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Person-Umwelt-Beziehungen: Independenz und Interdependenz als kulturspezifische Deutungsmuster

Im Dokument Entwicklung im kulturellen Kontext (Seite 42-54)

5 Wirkungsfoktoren der Entwicklung im kulturellen Kontext

5.2 Person-Umwelt-Beziehungen: Independenz und Interdependenz als kulturspezifische Deutungsmuster

Um dieses letztere Defizit zu überwinden und die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Kontexten, in denen das Kind qufwächst, und seiner Entwicklung kulturspezifisch zu klären, soll hier ein eigener integrativer Ansatz vorgestellt wer-den, der die kulturspeziJischen Deutungsmodelle für die Art und den Verlauf von Entwicklungspfaden beschreibt. Dieser Ansatz geht von dem ökokulturellen An-satz unter Berücksichtigung von Wertepräferenzen aus und geht insofern darü-ber hinaus als das Konzept der Entwicklungspfade von Rothbaum, Pott, Azurna, Miyake und Weisz (2000) integriert wird und dynamische Wechselwirkungen zwischen Individuum und Kultur angenommen werden. Kulturen lassen sich als komplexe Deutungsmuster und als Perspektiven (Linsen) sehen, durch die der Einzelne sich und die Welt wahrnimmt und deutet. Mit dem kulturspezifischen Deutungsmuster werden bestimmte kulturspezifische Entwicklungspfade nahe-gelegt und andere eher ausgeschlossen (z. B. dass erwachsene Kinder mit ihren alten Eltern eher zusammen wohnen oder nicht). Das Konzept der Entwicklungs-pfade wurde von Bowlby (1988) eingeführt, um den Verlauf bestimmter Entwick-lungsmuster zu beschreiben, allerdings nicht unter Bezug auf Kulturkontexte (vgl.

K. Grossmann & K. E. Grossmann, 2004, S. 497). Rothbaum, Pott et al. (2000) verwenden das Konzept der Entwicklungspfade, um die kulturspeziJischen Ent-wicklungswege in engen Beziehungen (von der Kindheit bis zum Alter) zu be-schreiben. Später greifen auch Greenfield, Keller, Fuligni und Maynard (2003) dieses Konzept auf. Wir verwenden hier das Konzept der Entwicklungspfade, weil es den kulturspezifisch vermittelten Deutungsmodellen, die individuelles Han-deln leiten, einen zentralen Raum gibt. Einerseits kann mit dem Konzept der Ent-wicklungspfade dem Einzelnen ein hohes Maß an aktiver Konstruktion seiner eigenen Entwicklung zugeschrieben werden, andererseits werden damit sowohl Optionen als auch Einschränkungen von En twicklung angenommen, die u. a.

durch die kulturvermittelte Bedeutung von Erfahrungen innerhalb der jeweiligen Entwicklungsnische gegeben sind.

Vorstellungen vom Menschen und seiner Beziehung zur Umwelt machen ganz zentrale Merkmale kulturspezifischer Deutungsmuster aus. Nach C. Geertz (1966) vermittelt Kultur nicht nur ein Modell vom Selbst, sie stellt selbst ein

Modell für das Selbst dar. Die Beziehung zwischen Umwelt und Individuum wird in naiven Theorien über menschliche Entwicklung und menschliches Han-deln und den ihnen zu Grunde liegenden kulturspezifischen Menschenbildern thematisiert. Aus entwicklungspsychologischer Sicht ist dabei besonders inter-essant, welche Deutungsmuster das Verhalten im Entwicklungsprozess beeinflus-sen (vgl. auch Bornstein, 1980, 1989). Darüber hinaus interessiert später, wie das in der Entwicklung aufgebaute Verhalten seinerseits im Prozess der Ko-Konstruktion den kulturellen Kontext mit beeinflusst.

