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Frauen in bewaffneten Konflikten

Im Dokument Gewalt gegenüber Frauen (Seite 51-59)

5. Ausgewählte Problembereiche

5.1. Frauen in bewaffneten Konflikten

Frauen leiden seit jeher in einem besonders grausamen Ausmaß unter jenen Formen von Gewalt, die bewaffnete Konflikte zum Vorschein bringen. Verbrechen, die im Laufe einer Kriegssituation an Frauen begangen werden, haben traurige Tradition und wurden historisch lange Zeit als Tabuthema angesehen bzw als bedauerlicher Weise vorkommendes Nebenprodukt des Krieges abgetan. Dabei handelt es sich im Allgemeinen nicht um die Disziplinlosigkeit einzelner Soldaten, sondern vielmehr um systematische Kriegsführung. Die Gründe warum gerade Frauen als Opfer der Aggression militärischer Auseinandersetzungen immer wieder negativ in Erscheinung treten, sind neben dem Verlangen nach sexueller Befriedigung vielschichtig. So werden zwar Gewalttaten gegenüber Frauen auch in Friedenszeiten verübt, erfahren aber in Zeiten des Krieges bzw des damit einhergehenden Zusammenbruchs der öffentlichen Sicherheit sowohl eine Häufung als auch eine Steigerung der Brutalität. Kriegspropaganda verschärft in patriarchal geprägten Gesellschaften das

vorherrschende Machtgefüge zwischen Männern und Frauen, was in weiterer Folge in einer ohnehin schon aufgeheizten und gewaltträchtigen Atmosphäre nicht selten zu sexuellen Übergriffen auf der eigenen Seite führt. Außerdem dient sexuelle Gewalt, wie bereits erwähnt, als gezielt eingesetzte Waffe einer strategischen Kriegsführung um die gegnerische Konfliktpartei bewusst einzuschüchtern und zu erniedrigen. Vor allem durch die Vergewaltigung der Frauen des Feindes versucht man ihn zu demoralisieren, indem man ihm vor Augen führt, dass er nicht in der Lage ist, die eigenen Frauen zu beschützen. In nationalistisch motivierten Konflikten kann auch die Vernichtung einer ethnischen Einheit den Hintergrund solcher Gewaltverbrechen bilden. Weitere Motive für geschlechtsbezogene Gewalt, insbesondere für Vergewaltigungen, können die Belohnung der eigenen Soldaten oder generell Diskriminierung der gegnerischen Zivilbevölkerung als Ausdruck des Sieges sein. Die gestaute Wucht des Hasses, der sich im Laufe der Zeit in militärischen Auseinandersetzungen ansammelt, entlädt sich also häufig in Form von Gewalttaten gegenüber Frauen. In den meisten Fällen mussten die Soldaten auch weder moralische noch rechtliche Konsequenzen befürchten. Die frauenspezifischen Gewaltverbrechen in bewaffneten Konflikten reichen neben Vergewaltigungen von aufgezwungenen Schwangerschaften und Eheschließungen, abgenötigter Prostitution, sexueller Sklaverei über Zwangsabtreibungen und –sterilisationen bis hin zu sexuellen Verstümmelungen und anderen Sexualdelikten. Dazu kommen jene Schrecken des Krieges, die nicht nur bzw nicht überwiegend weibliche Opfer kennen, wie zum Beispiel erzwungene Flucht aus der Heimat oder Folterungen. Diese Akte der Gewalt haben in der Regel verheerende physische Verletzungen wie auch psychische Traumata zur Folge und hinterlassen oftmals ein Leben lang tiefe Spuren bei den Opfern. Nicht zu vergessen sind die gesellschaftlichen Auswirkungen. Man denke nur an Frauen die vom Feind vergewaltigt wurden, nun dessen Kind in sich tragen und deswegen ihren Platz in der Familie oder Dorfgemeinschaft verlieren.98

98 Seibert-Fohr, Die Fortentwicklung des Völkerstrafrechts – Verbrechen gegen Frauen in bewaffneten Konflikten, in Rudolf (Hrsg), Frauen und Völkerrecht – Zur Einwirkung von Frauenrechten und Fraueninteressen auf das Völkerrecht (2006) 145 ff; Mandl, Krieg gegen die Frauen, in Gabriel (Hrsg), Frauenrechte – Einführung in den internationalen

frauenspezifischen Menschenrechtsschutz (2001) 108 f und 111; Greve, Vergewaltigung als Völkermord: Aufklärung sexueller Gewalt gegen Frauen vor internationalen Strafgerichten (2008) 27 ff und 32 ff.

