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FREMDE UNTER EINEM DACH...DIE UNMÖGLICHKEIT, DIE JAHRE DER TRENNUNG VERGESSEN ZU MACHEN

3. DIE „STUNDE NULL“

4.4. FREMDE UNTER EINEM DACH...DIE UNMÖGLICHKEIT, DIE JAHRE DER TRENNUNG VERGESSEN ZU MACHEN

So sehr die meisten Frauen die Rückkehr ihrer Männer von der Front bzw. aus der Kriegsgefangenschaft wünschten - als diese heimkehrten zeigte sich plötz-lich ein nicht mehr überbrückbares Ausmaß an Entfremdung. Daher ist es nicht verwunderlich, dass in den ersten Nachkriegsjahren die Scheidungsrate

118 Konrad Klapheck, Die Maschine und ich, 1963, zit.n.:Pierre, José 1970, S.96.

119 Konrad Klapheck, Ausstkat. Rotterdam/Brüssel/Düsseldorf 1974/75, S.44.

sprunghaft anstieg. 1948 – Höhepunkt der Scheidungswelle – kamen in den Westzonen auf 100000 Einwohner 186 Scheidungen120,gleichzeitig ging die Zahl der Eheschließungen zurück.121 Dem folgte ab 1950 ein regelrechter Hei-ratsboom.

Die in ihrer physischen und psychischen Existenz beschädigten und desorien-tierten Männer fanden daheim ihre Frauen nicht mehr so vor, wie sie sie verlas-sen hatten. Mit anscheinend nicht enden wollender Energie nahmen diese am Aufbau teil. Nach der bereits erfolgten militärischen Niederlage mussten die Heimkehrer nun auch noch eine „Schrumpfung der männlichen Führung und Autorität“122 hinnehmen und waren nicht selten von der Frau finanziell abhängig, was zu weiteren Spannungen führte. Wie bereits erwähnt setzte schon während des Krieges eine verstärkte Berufstätigkeit ein, war man doch entgegen dem i-deologisch verengten Bild der Frau als ‚Erhalterin der Rasse’ gezwungen, die durch den permanenten Abzug der Männer an die Front vakant gewordenen Stellen und die neu geschaffenen Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie zu be-setzen.

Anstatt die Frauen in ihrer Arbeit zu unterstützen, versuchten die Männer, die Familie als ihren Machtbereich zurückzugewinnen, was von vielen Frauen als belastend und störend empfunden wurde. Zwei nicht mehr miteinander verein-bare Welten stießen aufeinander.

120 So Foitzik, Doris 1992, S.90.

121 Diese pessimistische bis ablehnende Haltung zur Ehe zeigt auch eine Umfrage 1949. Die Frage, ob diese Lebensbündnisse in Deutschland glücklich verliefen, bejahten 15% der Män-ner und sogar nur 10% der Frauen, während 20% der MänMän-ner und 29% der Frauen eher von einer unglücklichen Ehe ausgingen. So in: Jahrbuch der öffentlichen Meinung 1958-1964, Allensbach/Bonn 1964, S.589.

122 So Thurnwald, Hilde 1948, S.199.

Erkennbar ist bei den Heimkehrern häufiger ein ihnen selbst nicht recht bewusstes Minderwertigkeitsgefühl, das besonders bei Män-nern hervortritt, die bis zuletzt an den Sieg geglaubt haben, und die sich als Helden feiern lassen wollten. Statt dessen kam der Zusammenbruch und an Stelle ihres Triumphes finden sie zu Haus die selbständig gewordenen Frauen vor, die öfter auch durch ihre Erwerbsarbeit mehr Geld verdienen, als es den in Er-satzberufe hineingedrängten oder zunächst arbeitslosen Männern möglich ist. (...)

Bei den Frauen hat öfter unter der jahrelangen Last der Verant-wortung und Ausschöpfung aller Kräfte eine Gefühlsverhärtung und betont rationalistische Haltung ausgebildet, die ihnen die schwache Position des Mannes schonungslos preisgibt.123

In etlichen Berichten und Artikeln wird Verständnis für die männliche Seite ein-gefordert. Für die Frauen bestand zumindest in den in der unmittelbaren Nach-kriegszeit noch gesellschaftspolitisch orientierten Frauenzeitschriften die Mög-lichkeit, ihrer Verärgerung und Desillusionierung bezüglich des ‚starken Ge-schlechts’ Ausdruck zu geben.

