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Die Ansichten, wie und ob die Finger als Hilfsmittel zum Rechnen eingesetzt werden sollen, sind sehr verschieden (vgl. Scherer & Moser Opitz, 2012, S. 100). Häsel-Weide et al. (2017, S. 44) erwähnen zwei unterschiedliche Reaktionen auf das Rechnen mit Fingern in der Praxis.

Zum einen wird es als entwicklungsbedingtes Vorgehen betrachtet, sodass die Kinder sogar zur dynamischen Verwendung (einzeln ausstrecken) der Finger angeleitet werden. Dies mit dem Argument, dass die Finger ein günstiges Arbeitsmittel seien, weil man sie ‹immer zur Hand› hat. Zum anderen wird die Verwendung der Finger teilweise verboten. Dies mit dem Ziel, dass die Kinder möglichst rasch zum Rechnen ohne konkrete Hilfsmittel gelangen, indem diese gar nie genutzt werden.

In keinem der erwähnten Texte wird das Verbot des Rechnens mit Fingern als ‹die Lösung›

beschrieben. Dies unterstreicht, dass die Autorinnen und Autoren die Entwicklung von nicht-zählenden Strategien als komplexen Prozess betrachten, der nicht einfach durch ein Verbot des Nutzens der Finger ausgelöst wird.

Von Boaler und Chen (2016) wird das Nutzen der Finger als ausschliesslich positiv beschrie-ben. Im Text von Boaler und Chen (2016, S. 2) steht, dass das Stoppen der Verwendung der Finger beim Zählen die mathematische Entwicklung aufhalten könnte. Sie stützen sich auf Neurowissenschaftler, indem sie erwähnen, dass die Wahrnehmungsfähigkeit der eigenen Finger die Erfolge in Mathematik vorhersagen. Entsprechend gehen sie davon aus, dass es entscheidend ist, Erfahrungen des Zählens mit dem Gebrauch der Finger zu verbinden. Dies, damit Zahlen im Gehirn repräsentiert werden können.

Sie (2016, S. 3) beziehen sich wiederum auf Studien von Neurowissenschaftlern, die eine Pa-rallele zwischen einer Verbesserung in der Wahrnehmung der Finger mit einer Verbesserung der mathematischen Leistungen aufzeigen. Auf diesem Wissen basiert auch die Förderung der Wahrnehmung der eigenen Finger. Sie empfehlen die Stärkung dieses Teils des Gedächt-nisses, das bei jedem Rechnen aktiviert ist. Indem das Rechnen mit den Fingern und der Um-gang mit Fingern praktiziert wird, werden indirekt auch die mathematischen Leistungen ver-bessert. Dabei spielt es keine Rolle, wie alt die Lernenden sind. Die aufgezeigten Übungen thematisieren die Wahrnehmung der Finger. Diese sind Teil aus einem evaluierten Trainings-programm von Neurowissenschaftlern, um die Qualität der Fingerwahrnehmung zu steigern.

Beispiel:

Die Lernenden sollen die Fingernägel in diesen Farben bemalen und sollen die entsprechen-den Klaviertasten drücken.

Abbildung 2. Fingerübung von Boaler und Chen (2016, S. 3).

Boaler und Chen (2016, S. 3) schreiben, dass z. B. Klavierspielerinnen und Klavierspieler meist Mathematik besser verstehen als Leute, die kein Instrument spielen. Auf diesem Hinter-grund ist die Förderung in Mathematik durch solche Übungen zu verstehen, denn sie gehen davon aus, dass Musikerinnen und Musiker durch das Musizieren zu einer verbesserten Wahr-nehmung der Finger gelangen und somit besser in Mathematik werden.

Direkter in Verbindung mit Mathematik stehen die Aussagen und Übungen von Scherer und Moser Opitz (2012, S. 100). Sie betonen, dass ein statischer Gebrauch der Finger wichtig ist.

Das heisst, die Finger sind nicht einzeln zählend auszustrecken, sondern alle werden auf ein-mal zusammen gestreckt. Dies wird auch «auf einen Sitz» (Gaidoschik, 2016b, S. 44) genannt.

Auf diese Weise lässt sich die Anzahlerfassung strukturiert erfassen und fördern. Es geht dabei um das Erkennen und Verinnerlichen von Fingerbildern, die nicht jedes Mal einzeln abgezählt werden (vgl. ebd.). Bei diesem Vorgehen zitieren Häsel-Weide et al. (2017) einerseits Gai-doschik (2016b) als auch Scherer und Moser Opitz (2012, S. 48). Somit verwundert es nicht, dass all diese Autorinnen und Autoren einheitlich den statischen Gebrauch der Finger begrüs-sen. Vor- und Nachteile zwischen dynamischem und statischem Fingerzählen werden dabei differenziert betrachtet.

Detailliert fallen die Empfehlungen von Gaidoschik (2016b; 2016a) in der statischen Verwen-dung der Finger aus. Bei geeignetem Einsatz sagt Gaidoschik, (2016b, S. 48), gilt es als ein bestens geeignetes Material, um dazuzugeben, wegzunehmen, zu ergänzen, zu zerlegen, zu-sammenzusetzen und Einsichten in Zusammenhänge zu gewinnen. Zudem erwähnt er es als praktisches Demonstrationsmaterial. Bei allen Handlungen sei es immer wichtig, die Finger nicht einzeln zählend einzusetzen, sondern statisch (vgl. Gaidoschik, 2016b, S. 52)!

