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Einflussfaktoren auf den psychoonkologischen Betreuungsbedarf, die

7.6.1 Ergebnis

Nichtmetastasierte Patienten haben einen höheren psychoonkologischen Be-treuungsbedarf (PO-Bado). Ältere Tumorpatienten sind vermehrt betreuungsbe-dürftig, während Jüngere durch die Intervention ihren Betreuungsbedarf vermin-dern. Eine Verminderung des psychoonkologischen Betreuungsbedarfs durch die Intervention wird sowohl bei männlichen Patienten als auch bei Tumorpatienten mit eingeschränktem Funktionszustand festgestellt. Patienten mit einem Tumor im oberen Gastrointestinaltrakt werden auch während der Intervention zunehmend betreuungsbedürftig. Neubewertung emotional belastender Ereignisse wirkt einer

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Verstärkung des psychoonkologischen Betreuungsbedarfs und einer Verschlechte-rung der Depression der Tumorpatienten entgegen.

Die Angst der Tumorpatienten wird bei einer depressiven Verarbeitung und der symptombezogenen Rumination des Krankheitsgeschehens gesteigert.

Weibliche Tumorpatienten profitieren mehr als Männer von der Intervention durch eine Verminderung ihrer zuvor höheren Depressionswerte. Bei Patienten, die symptombezogen ruminieren, nimmt die Depression zu.

Aktives problemorientiertes Coping führt zu einer Verbesserung der Lebensquali-tät Eine im Vergleich zu den anderen Patienten geringere LebensqualiLebensquali-tät zeigt sich auch bei Patienten mit einem Zweittumor.

7.6.2 Diskussion

In der ersten Voruntersuchung fanden wir überraschenderweise heraus, dass nichtmetastasierte gastrointestinale Tumorpatienten einen höheren psychoonko-logischen Betreuungsbedarf haben als Patienten mit festgestellter Metastasierung.

Eine Ursache dafür, dass leichter erkrankte Tumorpatienten ohne Metastasen be-treuungsbedürftiger erscheinen, könnte ihre größere Progredienzangst sein, die von den metastasierten Kranken möglicherweise eher unterdrückt werden kann.

Dieser Befund und diese Vermutung bestätigten sich in der Hauptuntersuchung unserer Studie aber nicht.

Ein weiterer Befund aus der zweiten Voruntersuchung war, dass die psychoonkolo-gische Betreuungsbedürftigkeit von Patienten ohne Funktionseinschränkungen zu Beginn höher lag als die von körperlich eingeschränkten Tumorkranken. Hier hat-ten wir erwartet, dass dieser erhöhte Betreuungsbedarf durch die Intervention eher verringert würde. Das war jedoch nicht der Fall. Krebspatienten ohne Funkti-onseinschränkung verringerten durch die psychotherapeutische Behandlung nicht ihre Betreuungsbedürftigkeit. Vermutlich konnte ihre Progredienzangst durch die Intervention nicht abgebaut werden.

Wir nehmen an, dass die Progredienzangst der Patienten in den Gesprächssitzun-gen nicht optimal behandelt werden konnte, da die Vollrandomisierung der zu

be-sprechenden Themen eine große Einschränkung darstellte. So war es z.B. nicht möglich, das verhaltenstherapeutische Konzept zur Behandlung der Progredienz-angst von Herschbach et al. (2006) in unserer Studie einzusetzen. Für weiterfüh-rende Untersuchungen sollte dies bedacht und die Erfassung der Progredienzangst im Verlauf der Intervention z.B. mit dem Progredienzangst-Fragebogen (PA-F) von Herschbach et al. (2005) vorgenommen werden.

Ältere Tumorpatienten haben zu Beginn der Chemotherapie einen hohen psy-choonkologischen Betreuungsbedarf, den sie unabhängig von der Interventions-form während der Chemotherapie beibehalten. Eine Ursache für die geringe Be-einflussbarkeit dieser Patientengruppe könnten ihre hohen Depressionswerte sein, die sich ebenfalls während der Behandlung nicht verändern. Jüngere Tumorpatien-ten (< 70 Jahre) vermindern dagegen während der Intervention ihre psychoonko-logische Betreuungsbedürftigkeit, vermutlich auch, weil sich ihre Depressionswer-te durch die Behandlung verbessern. Eine Verminderung des psychoonkologischen Betreuungsbedarfs durch die Intervention wurde sowohl bei männlichen Patienten als auch bei Tumorpatienten mit einem eingeschränkten Funktionszustand festge-stellt.

Eine Studie von Given et al. (2004) mit 97 Patienten, die eine kognitiv-behaviorale Therapie erhielten, und 94 Patienten in der Kontrollgruppe, kam zu einem anderen Ergebnis. Dort zeigte sich kein Einfluss auf die Depression und die medizinischen Symptome (Übelkeit) durch das Geschlecht, das Alter oder den Tumorstatus der Patienten.

Copingstil

Die von uns im ERQ, RSQ und FKV erfassten Copingvariablen korrelierten weitge-hend nicht miteinander. Wir fanden aber einen statistisch gesicherten Zusammen-hang zwischen den Copingvariablen depressive Verarbeitung, im FKV und der selbstbezogenen sowie symptombezogenen Rumination im RSQ (vgl. Anhang, Ta-belle 61).

Die Copingstile Neubewertung und Unterdrückung zeigten keine signifikanten Un-terschiede zwischen Anfang und Ende der Intervention (vgl. Anhang, Tabelle 110).

