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MENSCHEN IN RUINEN - TRÜMMERFRAUEN UND KRIEGSHEIMKEHRER

3. DIE „STUNDE NULL“

4.1. MENSCHEN IN RUINEN - TRÜMMERFRAUEN UND KRIEGSHEIMKEHRER

Ein Ruinen- und Trümmerfeld umgibt uns, und doch wächst auf ihm grünes Gras, Blumen des Sommers. Furchtbarer aber noch ist die Tatsache des in Trümmern gesunkenen Geistes... Fröstelnd stehen wir im ungewissen Zwielicht eines grauen, kalten Morgens, und wir Älteren und Alten werden keine Sonne mehr aufgehen sehn über dem zerquälten Land, das wir trotz allem lieben (...).83 Die Trennung geschlechtlicher Erfahrungswelten wurde mit Kriegsende noch weiter zementiert. Tatkräftige Trümmerfrauen auf der einen, lethargisch und desillusioniert wirkende Kriegsheimkehrer auf der anderen Seite, zeigen, dass die herkömmlichen Bezeichnungen von ‚starkem’ und ‚schwachem’ Geschlecht nicht mehr funktionierten.

Zwei als Pendants denkbare Gemälde Hofers beleuchten, wie unterschiedlich die Geschlechter mit der Zerstörung ihrer Heimat konfrontiert wurden: >Frau in Ruinen< (1945, Abb.23) und >Mann in Trümmern< (1947, Abb.24).84

Umrahmt von Teilen eingestürzter Häuserfassaden, zerborstenen Balken und anderen Trümmerteilen lehnt sich die Frau im Chaos der Zerstörung an ein noch stehen gebliebenes Mauerstück. Im Hintergrund lodert noch das Feuer, und die in stummer Klage vor ihr Gesicht gehaltenen Hände veranschaulichen ihre Angst und ihre Verzweiflung angesichts der totalen Verwüstung. Sie ist

83 Karl Hofer in seiner Rede zur Eröffnung des Wintersemesters1948/49 der Hochschule für bil-dende Künste Berlin-Charlottenburg, zit.n.: Karl Hofer: Bilder im Schlossmuseum Ettlingen, Berlin (West) 1983, S.122.

84 Bereits 1937 schuf er die Arbeit >Mann in Ruinen<, die wohl in Bezug zum Spanischen Bür-gerkrieg zu sehen ist; so jedenfalls: Schmidt, Hans-Werner 1995, S.98.

ser in vollkommener Hilflosigkeit ausgeliefert, Teil dieser entsetzlichen Ereignis-se, während bei dem >Mann in Trümmern< die Ruinenlandschaft eher wie eine Hintergrundsfolie wirkt. Er gleicht einem der Kriegsheimkehrer, die desorientiert und -illusioniert nach Hause kamen, das sie als solches nicht mehr wiederer-kannten. Er sieht zwar die Zerstörung, doch scheint sie nicht zu begreifen - ihm bleibt nur der Trauergestus, indem er seinen Hut an die Brust drückt. Die male-rische Gestaltung seines Gesichts lässt erkennen, dass er selbst zertrümmert wurde, denn Risse wie in den Mauerresten durchziehen es. Er kann mit dieser

‚Heimat’ nichts mehr anfangen, einer Umwelt, in der sich die Frau dagegen seit Jahren zurecht finden musste, um für sich und die Ihren das Überleben zu or-ganisieren. Die violett-düsteren, melancholisch wirkenden Farben unterstrei-chen den pessimistisunterstrei-chen Grundton seiner Wahrnehmung.

Dass Elend auch Beziehungen stärken kann, thematisiert Reifahrts Arbeit

>Paar in Ruinen< (Abb.25), die auf der 2.Dresdner Ausstellung 1948 zu sehen war. Vor ausgebombten Löcherfassaden hält sich ein Paar innig umarmt. Ihre Gesichter gramzerfurcht, aber die Hände schützend und voll bergender Liebe umeinander gelegt und die Köpfe dicht beieinander. Diese beiden Menschen haben alles Materielle verloren, doch die Gewissheit, den anderen bei sich zu wissen, gibt Kraft und Halt.

