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Reformen des Sexualstrafrechts

Im Dokument Gewalt gegenüber Frauen (Seite 39-43)

4. Österreichische Rechtsentwicklung 1. Einleitung

4.2. Rechtshistorische Entwicklung

4.2.1. Reformen des Sexualstrafrechts

Mit dem Bundesgesetz vom 23. Jänner 1974 über die mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen, kurzStrafgesetzbuch (StGB) genannt, erfolgte eine gänzliche Neugestaltung des österreichischen Strafrechts. Durch diese sogenannte „Große Strafrechtsreform“ wurde das nicht mehr zeitgemäße Strafgesetz über Verbrechen, Vergehen und Übertretungen77 aus 1852 außer Kraft gesetzt. Das neu geschaffene StGB trat stattdessen mit 1. Jänner 1975 in Kraft, womit man auch das Sexualstrafrecht moderat, ohne große revolutionäre Änderungen,

76 Bundeskanzleramt Österreich - Bundesministerin für Frauen und öffentlichen Dienst, Gewalt gegen Frauen, <frauen.bka.gv.at/site/5463/default.aspx#a3> (14.09.2012).

77 Das Strafgesetz über Verbrechen, Vergehen und Übertretungen, kurz Strafgesetz (StG), aus dem Jahr 1852 war eine Neuausgabe des Strafgesetzbuches über Verbrechen und schwere Polizeiübertretungen von 1803. Das StG erfuhr einige Novellen und wurde 1945 nach dem Zweiten Weltkrieg wiederverlautbart.

novellierte. Die strafrechtlichen Sexualdelikte ordnete man damals größtenteils im zehnten Abschnitt mit der Überschrift „Strafbare Handlungen gegen die Sittlichkeit“ ein. Der Begriff

„Sittlichkeit“ im Zusammenhang mit Sexualität, insbesondere als Abschnittsüberschrift, da diese in der Regel das gemeinsame Schutzobjekt der nachfolgenden Delikte bezeichnet, war seit jeher äußerst umstritten. Zum einen drehte sich die Kritik um dessen schwer zu erfassenden Inhalt, zum anderen galt als schützenwertes Rechtsgut des Abschnitts nicht die Sittlichkeit, sondern in erster Linie die sexuelle Integrität bzw das sexuelle Selbstbestimmungsrecht des Menschen. Außerdem zeigte die Einordnung der Sexualdelikte, relativ weit hinten im Strafgesetzbuch zwischen den Abschnitten „Strafbare Handlungen gegen Ehe und Familie“ und „Tierquälerei“, ganz deutlich deren damalige Wertigkeit. Die Straftat der Vergewaltigung konnte im neuen Strafgesetzbuch unter das Delikt der „Notzucht“

gemäß § 201 alte Fassung (aF) StGB, dessen Inhalt man fast eins zu eins aus dem alten Strafgesetz von 1852 übernommen hatte, subsumiert werden.78

Die Gesetzesnovelle im Jahr 1989 brachte schließlich eine wesentliche Modernisierung des österreichischen Sexualstrafrechts. Die vormaligen sexuellen Nötigungsdelikte, namentlich die „Notzucht“ gemäß § 201 aF StGB, die „Nötigung zum Beischlaf“ gemäß § 202 aF StGB, der „Zwang zur Unzucht“ gemäß § 203 aF StGB sowie die „Nötigung zur Unzucht“ gemäß § 204 aF StGB, wurden durch die beiden Delikte „Vergewaltigung“ gemäß § 201 StGB und

„Geschlechtliche Nötigung“ gemäß § 202 StGB neu konzipiert. Damit erfuhr speziell die veraltete „Notzucht“ eine nicht nur terminologische Umgestaltung in das neu geschaffene Delikt der „Vergewaltigung“ und dessen unterschiedlichen Abstufungen. Von herausragender Bedeutung ist daneben, dass erstmals auch sexuelle Gewalthandlungen innerhalb der Ehe oder der Lebensgemeinschaft unter Strafe gestellt wurden. Damals legte jedoch der völlig neu gestaltete § 203 StGB unter anderem noch fest, dass bei Deliktbegehung in Ehe oder Lebensgemeinschaft, die Verfolgung nur auf Antrag der verletzten Person möglich ist. Des

78 Wegscheider, Einführung in das österreichische Sexualstrafrecht, in Floßmann (Hrsg), Sexualstrafrecht - Beiträge zum historischen und aktuellen Reformprozess (2000) 7 f; Mader / Hölzl, Zur „Sittlichkeit“ im Sexualstrafrecht, in Floßmann (Hrsg), Sexualstrafrecht - Beiträge zum historischen und aktuellen Reformprozess (2000) 228 f; Dorner, Sexuelle Gewalt gegen Frauen – Ein historischer Rechtsvergleich zwischen dem römischen Recht und den modernen Gesetzgebungen des italienischen und österreichischen Rechts (2002) 137 f; Perner,

Zwischen Natur und Recht: Das Sexualstrafrecht als Arena des Geschlechterkampfs, in Deixler-Hübner / Schwarzinger (Hrsg), Die rechtliche Stellung der Frau (1998) 297;

Bundesgesetz vom 23. Jänner 1974 über die mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen (Strafgesetzbuch - StGB), BGBl 60/1974 idF 60/1974.

Weiteren formulierte man die „Vergewaltigung“ sowie die „Geschlechtliche Nötigung“

geschlechtsneutral und strich das zuvor erforderliche Tatbestandsmerkmal des

„widerstandsunfähig Machens“, welches zusätzlich vom Opfer bewiesen werden musste.