Nach fast fünf Jahren ist mein Mann aus der Gefangenschaft zu-rückgekommen. Die ersten drei, vier Wochen waren wir sehr glücklich. Aber nun gibt es einen Streit nach dem anderen. Grund:

Er kommandiert herum und ist mit allem unzufrieden. Ich hätte mich so verändert, sagt er, und ich wäre keine richtige Frau mehr.124

Eheberatungsstellen, in den Westsektoren oftmals konfessionell gebunden, in der Sowjetischen Besatzungszone hingegen von der Zentralverwaltung für Ge-sundheitswesen eingerichtet, versuchten schlichtend einzugreifen, doch oft konnten sie nur zu einer endgültigen Trennung mittels Scheidung raten. Dabei kam es immer wieder zu unterschwelligen Schuldzuweisungen an die Frau, da sie sich beharrlich weigere, ihre alte Rolle, die sie vor der Trennung von ihrem Partner innehatte, wieder anzunehmen, obwohl es doch in ihrer – geschlechtli-chen – Natur läge, in ihrer selbstlosen Liebe, Ehe und Familie wieder in Ord-nung zu bringen.

Die Reizbarkeit durch Hunger, Kälte und Wohnungsnot äußert sich in einem Zank, wie wir ihn früher in dem Ausmaß nicht ge-kannt haben. Alle Überforderungen der Kriegsjahre an Arbeits-und Nervenkraft rächen sich jetzt durch eine völlige Verarmung des Ge

123 So Thurnwald, Hilde 1948, S.198.

124 Constanze: Zeitschrift für die Frau, Heft 1 (März 1948), zit.n.: Kaminsky, Annette 1998, S.193.

fühlslebens: Die Liebe scheint erstorben. Die Frau scheint in ihrer beruflichen und hausfraulichen Tätigkeit höchstens noch bereit zur mütterlichen Fürsorge für die Kinder; die fraulichen Seiten ihres Wesens scheinen verkümmert. Der Mann empfindet die Selbstän-digkeit, die die Frau sich inzwischen erworben hat, als Herrsch-sucht, als Besserwissenwollen. So klagt der Heimkehrer, dem ir-gendwie dort draußen die Vollkraft gebrochen ist, der schwer wie-der hineinfindet in den Arbeitsprozess, dass er bei seiner Frau und seinen heranwachsenden Kindern kein Verständnis, keine Geduld findet; nach der anfänglichen großen Freude wird er als vermehrte Last empfunden, die man gern los werden möchte.125

Sexuelle Probleme kamen noch hinzu. Die Untreue der Frauen oder ihre Ver-gewaltigungen waren für die Männer meist nicht zu bewältigen - schon gar nicht, wenn Kinder aus diesen außerehelichen gewollten oder gewaltsamen Be-ziehungen hervorgegangen waren. Die heimkehrenden Soldaten waren nicht in der Lage, den traumatischen Erfahrungen, die die Frauen machen mussten, Verständnis entgegenzubringen oder gar mitzuhelfen, die emotionalen Wunden des Krieges zu heilen. Dabei wurde sexuelle Freizügigkeit mit zweierlei Maß betrachtet: während die ‚untreue’ Ehefrau ihrer ‚Sünde’ wegen verstoßen wur-de, tat man den männlichen Seitensprung oftmals als Kavaliersdelikt ab oder versuchte mittels fadenscheinigen Begründungen dieses Fehlverhalten zu ent-schuldigen.

Einer der Hauptanlässe zu Konflikten war die eheliche Untreue, die vonseiten des heimgekehrten Mannes oder bei seiner Frau o-der auch bei beiden Ehepartnern schon während o-der Trennung einsetzte oder - vor allem bei den Männern - bald nach der ersten Wiedersehensfreude bemerkbar wurde. (...) Frauen, die mit den Kindern sehnsüchtig auf die Heimkehr des Vaters gewartet hatten, waren of bereit, die begangene Untreue zu übersehen, sobald der Mann sich wieder seiner Familie zuwandte. (...) Daneben gab es hartnäckigere Fälle, in denen der heimgekehrte Mann seine sexu-elle Ungebundenheit fortsetzen wollte, nicht nur aus Gewöhnung, sondern auch um seine bittere Enttäuschung zu vergessen über die elenden Verhältnisse, in denen er seine Familie vorgefunden hatte, und denen er selbst sich anpassen sollte. Arbeitslosigkeit o-der unbefriedigeno-der Berufswechsel mit, ebenso Enttäuschung ü-ber die verblühte Frau, die (...) nicht mehr dem Erinnerungsbild entsprach, das der Mann, als er noch fern war, von ihr hatte.126

125 Blech, Maria, Über die Eheberatung der Inneren Mission, in: Die Innere Mission, Heft 9/10 (1947), zit.n.: Kaminsky, Annette 1998, S.366f.

