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1 Einleitung

2.1.3.4 Problemlösung und Lernprozesse

Während Kapitel 2.1.3.3 die Grundsätze der Mitarbeiterentwicklung bei Toyota aufzeigt, sollen in diesem Kapitel der Standardablauf der Prozessverbesserung, die Problemlösungsheuristik sowie zu-grunde liegende Lernprozesse erläutert werden.

Toyota Business Practice – die Art und Weise der dezentralen Verbesserungen bei Toyota 2.1.3.4.1

„I have heard that it is still not easy for individuals to fully understand and practice the Toyota Way.

Thus, I would like to introduce the Toyota Business Practices, which explicitly outlines practical busi-ness applications, based on problem solving. In order to put the Toyota Way Values into action, all of us are expected to master the Toyota Business Practices and practice them in our daily work.“

FUJIO CHOI, ehemaliger Vice Chairman of Toyota Worldwide, zitiert in LIKER UND HOSEUS (2010, 150) Für die Prozessverbesserung setzt Toyota eine Problemlösungsheuristik ein, die als Toyota Business Practices (TBP) (Liker 2011, 95 f.; Liker und Franz 2011, 34ff.; Marksberry, Bustle und Clevinger 2011, 840) oder auch Practical Problem Solving (PPS) (Rother 2009, 196) bezeichnet wird. Dieses Vorgehen strukturiert Prozessverbesserungen über Planungs- und Experimentierphasen. 2001 wurde es von Toyota über acht Schritte formalisiert (Liker und Franz 2011, 35):

1. Definieren des Problems in Bezug auf die Zielsetzung (Plan)

2. Herunterbrechen in bearbeitbare Schritte/Situation erfassen (Plan) 3. Identifizieren der Ursache (Plan)

4. Setzen eines Ziels der Verbesserung (Plan)

5. Geeignete Lösung aus verfügbaren Alternativen auswählen (Plan)

6. Ausprobieren der Lösung (Do) 7. Kontrolle des Ergebnisses (Check)

8. Anpassen, Standardisieren und Ausbreiten (Act)

Schritte 1–4 dienen der Zielausrichtung der Verbesserungsaktivitäten unter Einbezug des bestehen-den Prozesszustands. So werbestehen-den in Schritt 1 der TBP die Ergebnisse des Hoshin Kanri-Prozesses in Herausforderungen für die dezentralen Verbesserungsbemühungen überführt (Liker und Franz 2011, 60 ff.). ROTHER (2009, 114 f.) detailliert in diesem Kontext die Art und Weise der Zielsetzung bei Toyo-ta. Demnach beschreibt Toyota diese Herausforderung nicht alleine über Ergebniskennzahlen, wie beispielsweise eine zu erreichende Stückzahl je Stunde oder ein Qualitätsniveau, sondern ergänzt diese um eine Zustandsbeschreibung des Prozesses. Diese Zustandsbeschreibung stellt ein Muster dar, auf dessen Grundlage die Ergebniskennzahlen erreicht werden sollen. Damit wird das im Rah-men der Zielentwicklung gesetzte qualitative Prozessprinzip (Kapitel 2.1.3.2) in die Zielbeschreibung integriert und der Weg der angestrebten Entwicklung detailliert vorgegeben.

Für die Beschreibung von Prozesszuständen empfiehlt ROTHER (2009, 128 f.) die Verwendung von vier Informationskategorien:

1. Prozessschritte

Beschreibung der Prozesssequenz inklusive der Prozesszeiten für den Prozessdurchlauf 2. Prozesseigenschaften

Charakteristik des Prozesses, wie Anzahl Mitarbeiter, Schichten, Puffer, Losgrößen, Muster 3. Prozesskennzahlen

Kennzahlen zur Prüfung des Prozesszustands, wie beispielsweise die Zykluszeit vom Prozess-schritt oder die Zeitschwankungen

4. Ergebniskennzahlen

Kennzahlen zur periodischen Prüfung der Ergebnisse, wie Anzahl, Produktivität, Qualität, Kosten usw.

Ist die Herausforderung für die Prozessverbesserung in den jeweiligen Informationskategorien be-schrieben, wird in Schritt 2 der TBP der Istzustand des Prozesses erfasst (Rother 2009, 126 f.). Hierfür werden verschiedene Analysetechniken angewendet. Ist sowohl die Herausforderung als auch der Istzustand beschrieben, kann über einen Vergleich der Informationskategorien das resultierende Un-gleichgewicht zwischen Herausforderung und Istzustand dargestellt werden (Schritt 3 der TBP). Das Ungleichgewicht zwischen Istzustand und der Herausforderung ist in der Regel groß, was auf den mittelfristigen Zeitbezug der Herausforderung zurückzuführen ist. Für einen Verbesserungsprozess, der auf die inkrementelle Entwicklung der Prozesse über Experimente zielt, führt eine derart komple-xe Zielsetzung mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Überforderung des Verbesserers und ist folglich