Darüber hinaus kam es bei der „Vergewaltigung“ zu einer Erweiterung der Tathandlung.

Nicht nur „Beischlaf“ sondern auch eine „dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung“ führen seitdem zur Vollendung des Delikts. Im Übrigen hat die österreichische Gesetzgebung § 204 aF StGB gänzlich gestrichen und entsprechende Angleichungen in der Strafprozessordnung vorgenommen.79

Das Sexualstrafrecht unterlag in der Folge zahlreichen weiteren Novellierungen. Insbesondere die Strafbestimmungen über den sexuellen Missbrauch von Unmündigen und Jugendlichen wurden, wie etwa im Strafrechtsänderungsgesetz von 1998 oder 2002, mehrfach abgeändert bzw erweitert. Die letzte umfangreichere Reform der Sexualdelikte im Strafgesetzbuch fand 2004 statt. Nach langjähriger Kritik änderte man letztlich die Abschnittsüberschrift von

„Strafbare Handlungen gegen die Sittlichkeit“ in die treffendere Bezeichnung „Strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung“. Im Ergebnis bedeutet dies wohl die endgültige Abkehr vom antiquierten Begriff der Sittlichkeit. Außerdem wurden einige kleinere Änderungen an den Delikten der „Vergewaltigung“ und der „Geschlechtlichen Nötigung“ vorgenommen. Den § 203 StGB, der seit der Gesetzesnovelle von 1989 Sonderbestimmungen für die Begehung der Delikte in Ehe oder Lebensgemeinschaft vorsah, strich man komplett. Somit macht es nunmehr überhaupt keinen Unterschied, ob sexuelle Gewalt in einer Ehe bzw Lebensgemeinschaft stattfindet oder nicht. Ferner wurde § 205 StGB über sexuellen Missbrauch von wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Personen generalüberholt. Abschließend sei kurz erwähnt, dass auch die im selben Abschnitt verankerten strafrechtsrelevanten Normen über Pornografie und Prostitution einiges an Umgestaltungen durch diese Novellierung erfuhren.80

79 Wegscheider in Floßmann, Sexualstrafrecht, 8 f; Mader / Hölzl in Floßmann,

Sexualstrafrecht, 233 f; Dorner, Sexuelle Gewalt gegen Frauen, 138; Bundesgesetz vom 23.

Jänner 1974 über die mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen (Strafgesetzbuch - StGB), BGBl 60/1974 idF 242/1989.

80 Wegscheider in Floßmann, Sexualstrafrecht, 8 f; Bundesgesetz vom 23. Jänner 1974 über die mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen (Strafgesetzbuch - StGB), BGBl 60/1974 idF I 15/2004.

Nun soll der Blick noch kurz auf die aktuelle Rechtslage gerichtet werden. In der Gerichtspraxis von größerer Bedeutung sind dabei die „Vergewaltigung“ gemäß § 201 StGB und die „Geschlechtliche Nötigung“ gemäß § 202 StGB. Bei beiden Delikten kommt jedermann, ohne dass irgendwelche Differenzierungen getroffen werden, sowohl als Opfer wie auch als Täter in Frage. Zudem handelt es sich beiderseits um Vorsatzdelikte, wobei zur Verwirklichung bedingter Vorsatz ausreicht. Gemeinsam ist ihnen auch, dass es sich um Erfolgsdelikte handelt. Während bei der „Vergewaltigung“ der Taterfolg im „Beischlaf oder einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung“ zu sehen ist, liegt dieser bei der „Geschlechtlichen Nötigung“ in der im Vergleich weiter zu verstehenden „Vornahme oder Duldung einer geschlechtlichen Handlung“. Bezüglich der Tathandlung sehen beide Delikte alternativ verschiedene Formen der Nötigung vor. Für die „Vergewaltigung“ ist eine Nötigung „mit Gewalt, durch Entziehung der persönlichen Freiheit oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben“ erforderlich. Die „Geschlechtliche Nötigung“

hingegen wird durch Nötigung „mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung“ realisiert. Der Strafrahmen für eine „Vergewaltigung“ kann sechs Monate bis zu zehn Jahre Freiheitsstrafe umfassen. Jener einer „Geschlechtlichen Nötigung“ reicht von sechs Monaten bis zu fünf JahrenFreiheitsstrafe. Insgesamt besitzen die Delikte „Vergewaltigung“ und „Geschlechtliche Nötigung“ dieselbe Grundstruktur. So weisen beide neben dem jeweiligen Grunddelikt in Absatz 1 eine Qualifikation in Absatz 2 auf, die dann beispielsweise zum Zuge kommt, wenn die Tat eine Schwangerschaft, eine schwere Körperverletzung oder gar den Tod zur Folge hat.

Die Unterschiede liegen, wie zuvor beschrieben, in der Tathandlung und im Taterfolg.81

Noch heute werden überwiegend Frauen und junge Mädchen Opfer von sexueller Gewalt. Die nackten Zahlen bezüglich Sexualverbrechen belegen, dass noch immer viel Arbeit auf die österreichische Regierung wartet. Denn nicht einmal eine von zehn Vergewaltigungen wird in Österreich zur Anzeige gebracht und nur jede fünfte Anklage führt auch tatsächlich zu einer Verurteilung.82

81 Wegscheider in Floßmann, Sexualstrafrecht, 4 und 9 und 11 ff und 28; Bundesgesetz vom 23. Jänner 1974 über die mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen (Strafgesetzbuch - StGB), BGBl 60/1974 idF I 61/2012.

82 Verein Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen, Fakten und Zahlen,

<frauenberatung.at/?page_id=423> (20.09.2012).

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