• Keine Ergebnisse gefunden

2.6 Ansätze und Methoden zur Erfassung von fachdidaktischem Wissen

3.1.2 Mögliche Entstehungsursachen von Schülervorstellungen

Vorstel-lungen und Vorwissen zu naturwissenschaftlichen Phänomen, die nicht zwingend mit der wissenschaftlichen Perspektive des Fachunterrichts übereinstimmen müs-sen (Carey, 2000; Duit, 2009). Um den Entstehungsprozess von Schülervorstellun-gen besser nachvollziehen zu können, setzt die oben dargestellte Lehr-Landkarte (vgl. Abbildung 3.1) mit dem 1. Schritt Erkunden der vorhandenen Vorstellungen an potenziellen Ursachen an. Zum einen können sich die Vorstellungen aus der un-mittelbaren Lebensumwelt – durch alltägliche, kulturelle, soziale und mediale Ein-flüsse – der Lernenden entwickeln. Zum anderen kann aber auch die schulische Lernumwelt, sprich der Unterricht selbst, zur Entstehung von Schülervorstellungen beitragen. Je nachdem vor welchem Hintergrund sich die Vorstellungen entwickelt haben, bedarf es im Unterricht einem differenzierten Umgang damit (vgl. auch 3.3).

Daher scheint eine nähere Betrachtung der vielfältigen Ausgangspunkte von Schü-lervorstellungen als empfehlenswert, um gelingende Anknüpfungspunkte schaffen zu können. Nachstehend werden fünf mögliche Ausgangspunkte kurz skizziert.

Interpretieren von Beobachtungen und alltäglichen Erfahrungen

Von dem Augenblick an, in dem der Mensch versucht seine unmittelbare Lebenswelt zu verstehen, konstruiert er Vorstellungen und Erklärungsmuster, die es ihm ermög-lichen sich in seiner umgebenen Umwelt zurechtzufinden (Reiners, 2017). Durch das Interpretieren von Beobachtungen und alltäglichen Erfahrungen entwickeln Heran-wachsende daher schon vor Eintritt in die Schule Vorstellungen zu chemischen Vor-gängen, Begriffen und Prinzipien (Schecker & Duit, 2018). Das dies nicht immer im Einklang mit den intendierten Fachinhalten stehen muss, wird an dem nachstehenden Erfahrungsbericht aus dem naturwissenschaftlichen Anfangsunterricht deutlich:

Neun Winter lang war die Erfahrung nun schon Lehrmeisterin der Kinder. Jede Mütze, die sie getragen, jeder Pullover, den sie angezogen hatten, ‚enthielt‘ Wärme: ‚Zieh Deine warmen Sachen an‘, hatten Lehrer und Eltern ihnen immer wieder gesagt. Wer will ihnen also verübeln, was sie dachten, als sie eines schönen Frühlingstages begannen, das Thema ‚Wärme‘ in der Schule zu bearbeiten? ‚Pullover sind warm‘, sagte Katie. ‚Wenn du ein Thermometer in eine Mütze stecken würdest, würde es auf jeden Fall heiß werden!

90 Grad vielleicht‘, sagte Neil. ‚Wenn du es da längere Zeit drin lässt, dann steigt's viel-leicht auch auf 100 Grad. Oder 200‘, ergänzte Christian. (Watson & Kopnicek, 1998, S. 150).

Verwendung von alltagssprachlichen Formulierungen im sozialen Umfeld

Neben Erklärungsmustern, die durch alltägliche Sinneseindrücke geprägt sind, wird die Entstehung von Schülervorstellungen auch durch sprachliche Erfahrungen beein-flusst (Duit, 2004; Rincke, 2010; Schecker & Duit, 2018). So erfolgt, wie auch schon im obigen Beispiel angedeutet, der Versuch naturwissenschaftliche Ereignisse zu er-klären innerhalb der Familie und im Freundeskreis oft durch Rückgriff auf umgangs-sprachliche und teilweise wissenschaftlich unpräzise, lebensweltliche Redeweisen (Roth, 2008). Das Bild, das sich Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene von der Welt machen, wird durch die Alltagssprache, die bspw. besagt „Die Sonne geht auf“

(Duit, 2004, S. 1) oder „Der Stromverbrauch ist hoch“ (Möller, 2018, S. 36), beein-flusst. Solche Vorstellungen beeinflussen wiederum das weitere Denken und Wahr-nehmen (Artelt, Beinicke, Schlagmüller & Schneider, 2009; Strahl & Preißler, 2014).

Aufwachsen in einem bestimmten kulturellen Umfeld

Zusätzlich trägt auch das soziokulturelle Umfeld, in dem Lernende aufwachsen, zur Ausbildung von unterschiedlichen Vorstellungen bei. So zeigt z. B. eine Untersu-chung von Halar und Laukenmann (2016), dass Kinder in Mosambik ganz andere Assoziationen zum Energie- bzw. Wärmebegriff aufweisen („Wärme tötet, Wärme verursacht viele Schäden an Menschen“) (Halar & Laukemann, 2016, S. 581). Die Entwicklung von kulturell unterschiedlichen Schülervorstellungen führen die Wis-senschaftler darauf zurück, dass die Entstehung von diesen durch die vorhandene Um- oder Lebenswelt der jeweiligen Kultur sowie durch die dort gesprochene Spra-che beeinflusst wird (Halar & Laukemann, 2016).