un-geeignet (Rother 2009, 133). Entsprechend überführt Schritt 4 der TBP die Herausforderung in ge-eignete Etappenziele für den Verbesserungsprozess, die ROTHER als Zielzustand benennt (Rother 2009, 113). Diese verwenden dieselben Informationskategorien wie Istzustand und Herausforderung und sind in Abhängigkeit von den Fähigkeiten des verantwortlichen Prozessverbesserers zu formulie-ren. Demnach sollte der Zielzustand so verortet sein, dass anspruchsvolle Lernanreize für den Pro-zessverbesserer gesetzt werden, ohne diesen zu überfordern (Rother 2009, 122). SENNINGER (2000, 26 f.) konkretisiert diese Gedanken in seinem Lernzonenmodell. Zentrale Begriffe sind hier die Komfort-, Lern- und Panikzone (Senninger 2000, 26), die er wie folgt differenziert: Die Komfortzone zeichnet sich dadurch aus, dass der Lernende in diesem Bereich über die notwendige Wissensbasis verfügt, Aufgabenstellungen zielsicher zu realisieren. Folglich wird durch die Verortung von Lernzielen in die-sem Bereich die Wissensbasis des Lernenden nicht erweitert. Die Lernzone zeichnet sich dadurch aus, dass durch eine Verortung von Aufgabenstellungen in diesem Bereich die Wissensbasis notwendi-gerweise iterativ erweitert wird, ohne den Lernenden zu überfordern. Aus didaktischer Perspektive wirkt eine Verortung von Lernzielen hier motivierend und resultiert in Erfolgserlebnissen. Somit sind Aufgaben bevorzugt hier zu verorten. Die Panikzone ist dadurch charakterisiert, dass eine Verortung von Lernzielen in dieser Zone zu große Wissenssprünge von dem Lernenden erfordert. Dies führt zur Überforderung und resultiert in Angst.

Abbildung 12: Das Lernzonenmodell Quelle: SENNINGER (2000, 26)

In den Schritten 5 und 6 der TBP werden Lösungsansätze zur Überwindung des Ungleichgewichts zwischen Ist- und Zielzustand erarbeitet. Dabei wird der Zielzustand nicht durch radikale Prozessver-änderungen, sondern durch viele inkrementelle Prozessveränderungen realisiert (Rother 2009, 139) (Abbildung 13).

Panikzone

Überforderung des Lernenden durch unrealistische Zielsetzung bezüglich vorhandenem Wissen

Lernzone

didaktisch sinnvolle Verortung von Lernzielen zum Aufbau von Wissen

Komfortzone

Lösungsfindung mit bestehenden Wissen, kein Wissensaufbau

Abbildung 13: Inkrementelles Umsetzen eines Zielzustands Quelle: ROTHER (2009, 140)

Für jede Prozessveränderung ist der Nachweis zu erbringen, dass durch diese der Prozess in Richtung des Zielzustands verändert wird. Hierfür wird für die inkrementelle Veränderung zunächst ein Ver-besserungsziel in Form einer Hypothese formuliert (Rother 2009, 143 ff.). Diese Hypothese ist von dem Zielzustand zu unterscheiden. Der Zielzustand beschreibt einen zeitlichen Horizont von vier bis sechs Wochen, wobei die Hypothese lediglich auf das durchzuführende Experiment zu beziehen ist (Rother 2009, 151). Damit die Experimente zielorientiert durchgeführt werden, sind folgende Rah-menbedingungen zu gewährleisten (Rother 2009, 156 ff.):

1. Kurze Zykluszeiten für Experimente

Die Zykluszeit definiert den Zeitraum zwischen Planung, Durchführung und Ergebnis des Ex-periments. Mit ihr steigt somit der Zeitraum zur Beurteilung des ExEx-periments. Dies hat direk-ten Einfluss auf den Zeitraum zur Realisierung des Zielzustands, der durch die Summe der da-für notwendigen Experimente erarbeitet wird. Streckt sich die Zykluszeit, beispielsweise über das Anfertigen spezifischer Hilfsmittel oder das Einbeziehen benachbarter Abteilungen, be-deutet dies eine Verzögerung der Prozessentwicklung. Dies ist durch geeignete Maßnahmen, wie den Einsatz von Provisorien oder eine Simulation in einer Spielumgebung, zu vermeiden.

2. Eindeutige Ursache-Wirkungs-Beziehungen

Dem Ergebnis des Experiments sollten eindeutige Ursache-Wirkungs-Beziehungen zuzuord-nen sein, um die richtigen Erkenntnisse aus dem Experiment zu ziehen. Eine einfache Mög-lichkeit, um dies zu gewährleisten, stellen Ein-Faktor-Experimente8 dar, bei denen die

8 Bei Ein-Faktor-Experimenten wird lediglich ein Parameter/Faktor gegenüber der Ausgangssituation verändert.

Ergebnisse des Experiments sind somit mit Sicherheit dem veränderten Faktor zuzuschreiben.

Ist-Zustand

Weiter Sehen

Ziel-zustand

Nächster Ziel-zustand

Aufdecken von

unvorhergesehenen

Hindernissen

nisveränderung auf den veränderten Faktor zurückgeführt werden kann. Mehrfaktorenexpe-rimente, bei denen komplexe Ursache-Wirkungs-Beziehungen vorliegen, sollten nur bei ent-sprechendem Kenntnisstand des Prozessverbesserers eingesetzt werden.

Schritt 7 der TBP beinhaltet die Kontrolle des Ergebnisses. Hierfür ist durch Messungen zu bestäti-gen, dass durch das jeweilige Experiment eine Prozessverbesserung entsprechend der Erwartungs-haltung realisiert wurde. Ist dies nicht gegeben, ist das Experiment unter einer Variation des Settings zu wiederholen oder ein alternativer Lösungsansatz zu testen (Rother 2009, 144 f.). Bestätigt sich das durchgeführte Experiment als Prozessverbesserung, wird der Zyklus des Experimentierens erneut durchlaufen, bis der anvisierte Zielzustand erreicht ist. In Schritt 8 der TBP werden die verifizierten Prozessveränderungen nach Erreichen des Zielzustands gebündelt in den Operativbetrieb integriert.

Die Einführung erfolgt deshalb gebündelt, da diese mit einem großen Veränderungsaufwand einher-geht. So muss die Operativumgebung an den neuen Standard angepasst werden, was in der Regel sowohl physischer als auch systemischer Änderungen bedarf (Rother 2009, 158 f.).