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KRIEGSENDE – SZENEN DES SCHRECKENS UND DER HOFFNUNG

3. DIE „STUNDE NULL“

3.1. KRIEGSENDE – SZENEN DES SCHRECKENS UND DER HOFFNUNG

Dem Ende des Krieges sahen die meisten verständlicherweise hoffnungsvoll entgegen, da er das Ende all erlittenen Leids bedeutete. Doch zuvor spitzte sich für viele die Situation nochmals zu, denn in den letzten Kriegsmonaten eska-lierte der Bombenterror gegen die deutsche Zivilbevölkerung. Wenige Kunst-werke thematisieren den durchlebten Schrecken wie beispielsweise Karl Kunz’

>Im Keller< (1945 WV Denk 84, Abb.8).

Da Kunz wegen eines Herzleidens nur für den Sicherheits- und Hilfsdienst ein-gesetzt wurde, kannte er aus eigener Erfahrung die Ängste der Menschen in den Luftschutzkellern. In seinem >Keller< sind dicht gedrängt Figuren neben-und übereinandergesetzt. Angst, Lethargie, Verzweiflung spricht aus ihren Ge-sichtern, deren Stilisierung entfernt an Gestaltungen Picassos aus der

47 Grass, Günter, Geschenkte Freiheit: Rede zum 8.Mai 1945, Berlin 1985 (Akademie der Künste – Anmerkungen zur Zeit; Heft 24), S.6f.

ca-Zeit erinnern. Die größtenteils in Weiß belassenen Figuren und deren kalli-graphische Binnenzeichnungen werden von unterschiedlichen Farbfeldern ü-berlagert, die einem eigenen Flächenrhythmus gehorchen und damit der ge-samten Komposition unweigerlich einen dekorativen Charakter geben.

Im Schnittpunkt der Bilddiagonalen des Hochformats sind die Gesichter eines Elternpaares. Von ihrem Baby, dessen Kinderwagen in surrealer Verfremdung wie ein Bühnenrequisit an der vorderen Bildkante steht, sieht man nur den Hin-terkopf oberhalb der mütterlichen Brust. Der Mann hält sie umschlungen, ver-sucht ihr in ihrer Angst, der sie schreiend Ausdruck verleiht, Schutz und Trost zu gewähren. In der ganzen Enge des szenischen Aufbaus ist keine vergleich-bare emotionale Verbundenheit dargestellt. Die pyramidial um die Familie an-geordneten Männer und Frauen wirken mit ihren theatralischen Posen und Gesten in ihrer Furcht völlig isoliert und verstärken somit den Eindruck liebe-voller Nähe in ihrer Mitte. Die Dreiergruppe ist ein Zeichen der Hoffnung trotz der Schrecken des Krieges und dem Terror des NS-Regimes.

Vier Jahre später auf der 2.Deutschen Kunstausstellung in Dresden bezog man dieses Bild weniger auf den gerade überstandenen Krieg als auf den gegen-wärtigen westlichen Kapitalismus, um im Zeichen des Kalten Krieges das Werk eines westdeutschen Künstlers für die sozialistische Seite vereinnahmen zu können.

Das Grundgefühl des Menschen in dieser Welt sei die Angst, be-haupten die Existenzial-Philosophen - aber in welcher Welt, in welcher Umwelt? Der Augsburger Maler Karl Kunz gibt in seinem surrealistischen Bild ‚Im Keller’ Antwort auf diese Frage: in der unmenschlich gewordenen Welt des Kapitalismus, der Welt der Atombombenpolitik, des Völkerhasses und der Gewalt. (...) Inhalt und Form des Bildes verbinden sich gleichermaßen als Warnung vor den Kräften, deren soziales Fluidum die Möglichkeit seines Entstehens gab und deren Wesen und Wirkung es erschreckend deutlich ausdrückt. Als sinnfälliger Reflex der Unmenschlichkeit einer pervertierten Welt erfüllt es in seiner Art, von der negativen Feststellung aus, durch die tiefe Anklage, die es enthält, eine der höchsten Funktionen der Kunst: der Humanisierung der Welt zu dienen, Menschlichkeit in ihr zu wecken.48

48 Pommeranz-Liedtke, Gerhard, Die Frage nach dem Bild des Menschen: Betrachtungen zu Bildern der 2. Deutschen Kunstausstellung Dresden, in: bildende kunst, Heft 10 (1949), S.318.

