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Praxisbezogene Probleme und mögliche Lösungsansätze

Kapitel 1 Die Tätigkeit von TranslatorInnen für Gebärdensprache

1.4 Rezente Veränderungen in der Berufspraxis: Zwischen Dolmetschen und Übersetzen

1.4.4 Besonderheiten und Herausforderungen der neuen Aufgabenbereiche

1.4.4.9 Praxisbezogene Probleme und mögliche Lösungsansätze

Das soweit beschriebene „Gebärdensprachübersetzen“ wirft viele Fragen auf. Wie praxisbezogene Probleme und die bisher erarbeiteten Lösungsansätze dazu aussehen, wird nun zum besseren Verständnis dieses jungen Betätigungsfeldes anhand eines Beispiels skizziert. Es soll gezeigt werden, mit welchen grundlegenden Problemen auch langjährig tätige DolmetscherInnen und deren KundInnen konfrontiert werden, wenn keine Differenzierung zwischen den beiden Tätigkeitsbereichen Dolmetschen und „Übersetzen“

27 Ein Teleprompter oder Autocue ist eine Vorrichtung, die es dem Moderator bzw. der Moderatorin im Fernsehen ermöglicht, den vorzutragenden Text ohne Blicksenkung vom Monitor abzulesen“ (Duden 2003:1330).

vorgenommen wird und die Beteiligten sich der verschiedenen Arbeitsvorgänge und Anforderungen dieser beiden Aufgabengebiete nicht bewusst sind. Auf diesem Weg soll die Wichtigkeit der Unterscheidung zwischen der „Übersetzungs-“ und Dolmetschtätigkeit für ArbeitnehmerInnen und KundInnen noch besser verdeutlicht werden.

Cragg (2002) zeigt, wie aufgrund fehlender Ausbildung, nicht vorhandener Berufsbezeichnungen und mangelndem Bewusstsein das Endresultat ihrer Arbeit nicht zu ihrer Zufriedenheit produziert werden kann (vgl. ibid.:56, 1.4.4)28. Die Aufgabe für einen Gehörlosen am Arbeitsplatz als „DolmetscherIn“ zu fungieren und im Zuge dessen gebärdete Text in die Schriftsprache zu transferieren stellte Cragg vor große Herausforderungen. In ihrem Praxisbericht erzählt die Dolmetscherin, dass es aufgrund von Unklarheiten über das neue Betätigungsfeld bei der Zusammenarbeit mit einem Gehörlosen zu einem relativ heftigen Konflikt kam, da durch beiderseitige Unwissenheit zwei völlig unterschiedliche Herangehensweisen gewählt wurden. Eines der Probleme betraf die Schriftsprachkompetenz des Gehörlosen:

[Cragg] became concerned because, in [her] view, the written reports and letters he was distributing, in his role as a professional, did not adequately reflect his status and his true communicative abilities. (Cragg 2002:56)

Zu den Bedenken von Cragg, dass durch die Verwendung eines „schlechten Englisch“ im ZT gegenüber den hörenden KorrespondentInnen ein Ungleichgewicht entstehen könnte, äußerte sich der Gehörlose sehr abweisend. Der verärgerte Gehörlose bat die Dolmetscherin ihre Hilfe zu unterlassen und meinte, dass er genug davon habe, dass die

„hearing culture was stuffed down [his] throat“ (Cragg 2002:59).

Der Hintergrund dieser Problematik wurde erst durch die genaue Analyse der Arbeitssituation verständlich. In ihrer Arbeitsteilung war nämlich nicht klar, wer eigentlich der/die „ÜbersetzerIn“ bzw. „Co-ÜbersetzerIn“ war, da es bis jetzt offiziell nur GebärdensprachdolmetscherInnen gibt. Ferner gab es keinen fixierten AT und darüber hinaus wurde auch die nicht zu vergessende historische Problematik der Bevormundung der Gehörlosen durch Hörende erneut virulent (vgl. ibid.).

Craggs (ibid.:57) persönlicher Lösungsansatz sah so aus, dass sie zunächst ihr eigenes Rollenbild in Frage stellte und darüber reflektierte, ob sie in eine Helferinnenrolle fallen würde, wenn sie Textverbesserungen im englischen Zieltext vorschlüge. Gleichzeitig sah sie es jedoch als ihre Aufgabe den ZT entsprechend den erstsprachlichen kommunikativen Fähigkeiten des Gehörlosen zu produzieren. Der Gehörlose selbst nahm aber an, dass er

28 In diesem Falle gilt es, wie bei Gresswell (2001:50), anzumerken, dass bei Cragg „nur“ die Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Transfer aus der Gebärdensprache in die Schriftsprache (nicht umgekehrt) angesprochen werden (vgl. Cragg 2002:56). Selbst wenn die Übersetzung in die GS aus der Schriftsprache verglichen zu der „Übersetzung“ aus der GS in die Schriftsprache andere Herausforderungen, Strategien und Fragestellungen mit sich bringt, werden hier, aufgrund des wenig erforschten Gebietes, alle in der Literatur gefundenen und verarbeitbaren Erkenntnisse mit einbezogen.

