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Kapitel 3 Gebärdensprachtranslation

3.6 Modalität – Ein Exkurs

Es folgt nun eine kurze Erörterung gewisser spezifischer Eigenschaften der Gebärdensprache im Zusammenhang mit der Modalität bevor zum nächsten Kapitel und somit zur Fallstudie übergegangen wird. Diese Charakteristiken werden hier kurz angeführt, um gewisse scheinbare Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten zwischen dem Schriftsprach- und „Gebärdensprachübersetzen“ zu relativieren. Das Thema wurde unter 3.5.5 in Bezug auf die Visualität der Gebärdensprache bereits angesprochen, soll nun aber etwa ausführlicher behandelt werden.

Bei der Erforschung der Gebärdensprachtranslation ist es aus den genannten Gründen sinnvoll auch die modalitätsbedingten Gegebenheiten zu beleuchten, da die Beschäftigung mit der Gebärdensprache automatisch mit „einer direkten Konfrontation mit dem visuellen Phänomen einhergeht“ (Hessmann 2005:113). Das bedeutet, dass die angesprochenen Schwierigkeiten wie beispielsweise einen Schuss aus dem Off (vgl. Kapitel 1, 1.4.4) zu

„übersetzen“, kein „Problem bzw. keine Unzulänglichkeit der Sprache“, sondern ein modalitätsabhängiges Phänomen darstellt.

Bei der Erforschung von Übersetzungsvorgängen muss (wie unter 2.6 erklärt wurde) berücksichtigt werden, dass es möglicherweise Unterschiede bei den

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Übertragungsverfahren in den unterschiedlichen Sprachmodalitäten gibt. Aus diesem Grund wird, zum besseren Verständnis der Materie, auf die Relevanz und Auswirkungen der Gebärdensprachmodalität eingegangen.

Sheridan (2009:70) unterstützt diesen zuvor dargestellten Gedankengang, da sie erklärt, dass sie bei ihren Untersuchungen zur Anwendung translatorischer Strategien bei der Übersetzung zwischen zwei unterschiedlichen Modalitäten herausgefunden hat

[...] that translators of all languages, spoken or signed, encounter the same challenges.

This suggests that these processing issues are independent of modality, though clearly, the TL content is affected by the TL modality. (Sheridan 2009:69,81)

Sie bestätigt zwar, dass beim Übersetzen zwischen Sprachen mit unterschiedlichen Modalitäten besondere Strategien berücksichtig werden müssen, erklärt aber auch, dass die Gebärdensprache dabei im Allgemeinen keine Ausnahme darstellt und deshalb trotz Modalitätsunterschieden sehr wohl auch auf Erfahrungen und Erkenntnisse aus bereits vorhandenen Forschungen in der Übersetzungswissenschaft zurückgegriffen werden kann (vgl. ibid.:79). Gleichzeitig gilt es aber nicht außer Acht zu lassen, dass Modalitätsunterschiede zwischen zwei Sprachen die Komplexität gewisser Übersetzungsaufgaben natürlich erhöhen können (vgl. Brennan 1999:221).

Zum besseren Verständnis und als Grundlage der Modalitätsdiskussion, die für die Erforschung der Gebärdensprachtranslation von Bedeutung ist, wird nun erläutert, wie in der Translationswissenschaft eine modalitätsbedingte Differenzierung aussieht. Die altbekannte Darstellung eines AT und ZT in der Laut- und Schriftsprache hing bisher fast zur Gänze von der Modalität der Nachricht ab. So wurden Texte prinzipiell als mündlich (flüchtig) oder in irgendeiner Form konserviert (Tonträger, Diskette, Mikrofilm, Film, gedruckter Text etc.) (vgl. Salevsky 1992:94) beschrieben.

Auf dieser Unterscheidung basiert auch die erste Zuordnung zum Übersetzen oder Dolmetschen, bei der in einem ersten Schritt eruiert wird, in welchem Modus der Text präsentiert wird (siehe 2.3). Schon Kade (1968:34,38) zeigte jedoch auf, dass ein Text oder eine Translation allein durch die Betrachtung der optisch-graphischen bzw. akustisch-phonetischen Merkmale und graphischen bzw. motorisch-akustisch-phonetischen Wiedergabe des Textes nicht zur Genüge definiert werden kann (siehe Kapitel 2). Diese Merkmale reichen also nicht aus, um einen Text klar als Übersetzung oder Dolmetschung zu klassifizieren (vgl. Kade 1968:34,38).

