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1 Einleitung

2.1.3.2 Prinzipien der Prozessentwicklung

„Wenn Sie versuchen, das Toyota Produktionssystem anzuwenden, ist die Nivellierung des Produk-tionsvolumens das Erste, was Sie tun müssen. […] Wenn das Produktionsvolumen dann für einen Monat mehr oder weniger gleich hoch ist, werden sie in der Lage sein, Pull-Systeme anzuwenden und die Montagebänder gleichmäßig auszulasten. Wenn sich das Produktionsvolumen aber täglich ändert, ist es nicht sinnvoll diese Systeme einzuführen, weil sie unter diesen Umständen die Ar-beitsschritte nicht standardisieren können.“

FUJIO CHO, ehemaliger Präsident der Toyota Motor Corporation, zitiert in LIKER (2007, 169) Die Prozessentwicklung in Richtung eines verschwendungsarmen Wertschöpfungsprozesses ist hin-reichend komplex (Kapitel 1.1). Damit diese Annäherung gelingt, empfehlen diverse Wissenschaftler die Einhaltung gewisser Prinzipien für die Prozessentwicklung (Rother 2009, 125 ff.; Womack und Jones 1996, 15–101; Liker 2007, 91–276).

WOMACK UND JONES (1996, 15–101) beschreiben die Einführung einer schlanken Produktion über 5 Prinzipien: Demnach bedarf es für die Identifikation von Verschwendung zunächst der Definition des Wertes der angebotenen Leistung (Prinzip 1), wobei dieser im Dialog mit dem Kunden erarbeitet werden sollte6 (Womack und Jones 1996, 29 ff.). Auf Basis dieser Wertdefinition können Tätigkeiten im Wertschöpfungsprozess hinsichtlich ihres Wertbeitrages klassifiziert werden (Prinzip 2), wobei wertschöpfende Tätigkeiten, notwendige Tätigkeiten und nicht notwendige Tätigkeiten zu differen-zieren sind (Womack und Jones 1996, 37 ff.). Wertschöpfende Tätigkeiten verändern das Produkt nach der Wertvorstellung des Kunden und fügen dem Produkt einen Mehrwert hinzu. Erstrebenswert ist es, den Anteil von wertschöpfenden Tätigkeiten im Prozess der Wertschöpfung auszubauen. Not-wendige Tätigkeiten sind in dem bestehenden Wertschöpfungsprozess zur Wertschöpfung erforder-lich, ohne einen Wertbeitrag zu leisten. Ein Beispiel ist der Transport von Produkten oder Materia-lien, der notwendigerweise zu erfolgen hat, um Ortsdifferenzen zwischen Herstellungsschritten zu überwinden. Tätigkeiten dieser Kategorie sollten entsprechend auf ein Minimum reduziert werden.

Nicht notwendige Tätigkeiten sind aus Kunden- und Prozesssicht überflüssig und verursachen Kosten.

Sie sind zu vermeiden. Beispiele hierfür sind Wartezeiten von Mitarbeitern oder Produkten im Wert-schöpfungsprozess. Sind nicht wertschöpfende Tätigkeiten auf ein Minimum reduziert, sind verbleib-endende Tätigkeiten in den Fluss zu bringen (Prinzip 3), d. h., die Liegezeiten der Produkte zwischen den Prozessschritten sind zu vermeiden. Ist dies gewährleistet, sollte ausschließlich nach dem Bedarf des Kunden produziert werden (Prinzip 4) (Womack und Jones 1996, 50 ff.). Prinzip 5 beschreibt vage

6 Der Kunde ist bereit, für wertschöpfende Aktivitäten einen Preis zu zahlen. Entsprechend ist die Kundenper-spektive bei der Wertdefinition zu integrieren.

die Idee einer kontinuierlichen Entwicklung der Prozesse durch Projektteams, ohne die Art und Wei-se zu konkretisieren (Womack und Jones 1996, 90 ff.).