126 So Thurnwald, Hilde 1948, S.196f.

Ähnliches Verständnis wäre einer Frau gegenüber, die ihren apathischen, im-merfort nörgelnden, möglicherweise verkrüppelten Ehemann hintergangen hät-te, wohl kaum entgegengebracht worden. Statt dessen wurde bei zwei Drittel der Scheidungsanträge die Schuld am Scheitern der Ehe der Frau angelastet.

Nicht selten waren die Ehen erst kurz vor Kriegsbeginn oder sogar während desselben geschlossen worden. Die Möglichkeit, eine Vertrauensbasis für die nun anstehenden Alltagsprobleme aufzubauen, hatte somit gar nicht bestan-den. Vollkommen hilflos, mussten die Partner das Zerbrechen ihres Lebens-bundes hinnehmen.

Eindrucksvoll veranschaulicht dies Erich Gerlach in >Zwei Menschen< von 1947 (Abb.41). In halbfiguriger Komposition stehen Frau und Mann beieinander.

Die fahle Gesichtsfarbe und die Schatten um Augen und Mund zeigen ihre Er-schöpfung und Ausmergelung. Sein Blick und ihre behutsam auf seine linke Schulter gelegte Hand versuchen wieder die frühere Gemeinsamkeit und Ver-trautheit herzustellen. Dass dies aber anscheinend unmöglich geworden ist, wird beiden schmerzlich bewusst - sowohl in ihrem sich abwendenden Kopf als auch in seinen Augen ist die Trauer darüber überdeutlich. Er sucht nach Blick-kontakt, sucht (seine Lippen sind leicht geöffnet) nach Worten, um diese End-gültigkeit des Bruches aufzuhalten. Das Rot des Hintergrundes spendet keine Wärme, sondern wirkt bedrohlich und hebt die Blässe beider Gesichter noch zusätzlich hervor.

Aus dem selben Jahr datiert Gerlachs >Heimkehrer< (Abb.42) – auch hier der Ausdruck nicht überbrückbarer Entfremdung. Sie hat sich in seine Arme ge-stürzt, ihren Kopf an seine Schulter gelegt. Ihre tiefe Erleichterung über das Wiedersehen wird von seinem leeren Blick ins Nichts – die Augenhöhlen blei-ben dunkel – beantwortet. Er umfängt sie zwar, doch ein Teil von ihm scheint an der Front zurückgeblieben.

Auch der bereits behandelte Plastiker Fritz Cremer versuchte, die Distanz der Geschlechter künstlerisch umzusetzen. In seinem Relief >Liebespaar< von 1949 (Abb. 43) zeigt sich das Paar in zeitloser Nacktheit. Dargestellt ist die tra-ditionelle Trennung zwischen weiblicher Naturgebundenheit und männlicher In-tellektualität. Die Frau lehnt sich an einen Baum, stellt damit eine direkte Ver-bindung zur ‚Mutter Erde’ her, während der Kopf des Mannes über die obere Reliefgrenze hinausragt, er sich in seiner Verstandesbetontheit über die Natur stellt, zu Höherem strebt. Sie wendet sich ab, scheint gänzlich in sich ruhend -er gleicht einem Wächt-er üb-er ihren Schlaf. Sind auch ihre Ob-erkörp-er weit

voneinander getrennt, deutet das parallele Beinmotiv (ihr linkes, sein rechtes Bein sind aufgestellt, ihr rechtes, sein linkes ausgestreckt) eine - wenn auch hier nicht vollzogene – Nähe der Geschlechter an. Die Trennung beider scheint nur ein vorübergehendes Intermezzo zu sein.

