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Der sozialistische Arbeiter als Träger neuen Klassenbewusstseins

GESCHLECHTERROLLEN IM ARBEITER- UND BAUERNSTAAT

6.3.2. Der sozialistische Arbeiter als Träger neuen Klassenbewusstseins

Wie stellt man den ‚neuen sozialistischen Menschen’ dar? Wie zeigt man, dass der einfache Arbeiter, die einfache Arbeiterin zur herrschenden Klasse zählen?

Einerseits sind sie Träger der Revolution und somit Subjekt der Geschichte, andererseits wird über sie - nicht nur als Kunstobjekt - bestimmt. D.h. sie müs-sen eine angeblich erlangte Macht symbolisieren, deren Träger sie gar nicht sind. Werke verkommen zur Bebilderung des Parteiprogramms; nicht die Ar-beiter und ArAr-beiterinnen bestimmen, wie sich das Besondere im Allgemeinen widerzuspiegeln hat, sondern eine kleine elitäre Schicht, die diktatorisch dar-über wacht, was ‚ihr Volk’ wünscht, damit der Schein gewahrt bleibt.

Ein parteipolitisch genehmes Werk ist Werner Laux’ >Werftneubau (Werft Wis-mar)< von 1951 (Abb.122), das während seines Aufenthalts in Wismar ent-stand. Laux war ein linientreuer Künstler, der sich bereits 1948 als Vorsitzender des VBK (Verband Bildender Künstler) in Mecklenburg im Kampf gegen den

‚Formalismus’ profilierte. Diese Loyalität lohnte man ihm mit einer Berufung zum kommissarischen Leiter an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee im Herbst 1952. Als getreuer Gefolgsmann der SED waren ihm politische Diskussionen an der Hochschule wichtiger als intellektuelle Auseinandersetzungen über Form-probleme, die er als ‚bürgerliche’ Vorstellungen verwarf. Spielräume für experi-mentelles Arbeiten existierten bei ihm nicht, da für ihn an erster Stelle die Um-setzung ideologischen Bewusstseins und Loyalität gegenüber den Ideen der Partei stand.

Seine beiden Werftarbeiter zeigen in ihrer Gestaltung deutlich das formalästhe-tische Dilemma damaliger offiziell geförderter und von Parteiseiten akzeptierter DDR-Kunst. Es existiert keine kommunikative Vernetzung zwischen diesen bei-den Typen ‚Arbeiter’ und ‚Arbeiterin’. Isoliert ist sich jeder selbst überlassen, Haltungen und Gesten wirken posenhaft und verkünden schlechte Kunst, aber nicht neues sozialistisches Bewusstsein. Man mag einiges in diesem Bild fin-den, doch sicher keine neue Arbeitsqualität oder eine veränderte gesellschaftli-che Position des Proletariats.

Auffällig ist, dass – im Gegensatz zu diesem Gemälde - die Arbeitenden meist nicht während ihres Arbeitsvorganges gezeigt werden. Sicherlich liegt dies darin begründet, dass sich beispielsweise gleichförmige Fabrikarbeit nur wenig positiv darstellen lässt. Freilich denkt man hierbei aus der Tradition an Menzels >Ei-senwalzwerk< (Berlin, Nationalgalerie), ein Gemälde, das die harte Arbeit

über-zeugend in qualitätvolle Malerei umsetzte und welches in DDR-Zeiten immer als künstlerisches Vorbild hoch geschätzt wurde. Der DDR war es jedoch, trotz an-derslautender Beteuerungen, nicht gelungen, eine neue, bessere Qualität von nicht-entfremdeter Arbeit zu erreichen. So wurde auch im sogenannten Sozia-lismus von einem Großteil der produzierenden Schicht Arbeit als nicht befriedi-gend empfunden. Daher wich man auf andere Themen aus: Arbeitsbeginn, -ende oder -pause oder Plandiskussionen sowie vereinzelt heroisierende Ar-beiterporträts, oftmals in konventioneller Realismussprache.

Neben Darstellungen der Schwerindustrie, insbesondere des Bergbaus und der Hüttenindustrie, standen Gemälde von Baustellen im Vordergrund, war doch die dringlichste Aufgabe der Nachkriegsjahre der Aufbau der Städte, ein Vorhaben, dass in der DDR - aufgrund wirtschaftlicher Probleme - bis zu deren Auflösung keinen befriedigenden Abschluss fand. Gestaltungen diesen Themas sollten den Aufbauwillen ideologisch fördern, sollten das Volk als homogene Kraft zei-gen, das in seiner Gesamtheit zum Wohlergehen seines Staates beitragen will.