Noch wurden solche abstrahierende Tendenzen als mögliche Gestaltung der Gesellschaftskritik zugelassen, die zunehmenden Formalismusdebatten49 seit Ende der 40er Jahre in der SBZ/DDR grenzten jedoch derartige Form-Modi zu-nehmend aus.

In vollkommenen Gegensatz zu Kunz’ klagevoller Gestaltung steht Hofers still-lebenhaftes Personal, das in kargen Farben marionettengleich in Szene gesetzt ist. Im Gemälde >Alarm< (1945, Abb.9) verharren zwei Menschen am Fenster.

Der ausgezehrte Mann greift nach außen, sucht Halt am Gemäuer, während die mädchenhaft wirkende Frau dem nicht näher spezifizierbaren dunklen Innenbe-reich zugeordnet ist - eine typische Geschlechtertrennung zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Mit leichter Berührung seiner Schulter stellt die Frau eine behutsame Verbindung her, auf die der Mann jedoch nicht reagiert. Beide spä-hen nach oben, in unterschiedliche Richtungen, ganz auf das Horcspä-hen konzent-riert. Woher der Angriff kommt, bleibt unklar ebenso, ob er als bedrohlich emp-funden wird. Eher scheint es, dass der Blick als einer in eine bessere Zukunft gedacht ist, als Warten auf Befreiung vom Dunkel des Faschismus, das wie das düstere Zimmer hinter ihnen liegt. Von dieser bedrohlichen Finsternis hebt sich der weiße Kragen ihres Kleides ab. Zeichen der Unschuld (der jungen Frau)?

Signal eines - wenn auch kleinen - Hoffnungsschimmers, Zeichen eines zag-haften Optimismus? Eine Kraft jedenfalls, die in der Jugend liegt, nicht in der von der NS-Zeit ausgemergelten Generation.

Als dem Krieg und damit der NS-Diktatur endlich ein Ende bereitet worden war, begriffen viele erst allmählich, was in diesen vergangenen Jahren wirklich ge-schehen war. Zutiefst empfundener Schmerz und die Frage nach eigener Schuld50 führte zu unterschiedlichsten künstlerischen Gestaltungen.

Wie groß ist die Mitverantwortung derjenigen Kunstschaffenden, die während der NS-Zeit produzieren und ausstellen konnten? Hat sich beispielsweise der bereits erwähnte Plastiker Georg Kolbe mitschuldig gemacht, allein aufgrund seines Schweigens zu den Verbrechen des Regimes? Denn auch wenn er si-cherlich kein radikaler NS-Sympathisant war, so doch zumindest ein bequemer Mitläufer.

49 „In der Kunstpraxis tritt der Formalismus als sinnentleerte Spielerei mit Formelementen und Gestaltungsmitteln auf (...). Der heutige Formalismus ist ein Bestandteil der spätbürgerlichen Dekadenz. Seine weltanschauliche Wurzel ist der Subjektivismus. Der Formalismus ist ein Ausdruck der Trennung von Kunst und Leben, von Kunst und Volk, ein Ausdruck der Isolation des bürgerlichen Künstlers und des Verlusts an künstlerisch kommunizierbaren Inhalten.“, aus: Berger, Manfred 1978, S.207.

50 Vgl. dazu die Vorlesungen von Karl Jaspers, Heidelberg 1946.

Diese Frage stellte sich den Alliierten anscheinend nicht – selbst von russischer Seite wurden seine Arbeiten geschätzt, und man wollte den zum Kriegsende schwerkranken Mann nicht zur Rede stellen. Man sah wohl in ihm eher einen Fehlgeleiteten, dessen eigentliches Ziel Höherem galt, das manche im Westen angesichts zunehmender Abstraktionen sogar als positiven, vorbildhaften Wert begriffen.