Bei Edgar Jenés >Der Mensch< (1945, Abb.44) ist die Loslösung der Ge-schlechter voneinander eine endgültige. Der Mann ist nur noch als Schatten, einem archaischen Kuros gleich, auf der zusammenfallenden Mauer im Hinter-grund zu erkennen und erinnert an Schemen mancher Atombombenopfer von Hiroshima. Im Vordergrund des Raumes schreitet eine weibliche Gestalt ins Nichts. Ihr Gesicht ist von tiefen Furchen durchzogen und zerfetzt. In ihrer Blindheit sieht sie nicht den gähnenden Abgrund, der sich vor ihr auftut. Ihr Partner ist nicht mehr in der Lage, ihr zu helfen. Sich selbst überlassen, ist sie dem Untergang geweiht, folgt ihm auf die andere Seite des Daseins.

Doch nicht immer muss die Trennung voneinander in einer Katastrophe enden -manchmal hinterlässt sie auch nur den Eindruck der Einsamkeit. In dieser Hin-sicht ist sicherlich Hofers Arbeit >Die Fenster< (1946, Abb.45) zu verstehen.

Mehrere weiß umrandete Fensterflügel öffnen sich dem Betrachter, in der Ferne erkennt man rechts eine karge Hügellandschaft mit einem kleinen, weißen Haus. Das Blau des Himmels bricht sich in den unterschiedlichsten Variationen in den Fenstern, die wie die vor und zwischen ihnen befindlichen Vorhänge -vom Wind in leichter Bewegung gehalten scheinen. In der linken Bildhälfte sieht man in zwei verschiedenen Scheibensegmenten die Profile eines Paares. Links – in der Nähe eines auf der Fensterbank stehenden Frühlingsstraußes - das weibliche mit geschlossenen Augen, zu dem nach rechts blickenden, männli-chen gewandt. Sein Profil wird zusätzlich verfremdet, da der Hinterkopf durch perspektivische Verzerrung aufgrund eines zweiten Fensterglases verkleinert vom gesamten Haupt abgesetzt ist. Was Wirklichkeit, was Traum ist nicht ein-deutig zu bestimmen. Schon allein die Frage, ob es sich bei den Gesichtern um Spiegelungen, Durchblicke oder visionäre Erinnerungsbilder handelt, kann nicht beantwortet werden. Verschachtelungen des Innen und Außen, perspektivische Unstimmigkeiten, versetzen den Betrachter in eine rätselhafte, nicht durch-schaubare Welt. Nicht einmal das Gefühl des Öffnens bleibt erhalten, denn die nicht entschlüsselbaren Verschränkungen der Türflügel verschließen den Durchblick gleich wieder. Freiheit oder nur Trugbild derselben?

Hofer versuchte der desillusionierenden Realität nicht zu entfliehen, während vorrangig gegenstandslos arbeitende Künstler wie Willi Baumeister oder E.W.

Nay nicht den Anspruch hegten, Zeitzeuge zu sein. Über die Arbeiten Nays schrieb Hofer 1947 abfällig: „(...) ich kann nichts damit anfangen, ich halte es für dummes Zeug, missverstanden und Imitation(...). Nay war mein Schüler, und sogar der begabteste.“127 Etliche Jahre später - 1954 - traten Nay, Baumeister und Winter wegen Hofers angeblich reaktionärer Kunstansichten aus dem Deutschen Künstlerbund, dem dieser vorstand, aus. Ausschlaggebend war ein nicht autorisiertes Zitat128 in der Frauenzeitschrift ‚Constanze’, auf das E.W. Nay mit den Worten reagierte:

das würdelose verhalten, das der präsident in der zeitschrift

‚constanze’ an den tag gelegt hat, veranlasst mich, herrn willi baumeister beizupflichten und meinen austritt aus dem deutschen künstlerbund zu erklären.129

Hofer hatte schon seit Kriegsende mit Angriffen aus Ost und West zu kämpfen.

In der SBZ/DDR konnte man sein Eintreten für künstlerische Autonomie nicht akzeptieren, insbesondere, da er es ablehnte, dass die Kunst dem Volk dienen solle:

Nicht das Soll, das Muss ist entscheidend, der Impuls von innen, nicht der von außen. Die Kunst kann so zeitgestaltend, ja so poli-tisch sein wie sie nur mag, nur muss es innerhalb ihrer Gesetz-lichkeit geschehen.130

Mit solchen Meinungen stellte sich Hofer ins kulturpolitische Abseits. Resigniert über die Tatsache, dass man in der SBZ Kunst wieder mit außerkünstlerischen Forderungen belasten wollte, orientierte er sich mehr in den Westen, um hier aufgrund seiner Ansichten noch heftiger angegriffen zu werden. Man warf ihm vor, unmodern zu sein, da für ihn die neuen Kunstformen sich oftmals im Deko-rativen erschöpften. Hofer war die zunehmende Intoleranz – gerade angesichts der eben beendeten Jahre der Diktatur – unbegreiflich.