Oftmals war diese Nähe nicht mehr möglich – man war sich über die Jahre hin-weg fremd geworden.

Nach jahrelanger Abwesenheit finden die Heimkehrer die Men-schen und Verhältnisse völlig verändert wieder. Es ist bezeich-nend, dass die Konflikte, die sich daraus ergeben, sehr stark ge-fühlt und von den Heimkehrern selbst als die drückendste unter der Fülle der Sorgen empfunden werden, die ihr Leben in der al-ten, aber so veränderten Heimat belastet.85

Trotz der zurückkehrenden Männer bestimmten vor allem die Frauen in den ersten Nachkriegsjahren das Bild des Aufbaus, auch wenn man stets bemüht war, beide Geschlechter z.B. bei den Enttrümmerungen gleichermaßen einzu-beziehen - sowohl in Ost als auch in West. Möglicherweise erhoffte man sich, dass durch gemeinschaftliche Aufbauarbeiten Beziehungskonflikte nivelliert werden könnten und ein neues kameradschaftliches Miteinander möglich würde (Abb.26a/b).

85 Berlin 1948, Jahresbericht des Magistrats, Berlin 1950, S.178, zit.n.: Kaminsky, Annette 1998, S.132.

Auch in der DDR erkannte man die Bedeutung der Aufräumarbeiten für das wieder erstarkende Selbstwertgefühl der Nachkriegszeit. In Anlehnung an diese Erfahrung gab der Magistrat von Berlin an Fritz Cremer den Auftrag, ein Denk-mal für die >Aufbauhelferin< (Abb.27a) und den >Aufbauhelfer< (Abb.27b) zu gestalten - zwei 2,50 m hohe Bronzen, die 1958 an exponierter Stelle, nämlich vor dem Roten Rathaus, aufgestellt wurden. Ursprünglich 1953 noch als >Weg von den Trümmern I und II< konzipiert, wurden beide Figuren zum propagan-distisch erwünschten Bild des neuen sozialistischen Menschen, der seinen ganzen Arbeitswillen dem Aufbau des Arbeiter- und Bauernstaates unterstellt, umgestaltet.

Beide sind anhand ihrer zeitgenössischen Kopfbedeckung - er mit Arbeiterkap-pe, sie mit Kopftuch - als Angehörige der Arbeiterschicht kenntlich. Er hält in seiner Rechten eine Spitzhacke und bereitet sich auf die Arbeit vor, indem er gerade seinen zweiten Hemdsärmel hochkrempelt. Auch die Schrittstellung, der mit konzentriertem Blick nach links gerichtete, scharf geschnittene Kopf und die gesamte angespannte Körperhaltung verdeutlichen seinen entschlossenen Ta-tendrang. Seine Partnerin hingegen wirkt eher in Gedanken versunken, ruhiger.

Das ärmellose, enganliegende Oberteil, das nicht wie bei dem Mann in die Ho-se gesteckt ist, sondern in der Taille gegürtet über die Hüften fällt, betont ihre fließenden, weichen Körperformen, lässt die Brüste deutlich hervortreten. Selbst der nach hinten gesetzte linke Fuß und die über die Schulter gelegte Schaufel wirken eher dekorativ und kokettierend, als dass in ihnen ein ähnlicher Willens-drang wie bei ihrem Partner erkennbar wäre. So weist z.B. sein linker Fuß über die Bronzebasis hinaus, während sie in ihrer Schrittstellung - trotz der räumli-chen Öffnung ihres Oberköpers - auf ihre Plinthe fixiert bleibt. Damit wird die reale Situation der Trümmerjahre umgekehrt, denn der Mann wird zu dem ei-gentlich Aktiven, die Frau als seine ihn unterstützende, begleitende Figur. Es ist eben auch eine Aufbauhelferin und keine Trümmerfrau, d.h. eine in zerschlis-senen Kleidungsstücken, gebückt schwer arbeitende Frau. Diesem vor allem durch zeitgenössische Fotografien eher geschlechtslosen und wenig elanvollen Wesen wurde schon früh in der propagandistischen Bildsprache der junge, kraftvolle und tatendurstige Mann zur Seite gestellt. Mit der Schlüsselrolle des Bauarbeiters erfuhr in der DDR der Mythos der ‚Trümmerfrau’ somit frühzeitig sein Ende. Nachdem die Frauen mit ihrer teils übermenschlichen Leistung das Überleben gesichert hatten, nahmen die Männer wieder die Führung des Auf-baus und damit die Macht in die Hand.