In der Geschichte des Völkerrechts gab es zahlreiche Versuche, das lange Zeit als schier unkontrollierbar geltende Problem der Kriegsverbrechen gegen Frauen in den Griff zu bekommen. Die ersten Verbote von Vergewaltigungen in bewaffneten Konflikten gehen auf die Militärgesetze der englischen Könige Richard II (1367 - 1400) und Heinrich V (1387 - 1422) zurück.99 Die Haager Landkriegsordnung von 1907 beinhaltet die Forderung nach Achtungder Ehre und Rechte der Familie. Das Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen von 1929 besagt, dass Kriegsgefangene Anspruch auf die Achtung ihrer Person und Ehre haben sowie Frauen mit aller ihrem Geschlecht geschuldeten Rücksicht zu behandeln sind. Hierbei zeigt sich auch sehr deutlich, dass auf völkerrechtlicher Ebene sexuelle Gewalt an Frauen in kriegerischen Auseinandersetzungen lange Zeit als eine Frage der Ehre verstanden wurde. Insgesamt änderte sich allerdings trotz all dieser ersten Bemühungen wenig an der gängigen Praxis.100

Einen traurigen Höhepunkt der Sexualverbrechen stellte 1937 jene Gräueltat dar, die später als „The Rape of Nanking“ in den Geschichtsbüchern zu lesen sein sollte. Die japanische Armee vergewaltigte im ersten Monat der Besetzung der chinesischen Stadt Nanking rund 20.000 Frauen und Mädchen. Im Zweiten Weltkrieg fanden sowohl auf deutscher als auch auf russischer Seite unzählige Vergewaltigungen statt. Trotzdem wurden sexuelle Gewaltverbrechen an Frauen weder in der Nürnberg-Charta (1945) noch in der Tokio-Charta (1946), welche die Basis für die Kriegsverbrecherprozesse des Zweiten Weltkrieges bildeten, ausdrücklich aufgenommen.101 Das Völkerstrafrecht war also damals solchen Vergehen gegenüber noch blind. Obwohl es durchaus möglich gewesen wäre, Verbrechen wie beispielsweise Vergewaltigungen unter die teilweise weit gefassten Strafbestimmungen zu subsumieren, hat das Nürnberger-Tribunal Vergewaltigungen, trotz teilweise von der Anklage vorgelegter Beweise, in keinem Urteil gesondert erwähnt. Bei den Prozessen in Tokio wurde nur ein kleiner Teil der tatsächlich begangenen Vergewaltigungen angeklagt. Das Tokio-Tribunal verurteilte diese zwar, aber nur, wenn sie im Zuge eines größeren Angriffs wie jenen in Nanking geschahen und im direkten Konnex zu den in der Tokio-Charta verzeichneten Straftaten standen.102

99 Neuhold in Neuhold, Pirstner, Ulrich, Menschenrechte – Frauenrechte, 115.

100 Seibert-Fohr in Rudolf, Frauen und Völkerrecht, 148; Neuhold in Neuhold, Pirstner, Ulrich, Menschenrechte – Frauenrechte, 115 ff.

101 Mandl in Gabriel, Frauenrechte, 109 f und 113 f.

102 Mandl in Gabriel, Frauenrechte, 109 f und 113 f; Seibert-Fohr in Rudolf, Frauen und Völkerrecht, 148 f; Neuhold in Neuhold, Pirstner, Ulrich, Menschenrechte – Frauenrechte, 116.