Kolbe (...) war Idealist. Nicht um den flüchtigen Eindruck ging es ihm, sondern um die Vergeistigung des Menschlichen, an das er glaubte. Die verzweifelten Zertrümmerungen einer neuen Plastik-generation waren ihm fremd. Sein Werk tönt wie ein tröstlicher Ak-kord im Stimmenwirrwar unserer Zeit.51

Doch es gab auch andere, kritischere Stimmen, die betonten, dass es keinen Platz mehr für ein solches Menschenbild, wie es Kolbes Werke verkörpert, gäbe und die schwierige Frage seines Wirkens von 1933 bis 1945 nicht ausblende-ten:

Er stirbt nicht im Zenit seines Ruhms. Die Zeit ist vorüber, als ein Staatsmann meinte, man müsse ein Geschlecht von Kolbe-Menschen heranbilden, (...). Seine lyrisch gestimmte Plastik, die Intimität seiner künstlerischen Leistung, sein Idealismus wirken heute schon ein wenig altmodisch.52

In seinem Spätwerk gestaltete Kolbe mittels „Figuren des Schmerzes“53 Aus-drucksformen tiefer Trauer. Zu diesen Arbeiten gehört die Kleinplastik >Die Niedergebeugten< (1946; Berger 197, Abb.10) - nackt und damit zeitlos wie die meisten Arbeiten Kolbes.

Die Empfindungen dieses in die Knie zusammengebrochenen Menschenpaares werden geschlechtlich differenziert. Bei der weiblichen Figur überwiegt - kennt-lich durch den in die Hände gelegten Kopf - die Verzweiflung über all das Ent-setzliche, das im Namen des deutschen Volkes geschehen war54, während bei dem Mann das persönliche Be- bzw. Getroffensein zu dominieren scheint. Wie verletzt greift er mit der Linken an seine Brust.

51 H.L. in: bildende kunst, Heft 1 (1948), S.24.

52 Heise, Carl Georg, Abschied von Kolbe, in: Die Welt vom 25.11.1947, zit.n.: ders., Der ge-genwärtige Augenblick: Reden und Aufsätze aus vier Jahrzehnten, Berlin (West) 1960, S.76f.

53 So der Aufsatztitel von Werner Stockfisch in: Bildende Kunst, Heft 8 (1982), S.396-399, vgl.

auch seine Dissertation an der Humboldt-Universität Berlin (DDR) 1984.

54 Sicher vergleichbar zum Ausdruck des >Befreiten< (1945; Berger 190).

Die beiden können einander weder Trost noch Kraft schenken; zu unterschied-lich erlebten sie NS-Diktatur und Krieg, zu unterschiedunterschied-lich deren Ende. Wäh-rend die Männer an der Front das Kriegsende oft als persönliche Niederlage empfanden, begann für etliche Frauen ein anderer ‚Krieg’: Trümmer, Hunger und Vergewaltigungen bestimmten den Alltag. Doch trotz des Niedergeworfen-seins bemühen beide sich aufzurichten, der Mann mit kraftvollem Aufstützen des rechten Arms, die Frau mit ihrem linken aufgestellten Bein. Ob Kolbe selbst diese Möglichkeit des Neuanfangs sah? Im selben Jahr äußerte er in einem Brief:

Das künstlerische Schaffen ist in dieser unserer Not ein verzwei-feltes Beginnen - alle Schande über uns und noch gelähmt von den furchtbaren Schreckenszeiten. Ich habe die letzten Monate den Untergang in meinem Haus erwartet und den Tag der Befrei-ung durch die Russen als AuferstehBefrei-ung erleben dürfen. Nun gilt es zu zeigen, ob man solcher Gnade wert ist.55

Monate zuvor hatte er noch wesentlich optimistischer geschrieben:

