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Der alltägliche Nationalsozialismus an der Universitätsbibliothek Leipzig

Die Universitätsbibliothek Leipzig in der Zeit des Nationalsozialismus

1. Der alltägliche Nationalsozialismus an der Universitätsbibliothek Leipzig

Eine Vielzahl von Verordnungen, Durchführungsbestimmungen und Richtlinien für die Beamten und Angestellten der UBL zeigt das Eingebun-densein in die Struktur des Landes, der Universität Leipzig sowie in die Ar-beit der Berufsverbände. Deutlich wird, wie der alltägliche Nationalsozialis-mus sehr rasch bis in die Bibliothek vordringt. Die neuen nationalsozialisti-schen Inhalte werden über die vorhandenen Strukturen innerhalb und außerhalb der Bibliothek, des Wissenschaftsbetriebes, des Landes Sachsen und deutschlandweit realisiert und so bedenkenlos und nahtlos übernommen.

Schon kurz nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wird das tägliche Leben der Bibliothekare, aber auch der Leser der Bibliothek, beein-flusst.

So finden sich absurder Weise neben der Kopie zum Fahndungsaufruf zum Reichstagsbrand vom 7. April 1933 (»sachdienliche Hinweise sind in der Kanzlei vorzubringen«) in den Akten allein in der Zeit von 1933 bis 1935 gleich sechs Mitteilungen für das Personal der UBL, die sich mit der korrek-ten Ausführung des Hitlergrußes beschäftigen.1

Schließungen der Bibliothek aus politischen Gründen schränken die Öff-nungszeiten ein; gemeinsam müssen in dieser Zeit die politischen Reden Hitlers, Goebbels’ usw. gehört werden.2 Die erste stundenweise Schließung ist am 21. März 1933 anlässlich des Zusammentritts »des ersten im neuen Geist gewählten Deutschen Reichstages« belegt. Nach den im Archiv erhal-tenen Aushängen zu Schließungen hatte die UBL in der Zeit von 1933 bis 1944 mindestens 28 mal aus politischen Gründen wegen der Übertragung einer Rede Hitlers, dessen Geburtstags usw. geschlossen.3

Eine große Anzahl von Umläufen zur weltanschaulichen Einstellung der Mitarbeiter der UBL ist erhalten:

Bereits 1933 gibt Otto Glauning (1876–1976), von 1921 bis 1937 Direktor der UBL, eine Information aus dem Sächsischen Verwaltungsblatt vom 6.

Oktober 1933 in Umlauf, die jede wenn auch lose Beziehung zur KPD und SPD sowie deren Hilfsorganisationen wegen deren landesverräterischen Charakters verbietet und eine Erklärung der früher einer dieser Organisatio-nen angehörigen Mitarbeiter verlangt.4 1935 werden im Abstand von einem halben Jahr zwei Fragebögen zur weltanschaulichen Einstellung des Perso-nals ausgegeben.5

Diesen wiederum folgen Umläufe des Reichstatthalters in Sachsen im Au-gust 1935 zur »Zugehörigkeit von Beamten zu Beamtenvereinigungen« so-wie im Februar 1936 zu Änderungen und Ergänzungen der Eintragungen in die Personalakten.6

Das Treuegelöbnis für die Beamten und Angestellten der UBL wird am 22. Mai 1936, 8.15 Uhr, im großen Lesesaal abgenommen und ist mit einer eidesstattlichen Erklärung für jeden verbunden.7

Die Nürnberger Gesetze vom 15. September 1935 verschärfen die Hetz-kampagnen gegen jüdische Mitbürger und erhöhen zugleich den Druck auf die Beamten im öffentlichen Dienst, jüdische Geschäfte und Ärzte zu boykot-tieren.

So erhalten die Beamten der UBL am 25. Oktober 1935 als Umlauf die Mitteilung des Rentamts der Universität, das »nach der Verordnung des

1 Universitätsbibliothek Leipzig (UBL) Archiv, Zl. 629/2.

2 UBL Archiv, Zl. 659/1–2.

Herrn kommissarischen Leiters des Ministeriums für Volksbildung vom 19.

September 1935 […] der Einkauf in jüdischen Geschäften einen Verstoß gegen die elementarsten Grundsätze nationalsozialistischer Haltung« darstellt und bei jedem öffentlichen Beamten dienststrafrechtliche Folgen nach sich zieht.8 Diese Mitteilung wird durch den Universitätsrentmeister am 22. Fe-bruar 1937 erneut bekräftigt.9 Vom 23. Oktober 1936 gibt es einen weiteren Umlauf mit einem Schreiben des Reichsstatthalters von Sachsen, der auf das Versagen von Beihilfen, Unterstützungen usw. bei Inanspruchnahme jüdi-scher Ärzte hinweist.10

Auch Dokumente zur Säuberung des Personals von politisch Missliebigen bzw. jüdischen Mitarbeitern sind erhalten. Im Zusammenhang mit dem Ge-setz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 wur-den 23 Hochschullehrer der Universität Leipzig nach wur-den Bestimmungen des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, kurz Berufsbeam-tengesetz, in den Ruhestand versetzt bzw. deren Lehrbefugnis entzogen.11

Ariernachweise wurden jedoch weiterhin und immer umfassender ver-langt. Am 9. Oktober 1935 kommt der Erlass des Ministeriums für Volksbil-dung in Umlauf, der darüber informiert, dass Beamte bis 12. Oktober 1935 eine Erklärung zum arischen Nachweis abgeben müssen. Jüdische Beamte, die von drei oder vier der Rasse nach volljüdischen Großeltern abstammen, sind mit sofortiger Wirkung zu beurlauben.12 Außerdem hat sich das Formu-lar zum Nachweis arischer Abstammung von Ehefrauen von Beamten vom September 1936, sowie der Umlauf »über die jüdische Versippung« vom Mai 1937 in den Akten der UBL erhalten.13

Die Auswahl dieser Umläufe dokumentiert wohl sehr deutlich, wie es in kurzer Zeit der nationalsozialistischen Ideologie gelingt, alles zu unterwan-dern und selbst das Tagesgeschehen zunehmend und massiv in ihrem Sinne zu beeinflussen.