Die 1949 verabschiedeten vier Genfer Rotkreuz-Abkommen über den Schutz von Menschen, die nicht an den Kampfhandlungen eines bewaffneten Konflikts teilnehmen bzw nicht mehr teilnehmen können, enthalten auch einige Bestimmungen über Frauen. Doch nur der Artikel 27 des 4. Genfer Abkommens über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten untersagt ausdrücklich sexuelle Gewalt gegenüber Frauen. Nach dieser Bestimmung sollen Frauen

„besonders vor jedem Angriff auf ihre Ehre und namentlich vor Vergewaltigung, Nötigung zur Prostitution und jeder unzüchtigen Handlung geschützt werden“103. Wiederum werden Vergewaltigungen in diesem Zusammenhang als Ehrdelikte und nicht als Gewaltdelikte angesehen. Zudem wurde die strafrechtliche Verfolgung sexueller Gewaltdelikte auf völkerrechtlicher Ebene dadurch erschwert, weil eine dezidierte Erwähnung von Vergewaltigungen und andere Sexualverbrechen bei den „schweren Verletzungen“ im Sinne von Artikel 147 des 4. Genfer Abkommens, welche eine staatliche Verpflichtung zur Strafverfolgung der darin genannten Tathandlungen nach sich gezogen hätte, fehlte. Durch den rasanten Anstieg von zivilen Opfern in Zeiten des Krieges ergänzte man 1977 die vier Genfer Konventionen durch zwei Zusatzprotokolle, die sich noch stärker mit der Schutzbedürftigkeit von Frauen in bewaffneten Konflikten auseinandersetzten. Im Übrigen ist festzuhalten, dass sich die Genfer Konventionen grundsätzlich auf rein internationale Konfliktsituationen beziehen. Nur der in allen vier Genfer Konventionen von 1949 gleich lautende Artikel 3, enthält die Mindeststandards für Kriegshandlungen, die keinen internationalen, sondern rein innerstaatlichen Charakter aufweisen. So verbietet diese gemeinsame Regelung ganz allgemein, ohne explizit auf Frauen Bezug zu nehmen, unter anderem Verstümmelung, grausame Behandlung, Folterung, erniedrigende sowie entwürdigende Behandlung und fordert mehr Menschlichkeit in Kriegen. Das 1977 geschaffene Zusatzprotokoll II beschäftigt sich schließlich in seiner Gesamtheit mit den Opfern nicht internationaler bewaffneter Konflikte.104

Nicht unerwähnt bleiben sollte die Erklärung über den Schutz von Frauen und Kindern in Zeiten eines Notstands und im bewaffneten Konflikt, welche 1974 per Resolution der UN-Generalversammlung verabschiedet wurde.105 In dieser Erklärung werden beispielsweise alle Staaten dazu aufgefordert, dass in ihren Hoheitsgebieten „alle Formen der Unterdrückung und

103 Genfer Abkommen über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten 1949.

104 Mandl in Gabriel, Frauenrechte, 114; Seibert-Fohr in Rudolf, Frauen und Völkerrecht, 145 f und 149 f; Neuhold in Neuhold, Pirstner, Ulrich, Menschenrechte – Frauenrechte, 116 f.

105 Erklärung über den Schutz von Frauen und Kindern in Zeiten eines Notstands und im bewaffneten Konflikt 1974, A/Res/3318 (XXIX).

der grausamen und unmenschlichen Behandlung von Frauen und Kindern, einschließlich Gefangennahme, Folter, Erschießung, Massenverhaftungen, Kollektivstrafen, Zerstörung von Wohnungen und Zwangsräumung, die von Kriegsführenden im Zuge militärischer Operationen oder in besetzten Gebieten begangen werden, als strafbar zu gelten haben“.106

Einen völkerstrafrechtlichen Meilenstein in der Verfolgung geschlechtsbezogener Sexualverbrechen, die in Kriegen begangen werden, stellte die Rechtsprechung der beiden Ad-hoc-Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien im Jahr 1993, ICTY abgekürzt, sowie für Ruanda im Jahr 1994, kurz ICTR genannt, dar. Beide Tribunale sind Nebenorgane der UNO und wurden auf Grundlage einer völkerrechtlich verbindlichen Resolution107 des UN-Sicherheitsrates, beruhend auf Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen, errichtet.

