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Analyse der Herausforderungen und Besonderheiten der OJM-Webseite

Kapitel 5 Die Analyse

5.4 Analyse der Herausforderungen und Besonderheiten der OJM-Webseite

Bevor die Zusammenfassung der Erkenntnisse der tabellarischen Analyse erfolgt, werden zuvor noch kurz jene Besonderheiten und Herausforderungen des

„Gebärdensprachübersetzens“, die in Kapitel 2 erarbeitet wurden, in Bezug auf die Translation der analysierten Webseite beschrieben.

5.4.1 Übersetzungs- und/oder Dolmetschauftrag

Der Arbeitsauftrag war in diesem Falle klar formuliert und auch als „Übersetzungsauftrag“

tituliert worden. Es wurde auch genügend Zeit zur Verfügung gestellt, um hier nicht auf einer Art „Ad-hoc-Basis“ arbeiten zu müssen (vgl. Reiss 2009a, 1.4.4). Darüber hinaus waren alle Beteiligten am gleichen Institut angestellt und hatten dadurch bei der Auftragsannahme nur bedingt die Zeit-Kosten-Frage zu berücksichtigen, die bei

„Übersetzungen“ immer ein Thema ist. Somit wurde aus persönlichem und wissenschaftlichem Interesse für die Annahme des zeitintensiven „Übersetzungsauftrages“

gestimmt. Es war somit allen Beteiligten klar, dass es sich hier um einen anderen Arbeitsauftrag als bei einer Dolmetschung handelt (vgl. Hofstätter/Stalzer 2009).

5.4.2 Literarische und sprachliche Herausforderungen

Die literarische Herausforderung, einen schriftsprachlichen Text in die ÖGS zu

„übersetzen“, war durch das Auftauchen neuer Begriffe, die Umstrukturierung langer Gliedsatzreihen und das (Er-)Finden neuer Gebärden eindeutig gegeben, obwohl es sich in diesem Fall natürlich nicht um einen literarischen Texte handelte (vgl. Hofstätter/Stalzer 2009).

Diese Translation zeigt jedoch, dass es in diesem Falle sehr wohl möglich war, einen schriftsprachlichen Text mit seinen besonderen Eigenheiten adäquat in die Gebärdensprache zu „übersetzen“. Selbst wenn die Schwierigkeit auftauchte, dass sich gewisses Vokabular in der Gebärdensprache erst etablieren wird müssen (vgl. Hessmann

Kapitel 5 Analyse

2005:121), so dient eine reflektierte „Übersetzung“ doch zugleich auch zur Förderung und Öffnung neuer Wissens- und „Sprachgebiete“.

Der Interviewerin wurde zudem versichert, dass behauptet werden könnte, dass durch diese Translation eine neue Textsorte (um es mit dem in der Übersetzungswissenschaft vorherrschenden Terminus zu beschreiben) in die Gebärdensprache „Einzug genommen hat“ (vgl. Hofstätter/Stalzer 2009). Dies scheint teilweise durch gewisse wiederholte Gebärden, die als „Übersetzungsstrategien“ bzw. textsortenspezifisch anmuten, sichtbar zu werden. Wie auch schon beim Parameter „Analysemöglichkeiten“ angedeutet wurde, stellt etwa der Index „IX-oben (erhobener re-Zeigefinger)“ eine solche Gebärde dar. Diese Gebärde besitzt kein Mundbild und mutet wie eine rhetorische Pause oder das Luftholen bei einem Vortrag oder einer Lesung zwischen Gliedsätzen an. Darüber hinaus scheint die Gebärde als Markierung für die Einführung in eine neue Sinneinheit zu dienen, was durch die hier ausgewählten Passagen [...] 2:28, 2:43, [...] 8:58, 9:04, [...] 11:52, [...] 13:27 [...]

verdeutlicht wird (vgl. OJM [2009a]).

Die klassische gefaltete Handhaltung vor dem Bauch ist im Normalfall vornehmlich bei DolmetscherInnen zu sehen – etwa wenn die RednerInnen pausieren oder das Time Lag eingehalten wird71. In dieser Analyse scheint diese Pose einerseits als „Schnitthaltung“ zu dienen, damit zwischen den Absätzen geschnitten werden kann und die Körperhaltung ungefähr die gleiche wie zuvor darstellt. Andererseits dient diese Haltung gleichfalls als eine ähnliche Markierung von Sinneinheiten wie die Gebärde „IX-oben (erhobener re-Zeigefinger)“. Beispiele für diese Handhaltung sind u.a. in den Minuten 4:31 [...] 5:37, [...]

6:44, [...] 9:48, [...] 13:58 [...] zu sehen (vgl. OJM [2009a]). Eine bewusste Anwendung dieser „Strategien“ war den Interviewten aber nicht in Erinnerung. Auch dem Gebärdenden fiel jedoch auf, dass diese „Gebärden-Marker“ bei der in der Gebärdensprache vorherrschenden direkten Rede selten bis nie vorkommen, für die „Übersetzung“ aber unabdingbar sind (vgl. Hofstätter/Stalzer 2009). Dies deutet auf sich neu etablierende Textsorten und Register in der Gebärdensprache hin, die jedoch noch genauer untersucht werden müssen.