Weitere Wissenschaftler bauen auf den Gedanken von WOMACK UND JONES auf und erläutern unter-stützende Handlungsfelder zur Gewährleistung dieser Kriterien (u. a. Liker 2006; Liker 2007; Rother 2009; Yagyu 2011). So ist die Voraussetzung für eine flussorientierte Produktion die zeitliche Ab-stimmung einzelner Prozesselemente der Wertschöpfung aufeinander (Dickmann 2015, 292). Damit diese zeitliche Harmonisierung verschiedener Prozessschritte gelingt, wird der angestrebte Produkti-onsrhythmus über einen Produktionstakt realisiert (Vollmer 2009, 149). Dieser liefert eine verbindli-che zeitliverbindli-che Vorgabe für die Realisierung der entspreverbindli-chenden Prozessschritte. Um die von den Kun-den nachgefragten Produkte innerhalb dieser Vorgabezeit fertigen zu können, ist der Produktionstakt am Kundenbedarf auszurichten (Takeda 2014, 94). Der resultierende Produktionstakt unter Berück-sichtigung des Kundenbedarfs wird als Kundentakt bezeichnet. Berechnet wird dieser, indem die ver-fügbare Arbeitszeit durch die von Kunden nachgefragte Menge dividiert wird (Reitz 2008, 51; Rother 2009, 90). Überschreitet die bisher notwendige Zeit für einen Prozessschritt die nach dem Kunden-takt erforderliche, ist die Prozesszeit derart zu reduzieren, dass der KundenKunden-takt realisiert wird (Abbildung 9). Dies ist beispielsweise durch das Vermeiden von Verschwendung, Kapazitätserhöhun-gen, aber auch durch die Umverteilung von Arbeitsschritten auf andere Prozessschritte möglich (Tsigkas 2013, 71). Damit diese aufeinander abgestimmten Prozessschritte kontinuierlich entspre-chend der Vorgabe realisiert werden können, ist zudem eine Basisstabilität der Prozesse erforderlich, sodass diese über verschiedene Zyklen weder zeitlich variieren noch qualitativ unterschiedliche Er-gebnisse hervorbringen (Liker 2006, 91 f.). Instrumente, die hierbei unterstützen, sind beispielsweise Arbeits- und Prozessstandards, die sicherstellen, dass die Handhabung der Prozesse sich nicht über verschiedene Zyklen verändert (Liker 2006, 157ff.).

Abbildung 9: Kundentakt als Instrument zur Harmonisierung von Prozesselementen Bearbeitungszeit

Unterkapazität ggü.

dem Kundenbedarf

Überkapazität ggü.

dem Kundenbedarf

Prozess-element 1

Prozess-element 2

Die bedarfsorientierte Fertigung gewährleistet, dass nur diejenigen Produkte hergestellt werden, für die eine reale Kundennachfrage besteht. Sie ist somit eine präventive Maßnahme zur Vermeidung der Verschwendungsart Überproduktion (Liker 2007, 157 ff.). Aufgrund der Volatilität der Märkte ist in einer bedarfsorientierten Fertigung der Kundenbedarf zu glätten. Erfolgt dies nicht, wird prozess-seitig eine Über- bzw. Unterkapazität gegenüber der Nachfrage erzeugt, was wiederum in einer Überlastung von Mensch und Maschine bzw. in Wartezeiten resultiert und im Widerspruch zu der Zielsetzung einer schlanken Produktion steht (Hüttmeir et al. 2009, 501; Coleman und Reza Vaghefi 1994, 31). Die Bedarfsglättung (japanisch Heijunka) überführt den volatilen Kundenbedarf in definier-te Losgrößen, die in einem definierdefinier-ten Mix produziert werden (Liker 2007, 169 ff.; Rother 2009, 98ff.). Hierfür müssen zwar Kundenaufträge zusammengefasst werden, was die Leadtime7 erhöht.

Gleichzeitig wird hierdurch aber auch die Grundlage für die Gestaltung repetitiver Prozesse als not-wendige Voraussetzung für eine Prozessstandardisierung und -optimierung gelegt.

Sind mit der Produktionstaktung, der Prozessstandardisierung und der Bedarfsglättung die Voraus-setzungen für die flussorientierte und bedarfsorientierte Fertigung gegeben, können auf dieser Basis weitere Verschwendungen identifiziert werden (Liker 2007, 144ff.). So wird durch die direkte Weiter-verarbeitung der Produkte ohne Zwischenlagerung der Prozess transparenter und offenbart so Po-tenziale für die Reduktion von Qualitätsproblemen und weitere Produktivitätssteigerungen. Bei-spielsweise wird durch die direkte Weiterverarbeitung in Folgeprozessen die Feedbackschleife zwi-schen den Prozessen verkürzt. Abweichungen vom Standard werden entsprechend früher diagnosti-ziert. Die mit dem Produktfluss einhergehende Bestandsvermeidung führt zu einem geringeren Anteil nicht wertschöpfender Aktivitäten, da beispielsweise keine Einlagerung erfolgen muss. Zum anderen resultiert der höhere Flussgrad in geringeren Durchlaufzeiten, was wiederum geringere Wiederbe-schaffungszeiten zur Folge hat. Das Ergebnis sind Prozesse mit höherer Produktivität und Flexibilität, die beispielsweise zur Realisierung von sich verändernden Kundenanforderungen oder geringeren Leadtimes genutzt werden können.

