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In einem gängigen Modell, das aus dem Forschungsprojekt COACTIV hervorgeht, werden im Hinblick auf die professionelle Kompetenz2 einer Lehrkraft vier Kompe-tenzaspekte unterschieden. Dieses Modell vereint bereits bestehende Konzepte der Professionalisierungsforschung und nimmt dabei eine übergreifende, mehrdimensio-nale Perspektive auf die Anforderungsbereiche im Berufsalltag von Lehrkräften ein (Baumert & Kunter, 2011a). Damit wird ein Einblick in die notwendigen Handlungs-ressourcen gegeben, die Lehrkräfte benötigen, um den vielfältigen beruflichen Her-ausforderungen gerecht zu werden. Aufgrund seines umfassenden Charakters dient das Modell als Grundlage in zahlreichen Arbeiten zur professionellen Kompetenz von (angehenden) Lehrkräften. Auch im interdisziplinären Forschungsprojekt EKoL bildet das Modell von Baumert und Kunter (2011a) sowie noch weitere, bisher in der fachdidaktischen Lehrerbildung vertretene Kompetenzmodelle (u. a. Blömeke, Gus-tafsson & Shavelson, 2015; Seidel & Stürmer, 2014; Voss, Kunina-Habenicht, Hoehne & Kunter, 2015) den Rahmen des Modells der Professionalisierung (vgl. Abbildung 2.1). Neben der im Mittelpunkt stehenden professionellen Kompe-tenz, kommen in diesem Modell zusätzlich noch weitere Faktoren hinzu, die im Ent-wicklungsprozess der Kompetenzen von (angehenden) Lehrkräften eine Rolle spie-len. Damit nimmt es eine verstärkt „prozessorientierte Perspektive auf die Professio-nalisierung in der Lehramtsausbildung“ (Rutsch, Vogel, Seidenfuß, Dörfler & Rehm, 2018, S. 10) ein. Anliegen dieser Erweiterung ist es, „ein besseres Verständnis dar-über zu ermöglichen, welche Determinanten und Einflussfaktoren auf die Entwick-lung von professioneller Lehrerkompetenz – vorrangig im Bereich des fachdidakti-schen Wissens und Könnens – einwirken“ (ebd., S. 10). In diesem Zuge wird ange-nommen, dass (I) individuelle Eingangsvoraussetzungen, (II) fachspezifische Lern-gelegenheiten und (III) schulpraktische Erfahrungen angehender Lehrkräfte einen Einfluss auf den Prozess der Kompetenzentwicklung haben (Rutsch, Vogel, Seiden-fuß et al., 2018). Diese drei Einflussfaktoren werden in Kapitel 2.3 gesondert betrachtet.

2Da das Zusammenspiel der vier Aspekte professioneller Kompetenz als notwendige Vorausset-zung für professionelles Unterrichtshandeln zu verstehen sind, wird oftmals auch von Handlungs-kompetenz gesprochen (z. B. Krauss, Lindl, Schilcher & Tepner, 2017, S. 35).

Abbildung 2.1. Modell der Professionalisierung im Lehrerberuf des EKoL-Projekts (adap-tiert nach Rutsch, Vogel, Seidenfuß et al., 2018, S. 11).

Nachfolgend wird das im Zentrum der Abbildung stehende multidimensionale Konzept der professionellen Kompetenz mit seinen vier Kompetenzaspekten näher vorgestellt. Insgesamt liegt dem Modell die Annahme zugrunde, dass neben dem (1) Professionswissen auch (2) Überzeugungen sowie (3) motivationale und (4) selbstregulative Merkmale von Lehrkräften die Grundlage für erfolgreiches Un-terrichtshandeln darstellen (Baumert & Kunter, 2011a). Dass die vier Dimensionen in einem „dynamischen Wechselspiel“ (Krauss, Lindl, Schilcher, Fricke et al., 2017, S. 35) zueinander stehen, wird in der oben stehenden Abbildung durch die sich überlappenden Kompetenzaspekte angedeutet.