Während das ICTY zur Verfolgung der Verantwortlichen für Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht108 in den Jugoslawienkriegen geschaffen wurde, war das ICTR vor allem eine Reaktion auf die Ereignisse rund um den Völkermord in Ruanda und diente zur Bestrafung der Täterinnen und Täter des Ruandakonflikts. Daneben waren zu keinem unwesentlichen Teil die zahlreichen Sexualvergehen in den beiden Ländern Hintergrund für die Errichtung der Ad-hoc-Tribunale, insbesondere des ICTYs. 1992/93 sind in Bosnien und Herzegowina zwischen 20.000 und 50.000 überwiegend muslimische Frauen von der serbischen Armee vergewaltigt worden. Diese Taten waren Teil einer systematisch eingesetzten Kriegsstrategie und dienten nur einem Zweck: der sogenannten ethnischen Säuberung, der Zerstörung der Kultur der bosnischen Muslime. Auf Grund des ethnischen Konflikts zwischen Hutu und Tutsi in Ruanda fielen 1994 nach Schätzungen circa 250.000 bis 500.000 Frauen und Mädchen der Tutsi-Gemeinschaft Massenvergewaltigungen zum Opfer. Auch hier war sexuelle Gewalt ein Instrument der Hutu-Mehrheit, um die Minderheit der Tutsi zu vernichten. Im Gegensatz zum ICTY, wo durch die Sensibilisierung der Öffentlichkeit auf Grund alarmierender Medienberichterstattung sowie des Druckes der internationalen Frauen- und Menschenrechtsbewegungen das Thema der massenhaften Sexualdelikte an Frauen ein

106 Mandl in Gabriel, Frauenrechte, 113; Erklärung über den Schutz von Frauen und Kindern in Zeiten eines Notstands und im bewaffneten Konflikt 1974, A/Res/3318 (XXIX).

107 Statut des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien 1993, S/Res/827; Statut des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda 1994, S/Res/955.

108 Als humanitäres Völkerrecht bezeichnet man im Allgemeinen jene völkerrechtlichen Bestimmungen, die im Falle eines Krieges zum Tragen kommen.

Hauptmotiv zur Errichtung des Gerichtshofes war, ging dieses Problem in Ruanda jedoch zunächst fast unter.109

Nach dem Statut des ICTY bestraft der Gerichtshof jene Personen, die im ehemaligen Jugoslawien schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht begangen haben. Die strafrechtliche Verfolgung der Täterinnen und Täter kann dabei auf Grund nachstehender vier Anklagepunkte erfolgen: Schwere Verletzungen der Genfer Abkommen von 1949 gemäß Artikel 2, Verstöße gegen die Gesetze oder Gebräuche des Krieges gemäß Artikel 3, Völkermord gemäß Artikel 4 sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß Artikel 5 des ICTY-Statuts. In Bezug auf sexuelle Gewaltverbrechen wird einzig und allein in Artikel 5 explizit Vergewaltigung als Tathandlung eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit genannt, ansonsten fehlt es an einschlägigen Bestimmungen. Das Statut des ICTR gibt dem Gerichtshof die Kompetenz zur Strafverfolgung schwerwiegender Verletzungen des humanitären Völkerrechts von Personen in Ruanda bzw ruandischer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in den Nachbarstaaten. Die möglichen Anklagepunkte nach ICTR-Statut sind Völkermord gemäß Artikel 2, Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß Artikel 3 sowie Verstöße gegen den gemeinsamen Artikel 3 der Genfer Konventionen und gegen das Zusatzprotokoll II gemäß Artikel 4. Im ICTR-Statut fanden Formen der sexuellen Gewalt als Tathandlung der genannten Delikte schon verstärkt Berücksichtigung. So wird Vergewaltigung wie beim ICTY als Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeführt. Darüber hinaus sieht das ICTR-Statut sowohl Vergewaltigung als auch jegliche Beeinträchtigung der persönlichen Würde, namentlich erniedrigende und entwürdigende Behandlung, Nötigung zur Prostitution und jeder unzüchtigen Handlung, ausdrücklich als einen Verstoß gegen den gemeinsamen Artikel 3 der Genfer Konventionen und gegen das Zusatzprotokoll II an. Damit wurde den genderspezifischen Sexualverbrechen in den Statuten der Tribunale zumindest einmal in Ansätzen, aber noch lange nicht in einer die Realität widerspiegelnden Art und Weise Rechnung getragen.110

