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Privates Glück im Sozialismus

GESCHLECHTERROLLEN IM ARBEITER- UND BAUERNSTAAT

6.3.3. Privates Glück im Sozialismus

Freizeitthemen erfreuten sich großer Popularität, denn wenn man beständig um den Aufbau des ‚realen Sozialismus’ bemüht war, wollte man nicht auch noch im Museum mit Arbeitsbildern konfrontiert werden. Insbesondere Badeszenen waren beliebt - vielleicht, weil hier ein Gefühl von Freiheit mitschwang, das man in einem Alltag von Reisebeschränkungen selten genießen konnte. Beispiele hierfür gibt es u.a. von Willi Sitte, dessen frühen Versuche in picassohafter Ver-zerrung Anfang der 50er Jahre, wie >Mann mit Frau< (1952, Abb.127), jedoch weniger dem Massengeschmack entsprachen als seine späteren rubenshaften

‚Wellenspringer’, oder von Gerhard Richter, dessen >Badende am Strand< von 1960 (Abb.128) formal an seine bereits erwähnten Wandbildprojekte erinnern.

Solche Werke befriedigten das Bedürfnis nach Privatheit und bilden daher ei-nen - ideologisch - notwendigen Gegenpol zu den Helden und Heldinei-nen der Arbeitswelt.

Walter Womackas >Am Strand< aus dem Jahre 1962 (Abb.129) ist sicherlich das populärste Werk unter den Strandszenen, und gleichzeitig das umstrit-tenste. Ein Teile der Jugend der 70er Jahre lehnte es ab, und 1973 brachte Plenzdorfs Protagonist in den ‚Neuen Leiden des jungen W.’ diese Abneigung unmissverständlich zum Ausdruck:

(...) wenn ein Bild anfängt, auf jedem blöden Klo rumzuhängen, dann machte mich das immer fast gar nicht krank. Bestenfalls tat es mir dann ekelhaft leid. Meistens konnte ich es für den Rest meines Lebens nicht mehr ausstehen. Das andere war in einem Wechselrahmen. Ich will nichts weiter darüber sagen. Wer es kennt, weiß, welches ich meine. Ein echtes Brechmittel, im Ernst.

Dieses prachtvolle Paar da am Strand.344

Mit seiner sentimentalen Romantik traf dieses Bild anscheinend die Gefühlslage der damaligen Zeit. Ein junges Liebespaar sitzt vor leicht wogender Meeresku-lisse im feinen Sand der Ostsee. Der blonde, blauäugige Jüngling tastet

schüchtern nach der Hand des Mädchens, blickt sie an, hofft, dass sie auf seine zärtliche Berührung reagiert. Doch sie schaut in die Ferne, wenngleich ihre rechte Hand die vorsichtige Kontaktaufnahme registriert und sich ihr nicht ent-zieht. Beide sind leger angezogen, er mit weißer Hose und rotem T-Shirt, sie e-benfalls im roten Oberteil und blauer Hose.345

Diese unspektakuläre Komposition, in kräftigen Konturen und Farben umge-setzt, war Publikumsfavorit und liebstes Bild von Walter Ulbricht auf der V.

Deutschen Kunstausstellung in Dresden, wobei die volkstümlich-inhaltlichen Momente im Vordergrund standen.

Die Liebesbeziehungen zwischen dem Jungen und dem Mädel sind sauber und natürlich. Nichts ist übertrieben, auch die Farben gefallen mir wegen ihrer Frische und Kräftigkeit. (Matrose der Volksmarine, 19 J.)

Womackas Bild kann den Menschen für die Kunst begeistern, be-sonders sprechen die Augen des Mädchens in ihrer Offenheit.

(Maschinist, 21 J., Berlin)346

Reproduktionen dieses Gemäldes erreichten bis dahin noch nicht gekannte Auflagenhöhen, die erste war bereits nach kurzer Zeit vergriffen. In den folgen-den zwei Jahrzehnten konnte man dieser Arbeit überall begegnen, ob in Klas-senzimmern, anderen öffentlichen Gebäuden oder im privaten Heim. Selbst als Briefmarkenmotiv diente das Werk.

Im sozialistischen Ausland - so z.B. in der Sowjetunion - wurde dieses Bild ebenso positiv rezipiert.

344 Plenzdorf, Ulrich, Die neuen Leiden des jungen W., Rostock 1987, S.59.

345 Als Modell dienten angeblich der Bruder und die Tochter Womackas, so jedenfalls Wolf, Heinz, Der Fortschritt ist unverkennbar: neue menschliche Beziehungen in den Bildern der VII.Aussttellung des VBKD Bezirk Berlin, in: Bildende Kunst, Heft 7 (1962), S.350.

346 Rudolf, Kurt-Heinz, Wissen wir, wie unsere Kunst ankommt?, in: Bildende Kunst, Heft 3 (1964), S.156.

Dies Bild zeugt vom erwachenden Gefühl zweier Menschen zu-einander. Der Jüngling blickt aufmerksam seine liebliche Freundin an. Zart berühren seine Finger die Finger des Mädchens. So viel Aufrichtigkeit, so viel Wärme liegt in dieser zarten Berührung der Finger, dass die Anmut der Gestalten des Bildes beim Betrachter eine tiefe Emotion weckt. Womacka zeigt sich als feinfühliger Psy-chologe. Doch nicht nur im Empfindungsreichtum äußert sich hier das Psychologische, sondern zudem in der dynamischen, etwas fließenden Komposition, mit der so treffend die Verlegenheit des Jünglings und die Verwirrung des jungen Mädchens gekennzeich-net wird.347

Jahre später äußerte sich Womacka zu dieser für ihn unerwarteten Popularität des ‚Paares’:

Es gab da enthusiastische Befürworter ebenso wie ganz krasse Gegner (...). Das Bild war damals ein echtes Anliegen. Die künst-lerischen Mängel kenne ich. Meistens habe ich solche Bilder vari-iert und mehrfach gemalt, um zu einer besseren Lösung zu kom-men. Diese erste Fassung ist damals fast unfertig aus dem Atelier geholt worden. Die Resonanz war sofort stark da, deshalb habe ich mich auch direkt gescheut, eine neue, bessere Variante zu malen, auch um nicht in den Verdacht zu geraten, den Erfolg fort-setzen zu wollen.