Das bedeutet, dass der offensichtlichste Unterschied, nämlich die Unterscheidung in gesprochene und geschriebene Sprache für eine Differenzierung zwischen Dolmetschen und Übersetzen nicht entscheidend sein kann (vgl. Kapitel 2). Dies wird schon allein durch das Beispiel einer Aufnahme auf eine Kassette, die dann ohne vorherige Transkription

übersetzt wird, widerlegt (vgl. Gresswell 2001:52). Es werden demnach klarere Unterscheidungskriterien benötigt.

Die Modalität der Nachricht stellt ein sehr weitläufiges Phänomen dar, das es von verschiedenen Perspektiven zu erforschen gilt (vgl. Gile 1995:225). Wie schon gezeigt wurde, beschreibt der bis dato meistdiskutierte Modalitätsunterschied jenen zwischen gesprochener und geschriebener Sprache. Es gibt jedoch auch noch andere Unterscheidungsmöglichkeiten. So hängen bei SprecherInnen Vokabular und Sprachgewohnheiten von soziolinguistischen Faktoren (wie deren Profession etc.) ab. In der geschriebenen Sprache beispielsweise werden Wörter anders verwendet bzw. weisen eine unterschiedliche Verwendungsfrequenz als in der gesprochenen Sprache auf. Das markanteste Erkennungsmerkmal von Wörtern beruht bei Lautsprachen auf Schall bzw.

Klang, während die Wiedererkennung von Vokabular in schriftlichen Texten auf Abbildungen basiert (vgl. ibid.), um hier nur einige Beispiele anzuführen. Vor allem die letztere Unterscheidung ist auch für den Laien offensichtlich und verleitet zu voreiligen Schlüssen. Doch sind auch beim Vergleich von Schriftsprachen rasch Unterschiede zu erkennen, so etwa bei der Gegenüberstellung phonetischer geschriebener Sprachen mit beispielsweise dem Chinesischen oder Japanischen, das Ideogramme bzw. Piktorgramme verwendet. All dies beweist die Komplexität der Sprache per se (vgl. ibid.) und die Notwendigkeit der differenzierten Betrachtung der Sprachenmodi und deren Auswirkungen auf die Übersetzung und/oder Dolmetschung.

Somit wird deutlicher, dass bei der näheren Klärung des Terminus

„Gebärdensprachübersetzen“ wiederum die Frage der Modalität geklärt (bzw. provokant gesagt, in dieser Arbeit „außer Acht“ gelassen) werden muss, da die bloße Unterscheidung durch modalitätsabhängige Faktoren nicht einmal bei den so genannten „konventionellen Mehrheitssprachen“ ausreicht (vgl. Kapitel 2, 3.5.1). Dies wird durch folgende Ausführungen noch verständlicher.

Wie gezeigt wurde, wird in der translationswissenschaftlichen Forschung die Modalität eines Textes bzw. die Modalität an sich deshalb untersucht, da man sich dadurch Aufschlüsse über ZT-Produktion und Translationsvorgang erhofft (vgl. Heßmann 2005:113). Dies hat auch für die Gebärdensprachtranslation Gültigkeit. Grundsätzlich kann behauptet werden, dass die letzten 40 Jahre Forschung gezeigt haben, dass gebärdende und gesprochene Sprachen viele Gemeinsamkeiten miteinander teilen (vgl. Meier et al.

2002:2). Dies lässt wiederum darauf schließen, dass es viele Übereinstimmungen gibt, die nicht modalitätsabhängig sind.

Meier et al. (ibid.:4) stellen des Weiteren bisherige Definitionen die Sprachenmodalität betreffend auf den Kopf, indem sie erklären, dass es eine ungemein wichtige Erkenntnis darstellt, dass sowohl das Sprechen als auch das Gebärden Werkzeuge der Sprache sind.

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Somit kann die althergebrachte Idee, dass Sprache und Sprechen gleichzusetzen wären, aus der Sicht von Meier et al. nicht bestätigt werden, da sie durch ihre Forschungen erkannten, dass fundamentale Merkmale von Sprache nicht mit der Modalität der Sprache zusammenhängen.