Damit die Prinzipien einer verschwendungsarmen Produktion auch im operativen Prozess gewähr-leistet sind, wird zudem eine Überwachung der Standards empfohlen (Monden 2012, 212 ff.; Liker 2007, 221ff.). Diese sollte eine Abweichung gegenüber dem Prozessstandard transparent machen. Im Toyota-Produktionssystem wird diese Transparentmachung in der Regel über einen Abgleich von an-visierten Arbeitsstandards gegenüber der Ist-Situation realisiert. Überschreitet beispielsweise die reale Arbeitszeit den vorgegebenen Standard, ist dies zu kommunizieren. Hierauf können

7 Die Leadtime ist die geplante Zeitspanne, die zwischen dem Eingang des Kundenauftrags und der Auslieferung des Auftrags an den Kunden benötigt wird (Hill 2012, 191).

chende Gegenmaßnahmen eingeleitet werden (Monden 2012, 224). Die Art und Weise der Transpa-rentmachung ist nebensächlich und kann automatisiert oder über händisch ausgelöste Signale erfol-gen (Monden 2012, 220).

Die beschriebenen Prozessprinzipien zur Realisation verschwendungsarmer Wertschöpfungsprozesse sind in Tabelle 1 zusammengefasst dargestellt.

Prozessprinzip Beschreibung Beispiele für Lean Tools zur

Unterstützung des Prinzips

Quelle

Heijunka/

Produktionsnivellierung

Glätten der Nachfrage über definierte Pro-duktionssequenzen zur Vermeidung von Über- und Unterkapazitäten sowie als Grundlage für standardisierte Prozesse

Rhythm Wheel, Heijunka Boards

(Liker 2007, 169 ff.; Rother 2009, 98 ff.)

Kundentakt Synchronisierung der Prozessschritte über die Kundennachfrage zur Gewährleistung einer verschwendungsarmen Fertigung

Kunden- bzw. Fertigungstakt (Takeda 2014, 94); Reitz 2008, 51; Rother 2009, 90)

Basisstabilität von Prozessschritten

Qualitativ und zeitlich stabile Prozesse zur Gewährleistung des Kundentaktes in den verschiedenen Prozessschritten

Regelkarten, Ten cycle ana-lyse, Andon

(Rother 2009, 91)

Arbeitsstandards Unterstützung der Basisstabilität über Ar-beitsstandards (Taktzeit für Arbeitsschritte, Anzahl Mitarbeiter, definierter Bestand) zur Gewährleistung der Prozessstabilität

Standard Work Sheet (Monden 2012, 171 ff.)

Flussorientierte Fertigung

Entwicklung des Flussgrades zur Reduktion von Verschwendung

Auslösen der Fertigung nur durch Kunden-auftrag

Kanban; Heijunka Boards (Rother 2009, 91)

Fehlererkennung Fehlererkennung zum Aufrechterhalten der Standards

Jidoka, visuelles Manage-ment

(Monden 2012, 231 ff.)

Tabelle 1: Prinzipien zur Entwicklung einer schlanken Produktion

ROTHER (2009, 125 ff.) erläutert die Art und Weise, wie diese Prozessprinzipien im Toyota-Produktionssystem verwendet werden: Sie fungieren als anzustrebende Zielzustände, die eine struk-turierte Entwicklung des Prozesses in Richtung einer verschwendungsfreien Produktion erlauben.

Damit unterstützen sie die im Kontext des Hoshin Kanris entwickelten quantitativen Zielsetzungen mit entsprechenden qualitativen Umsetzungsstrategien (Kapitel 2.1.3.1).

Das Zusammenspiel von Prozessprinzipien und der Formulierung geeigneter quantitativer Zielsetzun-gen ist insbesondere im Kontext der dezentralen VerbesserungsbemühunZielsetzun-gen relevant und soll in Ka-pitel 2.1.3.4 detailliert werden.