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Zur Person Agathe Lasch

Ein Projekt an der Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin

3. Zur Person Agathe Lasch

Für die Recherche nach biographischen Angaben über Agathe Lasch wur-de die Literatur gesichtet. In Gewur-denkartikeln ehemaliger Schüler und Kolle-gen zur Person Agathe Lasch finden sich viele AussaKolle-gen zu ihrem Werk und ihrem Leben.21 Aus diesen sich teils stark widersprechenden Quellen lässt sich zwar bereits vieles erfahren – durch die erheblichen Lücken und Wider-sprüche22 blieb aber eine weitergehende Archivrecherche erforderlich.

Durch Einsichtnahme ihrer Personalakte der Hamburger Universität im Staatsarchiv der Hansestadt, die Durchsicht ihrer Vermögenserklärung im BLHA Potsdam und vor allem durch den Kontakt zu der Publizistin Christine M. Kaiser, die parallel zu dem Provenienzforschungsprojekt der Humboldt-Universität an einer Biographie der Germanistin arbeitete,23 konnten viele Fragen geklärt werden.

Luise Agathe Lasch wurde am 4. Juli 1879 als dritte Tochter von fünf Kindern einer Kaufmannsfamilie geboren. Als Frau durfte sie in Preußen weder Abitur machen, noch studieren und musste Umwege gehen, um zu Bildung zu gelangen. Sie besuchte die höhere Mädchenschule und danach

20 Sören Flachowsky: Die Bibliothek der Berliner Universität während der Zeit des Nationalsozialismus. Berlin: Logos 2000 (= Berliner Arbeiten zur Bibliothekswis-senschaft 2), S. 101.

21 Stellvertretend sei hier auf die Artikel ihres Kollegen Borchling und ihrer Schüle-rin Jaatinen verwiesen: Conrad Borchling: Agathe Lasch zum Gedächtnis. In: Nie-derdeutsche Mitteilungen 2 (1946), S. 7–20; Martta Jaatinen: Professor Agathe Lasch zum Gedächtnis. In: Neuphilologische Mitteilungen 48 (1947), S. 130–141.

22 Vgl. hierzu die aufgewiesenen Widersprüche in Katja Krumm: Agathe Lasch im Spiegel der Forschung: Widersprüche und Desiderate. In: Korrespondenzblatt des Vereins für Niederdeutsche Sprachforschung, Bd. 105 (1998), 2, S. 58–62.

23 Die Biographie ist im Herbst 2007 erschienen: Christine M. Kaiser: Agathe Lasch.

Erste Germanistikprofessorin Deutschlands. Teetz: Hentrich & Hentrich / Berlin:

Stiftung Neue Synagoge Berlin, Centrum Judaicum 2007 (= Jüdische Miniaturen 63).

das Lehrerinnenseminar in Berlin, legte 1898 die Lehrerinnen- und Turnleh-rerinnenprüfung ab und holte 1906 im Alter von 27 Jahren ihr Abitur nach.

Als Frauen 1908 in Preußen zum Studium zugelassen wurden, verhinderte die Ablehnung des zuständigen Professors Gustav Roethe (1859–1926) ein Studium in Berlin. Also studierte Lasch in Halle und Heidelberg, wo sie 1909 mit dem ersten Teil ihrer Geschichte der Schriftsprache in Berlin bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts24 promoviert wurde. Kurze Zeit darauf, im März 1910, legte sie das Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien ab. Trotz all dieser Erfolge hatte sie als Frau und Jüdin in Deutschland zu diesem Zeit-punkt keine Aussicht auf eine akademische Anstellung, weshalb sie 1910 an das führende amerikanische Frauencollege Bryn Mawr in Pennsylvania ging.