Diese Forschungsergebnisse sind ein Mitgrund für die Annahme, dass Gebärdensprachdolmetschen und „Gebärdensprachübersetzen“ einen mit den Laut- und Schriftsprachen vergleichbaren Platz in der Translationswissenschaft einnehmen könnten und es trotz der offensichtlichen Modalitätsunterschiede mehr und mehr zu sprachübergreifender übersetzungs- und dolmetschwissenschaftlicher Zusammenarbeit kommen wird (vgl. ibid., Heßmann 2005:113). Dieser neue Forschungsansatz ist notwendig, da die sich stark unterscheidenden Modi bisher zu einer Reihe voreiliger Schlüsse führten, wie etwa jenem, dass, da es in der Gebärdensprache keine Schriftsprache gibt, diese auch nicht übersetzt werden kann.

Der beschriebene übergreifende translationswissenschaftliche Ansatz wird auch von Stone (2007:56) gefordert. Er zeigt auf, dass trotz unterschiedlicher Voraussetzungen, wie etwa jener, dass geschriebene Sprachen anders korrigiert und verbessert werden, und die so genannten „oraten Sprachen“ (im Falle der Gebärdensprache „orat-visuelle Sprache“) (siehe Kapitel 1 Fußnote 26) ebenso in die Übersetzungstheorie miteingebunden werden sollen, indem der Übersetzungsbegriff überdacht und neu bearbeitet wird.

Die Forderung nach einer „Erweiterung“ des Übersetzungsbegriffs ist nicht neu. Dass der Terminus Übersetzen für eine Übertragung einer schriftlichen Nachricht aus einer Sprache in eine schriftliche Botschaft in eine andere Sprache verwendet wird, nehmen zunächst auch Humphrey und Alcorn (1995:131) als gegeben an59. Sie (vgl. ibid.:132,209) beschrieben jedoch schon damals so genannte „frozen forms60“, deren Übertragung ebenfalls eine Übersetzung darstellt. Diese „frozen form“ in Form einer Videokassette bzw. DVD wird auch im Falle der Gebärdensprachaufzeichnung verwendet und könnte somit bis zu einem gewissen Grad mit einer „Verschriftlichung“ gleichgesetzt werden.

Hiervon muss aber (wie schon im Kapitel 2 erläutert wurde) die so genannte Vom-Blatt-Dolmetschung unterschieden werden, deren AT zwar auch in „frozen form“ vorliegt, aber in einem anderen Settings stattfindet (Gerzymisch-Arbogast 2009:99) und aufgrund der Übertragung in Echtzeit (vgl. Humphrey/Alcorn 1995:132) nicht als Übersetzung anzusehen ist.

59 Hatim und Mason (1990:49) gehen, wie Humphrey und Alcorn (1995), schon in den 1990er Jahren auf die Wichtigkeit der Modalität des Diskurses ein. In dieser von ihnen bearbeiteten Ausgabe wurde aber

„nur“ die Komplexität der Unterschiede zwischen mündlich und schriftlich bzw. spontan und nicht spontan beleuchtet (vgl. ibid.).

60 Es wird nicht unterschieden ob es sich beispielsweise um den zuvor genannten AT oder ZT handelt.

All diese Feinheiten und Unterscheidungen werden im Lautsprachdolmetschen und Schriftsprachübersetzen schon seit Langem diskutiert. Nun ist es an der Zeit, dass auch die Gebärdensprachforschung von diesen Erkenntnissen profitiert, um sich mit ähnlichen Fragestellungen betreffend die Gebärdensprache besser auseinandersetzen zu können61. Dies hilft bei der Betrachtung der altbekannten Parameter für das Dolmetschern und Übersetzen und bei der Eruierung ihrer Relevanz für die Unterscheidung dieser beiden Tätigkeiten.

Diese erwähnten Erkenntnisse und Gedankengänge stellen die gewohnten Definitionen bzw. Parameter für Übersetzen und Dolmetschen in der Translationswissenschaft in Frage und sollen WissenschaftlerInnen dazu auffordern, neue adäquatere Einteilungskriterien zu finden.

61 Hier sei auf Wurm (2010) verwiesen.