Wir müssen uns wiederfinden, da wir uns verloren haben. Arm an Gütern zu sein ist kein Grund auch arm im Geiste zu bleiben. So sollen wir wieder werden, was wir waren. Und nicht verdrossenen Herzens geschehe dies. Bald wird der Not ein stilles, dankbares Lächeln erwachsen, weil alles Schaffen beglückend ist.56

Soviel Optimismus lag wohl den Künstlern fern, die zu den politisch Diffamierten des Regimes zählten - wie beispielsweise Otto Dix. Er verwendete z.T. biblisch tradierte Themen, um sie in die Nachkriegsgesellschaft zu transponieren, ein in seinem Werk nicht ungewohnte Herangehensweise. Christliche Themen waren in der Nachkriegszeit allgemein beliebt, wobei man jedoch oftmals in der senti-mentalen Pose des Selbstmitleids stecken blieb. Wenige Künstler verbanden wie Dix die christliche Motivik mit gesellschaftskritischen Elementen.

Bereits nach dem Ersten Weltkrieg setzte er sich intensiv mit christlichen Sujets auseinander. Sich selbst als Atheist bezeichnend, waren für ihn die biblischen Geschichten weniger mit Glaubensfragen verknüpft, sondern Erzählstoffe von großer allgemeingültiger Wahrheit. Dabei beschäftigte ihn immer wieder die Leidensgeschichte Christi, dessen Martyrium in erbarmungsloser Einsamkeit Forderung nach Humanität beinhalte. In seinem Spätwerk fand er mittels eines

55 Brief an Erich Cohn, Berlin vom 08.07.1946, zit.n.: von Tiesenhausen, Maria Frfr.: Georg Kol-be: Briefe und Aufzeichnungen, Tübingen 1987, S.187.

56 April 1946, zit.n.: Georg Kolbe:auf Wegen der Kunst: Schriften, Skizzen, Plastiken, Berlin 1949, S.46.

spröderen mehrschichtigen Farbauftrags von Öl und Tempera zu Formen eines expressiven Realismus zurück – wechselte von der akribischen Detailgenauig-keit zu einer den Gegenstand auflösenden Gestaltung in oftmals frostigen Far-ben und mit kantigen Strukturen, um die emotionale Erschütterung seiner Figu-ren adäquat in Szene zu setzen.

Seine >Pietà (vor Trümmern)< (WV Löffler 1946/8, Abb.11) ist eingebettet in ei-ne Trümmerlandschaft. Neben der trauernden Frau sitzt eiei-ne männliche Figur, die sich als Jünger Johannes deuten lässt. Da dieser jedoch in zeitgenössi-schem Wehrmachtsmantel dargestellt ist, wird der Sinngehalt erweitert: hier klagt nicht nur Maria um den toten Christus, sondern ein Paar, stellvertretend für alle Männer und Frauen, um den geschundenen Leib des Menschensohnes.

Die größere Last hat die zentral platzierte Frau zu tragen - quer über ihren Schoß liegt der Leichnam, während der Mann, an den Rand gedrängt, nur den Oberkörper stützt. Damit wird ‚Maria’ zum Symbol derjenigen Frauen, die im Krieg ihren Sohn oder Mann verloren haben. Auch die türkisen Farbakzente ih-res Umhanges, die an einigen Stellen des toten ‚Christi’ wiederkehren, betonen die Einheit von Totem und gramgebeugter Frau.

Aber trotz des Schmerzes, trotz der in ihrer Umgebung erkennbaren Zerstö-rung, strahlt der Himmel im Sonnenlicht, das von den Mauerresten reflektiert wird: Ausdruck von Hoffnung in all dem Elend.