(1) Professionswissen

Das Professionswissen einer Lehrkraft wird als ausschlaggebend für die erfolgrei-che Bewältigung von Anforderungen im Unterricht angesehen (Harms & Riese, 2018). Zur inhaltlichen Bestimmung des professionellen Wissens wird oftmals auf taxonomische Ansätze von Shulman (1986, 1987) zurückgegriffen, der eine Unter-scheidung in content knowledge (Fachwissen), pedagogical content knowledge (fachdidaktisches Wissen) und general pedagogical knowledge (pädagogisch-psy-chologisches Wissen) vorschlägt. Die drei aufgezählten Wissensdomänen3, die gleichzeitig die drei Säulen der Lehrerbildung darstellen, werden in den meisten Forschungsarbeiten als Grundlage zur Erfassung des Professionswissens herange-zogen (2.4.1, 2.5). Des Weiteren werden neben den Wissensdomänen auch Wis-sensarten zur Beschreibung der Struktur des Professionswissens angeführt (2.4.2).

In diesem Zuge wird postuliert, „dass das professionelle deklarative und proze-durale Wissen von Lehrkräften eine zentrale Ressource ist, um Lerngelegenheiten in einem stabilen Ordnungsrahmen variationsreich, kognitiv herausfordernd und motivierend zugleich zu gestalten“ (Baumert et al., 2011, S. 14). Wie die meisten Studien zur Professionalität von Lehrkräften, konzentriert sich das EKoL-Projekt auf die Erhebung fachdidaktischen Wissens als spezifische Teilfacette professio-nellen Wissens.

(2) Überzeugungen

Als weitere Komponente der professionellen Kompetenz werden die professionel-len Überzeugungen (beliefs) von Lehrkräften genannt (Baumert & Kunter, 2006, 2011). In dem COACTIV-Modell werden unter diesem Kompetenzaspekt auch Werthaltungen (values) und Ziele (goals) thematisiert, auf die im Folgenden aber nicht näher eingegangen wird (Ausführungen zu diesen Teilaspekten können dem Übersichtsartikel entnommen werden: Baumert & Kunter, 2006). In Bezug auf die

3Weiterhin unterscheidet Shulman in seinen Arbeiten von (1987, S. 8) und (1986, S. 10) noch weitere Wissensbereiche, wie das „curriculum knowledge“, „knowledge of learners and their cha-rateristics“, „knowledge of educational contexts“ und „knowledge of educational ends, purposes and values“. Im weiteren Verlauf der hier vorliegenden Arbeit wird allerdings an der etablierten Dreiteilung festgehalten.

Überzeugungen können diese, je nachdem auf welche Systemebene4 (z. B. Schulkon-text, Bildungssystem, Gesellschaft) sie sich beziehen, unterschiedlich klassifiziert wer-den. Im Weiteren werden lediglich jene Überzeugungen von Lehrkräften spezifi-scher betrachtet, die den Lehr-Lernprozess betreffen, da diese in der bisherigen Un-terrichtsforschung eingehender untersucht wurden (Voss, Kleickmann, Kunter &

Hachfeld, 2011). Im Hinblick auf die lerntheoretischen Überzeugungen lassen sich zwei Orientierungen bei Lehrkräften feststellen: konstruktivistische und transmis-sive Überzeugungen (Chan, 2011; Dubberke, Kunter, McElvany, Brunner & Bau-mert, 2008; Kunter & Pohlmann, 2015; Voss, Kleickmann et al., 2011).

Eine konstruktivistische Überzeugung von Lehrkräften zeichnet sich dadurch aus, dass Lernende aktiv in die Auseinandersetzung mit Lerninhalten einbezogen wer-den. Eine transmissive Auffassung beschränkt sich hingegen eher darauf, dass Schülerinnen und Schüler Lerninhalte passiv rezipieren sollten (Voss, Kleickmann et al., 2011). Studien zeigen, dass vor allem ein konstruktivistisches Verständnis über den Lehr-Lernprozess, in einem positiven Zusammenhang zur Lernleistung der Schülerinnen und Schüler steht (u. a. Peterson, Fennema, Carpenter & Loef, 1989; Staub & Stern, 2002; Voss, Kleickmann et al., 2011). Vermittelt über die Unterrichtsqualität lässt sich darüber hinaus feststellen, dass die Unterrichtsgestal-tung von konstruktivistisch eingestellten Lehrkräften durch ein stärkeres Ausmaß an kognitiv aktivierenden Lerngelegenheiten und konstruktiver Unterstützung der Lernenden geprägt ist (Voss & Kunter, 2011; Voss, Kleickmann et al., 2011). Hin-gegen zeigt sich für Lehrkräfte mit stärker transmissiven lerntheoretischen Über-zeugungen, dass deren Klassen „weniger kognitiv herausgefordert und in ihrem Lernprozess unterstützt wurden“ (Dubberke et al., 2008, S. 193). Aufgrund der mit dieser Überzeugung einhergehenden Gestaltung von geringen kognitiv anregenden Lernangeboten, sind auch Leistungsnachteile bei jenen Klassen festzustellen (ebd.).

