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Bezugnehmend auf das Emotionsregulationsmodell von Gross aus dem Jahr 1989 (vgl. Abschnitt 2.3.2) wird der eigene Beitrag des Patienten bei der Krankheitsver-arbeitung durch seine Motivation bestimmt.

Unter Motivation wird das Zielsetzungs- und Zielrealisierungsverhalten beschrie-ben, das durch folgende Determinanten bestimmt wird (Achtziger & Gollwitzer, 2006):

– Wünschbarkeit und Machbarkeit – Konkretes versus abstraktes Denken – Positive versus negative Zielsetzung – Leistungsziele versus Lernziele

– Soziale Erwünschtheit von Zielsetzungen – Zielhierarchien

– Beeinflussung der Zielsetzungen durch andere

Bei der Krankheitsverarbeitung ist das Repertoire der Emotionsregulation bei gastrointestinalen Tumorpatienten stark eingeschränkt. Der Patient kann sich die Situation nicht aussuchen und auch nur gering modifizieren.

Motivationspsychologisch ist die „Machbarkeit“ eines Behandlungsziels durch die medizinischen Möglichkeiten eng begrenzt. „Abstakte“ Ziele fallen als Wunschvor-gabe im Krankheitsprozess bei den Karzinompatienten weg. „Lernziele“ können im Rahmen der Informationsverarbeitung krankheitsbezogen kaum gesetzt werden.

Zielhierarchien können in der Regel vom Patienten nicht selbst gewählt werden, sondern sind durch den medizinischen Handlungsprozess vorgegeben.

Eine Beeinflussung der Zielsetzung des krebskranken Patienten erfolgt durch das behandelnde Team, gelegentlich auch durch seine Angehörigen.

Achtziger und Gollwitzer (2009) beschreiben in ihrem Modell der Handlungspha-sen folgenden Ablauf (Abbildung 8):

Heckhausen & Gollwitzer, 1987 (Achtziger & Gollwitzer, 2009, S. 151) Abbildung 8 Rubikonmodell der Handlungsphasen

Die prädezisionale Phase ist durch eine vergleichende Bewertung des Ziels in Bezug auf andere Ziele hinsichtlich ihrer Nützlichkeit und Erreichbarkeit gekennzeichnet und erfolgt in einer abwägenden Bewusstseinslage des Individuums. Am Ende die-ser Phase steht die Verbindlichkeit des Ziels, und die Absichten der Person werden nicht mehr in Frage gestellt. Damit wird der „Rubikon“ überschritten. Diese Met a-pher hat dem Modell des Handlungsablaufs ihren Namen gegeben. In der postdezisionalen Phase herrscht eine planende Bewusstseinslage vor, die den Ziel-erreichungsprozess vorgibt. Die anschließende aktionale Phase ist durch eine han-delnde Bewusstseinslage gekennzeichnet. Postaktional kommt es zu einer Bewer-tung des Erreichten (bewertende Bewusstseinslage) und damit entweder zum Abschluss der Handlung oder – falls das Ziel nicht erreicht wurde – zu einem Neu-beginn des Abwägens, Planens und Handelns, um die Handlung letztendlich erfolg-reich zu vollenden (Oettingen & Gollwitzer, 2002; Achtziger & Gollwitzer, 2006).

Personen mit einer Leistungsmotivation in Richtung „Hoffnung auf Erfolg“ sind bezüglich ihrer eigenen Kompetenz in der planenden Bewusstseinslage eher illuso-risch optimistisch. Sind Personen stärker misserfolgsmotiviert, verhalten sie sich in der planenden Bewusstseinslage eher pessimistisch. In der abwägenden

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wusstseinslage konnten solche Beeinflussungen nicht gefunden werden; es resul-tieren dabei überwiegend realistische Einschätzungen der Zielrealisierung (Oettingen & Gollwitzer, 2002).

Die Krebspatienten befinden sich in einer abwägenden Entscheidungshaltung (vgl.

das Modell von Gollwitzer, Abbildung 8). Sie müssen sich zwischen Teilnahme und Nichtteilnahme entscheiden, indem sie ihre Zielvorstellung für den Erfolg einer Behandlung sowie ihrer Mitwirkung zwischen Nutzen und Aufwand abwägen. Die übrigen Handlungsphasen des Modells (postdezisionale, aktionale und postaktio-nale Phase) kommen für die Krebspatienten nicht in Betracht, da diese Abläufe überwiegend in der Kompetenz des Therapeuten liegen.

Daraufhin befragten wir in einer zweiten Voruntersuchung Patienten mit gastroin-testinalen Tumoren dahingehend, ob sie – falls sie die Einschlusskriterien (vgl. Ab-schnitt 3.4.2) erfüllen – an einer Studie zur psychoonkologischen Intervention während der Chemotherapie teilnehmen würden und was sie zu dieser Entschei-dung motiviert. Die Befragung erfolgte nach Feststellung des psychoonkologischen Betreuungsbedarfs mittels PO-Bado und Tumorkonferenzbeschluss zu einer che-motherapeutischen Behandlung. Dabei wurden die Patienten über die Interventi-onsmöglichkeiten (Psychoedukation in Form von Informationsmaterial, Entspan-nungstherapie oder themenbezogene Therapiegespräche) in einem persönlichen Gespräch und in schriftlicher Form aufgeklärt (vgl. Anhang, 8.4.1 und 8.4.2).