In diesem Kontext steht Ernst Günther Neumanns >Studenten helfen beim Auf-bau Berlins< von 1953 (Abb.123), das auf der III.Deutschen Kunstausstellung in Dresden zu sehen war. Ein junges Pärchen in hervorgehobener heller Kleidung führt eine Studentengruppe an, alle mit Spitzhacken ausgerüstet. Der Student begrüßt per Handschlag den Maurer: Intelligenz verbündet sich mit der Arbei-terklasse, und der Hoffnungsträger ‚Jugend’ weist dabei den Weg. Dem Mädchen daneben scheint eher dekorative Alibifunktion zugewiesen. Ihre Kleidung -Rock und Bluse - als auch die unter dem Arm gehaltene Studiertasche erwe-cken schwerlich den Eindruck, dass sie mit anpaerwe-cken könnte oder möchte.

Leicht legt sie ihre Hand auf den rechten, die Arbeiterschaft grüßenden Arm ih-res Studienkollegen, will also am Bündnis teilhaben. Auch sie möchte beim Neuen des zukünftigen Lebens mitwirken - doch scheint ihr - so jedenfalls Neumanns Interpretation - nur eine passive, begleitende Rolle zuzustehen.

Formal ist das Werk - wie viele Exponate dieser III.Deutschen Kunstausstellung - enttäuschend. Eine Tatsache, die selbst DDR-Zeitungen nicht verhehlten. So vermerkte die Nationalzeitung, dass Neumann kein „spannungsreiches Verhält-nis zwischen vorn und hinten gelingt“335. Kritische bis abwertende Anmerkungen

335 Nationalzeitung, Berlin (DDR) vom 11.03.1953, zit.n.: Bundesministerium für gesamtdeut-sche Fragen (Hg.), Polit-Kunst in der Sowjetigesamtdeut-schen Besatzungszone Deutschlands: die 'Deut-sche Kunstausstellung 1962' in Dresden und ihre Vorgänger, 3.u.überarb.Aufl. Berlin

(West)/Bonn 1962, S.47.

erhielten etliche Arbeiten, die 1953 in Dresden gezeigt wurden. Man erkannte zwar den - ideologisch – guten Willen, die Veränderungen der

DDR-Gesellschaft festzuhalten, das Bild der neuen herrschenden Klasse zu definie-ren, doch von der Qualität schien keiner recht überzeugt.

Neben Neumanns Szenerie beschäftigten sich noch andere Gemälde auf dieser Kunstausstellung in Dresden mit dem Projekt ‚Stalinallee’, wollte man doch die-se propagandistische Großbaustelle gebührend feiern. Auf der 1949 nach Stalin umbenannten Großen Frankfurter Straße und Frankfurter Allee in Berlin ent-standen seit 1950 – als Symbol des Wiederaufbaus und des damit angeblich verbundenen wirtschaftlichen Aufschwungs – auf einer Länge von über 2 km palastartige Wohnblöcke im sogenannten ‚Sowjetischen Zuckerbäckerstil’.

Gleichzeitig wurden Reste der alten, umgestürzten Ordnung wie das Berliner Schloss geschliffen. Künstlerische Werke über die Stalinallee wurden oftmals durch staatliche Aufträge gefördert. Meist waren in den Gemälden die giganti-schen Baustellen im Zentrum des Interesses, auf denen die Geschäftigkeit der Arbeiter eher gestalterische Nebensache war. Die ideologische Bedeutung die-ser ‚ersten sozialistischen Straße’ stand sicherlich der der Reichsautobahnen während der NS-Zeit in nichts nach.

Neben den Bestandsaufnahmen der Baustellen gab es auch Versuche, dem

‚neuen sozialistischen Menschen’, der hier seine Arbeit verrichtet, ein Denkmal zu setzen. Die bekannteste Version ist sicherlich Otto Nagels >Junger Maurer (Der Maurerlehrling Wolfgang Plath vor dem eingerüsteten Rohbau einer Groß-baustelle)< von 1953, der sich in antiquiert wirkender Herrscherpose in Drei-viertelansicht präsentiert. Dieses Gemälde zeigt ebenso wie das Neumanns die formalen Mängel jener Jahre, Mängel, die aufgrund der Orientierungslosigkeit im pseudo-realistischen Klima entstanden. Zu sehr forderten die neuen Inhalte und aus Angst, man könnte in die Mühlen der Formalismusdebatten geraten, vermied man jegliche individuelle Handschrift, um nicht den Unmut der politi-schen Seite zu wecken.