127 Brief an Herrn Graßmann, 02.07.1947, zit.n.: Hüneke, Andreas 1991, S.283.

128 „Als ich dahinter kam, wie einfach es ist, gegenstandslos zu malen, hat mich diese Art der Malerei nicht mehr interessiert.“ Contanze (Oktober 1954), zit.n.: Küpper, Daniel 1995, S.377.

129 So wiedergegeben auf einer Postkarte Willi Baumeisters an Will Grohmann vom 29.10.1954, zit.n.: Küpper, Daniel 1995, S.373.

130 Hofer, Carl, Kunst und Politik, in: bildende kunst, Heft 10 (1948), S.21.

Sind wir wieder so weit, dass ein Mensch nicht mehr frei seine Meinung sagen darf, ohne geschmäht zu werden? Ist es wirklich ein trauriger Mut, unmodern sein zu wollen, wenn darunter zu ver-stehen ist, dass man die bereits kilometerbreit ausgetretene Heer-straße meidet und seinen eigenen Weg geht, den Weg, der in die Zukunft führt?131

Hofers Position, die Verteidigung einer inhaltsbezogenen Kunst, war nicht zeit-gerecht. Innerlich gebrochen an diffamierenden Vorwürfen wie, er sei ein „ver-rannter, alter Mann“132, starb er. Ihm war es nicht vergönnt, nach den Schmä-hungen der NS-Zeit einen Neuanfang seiner Kunst wagen zu können. Der neue Kunstmarkt hatte keinen Bedarf an seinen stillen, der Tradition der Weimarer Zeit verpflichteten Gestaltungen.

Nay gehörte zu den führenden Künstlerfiguren der jungen Bundesrepublik, und seine Werke fanden in allen großen Ausstellungen - z.B. auf den ersten drei documentas - große Beachtung und Anerkennung. Er war Vertreter einer neuen Generation, die keine Trauerarbeit wünschte, sondern vitalistische Entspre-chungen für den Wiederaufbau suchte – und damit nicht so fern von der DDR-Kulturpolitik stand, die auch den optimistischen Blick in die Zukunft präferierte.

Den Höhepunkt seiner internationalen Karriere erreichte Nay auf der docu-menta III (1964), die drei großformatige Arbeiten in spektakulärer Weise an der Decke hängend präsentierte. Doch erstmals regte sich öffentlicher Unmut ge-gen die Betonung Nays angeblicher künstlerischer Qualitäten. Bei der zuneh-menden Kritik an seinen Arbeiten spielte ein Zeitungsartikel des informell ar-beitenden Künstlers Hans Platschek eine zentrale Rolle, der sogar vor einem Vergleich mit NS-Kunst nicht zurückschreckte.

(...) niemand bezweifelt, dass der Maler nie ein Parteibuch in der Tasche hatte und dass er nie, den unglücklichen Zwischenfall von 1939 bis 1945 ausgenommen, eine Uniform trug. Die Ideologie der Bilder indes trug eine Uniform.133

131 Hofer, Karl, In eigener Sache, in: Der Tagesspiegel vom 25.02.1955, zit.n.: Hüneke, Andreas 1991, S.359.

132 So Linfert, Carl, Man muss weiter wissen: ist die Kunst wirklich eine Flucht?, in: Der Monat, Heft 79 (April 1955), S.71.

133 Hans Platschek, Nays Scheiben - Ein repräsentativer deutscher Maler genauer betrachtet, in: Die Zeit vom 04.09.1964, zit.n.: Nay, E.W. 1980 S.252.

Andere Kritiker sprachen von „visueller Verdummung“ und „Schlaffheit schlab-bernder Farbe“134. Diese vehemente Ablehnung seiner Werke ist Zeichen eines Generationswechsel - der uneingeschränkten Lobpreisung dekorativer Bild-gestaltungen der 50er Jahre wurde eine klare Absage erteilt.