5.2.1 Selbstentwicklung

Zahlreiche kulturvergleichende Studien gehen davon aus, dass in Kulturen, in denen unterschiedliche Konzepte vom Selbst und der Beziehung zwischen Selbst und Umwelt relevant sind, auch unterschiedliche Entwicklungsziele und -auf-gaben die individuelle Entwicklung beeinflussen. Die unterschiedliche Bedeu-tung des Selbst als "unabhängiges" (independentes) versus "relationales" (inter-dependentes) Wesen ist im Zusammenhang mit kognitiven, emotionalen und motivationalen Prozessen nachgewiesen worden (vgl. Fiske, Kitayama, Markus &

Nisbett, 1998; Lehmann, Chiu & Schaller, 2004; Markus & Kitayama, 1991, 1994,2002; MarseIla, DeVos & Hsu, 1985; Oyserman et al., 2002; Rothbaum, Pott et al., 2000; Rothbaum, Weisz et al., 2000) (vgl. auch Friedlmeier & Matsu-moto; Helfrich; Leyendecker & Schölmerich; Schwarz; Strohschneider, in die-sem Band, sowie Oerter, im Band "Theorien und Methoden der kulturverglei-chenden Psychologie", und Six & Six-Materna, im Band "Anwendungsfelder der kulturvergleichenden Psychologie").

Nicht nur die Wahrnehmung anderer Personen, sondern auch die des eigenen Selbst ist in bestimmten Kulturkontexten sehr viel mehr auf soziale Beziehun-gen und soziale Kontexte und weniger auf individuelle Merkmale hin ausge-richtet (L. Geertz, 1973; Haberstroh, Oyserman, Schwarz, Kuehnen & Ji, 2002;

Hsu, 1985; Ito, 1985; Kobayashi, 1995; Kobayashi & Friedlmeier, 1996; Lebra, 1976). Ostasiaten beschreiben sich mehr durch interdependente oder gruppen-bezogene Merkmale, während Europäer und Nordamerikaner mehr unabhän-gige Selbstbeschreibungen bevorzugen (Wang, 2001). Dem entsprechen die Ana-lysen von Personenbeschreibungen von Shweder und Bourne (1984); danach beschreiben sich die Oriyas in Indien im Gegensatz zu US-Amerikanern nach Merkmalen interpersonaler Beziehungen und weniger gemäß abstrakten sta-bilen Merkmalen. Diese Unterschiede sind unabhängig von sozialer Schichtzu-gehörigkeit, Bildung oder Einkommen.

In der kulturspezifischen Konzeptualisierung des Selbst und der Person-Umwelt-Beziehung besteht vermutlich eine wichtige Grundlage für weitere

kulturspezi-fische kognitive, soziale und emotionale EntwickJungsprozesse. Dies belegen auch die Untersuchungen zu den kulturspezifischen VorsteUungen von einem

"guten" Kind, das in sozialorientierten Kulturen wie in Japan weniger selbst-ständig als vielmehr empathisch sein soUte (z. B. Azuma & Kashiwagi, 1987;

White & LeVine, 1986), oder von "InteJligenz", die nach afrikanischer (im Ver-gleich zu europäischer) Vorstellung primär soziale Reife (Weisheit, Vertrauens-würdigkeit, Hilfsbereitschaft, soziale Verantwortung, Empathie) und weniger kognitive Fähigkeiten bedeutet (vgl. Oasen, 1984; SerpeU, 1993; D. E. Super, 1983). Wenn z. B. die kultureUe Definition von Intelligenz primär eine soziale Dimension mit einschließt, sind in der Sozialisation des Kindes soziale Bezie-hungen und soziale Fähigkeiten bedeutsamer als nur abstraktes Denken. Wäh-rend in den USA unter InteJligenz üblicherweise das Gedächtnis, verbale Fä-higkeiten und schnelle Informationsverarbeitung verstanden werden, wird bei den West-Afrikanischen Baoule über solche Merkmale hinaus besonders die so-ziale InteHigenz, d. h. die Fähigkeit, mit anderen gut zurecht zu kommen, ge-schätzt. Bei den Baoule gilt die soziale InteUigenz mehr als die kognitive Intel-ligenz. Technische Fähigkeiten werden hoch bewertet, wenn sie in den Dienst der Gemeinschaft gesteHt werden. Auch Glück wird von den Baoule anders als von Amerikanern als Teil der InteJligenz angesehen (Oasen, 1984).

Diese Untersuchungen belegen ein Interesse an kulturspezifischen Arten von Konzepten, die ein universeJi geltendes weltlich-psychologisches Selbst-Konzept in Frage steJlen (Eckensberger & Römhild, 2000).

5.2.2 Sozialentwicklung

Die Bedeutung kulturspezifischer Deutungssysteme kann am Beispiel der SozialentwickJung in Japan im Vergleich zum Westen verdeutlicht werden.