Thematisch lässt sich diese Arbeit mit Friedrich Karl Gotschs >Pietà< (1953, Abb.12) vergleichen. Doch im Gegensatz zu Dix bitterer Aufzeichnung der Lei-den der ÜberlebenLei-den, erscheint Gotschs Gestaltung wie eine formale Spielerei von Komplementärkontrasten. Maria im grünen Gewand, das an manchen Stellen das tradierte Blau durchscheinen lässt, mit rotem Kopftuch und ebenso leuchtenden Lippen im grünlichen Gesicht hält den toten Christus. Auch seine Haut ist in unterschiedlichsten Grünschattierungen, die die roten, flächig aufge-setzten Male seiner Verletzungen besonders hervorheben. Im Schnittpunkt der Bilddiagonalen leuchtet das weiße Lendentuch, auf dem - in Höhe der Genita-lien - die blutrot gekennzeichnete linke Hand Christi wie schützend ruht. Von Trauer oder Schmerz ist in dieser rhythmischen Anordnung von Farben und Formen nichts zu spüren. Ausschlaggebend für die Wirkung des Werkes ist die irritierende Buntheit, das Thema nur Mittel zum Zweck.

Für mich hat jedes Motiv eine Geometrie, die Landschaft, die Figu-renkomposition, ja sogar das Bildnis. Dann kommt die Farbe hin-zu. Jedes meiner Werke weist diese Eigentümlichkeit auf. Es ist gebaut wie ein Bauwerk.57

Dix will jedoch Zeugnis ablegen, Bezüge zur Gegenwart herstellen und meint daher mit seinen Protagonisten nicht biblische, sondern zeitgenössische Figu-ren. So auch in der >Großen Kreuzigung< (WV Löffler 1948/7, Abb.13): die Trauernden am Fuß des Kreuzes sind die Überlebenden des faschistischen Terrors; entrückt ins banal Irdische und damit im Gegensatz zu den zwei golden strahlenden Engeln, die zu beiden Seiten des Gekreuzigten das strömende Blut seiner Hände mit Kelchen auffangen. So wie dies Joseph von Arimathia mit dem Abendmahlskelch getan haben soll: Sinnbild der Erlösung der Menschen von ihrer Schuld. Das Paar verschließt ihre Augen gegenüber dem Geschehen, nur Christus blickt starr und maskengleich aus dem Bild. Hat sich sein Sterben für die Sünden der Menschheit gelohnt? Wohl kaum, denn statt in Gedenken an seinen Opfertod christliche Nächstenliebe zu praktizieren, fährt sie ohne jegli-che Einsicht in ihrem sündhaften Handeln fort.

Von der Schuld, die beide Geschlechter auf sich geladen haben, erzählt die

>Verspottung Christi< (WV Löffler 1948/5, Abb.14). Ein Mann mit grobschläch-tiger Physiognomie hebt zum Angriff seine rechte Hand und umklammert mit seiner linken krampfhaft einen Bambusstock. Seine aggressive Gestik wird durch sein zähnefletschendes Gesicht noch akzentuiert. Der weiße, gestärkte Hemdskragen widerspricht auf den ersten Blick seinem primitiven Verhalten und belegt damit die Doppelbödigkeit bürgerlicher Moral. Die Frau mit vagina-haftem Hut entstammt Dix’ Welt der Prostituierten; seine Einstellung zum Eros ist auch nach dem 2.Weltkrieg unverändert. In vulgärer und provozierender Geilheit richtet sie ihre Zunge messergleich auf Christi Gesicht. Ihr grünes Kleid, mit einem roten, blutstropfenähnlichen Muster, steht in komplementären Kontrast zu Christi roten Umhang, in den sich ihre spitz zulaufende Brust regel-recht hineinzubohren scheint. Das Paar, dem Betrachter halb den Rücken zu-wendend, drängt Christus an eine Mauer, so dass er der Bedrohung nicht ent-fliehen kann. Mit zerschundenem Gesicht blickt er aus dem Bild, als ob er Anklage gegen jeden einzelnen, der dies Sinnbild für den faschistischen Terror -geschehen ließ, erheben wolle.