Dabei entstanden - aus historischer Distanz betrachtet - teilweise lächerlich wir-kende Werke wie 1960 Heinz Lohmars >Liebespaar auf der Baustelle<

(Abb.124).

Das >Liebespaar auf der Baustelle< besitzt so viel gesunde Kraft und jugendliche Unbekümmertheit, dass die auch hier noch vor-handenen kompositorischen Mängel die Intensität der Bildidee nicht entscheidend beeinträchtigen können.336

Das Bild ist in drei Raumschichten gegliedert. Im Vordergrund links zeigt sich ein junges Paar. Er geht gerade auf sie zu, die Arbeitsjacke unter dem Arm, sein ärmelloses, helles Shirt lässt seine muskulösen Oberarme zur Geltung kommen; ein Prototyp des für den sozialistischen Aufbau schwer arbeitenden Mannes. Sein linker Arm umfasst die Frau um die Taille, während sie zu ihm blickt und ihm ihre rechte Hand leicht auf seine Schulter legt. Hinter den beiden stehen zwei Arbeitskollegen bei ihrer Zigarettenpause, daneben vom Bildrand angeschnitten eine weitere Kollegin. Abgeschlossen wird die Komposition im Hintergrund durch zahlreiche noch in Bau befindlichen Häuserfronten und zwei Baukräne.

Heinz Lohmar reiste, nachdem er als KPD-Mitglied 1935 kurze Zeit inhaftiert worden war, über die Schweiz nach Paris. Dort wurde er 1938 Sekretär des Freien Künstlerbundes und beteiligte sich an der antifaschistischen Ausstellung

‚Fünf Jahre Hitler’. Nach der Kapitulation Frankreichs schloss er sich im Süden des Landes der Résistance an, während seine in Paris zurückgelassenen Wer-ke vernichtet wurden. 1946 Wer-kehrte er nach Deutschland zurück - zuerst nach Ludwigshafen, verließ aber die Westzonen alsbald wieder. Unbefriedigt vom fehlenden Realitätsbezug der im Westen bevorzugten Kunst, kam ihm die Be-rufung an die Hochschule für bildende Künste 1949 nach Dresden nicht nur fi-nanziell gelegen.

Seine früheren Arbeiten standen unter dem Einfluss surrealistischer Werke ins-besondere von Max Ernst, ein Tatbestand, der der DDR-Kunstkritik anfänglich Schwierigkeiten bereitete, auch wenn bezüglich seiner politischen Loyalität kein Zweifel bestand. Denn schon vor seinem Umzug plädierte Lohmar angesichts der gerade vergangenen Jahre für einen stilistischen, formalen Wandel, damit man künstlerisch der neuen Situation gerecht werden könne.

336 Emmrich, Christian, Vom Anderswerden eines Künstlers: Gedanken zur Sonderausstellung Heinz Lohmar im Dresdner Albertinum, in: Bildende Kunst, Heft 5 (1962), S.253-260, hier S.259.

Viele unserer deutschen bildenden Künstler glauben, dass man die zwölf Jahre Nazikunst einfach damit übertünchen könne, wenn man wieder dort anfange, wo man 1933 aufgehört hat, oder wenn man wieder bei der letzten revolutionären Kunsterscheinung be-ginnt, dem Expressionismus. Es liegt zuviel zwischen diesen letz-ten Jahren, und kaum ein Künstler wird heute schon in der Lage sein, das Erlebte in die Form zu bringen, die Form und Inhalt zu einer geschlossenen Schöpfung gestaltet. Wir haben kein unbe-rechtigtes Misstrauen gegen eine künstlerische Entwicklung, die reiner Formalismus zu werden droht, denn es genügt nicht, dass man die alten Formen der Kunst zerschlagen hat und neue er-richtet, sie müssen auch mit neuem Inhalt gefüllt werden.337

Doch das Neue, Utopische, Humanistische der politischen Ideen der SED-Führer kann von Malern wie Lohmar, Witz oder Schutzmeister nicht in einen modernen, expressiven Realismus umgewandelt werden; die Maler werden plakativ, man verwässerte die Utopien in platten Bildformeln. Und so kam es zu einem ‚Realismus’, der qualitativ hinter den historischen von Courbet, Menzel, Kollwitz und Dix zurückfiel. Der platten Vordergründigkeit der SED-Texte ent-spricht eine platte Malerei, die allzu volkstümlich wurde.