Kapitel 1 Die Tätigkeit von TranslatorInnen für Gebärdensprache

die absolute Kontrolle über den Schreibprozess haben sollte, aber „yet chose not to physically write the material himself“ (vgl. ibid.).

Im Endeffekt wurde klar, dass der Gehörlose Bedenken hatte, dass, wenn er den Text mit einem/r DolmetscherIn bearbeitete, seine KollegInnen

perceive him as unprofessional, [...] [and therefore they] may believe that an interpreter is‚ helping’ him and he is therefore incapable of working independently, and interpreters may take over his work. (Cragg 2002:60, Hervorhebung im Original)

Als Cragg (ibid.) durch die genaue und reflektierte Analyse des Themas ihr persönliches Dilemma verstand und lernte die „Du-Botschaft“ in eine „Ich-Botschaft“ umzuwandeln, indem sie sich dem Gehörlosen anstatt mit „your written work is a problem for me“ mit dem Satz „I am having problems understanding my role“ versuchte verständlich zu machen, begann ein fruchtbarer Austausch zwischen den beiden Parteien.

Der zu „übersetzende“ ZT wurde nun vom Gehörlosen aus freien Stücken mit der Dolmetscherin besprochen und gemeinsam bearbeitet. Nach dieser Auseinandersetzung wurde aus der den Gehörlosen „bevormundenden“ Dolmetscherin und dem sich unterdrückt fühlenden Gehörlosen ein Team mit klar definierten Rollen. Der Gehörlose entschied sich etwas zu „übersetzen“ und gab das Format und das Ziel vor. Die Analyse des ersten Entwurfs und die anschließende Revision waren das Aufgabengebiet der hörenden Translatorin. Das Endprodukt wurde zwar gemeinsam diskutiert, die

„Übersetzung“ selbst blieb aber im Besitz des Gehörlosen (vgl. ibid.:61).

„The heart of the dilemma seems to have been the mismatched schema and expectations held by both of us“ (ibid.:61). Solche Probleme, wie sie Cragg schildert, könnten jedoch durch die Entwicklung eines neuen Rollen- bzw. Berufsbildes, nämlich dem des/der

„Gebärdensprachübersetzers/Gebärdensprachübersetzerin“ und durch eine klare Abgrenzung von GebärdensprachdolmetscherInnen – die andere Aufgabenbereiche und somit auch andere Handlungsfreiräume als „ÜbersetzerInnen“ haben – behoben bzw.

vermieden werden. Diese Herausforderungen sind somit oft auf Probleme in Bezug auf das beidseitige Rollenverständnis, der fehlenden differenzierenden Berufsbezeichnung und Ausbildung von „GebärdensprachübersetzerInnen“ und GebärdensprachdolmetscherInnen zurückzuführen (vgl. ibid.).

In diesem Kapitel wurde gezeigt, wie durch technischen Fortschritt und soziopolitische Veränderungen ein gänzlich neuer Aufgabenbereich für Gehörlose und GebärdensprachdolmetscherInnen geschaffen wurde. All diese neuen Aufgaben und Anforderungen jedoch automatisch dem Tätigkeitsbereich Dolmetschen zuzuordnen, wäre – wie anhand der in diesem Kapitel präsentierten Beispiele gezeigt werden konnte und in Kapitel 2 und 3 noch genauer erläutert wird – nicht adäquat. Der Bedarf an Aus- und Weiterbildungen in diesem neuen Aufgabenbereich („Gebärdensprachübersetzen“), an

einer sich vom Dolmetschen unterscheidenden Berufsakkreditierung, einer entsprechenden KundInnenschulung und vor allem einer spezifischen Forschung ist daher naturgemäß sehr groß. Um all dies in die Wege leiten zu können, muss jedoch zuerst eine Abgrenzung vom Dolmetschen erfolgen und ein neuer Terminus neben dem Gebärdensprachdolmetschen eingeführt und anerkannt werden (vgl. Salevsky 1992:96, Zwilling 1992:165).

Aufgrund der genannten Herausforderungen in diesem neuen Betätigungsfeld kann angenommen werden, dass es sich nicht um einen gänzlich neuen Aufgabenbereich handelt, sondern Anforderungen und mögliche Lösungsansätze für Probleme mit jenen des Schriftsprachübersetzens mehr oder minder übereinstimmen. Würde diese Annahme bestätigt werden, könnte man somit auch die Gebärdensprachtranslation in

„Gebärdensprachübersetzen“ und -dolmetschen unterteilen. Hierfür muss jedoch zuvor die Existenz des „Gebärdensprachübersetzens“ im Unterschied zum Gebärdensprachdolmetschen bewiesen werden. Würde diese Hypothese verifiziert werden, wäre die Einführung des Terminus „Gebärdensprachübersetzen“ die logische Folge.