In Japan bestimmen konfuzianisch beeinflusste Werte die Kindererziehung (vgl. Kojima, 1986, 1999), während im Westen eher individualistische Werte wie Selbstständigkeit in der Erziehung des Kindes vorherrschen (Kornadt &

Trommsdorff, 1990; Trommsdorff, 1985; Trommsdorff & Kornadt, 2003).

Japanische Mütter sehen ihr Kind als ein Teil ihrer selbst, während sich deut-sche und amerikanische Mütter ein selbstständiges, unabhängiges Kind wün-schen. Japanische Mütter legen Wert darauf, dass ihr Kind geduldig ist, sich anstrengt, sich ständig bemüht und sich den sozialen Regeln anpasst, während deutsche und amerikanische Mütter ihr Kind darin ermutigen, unabhängig zu werden, sich kreativ, individuell und selbstbewusst zu verhalten. Während in ostasiatischen Kulturen wie auch in Japan derjenige als eine "reife" Persönlich-keit gilt, der ein hohes Maß an SelbstkontroHe besitzt und in seinem Verhalten möglichst stark mit den soziokulturellen Regeln übereinstimmt, um dem über-geordneten Ziel der sozialen Harmonie zu dienen, wird im Westen als

Erzie-hungsziel einer "reifen" Persönlichkeit Selbstständigkeit und Kreativität als ent-sprechendes Ideal gesehen (Friedlmeier, 1995; Kornadt & Trommsdorff, 1990;

Trommsdorff, 1983, 1989c).

Je nach Einbettung in ein eher individual- versus gruppenorientiertes kulturelles Deutungssystem kann daher gleiches elterliches Verhalten (z. B. elterliche Gehor-samsforderungen) vom Kind unterschiedlich gedeutet und damit unterschied-lich wirksam werden (z. B. als Zuwendung oder Ablehnung) (Trommsdorff,

1985, 1995) und unterschiedliche elterliche Verhaltensweisen (emotionale ver-sus autoritäre Appelle) können mit gleichen Fortschritten in der kognitiven Ent-wicklung zusammenhängen (Conroy et al., 1980). Allerdings wäre es vorschnell, auf schlichte Kausalbeziehungen zwischen Elternverhalten und kognitiver Ent-wicklung des Kindes zu schließen und den hier angenommenen Einfluss des kulturellen Kontextes, bzw. hier des Deutungssystems, zu ignorieren.

Zusammenhänge zwischen Deutungsmodellen naiver mütterlicher Erziehungs-theorien und der sozialen und emotionalen Entwicklung in asiatischen und west-lichen Kulturen untersuchten Kornadt und Trommsdorff (1990). Sie zeigen, dass japanische und balinesische im Vergleich zu deutschen und schweizerischen Müt-tern eher von kindbezogenen Deutungssystemen ausgehen und Fehlverhalten ihres Kindes nicht als böswillig verurteilen, sondern als "kindlich" entschuldi-gen. Entsprechend ihren Erziehungszielen und -theorien glauben japanische und balinesische anders als deutsche Mütter, das Kind müsse zwar streng, aber lie-bevoll erzogen werden und es müsse Gehorsam lernen, ohne dass sich die Mut-ter jedoch durchsetzen sollte. Vielmehr versucht die japanische Mutter, eine selbstverständliche Harmonie zwischen sich und dem Kind in einer sehr engen emotionalen Bindung aufrechtzuerhalten, während westliche Mütter eine part-nerschaftliche Beziehung bei hoher Selbstständigkeit und Durchsetzungsfähig-keit des Kindes anstreben und dabei in selbstwertbedrohliche Konflikte mit dem Kind geraten (Trommsdorff, 1995, 2005b; Trommsdorff & Kornadt, 2003).

Dazu kommen die konsistenten Erfahrungen von Harmonie und Sicherheit in der persönlichen Umgebung. Frustration und Ärgererfahrungen werden somit wenig relevant, und damit besteht geringer Anlass für aggressives Verhalten. Dies könnte auch dazu beitragen, dass ein stärkeres Affiliationsbedürfnis und höhere Kooperationsbereitschaft in der Gruppe (Lewis, 1986) en twickelt wird. Tatsäch-lich sprechen die Kulturvergleiche von Kornadt, Hayashi, Tachibana, Tromms-dorff und Yarnauchi (1992) dafür, dass Entwicklungsbedingungen für eine gerin-gere Aggressivität in gruppenorientierten Kulturen wie in Japan und in Indonesien (Bali, Batak) im Vergleich zu eher individualorientierten Kulturen wie Deutsch-land und der Schweiz bestehen. Die geringe Aggressivität von japanischen, baline-sischen und Batak-Jugendlichen im Vergleich zu deutschen und schweizerischen Jugendlichen lässt sich auf die unterschiedlichen kulturspezifischen