109 Greve, Vergewaltigung als Völkermord, 20 und 22 f und 24 ff und 65; Mandl in Gabriel, Frauenrechte, 112 und 114; Seibert-Fohr in Rudolf, Frauen und Völkerrecht, 145 und 150 f;

Neuhold in Neuhold, Pirstner, Ulrich, Menschenrechte – Frauenrechte, 114 und 117.

110 Greve, Vergewaltigung als Völkermord, 22 f und 81 ff; Mandl in Gabriel, Frauenrechte, 114 f; Seibert-Fohr in Rudolf, Frauen und Völkerrecht, 151; Neuhold in Neuhold, Pirstner, Ulrich, Menschenrechte – Frauenrechte, 117; Statut des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien 1993, S/Res/827; Statut des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda 1994, S/Res/955.

Es hing demzufolge an der Anklage in Verbindung mit den Richterinnen und Richtern der Ad-hoc-Tribunale die unzähligen Fälle von sexueller Gewalt an Frauen angemessen zu ahnden. Tatsächlich schafften es unerwarteter Weise beide Anklagebehörden, die unterschiedlichsten Arten sexueller Übergriffe unter alle vorhandenen Straftatbestände von ICTY und ICTR zu subsumieren. Entscheidend war hierfür eine entsprechende Interpretation jener Tathandlungen, die nicht explizit eine Form des sexuellen Missbrauchs von Frauen darstellten. Deshalb kam etwa der Auslegung bestimmter Sexualvergehen als Mittel des Völkermordes herausragende Bedeutung zu. Zudem war es beispielsweise von großer Wichtigkeit, die Tathandlung der Folter derart zu deuten, dass sexuelle Gewalt, insbesondere Vergewaltigung, genauso ein Tatbestandselement der Folter sein konnte. Aber auch die beiden Gerichte wurden weitestgehend von den Ansichten der Anklagebehörden überzeugt und sorgten demzufolge für einige positive Überraschungen in ihren Urteilen. So entschied das ICTR im Fall „Akayesu“ erstmals, dass Vergewaltigungen und andere sexuelle Gewalthandlungen einen Völkermord im Sinne des ICTR-Statuts darstellen, wenn diese in der Absicht geschehen, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche zu zerstören. Laut ICTR haben systematische Vergewaltigungen, wie gegen die Tutsi-Frauen in Ruanda, katastrophale Folgen für den Fortbestand einer ethnischen Gemeinschaft und weisen somit ein genozidales Element auf. Denn selbst wenn eine Frau eine solche Tortur überleben sollte, führen die schweren physischen und psychischen Schäden nicht selten zur Unfruchtbarkeit. Weitere Leitentscheidungen der Ad-hoc-Strafgerichtshöfe sind zum Beispiel das „Foca“-Urteil des ICTY, das durch seine hohen Strafen und der erstmaligen Aufnahme des Straftatbestandes „sexuelle Versklavung“ in der Rechtsprechung der Gerichte hervorsticht, sowie das „Delalic“-Urteil des ICTY, bei dem festgestellt wurde, dass Vergewaltigung die Tathandlung der Folter sogar dann erfüllt, wenn diese nicht der Informationsbeschaffung dient, sondern aufgrund einer geschlechtsbezogenen Diskriminierung erfolgt.111