Dass sich transmissive Überzeugungen über das Lehren und Lernen nachteilig auf die Unterrichtsqualität und den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler auswir-ken, bestätigt ebenfalls die Studie von Voss und Kleickmann et al. (2011).

4 Eine ausführliche Erläuterung der verschiedenen Ebenen ist bei Hoy, Davis und Pape (2006) zu finden.

(3) Motivationale Orientierungen

Neben dem professionellen Wissen und den Überzeugungen einer Lehrkraft werden auch für ihre motivationalen Orientierungen angenommen, dass sie sich auf das beruf-liche Handeln und entsprechend auf die Qualität des Unterrichts auswirken (Rutsch, 2016). In diesem Zuge widmet sich die Motivationsforschung verschiedenen Moti-vationsbereichen einer Lehrkraft. Neben Berufswahlmotiven (Pohlmann & Möller, 2010) werden die Selbstwirksamkeit (Schwarzer & Warner, 2014; Tschannen-Mo-ran & Woolfolk Hoy, 2001), das berufsbezogene Selbstkonzept (Retelsdorf, Bauer, Gebauer, Kauper & Möller, 2014), die Zielorientierung (Kunter, 2011) und die Be-geisterung von Lehrkräften, die sie für ihr Fach und das Unterrichten empfinden (Lehrerenthusiasmus: Kunter, Frenzel, Nagy, Baumert & Pekrun, 2011), unter-sucht. Neben den aufgezählten Aspekten motivationaler Orientierungen wird des Weiteren ein zu diesem Zeitpunkt aktuell aufgekommenes Konzept der unterrichts-bezogenen Fehlerorientierung (Böhnke & Thiel, 2016) diskutiert. Ausgehend von den verschiedenen Konzepten fokussiert sich diese Arbeit vor allem auf die beiden zuletzt genannten Aspekte des Lehrerenthusiasmus und der Fehlerorientierung.

Den Enthusiasmus einer Lehrkraft fassen Kunter et al. (2008) als ein intrinsisch motivationales Personenmerkmal auf, welches das Ausmaß an erlebter Freude und Begeisterung während der Berufsausübung wiederspiegelt. Lehren bedeutet in die-sem Zusammenhang „nicht nur eine Ansammlung von Wissen. Sondern vielmehr auch das erfolgreiche Weitergeben dieses Wissens an die Kinder.“ (Gehrmann, 2019, S. 2).

Als Ergänzung zu bisherigen Studien aus dem Bereich der Motivationsforschung schlägt das COACTIV-Projekt eine detaillierte Betrachtung vor und postuliert eine zweidimensionale Struktur für das Konstrukt des Lehrerenthusiasmus. Dieser An-nahme folgend unterscheiden Baumert und Kunter (2011a) dabei „eine gegen-stands- und eine tätigkeitsbezogene Facette des Lehrerenthusiasmus, die sich ent-weder auf die Beschäftigung mit dem Gegenstand des Unterrichts, in der Regel das Fach, oder auf die fachbezogene Unterrichtstätigkeit selbst bezieht“ (Baumert &

Kunter, 2011a, S. 44). Vor allem die Begeisterung zu Unterrichten scheint dabei positive Auswirkungen auf die Motivation, Lernfreude oder den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler zu haben (z. B. Frenzel, Goetz, Lüdtke, Pekrun & Sutton, 2009; M. Keller, Goetz, Becker, Morger & Hensley, 2014; Kunter, 2011; Kunter,

Klusmann et al., 2013; Lazarides, Gaspard & Dicke, 2019). Entgegen der eindeuti-gen Einordnung des Lehrerenthusiasmus in das Konzept der professionellen Kom-petenz existieren bislang für das Konstrukt der Fehlerorientierung kaum konkrete Befunde bzw. Theorien.