An der Spitze der UBL stand von 1921 bis 1937 Otto Glauning. 1876 in Nürnberg geboren, studierte er englische und romanische Philologie. Als Oberbibliothekar von der Staatsbibliothek München kommend, übernahm er 1921 als Nachfolger von Karl Boysen das Direktorat. Von seiner politischen Haltung her eher konservativ-deutschnational, liegen seine Verdienste vor

8 Ebd.

9 UBL Archiv, Zl. 670/2.

10 UBL Archiv, Zl. 629/3.

11 Vgl. Siegfried Hoyer: Die Vertreibung jüdischer und demokratischer Hochschul-lehrer von der Universität Leipzig 1933–1938. In: Antisemitismus in Sachsen im 19. und 20. Jahrhundert. Red. Solvejg Höppner. Dresden: ddp goldenbogen 2004, S. 168–181.

12 UBL Archiv, Zl. 670/1.

13 UBL Archiv, Zl. 668, Nachweis arischer Abstammung von Ehefrauen von Beam-ten, 8.9.1936 sowie Umlauf »über die jüdische Versippung«, 24.5.1937.

allem im Ausbau der Universitätsbibliothek zu einer modernen Einrichtung.

Glauning war parteilos, politische Äußerungen im Sinne des Nationalsozia-lismus sind, bis auf eine Rede anlässlich des Geburtstags Adolf Hitlers, nicht überliefert. Er stand dem politischen System wohl eher distanziert gegenüber und sicherte sich bei Entscheidungen gern bei übergeordneten Stellen ab, wie seine Anfragen zu Benutzungseinschränkungen für Juden beim Sächsischen Ministerium und andere Vorgänge zeigen. Über die Gründe für seine vorfri-stige Pensionierung 1937, die mit gesundheitlichen Problemen zusammen-hängen kann, sind noch keine endgültigen Aussagen möglich.

Nach einer längeren Übergangszeit übernahm Fritz Prinzhorn am 1. März 1939 die Leitung der UBL. Prinzhorn, 1893 in Berlin geboren, studierte Ma-thematik, Naturwissenschaften, Geographie und Philosophie in Berlin und Jena. 1919 beginnt er eine Laufbahn im Bibliothekswesen an der Preußischen Staatsbibliothek Berlin. 1929 wurde er zum Direktor der Bibliothek der Technischen Hochschule Danzig berufen. Seit Mai 1933 NSDAP-Mitglied setzt Prinzhorn den Verband Deutscher Bibliothekare 1933 massiv unter Druck und erreicht, dass aus politischen Gründen trotz großer Proteste die 30.

Jahresversammlung Deutscher Bibliothekare 1934 in Danzig stattfindet. Sein Beitrag unter dem Titel »Die Aufgaben der Bibliotheken im nationalsoziali-stischen Deutschland« weist ihn als überzeugten Nationalsozialisten aus.

Laut Gerd Simon ist er nach Kummer und Krüß einer der wichtigsten Vertre-ter der nationalsozialistischen Buchpolitik.141939 wird er zum Direktor der UBL ernannt. Der Schwerpunkt seiner fachlichen Arbeit lag auf dem Gebiet der Dokumentation. Seine Europa-Bibliographie erscheint im Auftrag und in enger Zusammenarbeit mit dem SD. Zum 1. Oktober 1945 wird Prinzhorn als einer der ersten zehn Professoren an der Universität Leipzig auf Grund seiner nationalsozialistischen Gesinnung vom Dienst suspendiert. 1951 bittet er Georg Leyh, ein von ihm selbst verfasstes Zeugnis für ihn zu unterschreiben, in dem es heißt: »Was haben alle Entnazifizierungsverfahren für einen Sinn, wenn nicht einmal Personen wie Herr Prinzhorn, von denen feststeht, dass sie in ihrem Bereich gegen die Methode des Dritten Reiches angegangen sind, auch nach ihrer Entnazifizierung weiter als belastet gelten.«15 1951 wird Prinzhorn Leiter der Bibliothek des Auswärtigen Amtes Bonn – seine Ein-stellung wird von Protesten von NS-Opfern begleitet. Nach sieben Jahren ging er in den Ruhestand.

14 Vgl. http://homepages.uni-tuebingen.de/gerd.simon/ChrPrinzhorn.pdf (Stand: 18.3.2008).

15 Manfred Komorowski: Die Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Erbe im wissenschaftlichen Bibliothekswesen nach 1945. In: Bibliotheken wäh-rend des Nationalsozialismus. Hg. von Peter Vodosek und Manfred Komorowski.

Bd. 2. Wiesbaden: Harrassowitz 1992 (= Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens 16), S. 273–291, hier S. 288.

Aber nicht nur Personal und Leser waren zunehmend betroffen, auch die Bestände der Bibliothek, die Erwerbungs- und die Benutzungspolitik sollten sich entscheidend ändern.