Überzeugun-gen und damit verbundenen Mutter-Kind-Interaktionen zurückführen. Als Bei-spiel sei hier nur die Bedeutung von Selbstdurchsetzung, Autonomie und Kon-fliktbereitschaft in westlichen Kulturen und die Bedeutung von sozialer Orientie-rung, Kooperation und Einbindung in die Eigengruppe in asiatischen Kulturen genannt. Japanische und indonesische (Bali, Batak) im Vergleich zu deutschen Kindern und Jugendlichen neigen zudem eher zu empathisch-prosozialem Ver-halten (Kornadt, 1990, 2002, 2003, in diesem Band; Kornadt & Tachibana, 1999). Bei einem sozial- im Vergleich zu einem individualorientierten Deutungs-modell werden die Person-Umwelt-Beziehungen eher harmonisch strukturiert (vgL Trommsdorff, 2005b, 2006b). Entsprechend entwickeln sich unterschied-liche Kontrollorientierungen - im Westen eher auf Assimilation (Veränderung der Umwelt) und in Asien eher auf Akkomodation (Veränderung des Selbst) ausgerichtet (vgL Rothbaum, Weisz & Snyder, 1982).

Diese Beispiele von Studien zu Kulturvergleichen mit japanischen und deutschen Probanden dürfen zum einen nicht als Aussagen über Japan und Deutschland verstanden werden, denn es handelt sich hier zum einen nicht um repräsenta-tive Untersuchungen und zum anderen fehlen Vedaufsstudien, die den sozialen Wandel in bei den Ländern mit einbeziehen. Um jedoch die oben skizzierte Auf-fassung dynamischer Wechselwirkungsprozesse zwischen Persönlichkeitsentwick-lung und Wandel des kulturellen Kontextes zu prüfen, sind systematische Ver-laufsstudien erforderlich. So lässt sich am Beispiel kultureller Unterschiede in Schüchternheit zeigen, dass zwar erhebliche Unterschiede in der sozialen Akzep-tanz von Schüchternheit bei westlichen und chinesischen Kindern nachzuwei-sen sind (Chen, 2000), diese Unterschiede verändern sich jedoch im Entwick-lungsverlauf mit zunehmenden Alter (Rubin & Rose-Krasnor, 1992). Besonders eindrucksvoll ist jedoch, dass die vor einer Dekade nachgewiesene höhere Aus-prägung von Schüchternheit bei chinesischen Kindern und Jugendlichen in-zwischen erheblich reduziert ist (Chen, Cen, Li & He, 2005). Die Autoren füh-ren dies auf den dramatischen soziokulturellen Wandel in China zurück, mit dem ganz andere Anforderungen (u. a. der Durchsetzung und des Wettbewerbs) an die Entwicklung von sozialer Kompetenz gestellt werden. Soziale Entwicklung impliziert immer auch die Entwicklung von sozialer Kompetenz; damit ist die Frage gestellt, was für das jeweilige Entwicklungsalter und im gegebenen Ent-wicklungskontext als sozialo.kompetent angesehen wird (Trommsdorff, 2005b).

5.2.3 Kognitive und moralische Entwicklung

Besonders auch für die kognitive und moralische Entwicklung zeigen sich Kul-turunterschiede, die in diesem Sinne als ,,Anpassungen" an kulturelle Anforde-rungen und Ergebnis von kulturspezifischen Entwicklungspfaden interpretiert

werden können (Eckensberger & Zimba, 1997; vgl. Keller & Krettenauer, in diesem Band). Die Wahrnehmung der eigenen Person als eigenständiges Indivi-duum versus als Teil einer sozialen Gruppe bewirkt offenbar eine unterschied-liche Enrwicklung des moralischen Urteilens (Snarey, 1985) bzw. der ihm zu Grunde liegenden Attribuierungen von Verhalten (Miller, 1984). Der im Westen bekannte ,,Attribuierungsbias", eigenes Verhalten eher auf externe und das Ver-halten anderer Personen eher auf interne Faktoren zurückzuführen (Jones &