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In unserer Untersuchung ergaben sich indirekte Zusammenhänge zwischen Be-treuungsbedarf und Depression einerseits und dem Copingstil Neubewertung an-dererseits. Daraus kann geschlussfolgert werden, dass Neubewertung einer Ver-stärkung des psychoonkologischen Betreuungsbedarfs und der Depression vorbeugt. Wir werten daher diesen Copingstil als eine vorteilhafte (adaptive) Krankheitsverarbeitungsstrategie.

Depressive Verarbeitung und symptombezogenes Ruminieren sind offenbar unvor-teilhafte (maladaptive) Copingstile, weil sie die Angst- und Depressionswerte der Tumorpatienten erhöhen.

Rumination bewirkt ein Konfliktpotential für den Patienten. Es entlastet ihn scheinbar, wenn er seine Gedanken und seine Aufmerksamkeit auf sein Leiden konzentriert. Andererseits erlebt er immer wieder seine Machtlosigkeit gegenüber der Erkrankung (Kühner, Holzhauer & Huffziger, 2007). Aus der konflikthaften Rumination kann der Patient nur herauskommen, wenn er diese Copingstile auf-gibt.

Aussagen über den Zusammenhang zwischen den Copingstrategien und den Inter-ventionsverfahren können aufgrund der geringen Stichprobengröße in unserer Studie nicht getroffen werden. Die Befunde aus anderen Untersuchungen, lassen aber einen solchen Zusammenhang vermuten.

Lerman et al. (1990) führten eine Untersuchung an 48 Krebspatienten durch, von denen 25 eine Entspannungstherapie (PMR) während ihrer Tumorbehandlung er-hielten. Die Patienten wurden anhand ihrer dominierenden Copingstrategien in

„Monitorer“ und „Blunter“ eingeteilt. Patienten, die zu den „Monitorern“ zählen, beschäftigen sich aktiv mit ihrer Krankheit und versuchen möglichst viele Informa-tionen darüber zu sammeln. „Blunter“ dagegen verdrängen die Krankheit eher und versuchen sich abzulenken. Die Ergebnisse zeigten, dass „Blunter“ weniger unter Angst, Depression (in der HADS erfasst) und den Nebenwirkungen der Tumorbe-handlung litten. Bei ihnen führte auch die Entspannungstherapie zu einer stärke-ren Reduktion der Angst.

Motivierende Gesprächsführung

In unserer Untersuchung sind wir von der Annahme ausgegangen, dass die Patien-ten, bei denen ein höherer psychoonkologischer Betreuungsbedarf diagnostiziert wurde, eher bereit wären, an der Studie und der damit verbundenen psychoonko-logischen Intervention teilzunehmen. Wir mussten aber feststellen, dass ein großer Teil der Betreuungsbedürftigen, die Teilnahme an der Intervention von vornherein abgelehnte, weil es bei ihnen an der Motivation zur Behandlung fehlte (vgl. Tabelle 55). Bei einer psychotherapeutischen Behandlung, die vor allem Angst- und De-pressionssymptome angeht, werden eine motivationale Handlungsbereitschaft und damit die Mitarbeit des Patienten eigentlich vorausgesetzt.

Bei der psychosozialen Betreuung von Suchtkranken besteht oft die Situation, dass Beratung und Unterstützung patientenseitig angefordert werden, ohne dass der betreffende Patient die Absicht hat, sein Verhalten zu verändern, obwohl es ihm möglich wäre. Er befindet sich in einem Ambivalenzkonflikt, wobei er die „Vorteile“

seines gegenwärtigen Verhaltens (z.B. zur Unterdrückung von Entzugserscheinun-gen und Angst) bei Aufrechterhalten seiner Sucht abwägt, geEntzugserscheinun-genüber den „Nachtei-len“ und Anstrengungen, die er beim Entzug des Suchtmittels in Kauf nehmen muss.

Eine Verhaltensänderung dieses Patienten kann erst erfolgen, wenn er aus dem Stadium der Absichtslosigkeit heraus gelangt, den Vorsatz einer Verhaltensände-rung fasst und diesen in konkreten Maßnahmen umsetzt. Dies kann durch eine mo-tivierende Gesprächsführung unterstützt werden.

Bezogen auf die Krebskranken ist eine Auseinandersetzung mit der Erkrankung im Sinn einer Änderung des Lebensstils nur schwer möglich. Der Ambivalenzkonflikt des Krebskranken besteht darin, dass er seine Krankheitssymptome nicht wahrha-ben will und sie eher verleugnet. Durch die Unterdrückung emotional belastender Ereignisse versucht er, sein Befinden zu stabilisieren – in der Regel um den Preis des Fortschreitens der Erkrankung. Gewinnbringend für ihn wäre zum Beispiel die soziale Unterstützung, die er sich oft nicht in Anspruch zu nehmen getraut, um Ab-hängigkeiten gegenüber Anderen zu vermeiden.

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Durch eine motivierende Gesprächsführung kann die Bewertung der emotional belastenden Situation des Patienten verändert werden. Eine Änderung der Co-pingstrategien des Patienten bei depressiver Verarbeitung und Rumination könnte für die Bearbeitung seines Ambivalenzkonflikts im Krankheitsprozess von Nutzen sein, indem er diese Copingstile aufgibt und zu einem aktiven problemorientierten Copingverhalten und zu einer Neubewertung emotional belastender Ereignisse motiviert wird.

Die aus dem Transtheoretischen Modell von Proschaska und DiClemente (1983) abgeleitete motivierende Gesprächsführung sollte in künftigen psychoonkologi-schen Interventionsformen den Belangen von Tumorerkranken angepasst werden (Miller & Rollnick, 2015).