Wegen des Ersten Weltkriegs und des drohenden Kriegseintrittes der USA als Gegner des Deutschen Kaiserreichs verlängerte sie ihren Vertrag nicht und kehrte 1916 nach Deutschland zurück. Produktiv war ihre Zeit in den USA allemal, stellte sie hier doch eines ihrer Hauptwerke fertig, die Mittel-niederdeutsche Grammatik.25

Hatte der Krieg ihren Aufenthalt in den USA erschwert, erleichterte er ihr ironischerweise den Einstieg in eine akademische Karriere in Deutschland:

1917 fing Lasch bei Conrad Borchling (1872–1946) als wissenschaftliche Hilfsarbeiterin am Deutschen Seminar des Hamburger Kolonialinstitutes an, nachdem dieser aufgrund des Krieges über Mitarbeitermangel klagte. Zu ihren Aufgaben zählten sowohl die Lehre, als auch die Koordination des Hamburgischen Wörterbuchs,26 einem umfassenden Sammel- und Auswer-tungsprojekt. Dort konnte sie sich im Herbst 1919 an der neu gegründeten Hamburger Universität habilitieren. 1923 erhielt sie als erste Frau an ihrer Lehranstalt und erste Frau deutschlandweit auf dem Gebiet der Germanistik den Professorentitel, allerdings erst 1926 einen Lehrstuhl für die niederdeut-sche Philologie. Gemeinsam mit Conrad Borchling initiierte sie in diesem Zeitraum ein weiteres Wörterbuchprojekt, die Neubearbeitung des Mittelnie-derdeutschen Handwörterbuchs. Ihre eigenen Studien trieb sie ebenfalls voran und publizierte 1925 mit Aus Alten Niederdeutschen Stadtbüchern. Ein Mittelniederdeutsches Lesebuch27 eine kommentierte Sammlung wichtiger sprach- wie rechtshistorischer Quellentexte.

24 In erweiterter Form publiziert als Agathe Lasch: Geschichte der Schriftsprache in Berlin bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts. Dortmund: Ruhfus 1910.

25 Agathe Lasch: Mittelniederdeutsche Grammatik. Halle: Niemeyer 1914 (= Samm-lung kurzer Grammatiken germanischer Dialekte 9).

26 Das Projekt wurde erst 2006 beendet: Hamburgisches Wörterbuch. Auf Grund der Vorarb. von Christoph Walther und Agathe Lasch. Hg. von Beate Hennig und Jür-gen Meier. Neumünster: Wachholtz 2006.

27 Agathe Lasch: Aus alten niederdeutschen Stadtbüchern. Dortmund: Ruhfus 1925 (= Hamburgische Texte und Untersuchungen zur deutschen Philologie, Reihe 1, Bd. 2).

Mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus und der »Machtergreifung«

wurde ihre jüdische Abstammung prägend für ihr Leben. Nachdem sie es durch ihre Beharrlichkeit und Mobilität geschafft hatte, viele der Nachteile zu überwinden, mit denen sich Frauen auf dem Weg zu Bildung und akademi-scher Karriere zu ihrer Zeit konfrontiert sahen, wurden ihr nun durch die nationalsozialistische Rassenideologie Hindernisse in den Weg gelegt, die sie nicht mehr umgehen konnte, solange sie in Deutschland blieb. Ihr Patriotis-mus, der in mehreren überlieferten Aussagen, an die sich Claudine de l’Aigles und Erich Nörrenberg erinnern, zum Ausdruck kommt, hat ihr nicht geholfen: »›Ich habe niemals einen Menschen leidenschaftlich geliebt‹, hat sie mir einmal gesagt. ›Die zwei Abstrakta, die ich mit höchster Leidenschaft liebe, sind: Germanistik und Deutschland.‹«28 und »Ich habe Deutschland immer geliebt, und diese Liebe kann mir auch kein Hitler aus dem Herz rei-ßen.«29

Ihre guten Verbindungen ins Ausland sowie ihr hohes Ansehen bei ihren Studierenden führten zu zwei Unterstützungserklärungen.30 Durch diese ge-lang es, ihre Entlassung bis zum Juni 1934 hinauszuzögern, aber sie konnte dem »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« vom 7. April 1933, das de facto die »Arisierung« des Beamtentums verfolgte, nicht auf Dauer entgehen.