Nisbett, 1972), besteht offenbar in dieser Weise nicht in solchen Kulturen, in denen eine "kontextuale", d. h. in situative Bedingungen eingebettete Perso-nenwahrnehmung, üblich ist. Miller (1984) berichtet über entsprechende At-tribuierungsunterschiede bei hinduistischen und amerikanischen Kindern, Ju-gendlichen (11- und 16-Jährige) und Erwachsenen. Amerikanische Erwachsene bevorzugen erwartungsgemäß eher dispositioneJJe (auf Merkmale der Person fo-kussierte) und weniger kontextuelle (auf soziale Bedingungen fokussierte) At-tribuierungen des Verhaltens anderer Personen. Bei hinduistischen Probanden sind die Attribuierungstendenzen entgegengesetzt.

Querschnittvergleiche zwischen unterschiedlichen Altersgruppen der beiden Kul-turen zeigen darüber hinaus, dass amerikanische im Vergleich zu hinduistischen Probanden mit zunehmendem Alter mehr dispositionelle Attribuierungen be-vorzugen, also in Merkmalen der Person Verhaltens ursachen sehen; hinduistische Probanden zeigen dagegen mehr kontextuelle Attribuierungen, d. h. sie erklären das Verhalten anderer eher auf Grund situativer Bedingungen (vgl. Trommsdorff, 2006a). Die Bewertung von eigenem und fremdem Verhalten als moralisch

"gut" oder "schlecht" hängt nun aber mit den Attribuierungstendenzen

zusam-men. Wenn Fehlverhalten nicht der handelnden Person, sondern externen

Be-dingungen zugeschrieben wird, fällt die moralische Abwertung des Handeln-den milder aus. Dies entspricht anderen BefunHandeln-den, nach Handeln-denen asiatische im Vergleich zu nordamerikanischen Probanden generell Ereignisse, die durch be-stimmte Situationen ausgelöst wurden, weniger auf Dispositionen des Handeln-den attribuieren (Miyamoto & Kitayama, 2002; Morris & Peng, 1994).

5.2.4 Leistungsentwicklung und Selbstregulation

Leistung und Leistungsmotivation hängt mit Attribuierungstendenzen zusam-men (Weiner, 1986). Inzwischen wird jedoch die Annahme, dass die Attribu-ierung von Leistungserfolgen auf internale und stabile Merkmale universell förderlich für die Enrwicklung von Leistungsmotivation ist, aus kulturverglei-chender Sicht bestritten, weil kulturspezifische Werthaltungen in Bezug auf Leistung bestehen (vgl. Kornadt, in diesem Band). Im Westen wird der eigenen Fähigkeit und in Ostasien eher der eigenen Lernbereitschaft und Anstrengung

eine größere Bedeutung gegeben (Stevenson & Stigler, 1992). Die Rolle der eigenen Anstrengung für den Leistungserfolg wird bei chinesischen und west-lichen Kindern verschieden beurteilt (vgl. Salili & Mak, 1988). Dies hängt mit der konfuzianischen Lerntradition zusammen (vgl. Yu & Yang, 1994), in der ja Selbstdisziplin und ständiges Üben (s. o. guang) (vgl. Chao, 1994; Chao &

Tseng, 2002) als zentral gelten, und dies lässt sich in Zusammenhang mit dem kulturspezifischen chinesischen Lernmodell erklären (Li, 2002).

So ist auch die Entwicklung von Selbstregulation im Zusammenhang mit be-vorzugten kulturellen Modellen vom Menschen und entsprechenden Entwick-lungsanforderungen zu sehen. In dem kulturellen Paradigma der Independenz ist das primäre Entwicklungsziel auf Selbstverwirklichung (der eigenen Poten-ziale) ausgerichtet. Eigener Erfolg hat hier einen hohen Wert und erhöht die ei-gene Selbstbewertung (Kitayama, Markus, Matsumoto & Norasakkunkit, 1997).

In dem Paradigma der Interdependenz ist das Entwicklungsziel hingegen, eigene Fähigkeiten für die Verfolgung von Gruppenzielen zu verbessern. In zahlreichen Studien wurde nachgewiesen, dass Asiaten im Vergleich zu Nordamerikanern sich selbst und ihre eigenen Leistungen eher bescheiden darstellen; sie sind selbstkri-tischer und verwenden mehr negative sowie weniger positive Merkmale für die Selbstbeschreibung (Heine & Lehman, 1997; Überblick bei Lehman et al., 2004). Eine Aufgabe zukünftiger kulturvergleichender Forschung ist, mögliche Kultur-spezifika in der Selbstregulation beim Vergleich westlicher und ostasiatischer Per-sonen zu identifizieren. Mit der unterschiedlichen Kontrollorientierung liegen Hinweise auf die unterschiedlich ausgeprägte Bereitschaft vor, das eigene Selbst zu verändern bzw. den Kontextbedingungen anzupassen.