Summa summarum haben beide Ad-hoc-Tribunale Wege gefunden, um sexuelle Gewalt gegenüber Frauen umfassend unter die im jeweiligen Statut verankerten Straftatbestände zu subsumieren. ICTY und ICTR leisteten ferner wichtige Arbeit zur Bewusstseinserweiterung

111 Greve, Vergewaltigung als Völkermord, 98 und 153 und 155 und 164 f und 168 f und 278 f; Mandl in Gabriel, Frauenrechte, 115; Seibert-Fohr in Rudolf, Frauen und Völkerrecht, 152 ff; Statut des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien 1993,

S/Res/827; Statut des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda 1994, S/Res/955.

und trugen somit großen Anteil an der Überwindung der früheren Tabuisierung des Themas.

Der durchschlagende Erfolg in der Weiterentwicklung des Völkerstrafrechts in Bezug auf Verfolgung frauenspezifischer Sexualverbrechen in bewaffneten Konflikten wäre also in der Form, ohne die beiden couragierten Anklagebehörden sowie den vielen aufgeschlossenen Richterinnen und Richtern des ICTY bzw ICTR, keinesfalls möglich gewesen.112

Im Jahr 2002 trat das schon 1998 geschaffene Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, kurz ICC genannt, in Kraft. Dieses bildet die vertragliche Grundlage für das ständige internationale Strafgericht mit Sitz in Den Haag. Der ICC ist gemäß Art 5 Rom-Statut für die strafrechtliche Verfolgung folgender Delikte zuständig: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen sowie Verbrechen der Aggression.

Bereits bei der Ausarbeitung des Römischen Statuts waren internationale sowie nationale Frauenorganisationen stark vertreten und drängten auf ausdrückliche Aufnahme von frauenspezifischen Gewalthandlungen im Wortlaut des Rom-Statuts. Eine wesentliche Forderung war außerdem die vollständige Loslösung der sexuellen Gewalt vom Begriff der Ehre, was man letztendlich auch durch deren implizite Anerkennung als ein Gewaltverbrechen erreichte. Schließlich wurde dank dem Engagement dieser Frauenbewegungen der völkerrechtliche Entwicklungstand der Ad-hoc-Tribunale für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda bestätigt bzw teilweise sogar weiterentwickelt. Das Rom-Statut führt unmissverständlich verschiedene Arten sexueller Gewalt, insbesondere Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, Nötigung zur Prostitution, erzwungene Schwangerschaft wie auch Zwangssterilisation, als Tathandlung des Verbrechens gegen die Menschlichkeit gemäß Art 7 Rom-Statut sowie des Kriegsverbrechens gemäß Art 8 Rom-Statut an. Da es sich des Weiteren bei beiden Straftatbeständen um eine demonstrative Aufzählung handelt, weil laut Statut auch andere Formen sexueller Gewalt von vergleichbarer Schwere die Tatbestandsmerkmale erfüllen, verfügt der ICC über ein nicht zu unterschätzendes Maß an Flexibilität. Beim Völkermord nach Artikel 6 Rom-Statut werden entsprechende Gewalttaten zwar nicht explizit genannt, doch ist es seit dem Akayesu-Urteil des ICTR völkerrechtlich weitgehend unbestritten, dass speziell Vergewaltigungen den Tatbestand des Genozids erfüllen können. Das letzte im Rom-Statut genannte Delikt, das Verbrechen der Aggression, findet derzeit noch keine Anwendung. Insgesamt unterstreicht das Römische Statut des ICC

112 Greve, Vergewaltigung als Völkermord, 168 f und 278 f; Seibert-Fohr in Rudolf, Frauen und Völkerrecht, 157 und 163.

den eigenständigen Unrechtsgehalt von sexuellen Gewalthandlungen an Frauen in bewaffneten Konflikten.113

Im Dokument Gewalt gegenüber Frauen (Seite 51-59)