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2. Lebensphase Alter

2.3. Dimensionen des Alterns von Menschen mit und ohne geistige

2.3.2. Psychologische Aspekte des Alterns

le-diglich die gesundheitliche Situation der körperlichen und geistigen Fähigkei-ten eines Menschen. Das Individuum – gleichwohl mit oder ohne eine Behin-derung – ist unausweichlich mit seiner individuellen Lebensgeschichte verbun-den und diese sollte im Betrachtungsrahmen eines umfassenverbun-den Alterungs-verständnisses unbedingt Berücksichtigung finden (vgl. HAVEMAN &STÖPPLER

2010, 29).

Verände-rungen bleiben natürlich nicht ohne Auswirkungen auf die kognitiven Fähigkei-ten des älteren Menschen (vgl. HAVEMAN & STÖPPLER 2010, 35). Das ange-sammelte Erfahrungswissen von älteren Menschen reicht dabei zur Kompen-sation nicht aus und ist auch keine universell gültige Erscheinung des Alters.

Erfahrungswissen ist vielmehr Ausdruck persönlicher und spezifischer benserfahrung, die beeinflusst wird durch die individuellen und sozialen Le-bensbedingungen jedes Einzelnen12 (vgl. SMITH & BALTES 1990, 494 zit. n.

WEINERT 1994, 192). Generell nehmen ab dem mittleren und höheren Erwach-senenalter die intellektuellen Leistungsfähigkeiten ab. Vor allem in den 1920er- und 1930er-Jahren konnten durch Untersuchungen von JONES und CONRAD sowie von MILES dem biologischen Verständnis der Abnahme geisti-ger und intellektueller Leistungsfähigkeit im Alter entsprochen werden (vgl.

LEHR 2003, 49f). Basierend auf dem Verständnis einer allgemeinen vorherr-schenden Intelligenz und aktiven geistigen Leistungsfähigkeit von älteren Menschen, wurde das mit einheitlichen Aufgabenstrukturen überprüft. Auf-grund der gewonnenen Ergebnisse, nämlich einem Nachlassen der geistigen Leistungsfähigkeit älterer Menschen, wurde das Defizit-Modell formuliert, das Altern einzig in Abhängigkeit mit Abbau und Verlust setzt (vgl.JUNKERS 1995, 88).

Mit der Intelligenzforschung von WECHSLER im Jahr 1944 wurde ein neues, differenziertes Verständnis von Intelligenz entwickelt und das starre Konzept der „globalen Intelligenz“ (JUNKERS 1995, 88) abgelöst (vgl. ebd., 88). Seither wird Intelligenz als ein „mehrdimensionales Fähigkeitskonzept“ (WEINERT

1994, 192) verstanden, das altersstabile und -labile Dimensionen umfasst, die sich im Altersverlauf eines Menschen organisieren und umstrukturieren (vgl.

JUNKERS 1995, 88). Das daraus hergeleitete Zwei-Faktoren-Modell der fluiden und kristallinen Intelligenz prägte die psychologische Alternsforschung. Die diesem Modell zugrunde liegenden Intelligenzen sind in unterschiedlichem Umfang vom allgemeinen Altersabbau betroffen (vgl. WEINERT 1994, 192). Die sog. kristalline Intelligenz gilt als altersstabil, d.h. sie ist relativ altersunabhän-gig und kann bis ins hohe Alter durch entsprechendes Training erhalten und

12 Dennoch kann dieser ‚Gewinn des Alters‘ durchaus als positiv und Vorteil gegenüber jün-geren Generationen gewertet werden(vgl. WEINERT 1994, 182; KARL 2009, 24). Ein gesell-schaftliches Umdenken des immer noch vorherrschenden Negativbildes des Alters ist diesbe-züglich längst überfällig, um eben auch die positiven und vorteilhaften Aspekte des Alters und Alterns deutlich zu machen (vgl. POHLMANN 2011, 117).

sogar gesteigert werden. Sie umfasst bildungs- und übungsabhängige Fakto-ren wie Wortschatz, Sprachverständnis, Allgemeinwissen und Anwenden von Problemlösungsstrategien (vgl. HAVEMAN &STÖPPLER 2010, 35f).

Die sog. fluide Intelligenz hingegen unterliegt dem Einfluss des Altersabbaus und ist biologisch determiniert. Die diesem Intelligenzverständnis zugrunde lie-genden kognitiven Kompetenzen (erkennen von Zusammenhängen, abstrakte Schlussfolgerungen ziehen) gelten als bildungsunabhängig (vgl. WEINERT 1994, 192). Die Veränderungen dieser altersabhängigen intellektuellen Fähig-keiten manifestieren sich vor allem in der Verlangsamung der Lösung komple-xer Aufgaben (vgl. BARTELS 1982, 306 zit. n. HAVEMAN &STÖPPLER 2010, 36).

Das hier vorgestellte Zwei-Faktoren-Modell sollte jedoch nicht eingrenzend auf die vielfältigen kognitiven Entwicklungen im Alter wirken. Dem volkstümlichen und im ursprünglichen Zusammenhang auf körperliche Bewegung ausgerich-teten Sprichwort ‚Wer rastet, der rostet‘ kann in diesem Zusammenhang seine Gültigkeit bescheinigt werden (vgl. HAVEMAN &STÖPPLER 2010, 35f).

