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2 Literaturübersicht

2.4 Vitrifikation als Alternative zur konventionellen Kryokonservierung

2.4.2 Prinzip und Vorgehensweise der Vitrifikation

Unter Vitrifikation im physikalischen Sinne versteht man die Solidifikation einer Lösung während des Kühlens, nicht durch Überführen in einen kristallinen Zustand, sondern durch eine extreme Zunahme der Viskosität. Die Lösung nimmt einen glasartigen Zustand ein (FAHY et al. 1984). Während des Prozesses der Vitrifikation haben die Moleküle aufgrund der hohen Kühlraten keine Möglichkeit, die für den gefrorenen Zustand einer Lösung typische Gitterstruktur zur Bildung von Kristallen einzunehmen, sondern sie erstarren sozusagen in einem ungeordneten Zustand.

Daher wird im Rahmen der Vitrifikation auch von „Vitrifizieren und Erwärmen“ und nicht von „Einfrieren und Auftauen“ wie im Zusammenhang mit traditionellen Einfrierverfahren gesprochen (LIEBERMANN 2003).

Durch das schnelle Abkühlen unter die Glasübergangstemperatur (Tg) einer Flüssigkeit wird die Kristallisation unterdrückt und die Flüssigkeit unterkühlt. Dieser thermodynamische Zustand ist metastabil und die Viskosität der Flüssigkeit steigt an.

Der aus dem Prozess der Vitrifikation hervorgehende Festkörper ist amorph und unterscheidet sich in seiner Struktur kaum von der ihm zuzuordnenden Flüssigkeit.

Abb. 2.3: Zwei 150 µl große Tropfen in flüssigem Stickstoff (LN2) (LIEBERMANN 2003) (A): „Dulbeccos phosphatgepuffertes Saline“ mit Eiskristallbildung; (B): Mixtur aus 20 % Ethylenglykol (EG) und Dimethylsulfoxid (DMSO) bildet einen glasähnlichen, amorphen Zustand ohne Eiskristalle.

Der Punkt, an dem die Glasübergangstemperatur erreicht wird, ist definiert als der Punkt, an dem das Material eine Viskosität von 1013 P besitzt. Die Umwandlung einer Flüssigkeit in ein Glas ist also mehr ein kinetischer als ein thermodynamischer Prozess (YAVIN und ARAV 2007).

Liegen die Temperatur des Phasenübergangs und des Glasübergangs einer Lösung nahe beieinander, so erleichtert dies die Vitrifikation (YAVIN und ARAV 2007).

Im Wesentlichen hängt der Erfolg eines Vitrifikationversuches von drei Faktoren ab, die sich durch die folgende Gleichung in ihrer Abhängigkeit voneinander vereinfacht darstellen lassen:

Wahrscheinlichkeit Kühl- und Auftaurate x Viskosität = –––––––––––––––––––––––––––

der Vitrifikation Probenvolumen

Aus dieser Formel ist zu ersehen, dass es drei Wege gibt, die Vitrifikation einer Flüssigkeit zu erreichen:

1.) Erhöhung der Kühlrate 2.) Erhöhung der Viskosität

3.) Reduktion des Probenvolumens

Eine Erhöhung der Viskosität lässt sich über die Verwendung hoher Konzentrationen an Kryoprotektivum erzielen. Die Konzentration des Kryoprotektivums und die Abkühlrate stehen in indirekt proportionaler Beziehung zueinander. Mit steigender Konzentration des Kryoprotektivums sinkt die kritische Geschwindigkeit des Abkühlens und Auftauens, die nötig ist, um eine Eiskristallbildung zu vermeiden. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass die Konzentration an Kryoprotektiva mit steigender Abkühl- und Auftaurate gesenkt werden kann. Die Verwendung hoher Konzentrationen von Kryoprotektiva würde zwar zu einer Erhöhung der Viskosität der Lösung führen, ist aber wegen der toxischen und hypertonen Effekte der Kryoprotektiva vor allem im Bereich der Kryokonservierung von Spermatozoen nur begrenzt praktikabel.

Da auch die Reduktion des Probenvolumens nur in begrenztem Maße stattfinden kann, wird die Bedeutung der Abkühl- und Auftaurate deutlich (YAVIN und ARAV 2007).

Es gilt, ein Gleichgewicht zu finden zwischen der optimalen Konzentration des Kryoprotektivums und der entsprechenden Abkühl- und Auftaurate, bei der eine Vitrifikation von Spermatozoen noch möglich ist.