Die zunehmende Isolation in Hamburg veranlasste sie 1937 nach Berlin zu ziehen, wo sie sich bis zu ihrer Deportation eine Wohnung mit zwei ihrer Schwestern teilte. Nachdem Juden seit 1938 der Zugang zu wissenschaftli-chen Bibliotheken untersagt war, bot ihr die Privatbibliothek die einzige unmittelbare Möglichkeit, begonnene Forschungen weiterzuführen.31

28 Claudine de l’Aigles: Agathe Lasch. Aus ihrem Leben. In: Niederdeutsches Jahr-buch 82 (1959), S. 1–5, hier S. 3.

29 Erich Nörrenberg: Erinnerungen und Dank an Agathe Lasch. In: Niederdeutsches Jahrbuch 82 (1959), S. 6–7, hier: S. 7.

30 Bis heute ist nicht ganz geklärt, wer die Petition ihrer Schüler initiiert hatte. Sie ist in den Akten der Hochschulbehörde im Hamburger Staatsarchiv anscheinend nicht mehr vorhanden. Lediglich eine Bleistiftnotiz in einem Auskunftsantrag eines ehe-maligen Studenten Agathe Laschs weist mit dem lapidaren Kommentar »Es war Niekerken« auf Walther Niekerken hin. – Bitte von Ernst Windler um Bestätigung seiner Unterstützung der Eingabe für den Verbleib A. Laschs an der Hamburger Uni an den Senator für das Schulwesen Hamburg vom 10.8.1946. StA HH, Hoch-schulwesen Dozenten- u. Personalakten IV 596 Lasch, Agathe Bl. 9. Sollte Nie-kerken tatsächlich der Initiator dieser studentischen Petition 1933 gewesen sein, ist dies ein interessanter Beleg dafür, dass die Parteieintritte in die NSDAP vieler Wissenschaftler zu dieser Zeit nicht unbedingt für absolute Unterstützung der na-tionalsozialistischen Ideologie sprechen müssen, wie Kaiser es beispielsweise bei Hans Teske argwöhnt, siehe Kaiser: Agathe Lasch (Anm. 23), S. 53.

31 Eine Zeit lang bot sich über ihre finnische Studentin Martta Jaatinen die Möglich-keit an Bücher aus den Berliner Bibliotheken zu kommen.

Erst spät, Anfang 1939, bemühte sich Lasch um Berufungen ins Ausland.

Ein Ruf an die Universität in Dorpat (Estland) auf einen Lehrstuhl für Ger-manistik wurde durch die Einmischung des Auswärtigen Amtes verhindert.32 Ein letzter Versuch ihrer Schülerin und Freundin Claudine de l’Aigles, 1941 durch eine Petition über die Hamburger Universität eine Verbesserung der Behandlung Agathe Laschs zu erwirken, scheiterte. Selbst Conrad Borchling, der sich noch 1939 für sie in einem Gutachten stark machte,33 sah Ende 1941 keine Möglichkeit mehr, ihr zu helfen.34

Neben ihrer Familie, allen voran den bei ihr wohnenden Schwestern Els-beth und Margarete, hielten vor allem ihre Schüler bis zum Ende zu ihr;

Martta Jaatinen, Claudine de l’Aigles und Erich Nörrenberg korrespondierten mit ihr und/oder besuchten sie bis zum August 1942. So beglückwünscht sie Martta Jaatinen noch Anfang August 1942 brieflich zur Fertigstellung ihrer Dissertation.

Die Schwestern wurden der Dokumentation zufolge mit dem Transport vom 15. August 1942 nach Riga »evakuiert«, wie es in der Sprachregelung der Nationalsozialisten hieß. Sie erreichten aller Wahrscheinlichkeit nach am 18. August Riga, gelangten aber wohl nicht mehr in das dortige Ghetto, son-dern kamen vermutlich bei den Massentötungen um Riga ums Leben.35 Das Fragezeichen hinter Agathe Laschs Todesdatum muss jedoch trotz dieser bisher stichhaltigsten Rekonstruktion verbleiben.

Mit über 90 Publikationen – davon einige auch heute noch aufgelegte oder gar erst vollendete Standardwerke – reicht ihr wissenschaftliches Vermächt-nis weit über ihren Tod hinaus. Im öffentlichen Gedenken ist Lasch mittler-weile durch verschiedene Erinnerungsorte vertreten: Unter anderem weisen in Berlin und Hamburg Straßennamen oder so genannte Stolpersteine auf sie hin, seit kurzem ist eine Internetseite über sie eingerichtet.36

32 Staatsarchiv Hamburg (StA HH), Hochschulwesen Dozenten- u. Personalakten IV 596 Lasch, Agathe, Bl. 5f., Abschrift des Schreibens der Deutschen Gesandtschaft Reval (gez. Frohwein) an das Auswärtige Amt Berlin über die Germanistische Professur in Dorpat (Estland), 14.2.1939.