Die hier aufgezeigten kognitiven Altersveränderungen sind nicht die einzigen Veränderungen, auf die der Mensch in der Lebensphase Alter kompensato-risch reagieren muss. Weitere altersspezifische Defizite, Einschränkungen und Verluste können psychische Belastungssituationen darstellen (vgl.

WEINERT 1994, 181). Insbesondere bei den über 75-jährigen ist ein erhöhter Anstieg psychischer Erkrankungen zu verzeichnen (vgl. WEYERER & BICKEL

2007,53). Dabei gehören vor allem depressive Erkrankungen zu den häufigs-ten affektiven Störungen im Alter. Sie sind multikausal bedingt, d.h. verschie-dene biologische, psychologische und psychosoziale Faktoren nehmen Ein-fluss auf ihre Entstehung. Gerade deswegen sind sie in der Lebensphase Alter eine besondere Einflussgröße. Im Alter ist der Mensch mit Veränderungen in allen Lebensbereichen konfrontiert, mit denen er umgehen muss. Gerade kör-perliche Veränderungen, und die damit verbundenen Leistungseinbußen nen zusätzliche eine depressive Erkrankung mit sich bringen. Gleichzeitig kön-nen körperliche Erkrankungen auch durch diese bestimmt sein; eine eindeu-tige Diagnose der depressiven Erkrankung im Alter ist nicht immer leicht (vgl.

ebd., 115f). WEYERER & BICKEL (2007) schlussfolgern, dass etwa ein Viertel der Personengruppe der älteren Menschen an einer psychischen Krankheit

leidet. Diesbezüglich können Neurosen (v.a. Depressionen), Persönlichkeits-störungen und dementielle Erkrankungen als die am häufigsten auftretenden Erkrankungen diagnostiziert werden (vgl. ebd., 53ff). Den persönlich gravie-rendsten Verlauf zeigt in diesem Zusammenhang die Erkrankung an einer De-menz.

„Demenz ist das Syndrom des progressiven Gedächtnisverlustes, anderen kognitiven Verlusten (wie Orientierung), Epilepsie und Verhaltensänderungen, das mit pathologischer Verschlechterung des Gehirn auftritt“ (HAVEMAN &

STÖPPLER 2014a, 140).

Gekennzeichnet durch den stetig voranschreitenden Rückgang der Gedächt-nisleistungen und der geistigen Fähigkeiten führt eine Demenz letztlich in die völlige Pflegebedürftigkeit der betroffenen Person (vgl. HÄFNER 1986, 16) und macht diese Erkrankung zum Damoklesschwert des Alters. Zum einen tritt sie nur selten bei Menschen auf, die jünger sind als 65 und zum anderen nimmt die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung an einer Demenz mit zunehmendem Alter gravierend zu (vgl. LEHR 2003, 91; WEYERER &BICKEL 2007, 61). Da die Lebenserwartung der Menschen ebenfalls weiterhin steigt (vgl. Kap. 2.2.) be-fürchten WEYERER &BICKEL (2007),„(…)dass die Demenzen wegen des oft langjährigen Versorgungsbedarfs wahrscheinlich zur größten Herausforde-rung des Gesundheits- und Sozialsystems werden (…)“ (ebd., 61) könnten.

Für Menschen mit geistiger Behinderung können im Zusammenhang mit de-mentiellen Erkrankungen Besonderheiten festgestellt werden, denn sie sind von dementiellen Erkrankungen existentiell betroffen. Untersuchungen u.a.

von STRYDOMET AL. (2007) haben ergeben, dass ab einem Alter von 65 eine erhöhte Prävalenz einer Demenz bei Menschen mit geistiger Behinderung ge-genüber der Gesamtbevölkerung vorliegt (vgl. ebd., 153). Bestimmte geneti-sche Syndrome weisen zudem extrem früh Anzeichen einer Demenz auf (vgl.

HAVEMAN & STÖPPLER 2014a, 140). Insbesondere bei Menschen mit Down-Syndrom kann eine Alzheimer-Demenz verhältnismäßig früh auftreten (vgl.

HOLLAND ET AL. 2000, 138). Schon ab dem 40. Lebensjahr können bei diesem Personenkreis neuropathologische Veränderungen eintreten. Somit erkranken sie im Durchschnitt 20-30 Jahre früher an Demenz als die Gesamtbevölke-rung. Es ist bekannt, dass das APP-Gen (amyloid precursor protein) eng mit dem Auftreten einer Alzheimer-Demenz zusammen hängt und auf dem Chro-mosom 21 angesiedelt ist. Demzufolge lassen sich erste Erklärungsansätze

aufgrund des dreifachen Vorhandenseins dieses Chromosoms (Trisomie 21) formulieren. Es wird vermutet, dass bei Menschen mit Down-Syndrom das APP-Gen durch die Trisomie 21 übermäßig produziert wird und das das ein Grund für das frühere Auftreten und den schnelleren Verlauf der Alzheimer-Demenz bei Menschen mit Down-Syndrom sein kann (vgl. WEYERER &BICKEL

2007,81;HAVEMAN &STÖPPLER 2014a, 142f). Letztendlich bleibt diese Hypo-these jedoch noch endgültig zu beweisen (vgl. HAVEMAN &STÖPPLER 2014a, 143).