Gaidoschik (2016a, S. 44) beschreibt es als erstes Ziel, dass die Kinder wissen, dass fünf Finger an einer Hand sind, zehn an beiden Händen. Durch verschiedene Fragestellungen soll dieses Wissen von den Kindern überprüft werden und schliesslich als stets abrufbares Wissen gespeichert sein.

Als nächstes Ziel sollen die Kinder die Zahlen bis zehn in einer gleichzeitigen Ausstreckbewe-gung zeigen können. Er (ebd.) beschreibt dies als Frage der Bewusstwerdung, nicht als Frage der Anzahl Wiederholungen. Hilfreich dabei ist die Anregung zur Reflexion durch die Förder-lehrperson.

Zentral bei der Arbeit mit den Fingern ist das In-Beziehung-Setzen der Zahlen zueinander, speziell auch die Beziehungen zur Zahl 5 und zur Zahl 10. Zum Beispiel ist drei zwei weniger als fünf. Unterschiedliche Darstellungen und die Kommunikation darüber sind sehr empfohlen (vgl. Gaidoschik, 2016b, S. 46).

Abbildung 3. Drei mit den Fingern dargestellt (Gaidoschik, 2016b, S. 45).

Gaidoschik (2016b, S. 47) begrüsst generell bei der Arbeit mit den Fingern, dass mit zwei Sinneskanälen gleichzeitig gearbeitet werden kann. Die Kinder sehen nicht nur die Fingerbil-der, sondern sie spüren diese auch. Er betont, dass diese Sinneseindrücke gedanklich verar-beitet werden müssen, damit daraus abrufbares Wissen entstehen kann. Dabei ist eine inten-sive Auseinandersetzung mit den Darstellungen angestrebt.

Er (ebd.) regt auch dazu an, dass Fingerhandlungen mit der Zeit nur noch in der Vorstellung durchgeführt werden. Gespräche darüber, was die Kinder tun würden, um diese Zahl mit den Fingern darzustellen, entstehen dabei.

Zudem verweist er (vgl. 2016b, S. 48) auf konkrete Zwischenschritte, um die Kinder bei dieser Ablösung von den konkreten Fingerhandlungen zu unterstützen. Zum Beispiel können die Kin-der die Finger mit verbundenen Augen zeigen oKin-der die Finger hinter dem Rücken zeigen.

In einem nächsten Schritt kann mit den Fingern nicht-zählend gerechnet werden. Solche Mög-lichkeiten zeigt Gaidoschik (2016b) detailliert auf. Er (2016b, S. 49) empfiehlt dabei, das Nach-denken über mündlich gestellte Finger-Anzahl-Probleme anzuregen. Zum Beispiel: «Was ist, wenn ich von 9 Finger 4 Finger wegnehme?» Die Wichtigkeit der Reflexion und der Kommu-nikation wird dabei immer wieder erwähnt (vgl. Gaidoschik, 2016a, S. 44). So soll auch zäh-lendes und nicht-zähzäh-lendes Rechnen besprochen werden. Lösungswege und nicht nur die Lösungen sollen dabei in den Vordergrund rücken (vgl. Gaidoschik, 2016a, S. 50).

Gaidoschik (2016b, S. 53) zeigt auch Grenzen des Rechnens mit den Fingern auf. Nicht alle Rechnungen lassen sich bei statischem Gebrauch der Finger gut darstellen. Er weist jedoch auf die Möglichkeit hin, die Finger um andere gleichfalls strukturierte Materialen zu ergänzen, z. B. das in der Schweiz weit verbreitete Zwanziger- und Hunderterfeld. Dabei können die Fin-ger helfen, die Struktur der anderen Hilfsmittel zu verstehen. Eine Verwendung der 5er-, bzw.

10er Struktur ist dabei wichtig. Man muss sich auf diese Strukturen verlassen können, weil man 5 nicht auf einen Blick (simultan) erfassen kann (vgl. Gaidoschik, 2016a, S. 25).

Zudem betont er, dass jedes Erarbeitungsmaterial dann seinen Zweck erfüllt hat, wenn es zum Lösen der Aufgabe überflüssig geworden ist. Dieser Satz gilt auch für das Verwenden der Hände (vgl. Gaidoschik, 2016b, S. 52).

Steinweg (2009, S. 127) bereichert und ergänzt in ihrem Artikel mit einigen Spielen das stati-sche Rechnen mit den Fingern. Auch sie befürwortet den statistati-schen Einsatz der Finger.

Soll somit die Ablösung vom zählenden Rechnen mit der Verwendung der Finger stattfinden?

Bejahen würden somit alle Autorinnen und Autoren dieser Texte den statischen (nicht-zählen-den) Gebrauch der Finger zur Ablösung des zählenden Rechnens.

Boaler und Chen (2016) thematisieren generell keinen Nachteil im Zusammenhang mit der Verwendung der Finger. Sie empfehlen diesen uneingeschränkt. Somit ist unklar, ob die Ab-lösung vom zählenden Rechnen mit den Fingern aus ihrer Perspektive überhaupt ein ‹päda-gogisch sinnvolles Ziel› darstellt oder nicht (siehe dazu Diskussion in Unterkapitel 6.4.3, S. 60).