(...) Die Resonanz auf das Bild war mir damals und ist mir auch heute noch manchmal ein Phänomen oder ein Rätsel (...). Ich er kläre mir das so, dass das Bild gerade in einer Situation gezeigt wurde, wo Jugendprobleme und Liebe in der öffentlichen Diskus-sion eine Rolle spielten. Und die beiden Menschen waren auch so dargestellt, dass sich eben viele damit identifizierten. Das waren ja auch ganz reale Modelle, die in ihrem Aussehen und in ihrer gan-zen Haltung vieles verkörperten, was mit eigenem Erleben ver-gleichbar war.348

Trotz der nicht unerwähnt gebliebenen formalen Mängeln sah man in diesem Bild eine adäquate Formulierung sozialistischen Glücks.

347 Liebmann, Michail, in: Iskusstwo 1964, zit.n.: Hütt, Wolfgang 1980, S.188.

348 Aus: Schumann, Henry 1976, S.270f.

Das Bild entspricht in seiner künstlerischen Aussage der lebens-bejahenden, optimistischen Grundhaltung des Künstlers, seiner Freude am Schönen in unserem Leben, seinem ständigen Drang, dieses Schöne den Werktätigen immer wieder durch seine Kunst zu entdecken, ästhetisch erlebbar zu machen und mit den ethi-schen Vorstellungen des sozialistiethi-schen Menethi-schen eng zu ver-knüpfen. Ohne Furcht, von einigen der Schönfärberei bezichtigt zu werden, erhebt Walter Womacka ganz bewusst mit seinem Bild die Schönheit unseres Lebens, die Schönheit unserer heranwach-senden Jugend und ihres Reichtums zum Schönen in der Kunst und kommt dadurch zur ästhetischen Verallgemeinerung der Wahrheit unseres Lebens.349

Auch im Westen, in Amerika, England - selbst in der benachbarten Bundesre-publik - ließ sich das Strandglück verkaufen, so gab es beispielsweise Repro-duktionen im Westberliner ‚Kaufhaus des Westens’350. Damit ist jedoch fraglich, ob in diesem Bild der sozialistische Lebensalltag überhaupt eine Rolle spielt.

Geht es in dieser Idylle nicht nur um plakativen Kitsch? Die unschuldigen, fast schon keuschen Annäherungsversuche dieser beiden Menschen könnten ge-nauso Befindlichkeiten der Adenauer-Zeit illustrieren, vergleichbar mit zahlrei-chen Werbeanzeigen der bundesrepublikaniszahlrei-chen Konsumwelt. Idealisierte Wunschvorstellungen werden bebildert, nicht aber Wahrheiten des Arbeiter-und-Bauern-Staates; mit Sozialismus hat das wenig zu tun und schon gar nichts mit Veränderungen in den partnerschaftlichen Beziehungen. Dies erkannten be-reits mancher Ausstellungsbesucher von 1962 und konnten daher nicht in die allgemeinen Lobeshymnen einstimmen:

Womackas Versuch ist anzuerkennen, auch seine Farbe spricht mich an. Jedoch finde ich seine Menschen schablonenhaft und die Beziehungen oberflächlich (Schiffbauer, 23 J., Rostock.)

Womacka ist zuviel gelobt worden. Diese Beziehungen [zwischen den beiden Menschen, d.V.] sind für mich etwas zu sentimental.

(Maler, 42 J., Dresden.)351

Es mag überraschen, dass die Vorstellungen vom kleinen privaten Glück in bei-den deutschen Staaten einander so ähneln, obgleich man bereits über ein Jahrzehnt getrennte Wege ging und sich ideologisch gar bekämpfte. Doch viel-leicht ist dies gar nicht so verwunderlich, sondern ein Beleg dafür, dass die

349 Präsidium des Verbandes Bildender Künstler, zit.n.: Lang, Lothar 1980, S.66.

350 So jedenfalls Heinz Dieter Kittsteiner, Die Heroisierung im geschichtstheoretischen Kontext, in: Flacke, Monika 1994, S.148 und ders., Die in sich gebrochene Heroisierung: ein ge-schichtstheoretischer Versuch zum Menschenbild in der Kunst der DDR, in: Historische Anth-ropologie (1994), S.442-461.

351 Rudolf, Kurt-Heinz, Wissen wir, wie unsere Kunst ankommt?, in: Bildenden Kunst 3 (1964), S.156.

Menschen in ihren tiefsten Sehnsüchten nicht wirklich manipulierbar sind und ähnliche Träume verfolgen. Selbst im Aufbegehren gegen solche(n) Massenge-schmack(losigkeiten) von Seiten der jungen Generation zeigen sich Gemein-samkeiten – ob nun junge Literaten wie Plenzdorf in der DDR, oder die soge-nannten ‚Halbstarken’ und späteren Hippies im Westen, deren Vorbild auch im Osten für Aufmüpfigkeiten sorgte.