was dem Streben nach Reichtum eine grundsätzlichere Bedeutung gibt.

Deutschmann bemüht sich, diese religiöse Natur des Kapitalismus genauer zu fassen, was wiederum die Voraussetzung für eine „Entzauberung” ist.

Entscheidend ist dabei die oben bereits am Begriff des Vermögens angedeute-te „imaginäre Dimension des Geldes”353. Das Geldvermögen weist eben über den konkreten Erwerb von zum Beispiel Gütern, das heißt, über seinen „irdi-schen Zweck”, hinaus auf die „private Verfügung über die Totalität mensch-licher Möglichkeiten, holt das Reich Gottes auf die Erde und stellt es dem Indi-viduum zur Disposition”354. Die Verheißung des Geldvermögens ist die Verhei-ßung, die verletzliche, auf gegenseitige Hilfe angewiesene und endliche Natur des Menschen überwinden zu können. Denn Geld reduziert in seiner Kapital-form zeitliche, sachliche, räumliche und soziale Komplexität355; es ermöglicht so die „sinnhafte[r] Bewältigung des Unbestimmbaren”356. Damit wäre – so Deutschmann – Niklas Luhmann zu korrigieren. Die Funktion – nämlich besagte Transformation des Unbestimmbaren in Bestimmtes –, die dieser der Religion zuspricht, ist in Wahrheit die der Wirtschaft357.

Mit dieser Offenlegung des religiösen Wesens des Reichtums wären allerdings die funktionalen Argumente zugunsten von Ungleichheit und Reichtum auf einer sehr grundsätzlichen Ebene in Frage gestellt358. Die (immer noch denkbaren) positiven Funktionen wären dann lediglich unbeabsichtigte Nebeneffekte eines (zum Beispiel in der ökonomischen Logik) irrationalen Strebens. Der Abschied von der „Verheißung absoluten Reichtums” bedeutete nach Deutschmann die Befreiung von der „durch das Geldvermögen induzierten Obsession individueller Allmacht” sowie die Zumutung der Selbsterkenntnis, dabei jedoch nicht den grundsätzlichen Verzicht auf die Institution des Marktes.

Ergänzt sei hier jedoch, dass Reichtum nicht nur eine „Verheißung” ist, son-dern eine ganz konkrete Machtposition verleiht. Insofern erlaubt Reichtum nicht nur abstrakt die Reduzierung von Komplexität, sondern Bedürfnisbefrie-digung jeder Art und unter Umständen die einseitige Durchsetzung des eigenen Willens auf Kosten anderer. Neben der Verheißung absoluten Reichtums als Grundlage für das irrationale Streben nach immer mehr Reichtum, beinhaltet das Streben nach konkretem Reichtum mit der damit verbundenen Machtposi-tion also auch ein sehr raMachtposi-tionales Element359.