Nach Böhnke & Thiel (2016) umfasst die unterrichtsbezogene Fehlerorientierung

„als multi-dimensionales Konstrukt die Bewertung von und den Umgang mit Feh-lersituationen“ (Böhnke & Thiel, 2016, S. 58). Dies wird von den Autorinnen so-wohl im Zusammenhang mit der Selbstwirksamkeit als auch der Zielorientierung einer Lehrkraft diskutiert. Da wie oben aufgeführt, die beiden genannten Variablen (Selbstwirksamkeit, Zielorientierung) auch als Indikatoren motivationaler Orientie-rung gelten, wird die Einstellung von Lehrkräften zu Fehlern in dieser Arbeit eben-falls als ein Aspekt von Motivationsorientierung aufgefasst.

(4) Selbstregulation

Um mit beruflichen Belastungen und Stress im Lehrerberuf angemessen und lang-fristig erfolgreich umgehen zu können, sind selbstregulative Bewältigungsstrate-gien von großer Bedeutung (Hasselhorn & Gold, 2013). Daher wird im Hinblick auf das Engagement und die Distanzierungsfähigkeit von Lehrkräften im Modell der professionellen Kompetenz die Selbstregulationsfähigkeit als eine weitere, überfachliche Komponente aufgenommen (Baumert & Kunter, 2011a). Nach Klus-mann (2011a) ist die berufliche Selbstregulation einer Lehrkraft gut ausgeprägt, wenn „sie das Niveau an beruflichem Engagement zeigt, welches den Anforderun-gen des Lehrerberufs gerecht wird, sich aber gleichzeitig auch von beruflichen Be-langen distanzieren und sich und ihre Ressourcen schonen kann“ (Klusmann, 2011a, S. 277). Die selbstregulativen Fähigkeiten im Berufsalltag können dabei Auswirkungen auf das berufliche Wohlbefinden der Lehrkräfte (Klusmann, Kunter, Trautwein, Lüdtke & Baumert, 2008; Klusmann, Kunter, Voss & Baumert, 2012) und darüber hinaus auch auf deren Unterrichtsqualität (Klusmann, 2011a; Kunter, Klusmann et al., 2013) haben. Die gesundheits- und unterrichtsbezogenen Effekte unterstreichen die Relevanz des verantwortungsbewussten und nachhaltigen Um-gangs mit den eigenen Ressourcen von Lehrkräften (Mattern, 2014).

Angesichts der theoretischen Ausführungen und aufgeführten Befunde stellt der Aufbau der professionellen Kompetenz eine bedeutende Aufgabe in der Lehrerbil-dung dar. Zusammenfassend kann festgehalten werden: Die Kompetenz einer Lehr-kraft trägt maßgeblich zum schulischen Lern- und Leistungserfolg der Schülerinnen und Schüler bei (u. a. Baumert & Kunter, 2011b; Kunter, Klusmann et al., 2013).

Von welcher Wirkkette dabei ausgegangen wird, zeigt die Abfolge in Abbildung 2.1: Das Ausmaß an professioneller Kompetenz hat einen Einfluss darauf, wie Lehrkräfte Situationen im Unterricht wahrnehmen, interpretieren und darauf auf-bauend Entscheidungen treffen (Blömeke et al., 2015). Darüber hinaus trägt die professionelle Kompetenz und hierbei insbesondere das Professionswissen zur Qualität des Unterrichtshandelns einer Lehrperson bei (u. a. Kunter, Klusmann et al., 2013; Lipowsky et al., 2009; Voss, Kunter & Baumert, 2011; Wagner et al., 2016). Die Unterrichtsqualität wiederum wirkt sich auf kognitive (u. a. Kunter, Baumert et al., 2013; Lenske et al., 2016) wie motivationale (u. a. Krapp & Prenzel, 2011; Kunter & Voss, 2011) Aspekte des Lernfortschrittes auf Seite der Lernenden aus. Unter Berücksichtigung weiterer empirischer Befunde wird im nachstehenden Kapitel, spezifisch für das fachdidaktische Professionswissen einer Lehrkraft, der wechselseitige Einfluss dieser Wissensdomäne auf die Unterrichtsqualität und Ler-nende ergänzend ausgeführt.

2.2 Wirkung von Kompetenzaspekten auf