• Keine Ergebnisse gefunden

Benutzungseinschränkungen

Die Universitätsbibliothek Leipzig in der Zeit des Nationalsozialismus

3. Benutzungseinschränkungen

Nachvollziehbar aus den hauseigenen Akten wird auch die zunehmende Ausgrenzung jüdischer Bürger als Nutzer der Bibliothek. Am 8. Dezember 1934 erkundigt sich der Leser Walter Carow, »Nichtarier und Frontkämpfer«, bei Glauning »[…] ob mir dieserhalb überhaupt die Bibliothek zur Verfügung steht«. Glauning kann zu diesem Zeitpunkt noch antworten: »Nichtarier sind von der Benutzung unserer Bibliothek nicht ausgeschlossen«.31

Ein halbes Jahr nach dem 7. Reichsparteitag der NSDAP 1936 und den dort verabschiedeten Nürnberger Gesetzen fragt Glauning im Ministerium offenbar an, ob Juden in der UB als Leser noch zugelassen sind. Seine Ak-tennotiz bestätigt: »Bei einer Besprechung mit Herrn Regierungsassessor Zinßer im Rektorat am 24. März 1936 teilt mir dieser mit, dass gegen eine Zulassung der Juden bei der UBL nichts im Wege steht. Das Gleiche gilt von der Akademischen Lesehalle.« Und weiter schon perfide: »Nur wenn zu viele Meldungen einlaufen sollten, müsste gebremst werden.«32

Auch im Mai 1936 halten sich die großen wissenschaftlichen Bibliotheken Sachsens mit Benutzungseinschränkungen für Juden noch weitgehend zu-rück, wie aus einem Schreiben des Sächsischen Ministeriums für Volksbil-dung vom 22. Mai 1936 auf Anfrage der Direktion der Sächsischen Landes-bibliothek Dresden hervorgeht.

27 UBL Archiv, Zl. 80.

28 UBL Archiv, Zl. 1020.

29 UBL Archiv, Zl. 709.

30 UBL Archiv, Zl. 100.

31 UBL Archiv, Zl. 1053.

32 UBL Archiv, Zl. 614.

Von einschränkenden Bestimmungen für die Benutzung der Landesbi-bliothek durch Nichtarier will ich solange absehen, als nicht den übrigen Ländern derartige Bestimmungen erlassen werden oder der Herr Reichs- und Preussische Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung selbst eine allgemeine Regelung trifft. Gebührenermässigung oder Ge-bührenfreiheit ist jedoch Volljuden im Sinne des Reichsbürgergesetzes vom 15. September 1935 und seine Ausführungsverordnungen vom 14.

November und 21. Dezember 1935 (RGBl. S. 1146, 1333 und 1524) nicht zu gewähren.33

Doch bereits nach etwas über einem Jahr verschärft sich die Situation er-heblich. In einem Umlauf an die Mitarbeiter der UBL wird bekannt gegeben, dass für alle Besucher des Lesesaals sowie des Zeitschriftenlesesaals, die nicht zum Kreis der Universität gehören, Lesekarten nur ausgegeben werden, wenn folgende Erklärung abgegeben wird: »Ich erkläre hiermit, dass ich nicht wegen einer nach der Machtübernahme begangenen politischen Straftat verurteilt worden bin, nicht Jude im Sinne von § 5 der ersten Ausführungs-verordnung vom 14.11.1935 (RGBl. I S.1333) zum Reichsbürgergesetz vom 15.9.1935 (RGBl. I S. 1146) bin.«34

Am 20. August 1937 gibt Glauning eine von ihm verfasste Richtlinie über die Zulassung von Nichtariern in Umlauf in der es heißt: »Sie können durch die Ausleihe den Magazinbestand der Bücher entleihen, soweit er nicht be-sonderen, einschränkenden Bestimmungen unterliegt. Die Entnahme von Büchern aus den Handbibliotheken des Lesesaals und der Katalogsäle I und II sowie die Vermittlung von Büchern von auswärts durch die Fernleihe II sind nicht möglich.«35

Verschärft wird die Situation mit dem Runderlass des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung von Dezember 1938 »Ausschluss von Juden an den Hochschulen«, in dem es heißt:

Soweit bisher Professoren, sonstigen Lehrkräften und wissenschaftlichen Beamten, die Juden im Sinne der Nürnberger Gesetze und als solche aus dem aktiven Hochschuldienst ausgeschieden sind, ausnahmsweise die Genehmigung erteilt worden ist, privat in Hochschulinstituten, Biblio-theken usw. wissenschaftlich weiterzuarbeiten oder diese Einrichtungen zu benützen, ziehe ich diese Genehmigung mit sofortiger Wirkung zu-rück.36

Diese Maßnahmen treffen zunehmend auch Professoren der Leipziger Universität, die aus rassischen oder politischen Gründen seit 1933 entlassen wurden oder die Lehrbefugnis entzogen bekamen.

Zwei Beispiele seien herausgegriffen:

Am 12. Oktober 1937, also noch vor dem Runderlass zum »Ausschluss von Juden an den deutschen Hochschulen«, bittet der jüdische Professor Erich Marx (1874–1956) in einer Eingabe an das Ministerium für Volksbil-dung in Sachsen darum, ausnahmsweise weiterhin Zutritt zu den Benutzungs-räumen der UBL zu erhalten.