5.4.3 Entlohnung

Die Bezahlung war, wie schon in der Parameterauflistung erwähnt, kein primäres Thema für die Beteiligten, da alle am gleichen Institut arbeiteten und somit ihre gemeinsame

„Freizeit“ nutzen konnten.

71 Diese Annahme beruht auf eigenen Beobachtungen und erlernten Dolmetschstrategien und gilt beispielsweise im Vergleich mit gebärdensprachlichen Vorträgen noch erkundet zu werden, wurde aber auch vom gehörlosen Interviewten bestätigt (vgl. Hofstätter/Stalzer 2009).

Die vom Auftraggeber der Übersetzung und der Ansprechperson für Wissenstransfer-Gebärdensprache im Vorfeld ausgemachte Pauschale wurde ohne genaue Stundenabrechnung o.ä. durch vier geteilt. Beim Interview wurde jedoch auch klar, dass zu diesem Thema in der Praxis noch Überlegungen angestellt werden müssten. Es braucht nämlich eine faire Form der Kostenermittlung für „Gebärdensprachübersetzungen“ und die damit verbundenen Videoaufnahmen (die die Kosten im Vergleich zu einem „klassischen Übersetzungsauftrag“ erhöhen und die Arbeitszeit verlängern), damit sich dieser Beruf (vor allem auch bei Abgabe einer qualitativ hochwertigen und damit zeitintensiven

„Übersetzung“) rentiert. Den am Interview Beteiligten waren ansonsten ebenfalls nur bei Instituten oder Vereinen o.ä. angestellte „GebärdensprachübersetzerInnen“ bekannt, die Translate in ihrer Arbeitszeit anzufertigen haben (vgl. Hofstätter/Stalzer 2009). Das unterstützt jedoch nicht die Klärung der Kostenfrage für eine „Übersetzung“, da noch keine Vergleiche vorliegen, die helfen würden die Bezahlung an das Ausmaß sowie das Schwierigkeitslevel der „Übersetzung“ und an die finanzielle Situation von freiberuflichen TranslatorInnen anzupassen.

5.4.4 Ausbildung

Drei der vier TranslatorInnen hatten, wie schon erwähnt, im Bereich „Übersetzen“ keine spezifische Ausbildung erfahren. Durch die Zusammenarbeit mit KollegInnen am Institut für theoretische und angewandte Translationswissenschaft Graz war ihnen jedoch der sich vom Dolmetschen unterscheidende übersetzerische Ansatz nicht fremd. Aufgrund dessen wurde in diesem Fall eine vierte Translatorin als Übersetzerin (und Gebärdensprachdolmetscherin) für diese Aufgabe ins Team geholt. Sie stellte die perfekte Ergänzung für das Team dar und deckte somit das „Wissensdefizit“ bezüglich Übersetzungsstrategien u.ä. ab, auch wenn sich ihr übersetzerisches Wissen bislang nur auf Schriftsprachen bezogen hatte (vgl. Hofstätter/Stalzer 2009).

Weiters erwähnte die hörende Interviewte, dass ihr durch diese Translationsarbeit auch klar geworden war, dass diese Art und Weise mit Texten zu arbeiten, auch im Unterricht gelehrt werden sollte, da dies eine intensive Auseinandersetzung mit der Zielsprache und Zielkultur voraussetzt. Texte zu „übersetzen“ wird zwar schon in den unteren Jahrgängen, bevor das erste Mal gedolmetscht wird, als Unterrichtsmethode eingesetzt, wurde bisher jedoch nicht als „Übersetzen“ bezeichnet. Auch die Unterscheidung zwischen

„Übersetzungs- oder Dolmetschaufträgen“ wird im Unterricht nicht thematisiert (vgl.

Hofstätter/Stalzer 2009).

Kapitel 5 Analyse

5.4.5 Neue translatorische Grundregeln erlernen

Für die Erstellung des gebärdensprachlichen Textes mussten gewisse translatorische Grundlagen erlernt und angewandt werden. Eine dieser Strategien beinhaltete das Memorieren der zuvor erarbeiteten Translation, um beim Gebärden die Natürlichkeit wahren zu können (vgl. Hofstätter/Stalzer 2009). Im untersuchten Fall war dies gut möglich, doch muss die Frage zu gestellt werden, ob dies bei längeren „Übersetzungen“

wie etwa ganzen Büchern eine ebenso anwendbare Strategie ist.

Eine weitere Grundregel könnte die Anwendung eines Notationssystems sein. Die Ablehnung des Glossen-Notationssystems seitens des Gehörlosen deutet aber darauf hin, dass es kein zufriedenstellendes Glossensystem gibt. Es muss jedoch angemerkt werden, dass dieser Gehörlose ein überdurchschnittliches hohes deutsches Sprachverständnis besitzt, wodurch er auch mit der deutschen Schriftsprache problemlos arbeiten kann, was seine Wahl für die deutsche Schriftsprache erklären könnte (vgl. Hofstätter/Stalzer 2009).