33 StA HH, Hochschulwesen Dozenten- u. Personalakten IV 596 Lasch, Agathe, Bl.

2, Abschrift einer Stellungnahme zu Agathe Lasch von Conrad Borchling an Prof.

F. Jäger, Dekan der Philosophischen Fakultät Hamburg bezüglich der Anforderung der Gesandtschaft.

34 Siehe hierzu Kaiser: Agathe Lasch (Anm. 23), S. 64.

35 Ebd., S. 70f.

36 Die letzte erfolgte Ortsbenennung nach der Germanistin erfolgte erst 2004 in Berlin, siehe Klaus-Dieter Gröhler: Rede des Baustadtrat Klaus-Dieter Gröhler zur Benennung der Anlage zwischen Johann-Georg-Straße, Joachim-Friedrich-Straße und Kurfürstendamm nach Agathe Lasch am 1.10.2004.

URL: http://www.berlin.de/ba-charlottenburg-wilmersdorf/ba/041001lasch.html

Bilanz

Das Provenienzforschungsprojekt zur Privatbibliothek Agathe Laschs hat mehr erreicht, als lediglich die noch existierenden Bände im Bibliothekssy-stem der Humboldt-Universität aufzuspüren. Die begleitenden, umfassenden Archivrecherchen erhellten die Umstände, unter denen diese Bücher in die Humboldt-Universität gelangten. Durch diese Recherchen wurde ein umfas-sendes Know-how zur Bücherbeschaffung im Dritten Reich erworben, das auch in weiteren Projekten Anwendung finden könnte. Zu guter Letzt konnte über die im Projektverlauf gewonnenen Kontakte die Verbindung zu den Erben der Germanistin hergestellt und ein Restitutionsverfahren eingeleitet werden. Mit den Vorträgen und Publikationen37 reiht sich die UB der Hum-boldt-Universität nicht nur in die Bemühungen um die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit im Bibliothekswesen ein, sondern auch in die biographische Forschung zur Person Agathe Laschs.

Wie dieses Projekt zeigt, sollte man diese beiden Bereiche nicht getrennt voneinander betrachten. Wo es möglich ist, sollten biographische und biblio-thekarische Forschung verknüpft werden, um für beide Aspekte zufrieden-stellendere Resultate zu erzielen und zur Vergangenheitsbewältigung im größeren Rahmen beizutragen. Der repräsentative Einzelfall Agathe Laschs und der Beschlagnahmung und Zerstreuung ihrer Privatbibliothek illustriert sehr einprägsam die Abläufe der nationalsozialistischen Bürokratie.

Die Restitutionsbemühungen der Humboldt-Universität führten zu einem Treffen mit der Großnichte Agathe Laschs im September 2007 in Berlin. Die Familie wollte die Bücher – bis auf einige Erinnerungsstücke – nicht zurück, vielmehr schenkte sie der Universitätsbibliothek die gefundenen Reste der Privatbibliothek. Sie sollen den Studierenden weiter zur Verfügung stehen.

So sind die Bücher heute – gut 65 Jahre nach ihrem unrechtmäßigen Erwerb – im rechtmäßigen Besitz der Humboldt-Universität. Ein Weg zur angemes-senen Darstellung ihrer Geschichte im Katalog und Webauftritt der Hum-boldt-Universität muss noch gefunden werden, um die Spurensicherung zum Fall der Privatbibliothek Agathe Laschs auch in diesem Medium sichtbar zu machen.

(Stand: 23.4.2008). Die Internetseite zu Agathe Lasch wird von Christine Kaiser betreut. URL: http://www.agathe-lasch.de (Stand: 19.3.2008).

37 In Vorträgen zur Langen Nacht der Wissenschaften 2007 in Berlin und auf der Internationalen Tagung in Wien, zu der dieser Band erscheint, wurden die Ergeb-nisse der interessierten Öffentlichkeit präsentiert. Schriftlich werden sie bis zum Deutschen Bibliothekartag 2008 in einer ausführlicheren Version innerhalb der Schriftenreihe der Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität publiziert wer-den. Ein weiterer Artikel in einem Sammelband zu Agathe Lasch, der in der Ham-burger Bibliothekszeitschrift Auskunft erscheinen soll, ist geplant.

Christiane Hoffrath