Generell ist die Forschung über die Ätiologie einer Demenzerkrankung bei Menschen mit geistiger Behinderung von vielen Fragen begleitet, die es noch zu klären gilt (vgl. STRYDOM ET AL. 2007, 156). STRYDOM ET AL. (2007) resümieren:

„It is important to establish why Alzheimer’s dementia may be more common in these adults than in the general population; (...). The incidence and presen-tation of dementia and validity of diagnoses should be confirmed longitudinally.

It is also important to confirm subtype diagnoses with post-mortem studies, and to investigate the aetiology of dementia in this population. This will enable appropriate interventions and illuminate our understanding of dementia presentation and progression throughout the intellectual range“ (ebd., 156).

Abgesehen von den beschriebenen Besonderheiten einer dementiellen Er-krankung bei Menschen mit geistiger Behinderung unterliegt das psychische Altern dieses Personenkreises grundsätzlich keinen anderen Einflüssen als das der nichtbehinderten Menschen (vgl. HAVEMAN &STÖPPLER 2010, 38). W

E-BER (1997) verweist darauf, dass Menschen mit geistiger Behinderung häufi-ger psychische Erkrankungen entwickeln als die Allgemeinbevölkerung. Der Personenkreis ist zwar nicht anderen Einflüssen ausgesetzt als Menschen ohne eine geistige Behinderung; es variieren jedoch die individuellen Möglich-keiten der Auseinandersetzung mit diesen Einflüssen. Psychische Gesundheit wird bedingt durch ein Gleichgewicht zwischen persönlichen Faktoren, Um-welteinflüssen und biologischen Aspekten. Diese Faktoren stehen bei Men-schen mit geistiger Behinderung unter besonderer Beeinflussung und in einem ständigen Ungleichgewicht. Die lebenslange Abhängigkeitserfahrung, die die-sen Personenkreis durch die gesamte Lebensspanne begleitet, führt dazu, dass entsprechende Coping-Strategien zur Verarbeitung belastender Situati-onen und Stress nicht ausreichend entwickelt werden können. Ursächlicher Auslöser für psychische Störungen beim Menschen sind chronischer Stress

und belastende Lebensereignisse. In der Regel stehen jedem Einzelnen in un-terschiedlicher Ausprägung genannte Verarbeitungsmechanismen zur Verfü-gung, um den Stress und die Belastungen abzubauen. Menschen mit geistiger Behinderung verfügen häufig über verringerte und wenig differenzierte, ver-bale Möglichkeiten. Dies hat zur Folge, dass sie über äußerst mangelhafte verbal-kognitive Verarbeitungsmechanismen verfügen. Sie können u.U. nicht über ihr Leid klagen oder sich Belastungen „von der Seele reden“, was dazu führt, dass ihr psychisches Befinden als labil und verletzbar einzustufen ist.

Des Weiteren kann der Umgang mit emotionalen und affektiven Aspekten we-nig differenziert ausgeprägt sein und schnell überfordernd wirken für große Teile des Personenkreises (vgl. WEBER 1997, 12ff). Durch eine entsprechende Förderung dieser Verarbeitungskompetenzen

„(..) kann so verhindert werden, daß ältere geistig behinderte Menschen – wie es häufig der Fall ist – durch den Verlust einer nahestehenden Person und/o-der das eventuell hierdurch erwachte Bewußtsein und/o-der eigenen Vergänglichkeit in eine scheinbar unüberwindbare Depression geraten“ (WEBER 1997, 14).

Darüber hinaus fällt es Menschen mit geistiger Behinderung oftmals schwer, ihr eigenes Alter richtig einzuschätzen und wahrzunehmen (vgl. BARTELS

1989, 14). Die Alterungsprozesse sind zwar die gleichen, jedoch können Men-schen mit geistiger Behinderung Schwierigkeiten haben, diese Prozesse kog-nitiv richtig zu deuten (vgl. SKIBA 2006, 45f). Es fällt ihnen „häufig schwer, zu begreifen, was mit ihrem Körper passiert, warum sie beispielsweise auf einmal mehr Pausen benötigen“ (HAVEMAN & STÖPPLER 2010, 38). SKIBA (2006) spricht in diesem Zusammenhang von einer „tendentiellen Alternsindifferenz“

(ebd., 45). Menschen mit geistiger Behinderung schätzen ihr Alter anders ein als die restliche Gesamtbevölkerung und können die oben genannten Alte-rungsprozesse nicht immer richtig einordnen. Aus diesem Grund ist es in der gerontologischen Arbeit enorm wichtig, auf die speziellen Bedürfnisse dieser Personengruppe explizit einzugehen und Stigmatisierungen zu vermeiden (vgl. SKIBA 2006, 45ff).