Daher stimmt seine Vorgehensweise auch nicht mit der einiger anderer

„GebärdensprachübersetzerInnen“ überein (vgl. Kapitel 1). Seine Präferenz und Vorgehensweise muss nicht zwingend auch auf andere exzellente GebärdenerstsprachlerInnen, mit weniger guten schriftsprachlichen Kenntnissen zutreffen.

Die Überlegung inwieweit ein Glossensystem von Nöten ist, könnte in vielerlei Hinsicht diskutiert werden. Dies beginnt mit der Frage, ob es in der Zukunft möglich sein wird Translate anzufertigen, die dann von jemand anderem gebärdet werden und inwiefern dafür ein Glossensystem benötigt wird.

Auch das Entstehen neuer Textsorten zählt naturgemäß zum Themenkreis der translatorischen Grundregeln, wird hier jedoch nicht nochmals diskutiert.

5.4.6 Zielgruppe

Ein spezifisches Problem, das vorwiegend in der Gebärdensprache auftritt, besteht in der Tatsache, dass man zwei verschiedene Zielgruppen – nämlich hörende und gehörlose Zuseher – zufriedenzustellen hat, was wiederum auch die Wahl einer bestimmten Arbeitsstrategie erschwert (vgl. Gresswell 2001:61). Im untersuchten Fall trat dieses Problem gar nicht erst auf, da die Aufgabe lautete, für eine gehörlose Zielgruppe zu

„übersetzen“, wodurch hörende GebärdensprachbenutzerInnen außer Acht gelassen wurden. Weiters einigte man sich darauf, für Gehörlose mit einem gewissen Level an Sprachkompetenz zu „übersetzen“ (vgl. Hofstätter/Stalzer 2009).

5.4.7 Medium

Da in diesem Fall von einem schriftlichen AT in einen gebärdeten ZT „übersetzt“ wurde, gingen keine Besonderheiten der Gebärdensprache wie Mimik oder Ähnliches verloren.

Außerdem werden auf dieser Webseite keine musikalischen Untermalungen oder Geräusche verwendet.

Da des Weiteren keine Länge oder Größe des Videos vorgegeben wurde, entstanden auch keine ungewollten Textkomprimierungen durch technische Herausforderungen.

Die Problematik von Gebärden im zweidimensionalen Raum wurde bereits in der Parametertabelle erarbeitet.

5.4.8 Technik

Während der Videoaufnahme wurde mit einem Notenständer für die Bereithaltung des in deutscher Schriftsprache notierten ZT und der darin vorkommenden Schlagwörter gearbeitet (vgl. Hofstätter/Stalzer 2009). In den meisten Fällen kommen jedoch so genannten Autocues zum Einsatz, die möglicherweise eine Umstellung, dafür aber eine große Hilfe beim Gebärden sein können.

In diesem Falle kam die Doppelbelastung durch das gleichzeitige Lesen und Gebärden, wie in anderen Beispielen der Literatur angeführt wird, durch das Memorieren des zu gebärdenden Textes kaum zu tragen.

Das Video kann auf fast jedem Computer abgespielt werden, wobei die Bildqualität bei einer besseren Leistung des Computers naturgemäß auch besser ausfällt. Die Komplexität der Ausrüstung für das Ansehen des Videos ist mit der Ausrüstung für das Filmen natürlich nicht zu vergleichen. Das Filmequipment sowie das Schneiden des Filmes durch eine Fachkraft sind kostenintensiv.

Das Schneiden des Videos nahm in diesem Falle fast eine Woche in Anspruch. Des Weiteren konnte aufgrund technischer Probleme nicht wie gewünscht eine komprimierte Datei erstellt werden, weshalb da Translat dem Auftraggeber auf DVD zugesandt wurde.

Der Weg von der Idee zum fertigen Produkt war entsprechend lang. Allein die technische Arbeit kostete allen, vor allem aber dem Techniker, viele Nerven und viel Zeit (vgl.

Hofstätter/Stalzer 2009). Dass bei der Bearbeitung einer solchen Translation bzw. eines Gebärdensprachvideos auch ein/e gehörlose/r SpezialistIn oder zumindest eine gebärdensprachkompetente Person als TechnikerIn eine große Hilfe bzw. fast notwendig ist, wurde erst später deutlich. Seit der gehörlose Techniker das ITAT verlassen hat, sind die TranslatorInnen und ProduzentInnen von gebärdensprachlichen Videos auf einen Techniker ohne Gebärdensprachkenntnisse angewiesen, was die Arbeit erschwert bzw.

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deutlich zeitintensiver macht. Der Techniker kann beim Schneiden des gebärdeten Materials nicht allein arbeiten, da ein Techniker ohne gebärdensprachliche Kenntnisse beispielsweise Anfänge und Enden von Sätzen nicht selbständig erkennen kann und somit von den Schnittanweisungen der gebärdensprachkompetenten KollegInnen abhängig ist (vgl. Hofstätter/Stalzer 2009).