Einfluss des medialen Umfeldes

Neben der kulturellen Ausprägung des Lebensumfeldes ist auch der mediale Ein-fluss nicht unwesentlich. Die Art und Weise, wie die Werbung über naturwissen-schaftliche Inhalte sehr vereinfacht spricht, kann ebenso Missverständnisse verur-sachen. Werbeslogans und -spots, die bspw. über den Benzinverbrauch eines Autos oder über „Stromfresser“ im Haushalt aufklären wollen, können eine irreführende Verbrauchsvorstellung, z. B. von Energie oder Strom, bei den Lernenden hervorru-fen (T. Kaiser, 2013). Demnach kann auch die im Kontext von sozialen Medien häufig verwendete Umgangs- und Alltagssprache zur Ausbildung und Bestätigung von vor- und außerunterrichtlichen Vorstellungen beitragen (Steffensky et al., 2005; Wodzinski, 1996).

Einfluss von Erfahrungen im schulischen Unterricht

Eine weitere mögliche Ursache ist der Umstand, dass trotz fortschreitendem Lerncurriculums nicht nur Lernende in allen Klassenstufen verschiedener Schulfor-men, sondern auch Chemiestudierende und ausgebildete Lehrkräfte über fachlich nicht belastbare Vorstellungen verfügen (u. a. Cheung, 2009; Duit, 2009). Neben begrenzten Fachkenntnissen von Lehrkräften, zeugen auch Schulbuchdarstellungen (wie z. B. Abbildung 3.2) von mangelnder didaktischer Qualität. Die nachstehende Grafik, die den Lösungsvorgang von Zucker in Wasser auf Teilchenebene zeigen (soll), ist aus folgendem Grund als problematisch einzustufen: Die hellblaue Hin-terlegung (wodurch oft der Wasserstand eines Gefäßes angedeutet wird) könnte die Lernenden „zu der Assoziation verleiten, dass es sich bei dem hellblau Unterlegtem

um Wasser handelt“ (Johannsmeyer, 2004, S. 54). Damit würde die Annahme un-terstützt werden, dass das Wasser die Zwischenräume zwischen den Teilchen voll-ständig ausfüllt und diese in einem scheinbar kontinuierlichen flüssigen Medium schwimmen. Dabei wird von Schülerinnen und Schülern allerdings übersehen, dass dieses Medium auch aus (Wasser-)Teilchen aufgebaut sein muss. Ihre Vorstellung widerspricht damit der Vorstellung des diskontinuierlichen Aufbaus von Materie (Johannsmeyer, 2004).

Abbildung 3.2. Lösungsvorgang von Zucker in Wasser im Kugelteilchenmodell (aus Häusler, Pfeifer & Schmidkunz, 1996, S. 23).

Neben fehlleitenden Schulbuchabbildungen, kann zudem der (unreflektierte) Ein-satz von Modellen, Grund für Lern- und Verständnisschwierigkeiten sein. Wenn der Modellcharakter an sich, bspw. des Atommodells nach Dalton, nicht ausrei-chend thematisiert wird, neigen Schülerinnen und Schüler dazu, das Modell als Re-alität zu betrachten, also Atome mit kleinen Kugeln gleichzusetzen (O. De Jong &

Taber, 2007). Nicht nur Modelle werden von Lehrenden und Lernenden unter-schiedlich interpretiert, auch Begriffe haben für sie verschiedene Bedeutungen.

Eine weitere mögliche Ursache von unterrichtsinduzierten Vorstellungen ist daher auch auf die Art und Weise, wie über chemische Begriffe in der Fach- bzw. All-tagssprache im Unterricht gesprochen wird, zurückzuführen (Busch & Ralle, 2011;

Prechtl, 2014). Häufig denkt und spricht die Lehrkraft aus einer fachwissenschaft-lichen Perspektive heraus, wohingegen Lernende zur Erklärung auf die Alltagsspra-che zurückgreifen. So verläuft die Kommunikation häufig nicht auf einer gleiAlltagsspra-chen Ebene. Der im Alltag gebrauchte Ausdruck des „aufgelösten Zuckers“ steht zum

Beispiel im Widerspruch zu der Auffassung im Chemieunterricht, dass sich Stoffe nicht auflösen, sondern nur lösen. Aber auch durch Lehrkräfte verwendete (be-wusste oder unbe(be-wusste) umgangssprachliche Formulierungen wie „Zerstörung von Eisen beim Rosten“ (Leerhoff, Kienast, Möllering & Eilks, 2003, S. 302) kön-nen zu Missverständnissen beim Lerkön-nenden führen.