Erich Marx war einer der bekanntesten Radiophysiker des 20. Jahrhun-derts. Zahlreiche technische Errungenschaften wie die »Marxsche Röhre« als Vorläufer der Fernsehröhre, gehen auf ihn zurück. Seit 1920 war er Professor für Radiophysik an der Leipziger Universität. Er gehörte der französisch-reformierten Kirche an, war aber als Jude dennoch von den Rassengesetzen betroffen und wurde am 30. August 1933 gemäß Paragraph 3 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums entlassen. Nach seiner Entlas-sung gründete er ein eigenes radiophysikalisches Institut in Leipzig, das 1940 von den Nationalsozialisten geschlossen wurde.37

Seine Anfrage nach dem weiteren Zutritt zur UBL wurde vom Ministeri-um abgelehnt. Sowohl dieses Schreiben, als auch die Information durch den stellvertretenden Direktor der UBL Dr. Mühlbach an Erich Marx sind im UB-Archiv erhalten.38Marx selbst konnte 1941 in die USA emigrieren und seine bedeutenden wissenschaftlichen Arbeiten weiterführen.

Auch der bekannte Literaturwissenschaftler Georg Witkowski (1863–

1939) war der Stadt Leipzig sowie ihrer Universität über 50 Jahre eng ver-bunden. Seine Forschungen konzentrierten sich insbesondere auf Leben und Werk Johann Wolfgang von Goethes und die Geschichte des literarischen Lebens in Leipzig. 1930, 67jährig, erhielt er für besondere Verdienste den Titel persönlicher Ordinarius für deutsche Sprache und Literatur. Auch nach seiner Emeritierung 1931 setzte er seine Lehrtätigkeit fort. Im April 1933 von den Nationalsozialisten beurlaubt folgte am 22. September seine Entlassung gemäß § 3 des »Gesetzes zur Wiederherstellung des Beamtentums«. Neben seiner jüdischen Herkunft war es wohl auch seine Unterschrift unter den Solidaritätsaufruf für den Heidelberger Pazifisten und Privatdozenten Emil Julius Gumpel, die dazu führte. 1935 trifft Witkowski das Publikationsverbot für Juden. Noch im Herbst 1937 kehrt er von einem Besuch bei seiner Toch-ter in England nach Leipzig zurück, weil er sich nicht vorstellen kann, Leip-zig ganz zu verlassen.39

Witkowski ahnte damals nicht, dass er wenig später keine einzige öffentli-che Bibliothek mehr betreten darf. Der Einspruch, den die Sächsisöffentli-che

37 Vgl. Ronald Lambrecht: Politische Entlassungen in der NS-Zeit. Vierundvierzig biographische Skizzen von Hochschullehrern der Universität Leipzig. Leipzig:

Evangel. Verlagsanstalt 2006 (= Beiträge zur Leipziger Universitäts- und Wissen-schaftsgeschichte 11).

38 UBL Archiv, Zl. 714/7.

39 Vgl. Georg Witkowski: Von Menschen und Büchern. Erinnerungen 1863–1933.

Leipzig: Lehmstedt 2003.

demie der Wissenschaften dagegen erhob, blieb wirkungslos. Witkowski wird 1937 für kurze Zeit verhaftet. Im Mai 1939 emigriert er schwer krank nach Amsterdam und verstirbt dort im September des gleichen Jahres.

Witkowskis Werk Geschichte des literarischen Lebens in Leipzig, er-schienen 1909 im Verlag B.G. Teubner, wird 1939 zum Politikum. Der Ver-lag fragt bei der Sächsischen Kommission für Geschichte, in deren Schriften-reihe das Werk erschien, an, ob die Restexemplare eingestampft und der Titel unter den Schriften der Kommission verschwinden soll. Die Sächsische Kommission für Geschichte wendet sich mit dieser Frage an das Ministerium für Volksbildung, das wiederum bei der UBL nachfragt. Im UBL-Archiv hat sich folgende Antwort an das Ministerium erhalten, die zugleich ein Schlag-licht auf die nationalsozialistische Haltung des Direktors der UBL, Fritz Prinzhorn, wirft:

Das Werk von Witkowski »Geschichte des literarischen Lebens in Leip-zig« ist die einzige umfassende Bearbeitung dieses Themas. Da es als Nachschlagewerk demnach immer noch benötigt wird, wäre ein Ein-stampfen der Restbestände nicht zu empfehlen. Es wird deshalb vorge-schlagen, dem Verlage bez. der Sächsischen Kommission für Geschichte die Auflage zu machen, das Buch nur noch an öffentliche Institute des Reiches, der Länder und Gemeinden, also in der Hauptsache Bibliothe-ken, Archive und Museen abzugeben. Da es allerdings für die Stadt Leipzig nicht gerade ruhmreich ist, dass ein wichtiges im amtlichen Auf-trage herausgegebenes Werk zu ihrer Geschichte ausgerechnet einem Juden anvertraut wurde, dürfte es sich empfehlen, den Titel aus den Schriften der Kommission zu tilgen.40

An Hand von im hauseigenen Archiv belegbaren Vorgängen wurde ver-sucht, die verhängnisvollen Auswirkungen des Nationalsozialismus auf die Arbeit der UBL zu beleuchten. Dabei wurden Beispiele aus dem Alltagsleben innerhalb der Bibliothek ebenso herausgegriffen, wie einige Fälle der Erwer-bung beschlagnahmter Literatur und deren Restitution sowie von Benut-zungseinschränkungen für rassisch oder politisch unliebsame Leser. Weitere ließen sich anfügen und neue werden mit dem Fortgang der Arbeiten am Projekt zu Tage treten.

40 UBL Archiv, Zl. 75.