5.2.5 Emotionale Entwicklung

Unterschiedliche Person-Umwelt-Konzepte sind offenbar auch eine Ursache für Kulturunterschiede in der Entwicklung von Emotionen - ihrem Ausdruck, Er-kennen, Erleben und ihrer Regulation (Friedlmeier, 2005; Friedlmeier & Matsu-moto, in diesem Band; Holodynski & Friedlmeier, 2005; Mesquita et al.,

1997). Neben universellen Grundernotionen (Ekman, 1973; Izard, 1980) wer-den dem kulturellen Wertekontext entsprechend eher selbst-oder sozialbewgene Emotionen aufgebaut und handlungswirksam (Friedlmeier & Trommsdorff, 2001; Kitayama & Markus, 2000; Markus & Kitayama, 1991; Trommsdorff, 1993b; Trommsdorff & Friedlmeier, 1999). In einem sozialorientierten Ent-wicklungskontext wird verstärkt ein sozialorientierter Ausdruck von Emotionen gelernt, bei dem eher positive als negative, den anderen verletzende Emotionen bevorzugt werden. Bei den sozialorientierten Ifaluk werden negative Emotionen wie Ärger als "unreif' sanktioniert und treten kaum auf (Lutz, 1990). Ähnlich

lässt sich bei japanischen im Vergleich zu deutschen Jugendlichen zeigen, dass weniger Ärger- als Schuldemotionen ausgelöst werden, wenn Jugendliche eine Frustration oder Aggression erlebt haben (Kornadt et

aI.,

1992). Dem entspricht, dass japanische weniger als deutsche Kinder Enttäuschung zeigen, wenn sie frus-triert sind (Friedlmeier & Trommsdorff, 1999; Trommsdorff & Friedlmeier, 1999). Beobachtungsstudien an japanischen und deutschen Kindern belegen darüber hinaus entwicklungsalters-und kulturabhängige Prozesse der Emotions-regulation; u. a. können deutsche Kinder zu einem früheren Entwicklungszeit-punkt ihre negativen Emotionen "allein", d. h. ohne die Hilfe der Mutter zu be-anspruchen, regulieren (Friedlmeier & Trommsdorff, 1999, 2001, 2002, 2005;

Trommsdorff & Friedlmeier, 1999). In diesem Zusammenhang sind gegenwär-tig einflussreiche Theorien der Emotionsregulation (wie z. B. von Gross, 2002;

Ochsner & Gross, 2004), die keine entwicklungs- und kulturspezifischen Aus-sagen machen, daraufhin zu prüfen, ob z. B. der angenommene Gegensatz von

"supression" und "expression" sowie die disfunktionale Wirkung von "supression"

kulturübergreifend auftreten oder ob z. B. für ostasiatische Kulturen, wo auch andere Muster von Kontrollorientierung (s. u.: primäre vs. sekundäre) bestehen, ein anderes durchaus funktionales adaptives System der Emotionsregulation (so-wie auch der Verarbeitung von Stress) üblich ist und in der Entwicklung aufge-baut wird. Dies könnte vieHeicht auf den ersten Blick wie "supression" erschei-nen, muss jedoch aus kulturinformierter Perspektive als authentischer Ausdruck einer "reifen", sozial kompetenten Persönlichkeit gesehen werden. Die hier zu Grunde liegenden adaptiven Prozesse der Selbst-und Emotionsregulation sind bisher nicht eigens empirisch untersucht worden (Trommsdorff, 2006c).