Auch hier bietet sich thematisch ein Vergleich mit einem Werk Friedrich Karl Gotschs an. Sein >Ecce Homo< (1945/48, Abb.15) zeigt jedoch nicht den

57 Zit.n.: Friedrich Karl Gotsch - Ölbilder, Hamburg 1987, S.66.

marterten Gottessohn, sondern lässt den Künstler selbst, am linken Bildrand mit Palette stehend, mahnend auf eine Frauengestalt weisen. Beide werden mittels grüner Farbakzente von der vor allem in Rotbrauntönen gestalteten Trümmer-landschaft abgehoben, der unheilvoll ein finsterer Hintergrund folgt. In ihrem Schmerz reißt die Klagende ihr Kleid auf. Inmitten dieser vulvahaften Öffnung erkennt man ihren Nabel, so als ob sie nicht nur auf ihren eigenen Schmerz aufmerksam machen wolle, sondern auf den der nachfolgenden Generationen, die in diese düstere Welt hineingeboren werden.

Dix’ Bilder fanden anfangs im Nachkriegsdeutschland wenig Anerkennung: im Westen wegen seinem Festhalten an der ‚unmodernen’, figürlichen Gestaltung, im Osten aufgrund der ‚formalistischen’ Lösung58 und des angeblich einseitig ausgerichteten Inhalts, der das erlittene Leid nur anprangere, anstatt Zukunfts-perspektiven aufzuzeigen. So sehr sich die kulturpolitischen Vorstellungen der beiden deutschen Staaten unterschieden, in ihrer Ablehnung der späten Werke von Dix schienen sich die Kunstkritiker einig gewesen zu sein. Erst in den spä-ten 50er Jahren erfuhr Dix die ihm gebührende Würdigung, die der DDR auf-grund ihrer Präferenz gegenständlicher Kunst leichter fiel, während in der BRD eine Annäherung nicht unproblematisch war, da man Dix ablehnende Haltung gegen die damals bevorzugte ungegenständliche Malerei kannte.

Ich bin gegen die Gegenstandslosen, die mit dem Besen malen, mit der Armbrust die Leinwand beschießen und farbige Soßen herunterlaufen lassen. Die Erfolge sind Bilder, die man kilometer-weit fortsetzen könnte. Die Erfindung bleibt winzig und eignet sich höchstens für Tapeten und Damenröcke.59

Mit gleicher Vehemenz verwahrte er sich jedoch auch gegen Versuche der DDR-Kulturpolitik, seine Kunst für den „sozialistischen Realismus“ zu gewinnen, da dieser u.a. die Forderung nach Volkstümlichkeit beinhaltet.

58 So heißt es bei Heinz Lüdecke (Ausweichen vor der Wirklichkeit. Kritisches zur Zweiten Deutschen Kunstausstellung und zur Otto-Dix-Schau in Dresden, in: Neues Deutschland vom 23.09.1949) u.a.: "Sein Pinsel schwelgt seit einigen Jahren in funktionslosen Farbekstasen, in krassen Effekten um der Effekte willen, und sein Zeichenstift hat die kritische Härte einge-büßt."; zit.n.: Kober, Karl Max 1989, S.465.

59 Gespräch im Wartezimmer, 1958, zit.n.: Schubert, Dietrich 2001, S.130.

Wir haben nun in Deutschland jahrelang die Stimme des Volkes über künstlerische Dinge gehört, und wie wenig ist über das wahre Wesen der Kunst dabei herausgekommen. Diskussionen laufen darauf hinaus, dass jeder Spießbürger und jeder ‚Blinde’ seine kleinen Wünsche anbringen möchte. Jeder glaubt zu wissen, wie Kunst sein sollte. Die wenigsten haben aber den Sinn, der zum Erleben von Malerei gehört, nämlich den Augensinn. (...) Nicht laute Diskussionen, sondern schweigende Bescheidenheit ist das erste, das der Künstler vom Betrachter verlangt.60

Dix ließ sich von keiner Seite vereinnahmen, setzte sich mit solchen Äußerun-gen zwischen die Stühle. Seine Gesellschaftskritik nach 1945 besaß jedoch nicht mehr dieselbe Schärfe wie in den Weimarer Jahren; eine gewisse Müdig-keit und Desillusionierung waren wohl Folge sowohl seiner durchlittenen Jahre der inneren Emigration während der NS-Diktatur als auch der Enttäuschung ü-ber die gesellschaftspolitischen Entwicklungen im geteilten Deutschland.61