Zum Zeitpunkt der Aufklärung fand auch die Zuordnung der teilnahmewilligen Pa-tienten zu einer der drei Interventionsformen nach dem Zufallsprinzip statt. Die Interventionsform konnte daher von den bereitwilligen Patienten nicht frei ge-wählt werden. Ebenso wird die Abfolge der Themen im Informationsmaterial und beim Gespräch vom Studienleiter zufällig gewählt. Diese Randomisierung wurde vorgenommen, damit die Studie als evidenzbasiert eingeordnet werden kann. Den Patienten war nicht bekannt, ob bei ihnen ein psychoonkologischer Betreuungsbe-darf diagnostiziert wurde.

Die Teilnahme an der Studie erfolgte freiwillig und konnte jederzeit widerrufen werden, ggf. durch Abbruch während der Intervention. Ein Wechsel zwischen den Interventionsgruppen war nicht möglich. Ein Nachsorgeversprechen wurde gege-ben.

5.2 Hypothesen

5.2.1 Hypothese 1

Patienten, die einen psychoonkologischen Betreuungsbedarf haben, nehmen an der Studie teil. Patienten, die keinen psychoonkologischen Betreuungsbedarf haben, lehnen die Studie ab, d.h. die Teilnahmebereitschaft spiegelt den psychoonkologi-schen Betreuungsbedarf wider.

5.2.2 Hypothese 2

Sollten Betreuungsbedarf und Teilnahmebereitschaft an der psychoonkologischen Intervention voneinander unabhängig sein (Ablehnung der Hypothese 1), so wird dennoch angenommen, dass Teilnehmer gegenüber Ablehnern eine höhere somati-sche, psychische und soziale Belastung aufweisen.

5.2.3 Hypothese 3

Die Teilnahme oder Nichtteilnahme an der Studie hängt vom Alter, Geschlecht, von der Tumorcharakteristik, den Begleiterkrankungen, dem Funktionsstatus, psycho-therapeutischen Vorerfahrungen und von der sozialen Einbindung der Patienten ab.

5.3 Methodik

5.3.1 Stichprobenbeschreibung

In der Zeit von Januar 2010 bis Mai 2015 wurden in der psychoonkologischen Ab-teilung des Akutkrankenhauses des DRK Kliniken Berlin | Köpenick 263 Patienten mit Tumorerkrankungen aus dem gastrointestinalen Bereich untersucht (vgl. Ta-belle 6).

78 ENTSCHEIDUNGSVERHALTEN DER PATIENTEN ZUR INTERVENTIONSTEILNAHME Tabelle 6 Stichprobenbeschreibung der zweiten Voruntersuchung (𝑁 = 263)

𝑛 %

Studien-situation Teilnehmer 82 31,2%

Ablehner 100 38,0%

eingeschränkt 125 47,5%

** vor dem Zeitpunkt der Katamneseerhebung Für vollständige Details vgl. Anhang, Tabelle 44.

5.3.2 Beschreibung der Testverfahren und der statistischen Berechnung

Wie in der Voruntersuchung wurde die PO-Bado als Instrument zur Erfassung des psychoonkologischen Betreuungsbedarfs sowie der somatischen, psychischen und sozialen Belastung verwendet (vgl. Abschnitt 4.2.2).

Zusätzlich wurden die Patienten in einer offenen Frage gebeten, ihre Entschei-dungsgründe für eine Studienteilnahme bzw. Nichtteilnahme darzulegen.

Entsprechend ihrer Antworten auf die offene Frage zu ihrem Entscheidungsverhal-ten wurde eine Zuordnung derselben in sechs Motivationskategorien vorgenom-men. Auf eine Mehrfachzuordnung wurde verzichtet.

1. Vorteile für den Patienten selbst: z.B. besseres Krankheitsverständnis, Linde-rung der Symptome und der Therapienebenwirkungen, VerbesseLinde-rung der Aussicht auf Genesung, zusätzliche Betreuung.

2. Vorteile für Andere: z.B. dem Therapeuten einen Gefallen zu tun, anderen Pa-tienten mit ähnlichem Krankheitsbild zu helfen, für die Forschung nützlich zu sein.

3. Nachteile für den Patienten selbst: z.B. zu große Anstrengung, möchte nicht an die Krankheit erinnert werden, hat weniger Zeit für eigene Interessen.

4. Nachteile für Andere: z.B. weniger Zeit für die Angehörigen, höhere Bean-spruchung des Klinikpersonals, Störung der Mitpatienten durch Gespräche und Übungen.

5. Neugier/Akzeptanz: Interesse am Studienergebnis

6. Gleichgültigkeit/allgemeine Ablehnung: kein Interesse an der Studie, möchte kein „Versuchskaninchen“ sein.

Die Motivationskategorien 1, 2 und 5 können den Teilnehmern an der Studie zuge-ordnet werden. Die Motivationskategorien 3, 4 und 6 treffen auf die Gruppe der Ablehner zu.

Die statistischen Auswertungsmethoden zur Überprüfung des Zusammenhangs des psychoonkologischen Betreuungsbedarfs und der Teilnahmebereitschaft der Patienten an einer Intervention entsprechen denen der Voruntersuchung (vgl. Ab-schnitt 4.2.3).

Zur Hypothesenprüfung 1 und 3 wurden neben der explorativen Auswertung 𝛸²-Analysen durchgeführt und zur Prüfung der Hypothese 2 ist zusätzlich die univari-ante Varianzanalyse (ANOVA) eingesetzt worden.

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