5.2.6 Kontrofforientierung

Ein Aspekt der kulturspezifischen Deutungsmuster bezieht sich auf Kontroll-erwartungen, d. h. auf die Frage, ob die Entwicklung eher durch die Umwelt oder von der eigenen Person gestaltet wird oder ob für den Umgang mit der Umwelt eher Akkomodation oder Assimilation bevorzugt wird (Rothbaum et al., 1982). Diese Konzepte werden zwar ähnlich wie bei Piaget verwendet, um die Anpassung an die Umwelt und die Veränderung der Umwelt zu beschreiben, sie werden bei Rothbaum et al. (1982) jedoch verwendet, um unterschiedliche kultureHe Werthaltungen zu beschreiben, die sich auch in verschiedenen Co-ping-Strategien niederschlagen. Empirische Studien belegen, dass sich die Kon-troHorientierungen von Jugendlichen aus individual- und gruppenorientierten Kulturen deutlich unterscheiden (Essau, 1992; Essau & Trommsdorff, 1995;

Seginer, Trommsdorff & Essau, 1993; Trommsdorff, 1989c; Trommsdorff &

Essau, 1998). Diese Kulturvergleiche belegen, dass, anders als in westlichen Ent-wicklungstheorien angenommen, in sozialorientierten Kulturen keineswegs ein

Primat der primären KontroHüberzeugung besteht (vgJ. Trommsdorff, 2005a,

2006a). Im Gegenteil, um Harmonie mit anderen Gruppenmitgliedern zu er-halten, ist man dort eher bereit, die eigenen Wünsche und Ziele zurückzustellen und sich den Anforderungen der Umwelt anzupassen. Entsprechend werden Kinder eher zur Nachgiebigkeit und erfolgreichen Konfliktregelung erzogen. Die Eltern vermitteln diesen Wert der sekundären Kontrollorientierung auch durch ihr eigenes Modellverhalten, z. B. durch größere Nachgiebigkeit (vgl. Verhalten japanischer Mütter in Konflikt mit dem Kind, Trommsdorff & Kornadt, 2003).

Kontrollüberzeugungen gehen auch ein in die Zukunftsorientierung und dar-auf bezogenes Planungsverhalten (Trommsdorff, 1986). Wenn besondere Ent-wicklungsanforderungen gegeben sind (z. B. an arabische Mädchen im Kontext soziokulturellen Wandels), werden durchaus primäre und sekundäre Kontroll-überzeugung gleichzeitig bevorzugt (vgl. Seginer, 2005; Seginer & Mahajna, 2003; Seginer et al., 1993).

Kontrollüberzeugungen hängen auch mit Attribuierungspräferenzen von Erzie-hern zusammen und beeinflussen ihr Verhalten. Die Ursachenzuschreibung von Fehlverhalten des Kindes unterscheidet sich gemäß kulturellen Deutungsmus-tern: Japanische Mütter attribuieren bei ihren Kindern weniger Intentionen bei Fehlverhalten als westliche Mütter (Kornadt & Trommsdorff, 1990; Tromms-dorff & Kornadt, 2003). Generell unterstellen koreanische Mütter ihren Kindern weniger Intentionalität und stärker nicht beeinflussbare Umweltbedingungen als Erklärung für Verhalten und Entwicklung ihres Kindes (Schwarz et al., 2005;

Trommsdorff & Friedlmeier, 2004). Dies entspricht den oben skizzierten Er-gebnissen der kulrurvergleichenden Studien zu Attribuierungstendenzen (vgl.

Miller, 1984). Eine Folge für die Entwicklung des Kindes ist, dass japanische Mütter bei Fehlverhalten ihres Kindes weniger selbstwertbelastende, konflikt-hafte Auseinandersetzungen erleben, wobei Verzichte und Anpassungen auf bei-den Seiten im Sinne einer "sekundären" Kontrollorientierung üblicher sind als bei deutschen Mutter-Kind-Interaktionen (Trommsdorff, 1989c). Damit hängt eine geringere Entwicklung von Aggression bei japanischen im Vergleich zu deut-schen Jugendlichen zusammen (Kornadt, 1987, 1989,2002, in diesem Band).

Japanische Mütter repräsentieren für ihre Kinder somit auch weniger aggressive Modelle. Die Aggressivität ihres Kindes ignorieren sie eher und unerwünschtes Kindverhalten deuten sie durch positive Attribuierungen selbstwertschonend. Sie geben dem Kind verstärkt das Gefühl von Geborgenheit und vermitteln ihm ein

Japanische Mütter repräsentieren für ihre Kinder somit auch weniger aggressive Modelle. Die Aggressivität ihres Kindes ignorieren sie eher und unerwünschtes Kindverhalten deuten sie durch positive Attribuierungen selbstwertschonend. Sie geben dem Kind verstärkt das Gefühl von Geborgenheit und vermitteln ihm ein

Im Dokument Entwicklung im kulturellen Kontext (Seite 42-54)