Ähnlich wie das Bild von Michaelis (Abb.119) birgt das >Liebespaar auf der Baustelle< wenig Neues in sich. Der ‚neue Held’, tatkräftig und mit maskulin betonter Körperlichkeit, wird dem sanften, anlehnungsbedürftigen ‚Weibchen’

gegenübergestellt. Eine harmlose und beliebige Szene, Zeit- und Gesell-schaftskontext sind allerhöchstens durch Kommentare gegeben.

Warum gelingt es den Kunstschaffenden in der traditionellen Tafelmalerei so wenig, sich über alte Geschlechterstereotypen hinwegzusetzen? Vergleicht man diese mit Plakatwänden, Broschüren u.ä., fällt auf, dass dort häufiger die gleichberechtigte ‚Genossin’ Gestaltung findet. Eine der wenigen Ausnahmen unter den Gemälden ist Otto Schutzmeisters >Brigade des Baggers im VEB Braunkohlewerk Nachterstedt< von 1958 (Abb.125a), das im Rahmen der Akti-on ‚Kunst braucht Kohle’ entstand und bei der IV.Deutschen Kunstausstellung in Dresden positive Resonanz fand.

Drei Männer und zwei Frauen gehen zur Arbeit. Nivelliert Schutzmeister bereits die Unterschiede zwischen den Geschlechtern durch die gleiche Arbeitsklei-dung, verwischt er mit der an erster Stelle gesetzten Arbeiterin die

Ge-schlechtsdifferenzen nahezu gänzlich, da sie das Kopftuch – wie es die ande-ren beiden Frauen tragen – mit einer Kappe vertauscht hat. Ist hier das Idealbild

337 Zit.n.: Schätzke, Andreas 1999, S.85.

der sozialistischen Frau, der gleichberechtigten Arbeitskollegin? Zumindestens vermeidet er das typische ‚Weibchen’-Klischee. Wird jedoch die Frau unter ih-ren männlichen Kollegen wähih-rend der Arbeit gezeigt, ist sie meist die Lernende, während der Mann doziert und Anweisungen erteilt.338

Dass Schutzmeisters Bild aus auswechselbaren Versatzstücken besteht, wird offensichtlich, wenn man es mit seinem im selben Jahr entstandenen Werk

>Holzfäller< (Abb.125b) vergleicht. Auch hier schreiten uns die arbeitenden Frauen und Männer entgegen; diesmal statt Arbeitstaschen Äxte und Schaufeln tragend und von Bäumen statt rauchenden Fabrikschloten umgeben. Allerdings sind hier Figurengruppe und Bildraum in ein überzeugenderes Flächensystem eingespannt und somit eine höhere Formqualität erreicht.

Oftmals wirken die Werke in ihrer Naivität und gestalterischen Rückständigkeit kleinbürgerlicher als vieles, was an Werbung im Westen produziert wurde, auch in Fällen, in denen die Arbeiterschicht als Auftraggeber fungierte. Ein Exempel unter vielen ist Heinrich Witz’ >Der neue Anfang< (1959, Abb.126). Witz hatte in diesem Jahr mit der IG Wismut, der gewerkschaftlichen Sektion des Bergbau-und Industriegiganten SDAG (Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft) Wismut, einen Vertrag geschlossen, indem er sich gegen Zahlung eines monatlichen Entgeltes verpflichtete, Werke für die Werktätigen zur Unterstützung ihrer sozi-alistischen Arbeits- und Lebensweise zu gestalten.

Sein in diesem Zusammenhang entstandenes Werk zeigt eine Feier der Briga-den Meier und Hoffmann. Die beiBriga-den zentralen Frauenfiguren verkommen, ähn-lich wie in Neumanns oben erwähnten Komposition, zu rein dekorativem Bei-werk - ein „Herrenabend und die Besiegelung von Männerabsprachen mit Da-menbegleitung“339. Im Bildvordergrund sticht die Frau in ihrem gelben Kleid und mit ihrem Schmuck optisch hervor, doch ihr – ähnlich der anderen - Blick ist auf das eigentliche Thema der Bildkomposition gerichtet: die agierenden Männer, die per Handschlag ihre Zusammenarbeit besiegeln. Festliche Garderobe, Sektkübel und ähnliches machen deutlich, dass es sich hier um Angehörige zweier Elitebrigaden handelt. Hat man sich im sozialistischen System ideolo-gisch vom Leistungsprinzip distanziert, konnte man trotzdem nicht umhin, die