Erinnern Sie sich? Sie bekamen die ersten Nummern der ‚Neuen Berliner Illustrierten’ in die Hand. Gespannt überflogen Sie die Seiten. ... Lange ruhte Ihr Blick auf einer Fotografie, die den ersten demokratischen Magistrat Berlins bei einer Sitzung zeigte. Mutige Männer waren es, die daran gingen, aus einem Trümmerhaufen die deutsche Hauptstadt neu zu bauen.86

War das Bild der Trümmerfrau Teil der Vergangenheit, versprach erst der männliche Aktivist den Blick in die Zukunft. Und so wie der >Aufbauhelfer< sol-len alle Männer für den sozialistischen Staat ihre Ärmel hochkrempeln und mit-helfen.

Trotz der in der SBZ/DDR stets betonten Gleichberechtigung der Geschlechter wird bezüglich der gesellschaftspolitischen Bedeutung unterschiedlich gewich-tet. Auch die sozialistische Gesellschaft war letzten Endes patriarchalisch ge-prägt. Bei der >Aufbauhelferin< interessieren dementsprechend mehr ihre kör-perlichen Reize - Betonung ihrer Brust- und Hüftpartie - als ihre gesellschafts-politische Rolle.

Ungefähr zwanzig Jahre später distanzierte sich Cremer öffentlich von diesen Arbeiten, die in ihrer akademisch-heroischen Gestaltungsweise nur wenig sei-nen künstlerischen Vorstellungen genügen konnten.

Natürlich bin ich dafür, dass Kunst brauchbar ist. Ich mache nichts anderes als brauchbare Kunst, aber ich stelle Ansprüche. Was soll eine Kunst, die nur Bestätigung liefert für Ansichten, Meinungen und Parolen, die ich überall nachlesen kann. Sehen Sie, ich habe die beiden Aufbauhelfer gemacht, die vorm Roten Rathaus ste-hen. Das ist mir heute zu wenig, zuwenig Stoff. Die Menschen stehen nicht davor und fragen und denken nach und fragen wie-der, wie es bei der großen Kunst immer der Fall ist. Wir haben jah-relang in dem Widerspruch gelebt, von großer Kunst zu reden, im Grunde aber kleine zu wollen.87

Wie bei etlichen seiner Künstlerkollegen ließen in den frühen Jahren die enor-men inhaltlichen Ansprüche von politischer Seite die qualitätsvollen Gestal-tungsfragen in den Hintergrund treten. Cremer, der seine Arbeiten immer als Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse verstand, drängte daher später immer wieder, größere Gestaltungsfreiheit zuzulassen.

86 Neue Berliner Illustrierte, Heft 41 (1955), zit.n.: Merkel, Ina, Berlin 1990, S.44.

87 Aus dem Gespräch 'Bin kein Evangelist', Forum Berlin (DDR) 1973, zit.n. Fritz Cremer: Pro-jekte - Studien - Resultate, Ausstkat. Berlin (DDR) 1976/77, S.39.

Wir brauchen keine Verhaltensweisen, die jeder kleinsten Regung von irgend etwas Neuem, Unbekanntem mit politischen Verdächti-gungen begegnen... Wir brauchen eine Kunst, die die Menschen zum Denken veranlasst, und wir brauchen keine Kunst, die ihnen das Denken abnimmt. Wir brauchen die freie Entscheidung für den Stoff und die Form jedes einzelnen Künstlers für seine Arbeit... Wir brauchen Wahrheitssuche in der Kunst, und wir brauchen eine unbedingte Eigenverantwortlichkeit des Künstlers.88

4.2. ZWISCHEN LIEBESGLÜCK UND GEWALTSZENARIEN –