Je verworrener mythisch-expressiv ein Bild im farbigen, formalen und technischen Aufbau, desto mehr Chancen hat es, von deut-schen Kunstauguren als potent und bedeutend betrachtet zu wer-den. Unkontrollierbarkeit lässt auch jeden exklusiven Grad einge-weihten Verständnisses zu, wonach von den unteren bis zu den oberen Rängen der Bildung und des gesellschaftlichen Ehrgeizes der Bedarf sehr groß ist.135

Nays Kunst beschäftigt sich nicht mit den Verbrechen der NS-Zeit oder den aktuellen sozialen Gegebenheiten der Gesellschaft; statt dessen präsentiert sie eine rhythmische Anordnung malerischer Valeurs mit einer

ornamental-dekorative Wirkung. In leuchtenden Rhythmen wechseln Farbfiguren in einem nicht näher bestimmbaren Raum – Nay versuchte sich in einer Choreographie der Farben auf der Leinwandfläche. Nicht das gegenständliche Zeichen be-stimmt den Aufbau, sondern allein die Farbarchitektur. Ob man solche Ergeb-nisse als rein und schön oder als inhaltslos und beliebig bezeichnet, ist vom je-weiligen Standpunkt des Interpreten abhängig.

1956 legte Nay seine kompositorischen Gedanken in der Schrift ‚Vom Gestalt-wert der Farbe’ nieder, in der es am Schluss bezeichnenderweise heißt:

Die Malerei ist a-human. Das Humane ist nicht Anliegen des Künstlers. Es entsteht ohne ihn, außer ihm. Oder nicht. - Das bild-nerische Gestalten ist a-human.

(...)

Selbst wenn eine humane Idee in der Absicht des Künstlers liegt, selbst dann erweist sich das Kunstwerk als solches endlich vorerst durch die Form.136

Die völlige Verkennung gesellschaftshistorischer Antinomien zeigte sich bereits in seiner Ausstellungsrede zehn Jahre zuvor:

134 Vgl. hierzu: Thomas, Karin 1985, S.103.

135 Klaus-Jürgen Fischer, Der Fall des Malers E.W.Nay - Ein heftig geführter Beitrag zu einer heftigen Diskussion, in: Der Tagesspiegel, Berlin vom 05.11.1964, zit.n.: Nay, E.W. 1980, S.256.

136 Vom Gestaltwert der Farbe: Fläche, Zahl und Rhythmus, München 1956, zit.n.: Nay, E.W.

1980, S.142.

Doch wer erkennt wohl die wahre Zeitzugehörigkeit? Der eine Maler saß im KZ, aus politischen oder rassischen Gründen, der andere stellte als SA-Mann im Haus der Deutschen Kunst aus. Die Bilder beider, nebeneinandergehalten, zeigen denselben Kitsch.

Der eine hat Hakenkreuze darauf gemalt als antifaschistische, der andere als faschistische Manifestation, ein toller Witz und vielfach zu beobachten.137

Und noch kurz vor seinem Lebensende verneint er die Notwendigkeit einer Ver-zahnung von Künstler und Gesellschaft:

Ein Künstler, wenn er nicht ein malender Bürger ist, steht außer-halb der Gesellschaft. (...) Aufgaben hat der Künstler nie. Kon-taktlos durchstreift er die Welt, nirgends verhaftet, nirgends ge-bunden, alle Engagements sind uninteressant, sowohl die an die bürgerliche, wie die an die proletarische Welt.138

Nay geht soweit, Künstlern, die sich vor allem um inhaltliche Aussagekraft ihrer Werke bemühen, Flucht vor der Kunst vorzuwerfen.

Ein Künstler, der seine Kunst macht, um irgendetwas Menschlich-Außerkünstlerisches der Welt mitzuteilen, flieht vor der Kunst, vor dem formenden Bilden, das in jedem Fall allein der Sinn des Tuns des Künstlers ist. Flucht in die Umwelt statt Griff in die selbstent-worfene Welt der eigenen formalen Äußerung. Der Stil ist Form allein. Also ist engagierte Kunst ein Unding, eins der vielen Undin-ge, die nun endlich zugrunde gehen. Kunst kann nicht politisch, sozialkritisch oder ähnliches sein.139

Spiegelt sich diese gänzlich apolitische Haltung auch in seinen Paardarstellun-gen wider? Für Nay hatte der ‚Freiheitsbegriff’ - im Westen gleichgesetzt mit Gegenstandslosigkeit140 - einen höheren Stellenwert als eine

Spiegelt sich diese gänzlich apolitische Haltung auch in seinen Paardarstellun-gen wider? Für Nay hatte der ‚Freiheitsbegriff’ - im Westen gleichgesetzt mit Gegenstandslosigkeit140 - einen höheren Stellenwert als eine