338 Vgl. beispielsweise Klaus Weber, >Chemiezirkel< (1961), abgebildet u.a. in: Kunstkombinat DDR 1990, S.46.

339 So Angeli Sachs in: Kunst in Deutschland 1945-1995: Beitrag deutscher Künstler aus Mittel-und Osteuropa, Ausstkat. Regensburg 1995, S.70.

deelle’ gesellschaftliche Auszeichnung, die von materiellen Vorrechten begleitet war, hervorzuheben. Gab es in der NS-Kunst den Kriegshelden, so ist der sozi-alistische Held der Aktivist, den sich die ‚gewöhnlichen’ Arbeiter zur eigenen Sollerfüllung zum Vorbild nehmen sollten.

Rezensenten lobten, dass dieses Werk

das erste größte Ergebnis dieser neuen Zusammenarbeit zwi-schen unseren Künstlern und den Erbauern des Sozialismus340 sei. Inhaltliche Beanstandungen von Seiten der Arbeiterschaft, da kaum der neue Typ eines sozialistischen Arbeiters dargestellt ist, bildeten die Ausnahme.

Von der Kunstkritik wurde dagegen Witz’ mangelnde Qualität wiederholt bean-standet.

Die zwei bekannten Bilder von Heinrich Witz hängen im gleichen Saal (...). Ich kannte sie schon, und sie haben mich ein übriges Mal abgestoßen und angezogen in einem. Auf Anhieb ärgern dich hundert schlecht gemalte Dinge; als Atheist seufzst du ‚Gott, ist das schlecht gemalt’.341

Und ein anderer, der „das oberflächliche Pathos der beiden tragenden Gestal-ten“ bemängelt, vermisst den eindeutig sozialistischen Inhalt dieses Werkes.

Uns sagt das Bild nicht, dass es sich bei der Gruppe um Kollegen von einer oder zwei Brigaden handelt, es könnte eine Sportverei-nigung oder Abendgesellschaft sein. Wir empfinden ebenfalls nicht, dass die Kollegen jene Beziehung zueinander haben, die für solche sozialistischen Brigaden charakteristisch sind. Wie soll ein so zufälliges Nebeneinander verschiedener Figuren die Vorstel-lung hervorrufen, dass es sich um zwei Brigaden handelt, die sich hier zu einem größeren Kollektiv verbinden. (...) Kann eine sehr schlecht gemalte Wahrheit künstlerisch noch wahr sein?342

Selbst der staatsloyale Kunstwissenschaftler Ullrich Kuhirt hatte nur ablehnende Worte für Witz’ Schaffen, spricht in Zusammenhang mit dessen Namen von

platt Anekdotischem, überflüssiger Detailanhäufung (...) Bilder, die nichts weiter schilderten als eine zufällige Szene des Alltags ohne weiterreichende Verallgemeinerung.343

340 Uhlitzsch, Joachim, in: Leipziger Volkszeitung vom 25.06.1959, zit.n.: Feist, Günter 1996, S.500.

341 Aus: Junge Kunst, Heft 8 (1960), zit.n.: Flacke, Monika 1995, S.120.

342 Begenau, Siegfried Heinz, Von der schönen Wahrheit, die noch zu malen bleibt, in: Bildende Kunst, Heft 11 (1960), S.720.

343 Kuhirt, Ullrich 1982, S.159.

Solche abschätzigen Äußerungen änderten nichts daran, dass das Politbüro Witz’ Kunst unterstützte, ihn als vorbildlichen Künstler hervorhob und zu einem der wichtigsten Vertreter des ‚Bitterfelder Wegs’ erklärte. So erhielt 1960 >Der neue Anfang< auf Vorschlag der Arbeiter der IG Wismut den FDGB-Kunstpreis.

Da in Fachkreisen die negativen Bemerkungen zu seinem Werk weiterhin ü-berwogen, zog sich Witz, obwohl sein Vertrag mit der IG Wismut Ende 1960 nochmals um ein Jahr verlängert wurde, immer mehr aus der Öffentlichkeit zu-rück. Finanziell noch von offizieller Seite unterstützt - Verbandskollegen nann-ten ihn spöttisch ‚Leibmaler’ Walter Ulbrichts -, spielnann-ten seine Werke bereits Anfang der 60er Jahre keine ernst zu nehmende Rolle mehr und andere - wie beispielsweise Womacka und später Sitte - nahmen seine Position als ‚Staats-künstler’ ein.