Nach der erfolgreichen Vitrifikation von Mausembryonen im Jahr 1985 (RALL und FAHY ), bei der hohe Konzentrationen von Kryoprotektiva zum Einsatz kamen, wurden diese hohen Konzentrationen als notwendig für eine erfolgreiche Vitrifikation angesehen. Auf Spermatozoen, die besonders empfindlich gegenüber der Toxizität von Kryoprotektiva sind, konnte diese Methode jedoch nicht übertragen werden.

Die durch die hohen Konzentrationen der Kryoprotektiva bedingte Toxizität lässt sich im Wesentlichen auf drei Wegen reduzieren (CRITSER et al. 1997):

(1.) Substitution einer Hydroxylgruppe in einem Alkohol durch eine Aminogruppe (SUTTON 1991); 2-Amino-2-methyl-1-propanol ist der beste „Glasformer“ aller erforschten Aminoalkohole.

(2.) Erhöhung des hydrostatischen Drucks der Vitrifikationslösung

KANNO et al. (1975) konnte zeigen, dass die Temperatur, bei welcher die Kristallisation einzusetzen beginnt (Th – „ice nucleation temperature“), durch eine Erhöhung des hydrostatischen Druckes gesenkt werden kann. Die

„Glasübergangstemperatur“ (Tg – Temperatur, bei welcher die Lösung in den Gasphasenzustand übergeht) steigt mit zunehmendem Druck (MACFARLANE et al.

1986, MACFARLANE 1987). Dies erlaubt eine Verwendung niedrigerer Konzentrationen an Kryoprotektivum, um eine Änderung des Aggregatzustandes zu bewirken. Die Toxizität des Kryoprotektivums wird so ebenfalls reduziert. Dabei ist zu bedenken, dass die Beschädigung des biologischen Systems nicht selten Folge einer Druckerhöhung ist (KAROW et al. 1970).

(3.) Senkung der CPA (= permeable Kryoprotektiva) Konzentration (Cv);

Eine Senkung der Cv kann durch die Addition von Polymeren, welche nicht membrangängig sind und damit in der extrazellulären Matrix verbleiben, erreicht werden.

Jedes Kryoprotektivum ist in gewisser Weise toxisch, wobei der Grad der Toxizität mit der Konzentration steigt. Somit muss es auch trotz einer für die Vitrifikation notwendigen Cv das Ziel sein, den toxischen Einfluss des Kryoprotektivums auf die Zelle zu reduzieren.

Ohne einen Verlust seiner Effektivität in Kauf nehmen zu müssen, ist dies über mehrere Wege realisierbar:

(a) eine schrittweise Inkubation

(b) alternativ die Verwendung einer Mixtur von zwei verschiedenen Kryoprotektiva, welche beide zu gleichen molaren Anteilen enthalten sind (Ethylenglykol/Dimethylsulfoxid – EG/DMSO) (LIEBERMANN et al. 2002)

(c) die Verringerung des Probenvolumens unter Zuhilfenahme spezieller „Carrier“

(Trägersysteme) in dem Maße (<1,0 µl), dass eine Erhöhung der Kühlrate, sowie gleichzeitig die Minimierung des toxischen Moments durch eine Reduktion des Volumens der Gefrierlösung erreicht werden kann

(d) eine Erhöhung der Kühl- und Aufwärmrate

Nachdem lange Zeit die für die Vitrifikation als notwendig erachteten hohen Konzentrationen an Kryoprotektiva ein Problem bei der Vitrifikation von Spermatozoen darstellten, gibt es mittlerweile erste erfolgreiche Versuche, humane Spermatozoen ohne die Verwendung von Kryoprotektiva zu vitrifizieren. So erzielten NAWROTH et al. (2002) die besten Ergebnisse bei der Vitrifikation von durch „swim-up“-Verfahren aufbereiteten Spermatozoen ohne die Verwendung von Kryoprotektiva. Als Trägersystem fungierten „copper loops“. Im Vergleich mit der konventionell kryokonservierten Kontrollgruppe ergaben sich keine signifikanten Unterschiede.

Weitere Studien der Kryoprotektiva-freien Vitrifikation beschäftigten sich mit unterschiedlichen Trägersystemen und Kühlraten (ISACHENKO et al. 2005, ISACHENKO et al. 2004b).

Ein einheitliches praxistaugliches Protokoll für die Vitrifikation von Spermatozoen hat sich bis heute nicht durchgesetzt.